L 6 SF 86/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 42 SF 213/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 86/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einschlägige Verfahrensgebühr für ein Beschwerdeverfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Landessozialgericht ist die Nr 3501 VV-RVG. Eine speziellere Regelung als diese Auffangvorschrift enthält das Gesetz nicht (vgl Thüringer LSG, Beschlüsse vom 29.06.2011 - L 6 SF 247/11 B und 15.03.2011 - L 6 SF 975/10 B).
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 21. November 2011 aufgehoben und die Vergütung des Beschwerdeführers für das Beschwerdeverfahren Az.: L 7 AS 309/08 ER auf 514,65 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Beschwerdeverfahren vor dem Thüringer Landessozialgericht (Az.: L 7 AS 309/08 ER) streitig.

Am 12. Oktober 2007 beantragten die von dem Beschwerdeführer vertretenen Antragsteller - eine Bedarfsgemeinschaft von vier Personen - beim Sozialgericht (SG) Altenburg, die Antragsgegnerin - eine Arbeitsgemeinschaft SGB II - im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren und ihnen Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Beschwerdeführers zu bewilligen. Mit Beschluss vom 29. Oktober 2007 gewährte das SG ihnen PKH ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdeführer bei. Mit weiterem Beschluss vom 14. März 2008 lehnte es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Auf die Beschwerde bewilligte der 7. Senat des Thüringer Landessozialgerichts den Antragstellern mit Beschluss vom 13. Mai 2008 unter Beiordnung des Beschwerdeführers PKH und wies mit Beschluss vom 17. November 2008 die Beschwerde gegen den Beschluss vom 14. März 2008 zurück.

In seiner Kostenrechnung vom 14. Mai 2009 beantragte der Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren die Festsetzung von 1.026,49 Euro: Verfahrensgebühr Nr. 3204 VV-RVG 589,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3205 VV-RVG 200,00 Euro Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Fahrtkosten Nr. 7003 VV-RVG (112 km x 0,30 Euro) 33,60 Euro Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV-RVG 20,00 Euro MWSt 163,89 Euro Gesamtsumme 1.026,49 Euro

Unter dem 18. Juni 2009 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) diese Zahlung an.

Am 18. September 2009 hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt und beantragt, die Vergütung wie folgt festzusetzen: Verfahrensgebühr Nr. 3501 VV-RVG 87,50 Euro Erhöhung für drei weitere Auftraggeber 166,25 Euro Terminsgebühr Nr. 3515 VV-RVG 87,50 Euro Pauschale Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Fahrtkosten Nr. 7003 / 7004 VV-RVG 33,60 Euro Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV-RVG 20,00 Euro Zwischensumme 414,85 Euro MWSt 78,82 Euro Gesamtsumme 493,67 Euro

Abzüglich des bereits gezahlten Vorschusses von 118,71 Euro bestehe ein Anspruch auf 347,96 Euro. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, tatsächlich komme jeweils eine Mittelgebühr allerdings der Nrn. 3501 bzw. 3515 VV-RVG in Betracht.

Mit Beschluss vom 21. November 2011 hat das SG die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 389,19 Euro festgesetzt und u.a. ausgeführt, einschlägige Gebühr für das Beschwerdeverfahren seien die Nrn. 3501 und 3515 VV-RVG; Nr. 3204 VV-RVG sei nicht einschlägig. Nachdem die Bedarfsgemeinschaft nur aus drei Personen bestanden habe, werde die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV-RVG nur um 0,9 auf 78,75 Euro erhöht.

Gegen den am 5. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 12. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass Beschwerden im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit der Nr. 3204 VV-RVG zu vergüten seien. Hilfsweise sei die Höchstgebühr der Nrn. 3501 und 3515 VV-RVG festzusetzen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 21. November 2011 aufzuheben und die Erinnerung des Beschwerdeführers zurückzuweisen,

hilfsweise, den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 21. November 2011 abzuändern und seine Gebühren für das Beschwerdeverