Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 248/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5290/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.10.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1966 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Kindergärtnerin/Erzieherin absolviert und in diesem Beruf bis 2007 gearbeitet.
Vom 2.11.2006 bis 27.11.2006 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung im Sanatorium H., G ... Im Entlassungsbericht vom 29.11.2006 sind die Diagnosen ausgeprägtes psychophysisches Erschöpfungssyndrom, Z. n. Mononukleose-Infektion und schmerzhaftes Dorsalsyndrom festgehalten. Als Erzieherin könne die Klägerin 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und im gleichen Umfang mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten.
Am 1.3.2007 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe (Umschulung). Nach erfolglosem Verwaltungsverfahren (Ablehnungsbescheid vom 14.3.2007/Widerspruchsbescheid vom 9.7.2007 erhob sie Klage beim Sozialgericht Heilbronn (Verfahren S 4 R 3177/07). Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte (u.a. Allgemeinarzt Dr. H. vom 16.10.2007: Klägerin als Kindergärtnerin nicht mehr einsetzbar aber fähig, leichte Tätigkeiten 6 bis 8 Stunden täglich zu verrichten) und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 5.2.2008. Dieser diagnostizierte bei normalem Antrieb und Fehlen einer depressiven Symptomatik eine deutliche Somatisierungsstörung sowie herzphobisch gefärbte Panikattacken (mit gleichzeitig völlig fehlendem Zugang zu psychosomatischen Erklärungsansätzen) bei vorbestehender Persönlichkeitsstörung mit aggressionsgehemmten, überangepassten Zügen, begrenzter Konfliktfähigkeit, erheblichen Schwierigkeiten in der Abgrenzung sowie akzentuiertem Kommunikationsmuster. Die Klägerin könne Tätigkeiten mit unmittelbar betreuenden oder auch therapeutischen oder pädagogischen Aufgaben nicht mehr verrichten und auch als Erzieherin nicht mehr arbeiten. Andere (auch mittelschwere) Tätigkeiten, etwa im Verwaltungs- oder Bürobereich (ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen) seien aber (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig möglich.
Mit Bescheid vom 28.3.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin (nach Abgabe eines Anerkenntnisses) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach.
Bereits am 21.2.2008 hatte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. Mit Bescheid vom 14.8.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.2.2008 auf Dauer. Wegen Hinzuverdienstes bzw. Arbeitslosengeldbezugs wurde die Rente ab Rentenbeginn zunächst (bis 1.9.2008) nicht gezahlt. Mit Bescheid vom 27.8.2008 wurde die Rente ab 1.9.2008 neu berechnet (ab 1.9.2008: monatlich 419,06 EUR).
Die Klägerin erhob Widerspruch; ihr stehe Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, da sie nicht mehr arbeiten könne.
Mit (Anhörungs-)Schreiben vom 12.9.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihr sei Rente zu Unrecht bewilligt worden. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehe nicht, da sie mindestens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten könne. Es sei beabsichtigt, den Rentenbescheid vom 14.8.2008 zum 1.11.2008 gem. § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen und die Zahlung der zu Unrecht bewilligten Leistungen ab diesem Zeitpunkt einzustellen.
Die Klägerin machte geltend, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert; ihr stehe eigentlich Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Mit Bescheid vom 21.11.2008 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 14.8.2008 in der Fassung des Bescheides vom 27.8.2008 mit Wirkung ab 1.12.2008 gemäß § 45 SGB X zurück. Die Rentenzahlung werde ab 30.11.2008 eingestellt. Zur Begründung führte sie aus, die Rente sei zu Unrecht bewilligt worden. Sie könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten und sei daher nicht erwerbsgemindert. Die Rücknahme der Rentenbescheide mit Wirkung für die Zukunft sei zulässig, da Vertrauensschutz nicht vorliege. Auch die Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis; das Vorbringen der Klägerin im Anhörungsverfahren habe man dabei berücksichtigt. An der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bestehe grundsätzlich ein öffentliches Interesse wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Gebots der zweckentsprechenden Mittelverwendung. Interessen der Klägerin stünden dem nicht entgegen, zumal sie im Anhörungsschreiben vom 12.9.2008 über den künftigen Wegfall der Rente informiert worden sei.
Die Klägerin legte auch dagegen Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren erhob die Beklagte das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 2.8.2009 und das Gutachten des Internisten Dr. Z. vom 5.8.2009.
Dr. G. diagnostizierte bei kaum eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb eine chronifizierte leichte depressive Episode, leichte agoraphobische Reaktionen ohne Vermeidungsverhalten und weitgehend abgeklungene herzphobische Anfälle, ein sensibles Carpaltunnelsyndrom rechts und kontrollbedürftige Blutdruckwerte. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen, keine Betreuung von Kindern und Jugendlichen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Als Erzieherin in einer Kinderkrippe könne sie nicht mehr arbeiten. Dr. Z. diagnostizierte rezidivierende Infektionen der oberen Nasennebenhöhlen, Z. n. Mononukleose und ein Erschöpfungssyndrom. Leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) seien 6 Stunden täglich und mehr möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.1.2010 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin (gegen die Versagung voller Erwerbsminderungsrente und die Rücknahme der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) zurück, worauf diese am 25.1.2010 Klage beim Sozialgericht Heilbronn erhob. Sie trug vor, (u.a.) wegen eines Immundefekts und eines chronischen Erschöpfungssyndroms sei sie nur sehr gering belastbar und könne nicht mehr arbeiten.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte:
Der HNO-Arzt Dr. H. führte unter dem 31.3.2010 aus, er habe die Klägerin bis Juni 2008 behandelt. Wegen des hohen Infektionsrisikos sei eine Tätigkeit als Erzieherin nicht mehr möglich, leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts könne die Klägerin aber verrichten. Ohne eine erfolgreiche umfassende psychotherapeutische Begleitbehandlung sei eine berufliche Belastung nicht möglich. Der Allgemeinarzt Dr. H. teilte im Bericht vom 11.4.2010 mit, er habe die Klägerin zuletzt am 9.4.2010 beraten. Häufigster Anlass für Praxisbesuche seien Infekte der oberen Luftwege gewesen; als Kindergärtnerin könne die Klägerin nicht mehr arbeiten. Nur ein Wechsel des Arbeitsplatzes und des Tätigkeitsfeldes böten eine Chance zur Konsolidierung der Gesundheit. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (insbesondere Bürotätigkeiten) seien 6 bis 8 Stunden täglich möglich. Der Internist Dr. K. führte im Bericht vom 8.7.2010 aus, die Klägerin leide an Colon irritable, Uterus myomatosus, psychosomatischer Krankheit, CFS und spastischer Bronchitis bei Erwachsenen. Nach der mit der Klägerin abgestimmten Beurteilung sei sie deswegen nicht mehr in der Lage, als Erzieherin 6 Stunden täglich zu arbeiten; das sei nach eigener Einschätzung der Klägerin weniger als 3 Stunden täglich möglich. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts könne die Klägerin ebenfalls nicht 6 Stunden täglich leisten. Wegen körperlicher und psychischer Erschöpfung liege das Leistungsvermögen insoweit bei 2 Stunden täglich. Der Schwerpunkt der Erkrankung liege auf psychosomatischem Gebiet.
Mit Verfügung vom 15.7.2010 beauftragte das Sozialgericht den Neurologen und Psychiater M. (H.) mit der Erstattung eines Gutachtens.
Mit Schreiben vom 19.7.2010 beantragte die Klägerin, einen anderen Gutachter zu beauftragen. Die Fahrt mit dem Pkw in die Großstadt H. überfordere sie, da sie die Stadt nicht kenne. Man möge einen Gutachter in den ihr bekannten Städten St., T. oder H. bestellen. Im Übrigen sei ihr die Wegestrecke von 90 km nach H. zu weit. Wegen des Reizdarmsyndroms müsse sie oft eine Toilette aufsuchen.
Nachdem das Sozialgericht mit Verfügung vom 21.7.2010 auf öffentliche Verkehrsmittel (Bahnfahrt von St. nach H. in ca. 40 Minuten) und die Möglichkeit einer Begutachtung nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen hatte, teilte der Gutachter M. am 27.7.2010 mit, die Klägerin habe angegeben, sie wolle nicht ohne Begleitung in seine Praxis kommen; die Ferienzeit scheide deswegen aus. Außerdem habe sie im Oktober zu viele Termine und für eine Begutachtung keine Zeit. Einen Termin halte sie erst am 9.11.2010 für möglich.
Am 4. und 5.8.2010 führte die Klägerin ergänzend aus, sie könne nicht alleine zur Begutachtung gehen; die Begleitung durch einen Zeugen erlaube der Gutachter nicht.
Mit Verfügung vom 6.8.2010 teilte das Sozialgericht der Klägerin mit, sie verweigere offensichtlich die Begutachtung durch den bestellten Gutachter und wolle auch einen Antrag auf Begutachtung gem. § 109 SGG nicht stellen. Die Klägerin trage die (objektive) Beweislast für den geltend gemachten Rentenanspruch. Der Gutachtensauftrag werde storniert und es solle durch Gerichtsbescheid entschieden werde. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme bis 31.8.2010.
Die Klägerin beantragte mehrfach, die Stellungnahmefrist zu verlängern. Außerdem behauptete sie (ohne nähere Angaben), bei der Begutachtung durch Dr. B. missbraucht worden zu sein (emotionale und psychische Gewalt). Nach einer letzten (am 30.9.2010) fruchtlos abgelaufenen Frist zur Begutachtung hob das Sozialgericht den Gutachtensauftrag mit Verfügung vom 4.10.2010 auf.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe die Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu Recht gem. § 45 SGB X zurückgenommen. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Sie könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das gehe aus dem Gutachten des Dr. B. vom 5.2.2008 und den Berichten der Dres. H. und H., hervor. Der (ersichtlich mit der Klägerin abgestimmten) Auffassung des Dr. K. sei nicht zu folgen. Die Klägerin habe im Übrigen eine Überprüfung ihres Leistungsvermögens durch Verweigerung der Begutachtung verhindert. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für die nach dem 2.1.1961 geborene Klägerin nicht in Betracht. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen; das Rücknahmeermessen sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden, nachdem der Rentenbescheid (nach Anhörung der Klägerin) nur für die Zukunft aufgehoben worden sei.
Auf den ihr am 5.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8.11.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wegen ihrer stark ausgeprägten Gesundheitsstörungen könne sie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht arbeiten. Eine Begutachtung durch einen männlichen Gutachter ohne die Anwesenheit eines Zeugen sei aus ihrer Sicht problematisch, sie sei aber nunmehr zu einer Begutachtung im Gerichtsverfahren bereit.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.10.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.1.2010 und unter Abänderung der Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu verurteilen, ihr ab 1.2.2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für rechtmäßig.
Der Senat hat das Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Prof. Dr. F. (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T.) vom 10.1.2012 erhoben. Dieser führte die Exploration durch und eruierte den Tagesablauf der Klägerin (mit Freizeit- und sozialem Kontaktverhalten) und führte aus, eine ambulante oder stationäre Psychotherapie habe nicht stattgefunden. Die Klägerin habe stützende Gespräche im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung des Hausarztes über ein Jahr hinweg von 2005 bis 2006 in Anspruch genommen. Nach eigenen Angaben habe sie irgendwann zwischen 2002 und 2006 über vier bis sechs Wochen hinweg ein hausärztlich verordnetes Antidepressivum eingenommen. Ab und zu nehme sie Johanniskraut. Sie meine, sich selbst sehr gut helfen zu können und habe viel psychologische Literatur, auch über kognitive Verhaltenstherapie, gelesen. Als Befürworterin der naturheilkundlichen Medizin sei sie gegenüber Medikamenten eher zurückhaltend.
Der Gutachter hat keine Antriebsminderung gefunden und eine Neurasthenie (mit histrionischen Zügen) diagnostiziert. Die Kriterien einer depressiven Erkrankung bzw. einer Somatisierungsstörung oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung seien nicht erfüllt. Die Klägerin gehe ihren Interessen in der Freizeit nach (Spazierengehen, Bibelgruppe, Bekanntenbesuche, Musizieren), erwähne aber, dabei aufgrund erhöhter Ermüdbarkeit, Muskelschmerzen und immer wiederkehrender Kopfschmerzen regelmäßig gestört oder behindert zu sein. Die seelische Störung bzw. die damit einhergehenden Symptome könnten bei zumutbarer Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe innerhalb eines halben Jahres teilweise überwunden werden. Als Kindergärtnerin oder Erzieherin solle die Klägerin nicht mehr eingesetzt werden. Sie könne aber leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig (über 6 Stunden täglich) verrichten. Eine Arbeit in Spielhallen lehne die Klägerin aus persönlicher Überzeugung ab, Tätigkeiten im Bereich Zureichen, Abnehmen, Montieren, Kleben, Sortieren und Verpacken sehe sie als unter ihrem Niveau an; gegen die Verrichtung solcher Tätigkeiten sei aber nichts einzuwenden. Die Klägerin sei wegefähig. Aktuell werde weder eine psychiatrische noch eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen; mögliche Therapieoptionen seien bei weitem nicht ausgeschöpft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat weder Anspruch auf Rente wegen teilweiser noch wegen voller Erwerbsminderung. Die Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 (Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) waren daher rechtswidrig. Die Beklagte hat diese Bescheide mit dem Bescheid vom 21.11.2008 (Widerspruchsbescheid vom 5.1.2010) zu Recht zurückgenommen und die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ebenfalls zu Recht versagt.
Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften das Rentenbegehren der Klägerin bzw. die Rücknahme der Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu beurteilen ist (§§ 43, 240 SGB VI bzw. § 45 SGB X), und weshalb der Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht zusteht bzw. die Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu Recht zurückgenommen worden sind. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:
Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht vor allem aus den Gutachten der Dres. B. und G. vom 5.2.2008 bzw. 2.8.2009 und des Prof. Dr. F. vom 10.1.2012 überzeugend hervor. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt für die 1966 geborene Klägerin von vornherein nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Dr. B. hat bei normalem Antrieb eine depressive Symptomatik nicht gefunden und im Kern eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Deswegen kann die Klägerin als Kindergärtnerin bzw. Erzieherin nicht eingesetzt werden. Leistungseinschränkungen, die der Verrichtung leichter Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts über mindestens 6 Stunden täglich entgegenstünden, bestehen aber nicht. Dr. G. hat diese Einschätzung bestätigt; er hat bei kaum eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb eine höhergradige psychiatrische Erkrankung nicht diagnostizieren können. Die behandelnden Ärzte Dr. H. (Berichte vom 16.10.2007 und 11.4.2010) und Dr. H. haben ebenfalls vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten angenommen. Die abweichende Ansicht des Internisten Dr. K. enthält keine aus Befunden begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung, sondern eine – zudem offenbar mit der Klägerin abgestimmte und auf deren subjektive Angaben gestützte - ärztliche Meinungsäußerung. Außerdem hat Dr. K. den Schwerpunkt der Erkrankungen dem psychosomatischen und nicht seinem, dem internistischen, Fachgebiet zugeordnet. Das psychiatrische bzw. psychosomatische Krankheitsbild ist von den hierfür zuständigen Neurologen und Psychiatern Dr. B. und Prof. Dr. F. zu beurteilen.
Prof. Dr. F. ist in seinem Gutachten ebenfalls zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Dies ist aus der erhobenen Diagnose – Neurasthenie, aber keine depressive oder andere psychiatrische Erkrankung – und den Befunden –insbesondere keine Antriebsminderung – und im Übrigen auch aus dem Fehlen einer bei (höhergradigen) psychiatrischen Erkrankungen mit rentenberechtigenden (zeitlichen) Leistungseinschränkungen regelmäßig zu erwartenden (multimodalen) Therapie schlüssig und überzeugend begründet.
Für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente kommt es auf die (mindestens sechsstündige) Fähigkeit zur Verrichtung leichter Tätigkeiten und nicht darauf an, ob die Klägerin dazu bereit ist. Sie kann einfache Arbeit nicht als unter ihrer Würde ablehnen und zugleich die Zahlung von Rente (finanziert u.a. auch aus den Rentenversicherungsbeiträgen der einfache Arbeit leistenden Beschäftigten) beanspruchen. Berufsschutz kommt, wie dargelegt, nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Stichhaltige Einwendungen gegen die genannten Gutachten sind nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich.
Die Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008, mit denen der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt worden war, waren bei ihrem Erlass rechtswidrig, da Erwerbsminderung auch seinerzeit nicht vorlag und die Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht beanspruchen kann. Die Beklagte hat sie daher zu Recht gem. § 45 SGB X zurückgenommen. Sie hat die Rücknahme im Bescheid vom 21.11.2008 zum 1.12.2008 und damit (nur) für die Zukunft verfügt. Der Klägerin ist im Anhörungsschreiben vom 12.9.2008, wenige Wochen nach Ergehen der rechtswidrigen Rentenbescheide, die Rücknahme der Rentenbewilligung angekündigt worden. Vertrauensschutz (§ 45 Abs. 2 SGB X) kommt nicht in Betracht; hierfür ist nichts ersichtlich oder geltend gemacht. Die Beklagte hat ohne Rechtsfehler das Rücknahmeermessen ausgeübt (hierzu näher Senatsurteil vom 15.2.2012, - L 5 R 3255/11 -). Die Frist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X (2 Jahre nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts) ist gewahrt.
Weitere Ermittlungen drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Arztberichte und Gutachten nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1966 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Kindergärtnerin/Erzieherin absolviert und in diesem Beruf bis 2007 gearbeitet.
Vom 2.11.2006 bis 27.11.2006 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung im Sanatorium H., G ... Im Entlassungsbericht vom 29.11.2006 sind die Diagnosen ausgeprägtes psychophysisches Erschöpfungssyndrom, Z. n. Mononukleose-Infektion und schmerzhaftes Dorsalsyndrom festgehalten. Als Erzieherin könne die Klägerin 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und im gleichen Umfang mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten.
Am 1.3.2007 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe (Umschulung). Nach erfolglosem Verwaltungsverfahren (Ablehnungsbescheid vom 14.3.2007/Widerspruchsbescheid vom 9.7.2007 erhob sie Klage beim Sozialgericht Heilbronn (Verfahren S 4 R 3177/07). Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte (u.a. Allgemeinarzt Dr. H. vom 16.10.2007: Klägerin als Kindergärtnerin nicht mehr einsetzbar aber fähig, leichte Tätigkeiten 6 bis 8 Stunden täglich zu verrichten) und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 5.2.2008. Dieser diagnostizierte bei normalem Antrieb und Fehlen einer depressiven Symptomatik eine deutliche Somatisierungsstörung sowie herzphobisch gefärbte Panikattacken (mit gleichzeitig völlig fehlendem Zugang zu psychosomatischen Erklärungsansätzen) bei vorbestehender Persönlichkeitsstörung mit aggressionsgehemmten, überangepassten Zügen, begrenzter Konfliktfähigkeit, erheblichen Schwierigkeiten in der Abgrenzung sowie akzentuiertem Kommunikationsmuster. Die Klägerin könne Tätigkeiten mit unmittelbar betreuenden oder auch therapeutischen oder pädagogischen Aufgaben nicht mehr verrichten und auch als Erzieherin nicht mehr arbeiten. Andere (auch mittelschwere) Tätigkeiten, etwa im Verwaltungs- oder Bürobereich (ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen) seien aber (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig möglich.
Mit Bescheid vom 28.3.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin (nach Abgabe eines Anerkenntnisses) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach.
Bereits am 21.2.2008 hatte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. Mit Bescheid vom 14.8.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.2.2008 auf Dauer. Wegen Hinzuverdienstes bzw. Arbeitslosengeldbezugs wurde die Rente ab Rentenbeginn zunächst (bis 1.9.2008) nicht gezahlt. Mit Bescheid vom 27.8.2008 wurde die Rente ab 1.9.2008 neu berechnet (ab 1.9.2008: monatlich 419,06 EUR).
Die Klägerin erhob Widerspruch; ihr stehe Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, da sie nicht mehr arbeiten könne.
Mit (Anhörungs-)Schreiben vom 12.9.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihr sei Rente zu Unrecht bewilligt worden. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehe nicht, da sie mindestens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten könne. Es sei beabsichtigt, den Rentenbescheid vom 14.8.2008 zum 1.11.2008 gem. § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen und die Zahlung der zu Unrecht bewilligten Leistungen ab diesem Zeitpunkt einzustellen.
Die Klägerin machte geltend, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert; ihr stehe eigentlich Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Mit Bescheid vom 21.11.2008 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 14.8.2008 in der Fassung des Bescheides vom 27.8.2008 mit Wirkung ab 1.12.2008 gemäß § 45 SGB X zurück. Die Rentenzahlung werde ab 30.11.2008 eingestellt. Zur Begründung führte sie aus, die Rente sei zu Unrecht bewilligt worden. Sie könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten und sei daher nicht erwerbsgemindert. Die Rücknahme der Rentenbescheide mit Wirkung für die Zukunft sei zulässig, da Vertrauensschutz nicht vorliege. Auch die Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis; das Vorbringen der Klägerin im Anhörungsverfahren habe man dabei berücksichtigt. An der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bestehe grundsätzlich ein öffentliches Interesse wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Gebots der zweckentsprechenden Mittelverwendung. Interessen der Klägerin stünden dem nicht entgegen, zumal sie im Anhörungsschreiben vom 12.9.2008 über den künftigen Wegfall der Rente informiert worden sei.
Die Klägerin legte auch dagegen Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren erhob die Beklagte das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 2.8.2009 und das Gutachten des Internisten Dr. Z. vom 5.8.2009.
Dr. G. diagnostizierte bei kaum eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb eine chronifizierte leichte depressive Episode, leichte agoraphobische Reaktionen ohne Vermeidungsverhalten und weitgehend abgeklungene herzphobische Anfälle, ein sensibles Carpaltunnelsyndrom rechts und kontrollbedürftige Blutdruckwerte. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen, keine Betreuung von Kindern und Jugendlichen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Als Erzieherin in einer Kinderkrippe könne sie nicht mehr arbeiten. Dr. Z. diagnostizierte rezidivierende Infektionen der oberen Nasennebenhöhlen, Z. n. Mononukleose und ein Erschöpfungssyndrom. Leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) seien 6 Stunden täglich und mehr möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.1.2010 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin (gegen die Versagung voller Erwerbsminderungsrente und die Rücknahme der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) zurück, worauf diese am 25.1.2010 Klage beim Sozialgericht Heilbronn erhob. Sie trug vor, (u.a.) wegen eines Immundefekts und eines chronischen Erschöpfungssyndroms sei sie nur sehr gering belastbar und könne nicht mehr arbeiten.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte:
Der HNO-Arzt Dr. H. führte unter dem 31.3.2010 aus, er habe die Klägerin bis Juni 2008 behandelt. Wegen des hohen Infektionsrisikos sei eine Tätigkeit als Erzieherin nicht mehr möglich, leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts könne die Klägerin aber verrichten. Ohne eine erfolgreiche umfassende psychotherapeutische Begleitbehandlung sei eine berufliche Belastung nicht möglich. Der Allgemeinarzt Dr. H. teilte im Bericht vom 11.4.2010 mit, er habe die Klägerin zuletzt am 9.4.2010 beraten. Häufigster Anlass für Praxisbesuche seien Infekte der oberen Luftwege gewesen; als Kindergärtnerin könne die Klägerin nicht mehr arbeiten. Nur ein Wechsel des Arbeitsplatzes und des Tätigkeitsfeldes böten eine Chance zur Konsolidierung der Gesundheit. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (insbesondere Bürotätigkeiten) seien 6 bis 8 Stunden täglich möglich. Der Internist Dr. K. führte im Bericht vom 8.7.2010 aus, die Klägerin leide an Colon irritable, Uterus myomatosus, psychosomatischer Krankheit, CFS und spastischer Bronchitis bei Erwachsenen. Nach der mit der Klägerin abgestimmten Beurteilung sei sie deswegen nicht mehr in der Lage, als Erzieherin 6 Stunden täglich zu arbeiten; das sei nach eigener Einschätzung der Klägerin weniger als 3 Stunden täglich möglich. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts könne die Klägerin ebenfalls nicht 6 Stunden täglich leisten. Wegen körperlicher und psychischer Erschöpfung liege das Leistungsvermögen insoweit bei 2 Stunden täglich. Der Schwerpunkt der Erkrankung liege auf psychosomatischem Gebiet.
Mit Verfügung vom 15.7.2010 beauftragte das Sozialgericht den Neurologen und Psychiater M. (H.) mit der Erstattung eines Gutachtens.
Mit Schreiben vom 19.7.2010 beantragte die Klägerin, einen anderen Gutachter zu beauftragen. Die Fahrt mit dem Pkw in die Großstadt H. überfordere sie, da sie die Stadt nicht kenne. Man möge einen Gutachter in den ihr bekannten Städten St., T. oder H. bestellen. Im Übrigen sei ihr die Wegestrecke von 90 km nach H. zu weit. Wegen des Reizdarmsyndroms müsse sie oft eine Toilette aufsuchen.
Nachdem das Sozialgericht mit Verfügung vom 21.7.2010 auf öffentliche Verkehrsmittel (Bahnfahrt von St. nach H. in ca. 40 Minuten) und die Möglichkeit einer Begutachtung nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen hatte, teilte der Gutachter M. am 27.7.2010 mit, die Klägerin habe angegeben, sie wolle nicht ohne Begleitung in seine Praxis kommen; die Ferienzeit scheide deswegen aus. Außerdem habe sie im Oktober zu viele Termine und für eine Begutachtung keine Zeit. Einen Termin halte sie erst am 9.11.2010 für möglich.
Am 4. und 5.8.2010 führte die Klägerin ergänzend aus, sie könne nicht alleine zur Begutachtung gehen; die Begleitung durch einen Zeugen erlaube der Gutachter nicht.
Mit Verfügung vom 6.8.2010 teilte das Sozialgericht der Klägerin mit, sie verweigere offensichtlich die Begutachtung durch den bestellten Gutachter und wolle auch einen Antrag auf Begutachtung gem. § 109 SGG nicht stellen. Die Klägerin trage die (objektive) Beweislast für den geltend gemachten Rentenanspruch. Der Gutachtensauftrag werde storniert und es solle durch Gerichtsbescheid entschieden werde. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme bis 31.8.2010.
Die Klägerin beantragte mehrfach, die Stellungnahmefrist zu verlängern. Außerdem behauptete sie (ohne nähere Angaben), bei der Begutachtung durch Dr. B. missbraucht worden zu sein (emotionale und psychische Gewalt). Nach einer letzten (am 30.9.2010) fruchtlos abgelaufenen Frist zur Begutachtung hob das Sozialgericht den Gutachtensauftrag mit Verfügung vom 4.10.2010 auf.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe die Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu Recht gem. § 45 SGB X zurückgenommen. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Sie könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das gehe aus dem Gutachten des Dr. B. vom 5.2.2008 und den Berichten der Dres. H. und H., hervor. Der (ersichtlich mit der Klägerin abgestimmten) Auffassung des Dr. K. sei nicht zu folgen. Die Klägerin habe im Übrigen eine Überprüfung ihres Leistungsvermögens durch Verweigerung der Begutachtung verhindert. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für die nach dem 2.1.1961 geborene Klägerin nicht in Betracht. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen; das Rücknahmeermessen sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden, nachdem der Rentenbescheid (nach Anhörung der Klägerin) nur für die Zukunft aufgehoben worden sei.
Auf den ihr am 5.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8.11.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wegen ihrer stark ausgeprägten Gesundheitsstörungen könne sie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht arbeiten. Eine Begutachtung durch einen männlichen Gutachter ohne die Anwesenheit eines Zeugen sei aus ihrer Sicht problematisch, sie sei aber nunmehr zu einer Begutachtung im Gerichtsverfahren bereit.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.10.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.1.2010 und unter Abänderung der Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu verurteilen, ihr ab 1.2.2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für rechtmäßig.
Der Senat hat das Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Prof. Dr. F. (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T.) vom 10.1.2012 erhoben. Dieser führte die Exploration durch und eruierte den Tagesablauf der Klägerin (mit Freizeit- und sozialem Kontaktverhalten) und führte aus, eine ambulante oder stationäre Psychotherapie habe nicht stattgefunden. Die Klägerin habe stützende Gespräche im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung des Hausarztes über ein Jahr hinweg von 2005 bis 2006 in Anspruch genommen. Nach eigenen Angaben habe sie irgendwann zwischen 2002 und 2006 über vier bis sechs Wochen hinweg ein hausärztlich verordnetes Antidepressivum eingenommen. Ab und zu nehme sie Johanniskraut. Sie meine, sich selbst sehr gut helfen zu können und habe viel psychologische Literatur, auch über kognitive Verhaltenstherapie, gelesen. Als Befürworterin der naturheilkundlichen Medizin sei sie gegenüber Medikamenten eher zurückhaltend.
Der Gutachter hat keine Antriebsminderung gefunden und eine Neurasthenie (mit histrionischen Zügen) diagnostiziert. Die Kriterien einer depressiven Erkrankung bzw. einer Somatisierungsstörung oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung seien nicht erfüllt. Die Klägerin gehe ihren Interessen in der Freizeit nach (Spazierengehen, Bibelgruppe, Bekanntenbesuche, Musizieren), erwähne aber, dabei aufgrund erhöhter Ermüdbarkeit, Muskelschmerzen und immer wiederkehrender Kopfschmerzen regelmäßig gestört oder behindert zu sein. Die seelische Störung bzw. die damit einhergehenden Symptome könnten bei zumutbarer Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe innerhalb eines halben Jahres teilweise überwunden werden. Als Kindergärtnerin oder Erzieherin solle die Klägerin nicht mehr eingesetzt werden. Sie könne aber leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig (über 6 Stunden täglich) verrichten. Eine Arbeit in Spielhallen lehne die Klägerin aus persönlicher Überzeugung ab, Tätigkeiten im Bereich Zureichen, Abnehmen, Montieren, Kleben, Sortieren und Verpacken sehe sie als unter ihrem Niveau an; gegen die Verrichtung solcher Tätigkeiten sei aber nichts einzuwenden. Die Klägerin sei wegefähig. Aktuell werde weder eine psychiatrische noch eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen; mögliche Therapieoptionen seien bei weitem nicht ausgeschöpft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat weder Anspruch auf Rente wegen teilweiser noch wegen voller Erwerbsminderung. Die Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 (Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) waren daher rechtswidrig. Die Beklagte hat diese Bescheide mit dem Bescheid vom 21.11.2008 (Widerspruchsbescheid vom 5.1.2010) zu Recht zurückgenommen und die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ebenfalls zu Recht versagt.
Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften das Rentenbegehren der Klägerin bzw. die Rücknahme der Rentenbescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu beurteilen ist (§§ 43, 240 SGB VI bzw. § 45 SGB X), und weshalb der Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht zusteht bzw. die Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008 zu Recht zurückgenommen worden sind. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:
Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht vor allem aus den Gutachten der Dres. B. und G. vom 5.2.2008 bzw. 2.8.2009 und des Prof. Dr. F. vom 10.1.2012 überzeugend hervor. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt für die 1966 geborene Klägerin von vornherein nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Dr. B. hat bei normalem Antrieb eine depressive Symptomatik nicht gefunden und im Kern eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Deswegen kann die Klägerin als Kindergärtnerin bzw. Erzieherin nicht eingesetzt werden. Leistungseinschränkungen, die der Verrichtung leichter Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts über mindestens 6 Stunden täglich entgegenstünden, bestehen aber nicht. Dr. G. hat diese Einschätzung bestätigt; er hat bei kaum eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb eine höhergradige psychiatrische Erkrankung nicht diagnostizieren können. Die behandelnden Ärzte Dr. H. (Berichte vom 16.10.2007 und 11.4.2010) und Dr. H. haben ebenfalls vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten angenommen. Die abweichende Ansicht des Internisten Dr. K. enthält keine aus Befunden begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung, sondern eine – zudem offenbar mit der Klägerin abgestimmte und auf deren subjektive Angaben gestützte - ärztliche Meinungsäußerung. Außerdem hat Dr. K. den Schwerpunkt der Erkrankungen dem psychosomatischen und nicht seinem, dem internistischen, Fachgebiet zugeordnet. Das psychiatrische bzw. psychosomatische Krankheitsbild ist von den hierfür zuständigen Neurologen und Psychiatern Dr. B. und Prof. Dr. F. zu beurteilen.
Prof. Dr. F. ist in seinem Gutachten ebenfalls zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Dies ist aus der erhobenen Diagnose – Neurasthenie, aber keine depressive oder andere psychiatrische Erkrankung – und den Befunden –insbesondere keine Antriebsminderung – und im Übrigen auch aus dem Fehlen einer bei (höhergradigen) psychiatrischen Erkrankungen mit rentenberechtigenden (zeitlichen) Leistungseinschränkungen regelmäßig zu erwartenden (multimodalen) Therapie schlüssig und überzeugend begründet.
Für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente kommt es auf die (mindestens sechsstündige) Fähigkeit zur Verrichtung leichter Tätigkeiten und nicht darauf an, ob die Klägerin dazu bereit ist. Sie kann einfache Arbeit nicht als unter ihrer Würde ablehnen und zugleich die Zahlung von Rente (finanziert u.a. auch aus den Rentenversicherungsbeiträgen der einfache Arbeit leistenden Beschäftigten) beanspruchen. Berufsschutz kommt, wie dargelegt, nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Stichhaltige Einwendungen gegen die genannten Gutachten sind nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich.
Die Bescheide vom 14.8.2008 und 27.8.2008, mit denen der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt worden war, waren bei ihrem Erlass rechtswidrig, da Erwerbsminderung auch seinerzeit nicht vorlag und die Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht beanspruchen kann. Die Beklagte hat sie daher zu Recht gem. § 45 SGB X zurückgenommen. Sie hat die Rücknahme im Bescheid vom 21.11.2008 zum 1.12.2008 und damit (nur) für die Zukunft verfügt. Der Klägerin ist im Anhörungsschreiben vom 12.9.2008, wenige Wochen nach Ergehen der rechtswidrigen Rentenbescheide, die Rücknahme der Rentenbewilligung angekündigt worden. Vertrauensschutz (§ 45 Abs. 2 SGB X) kommt nicht in Betracht; hierfür ist nichts ersichtlich oder geltend gemacht. Die Beklagte hat ohne Rechtsfehler das Rücknahmeermessen ausgeübt (hierzu näher Senatsurteil vom 15.2.2012, - L 5 R 3255/11 -). Die Frist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X (2 Jahre nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts) ist gewahrt.
Weitere Ermittlungen drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Arztberichte und Gutachten nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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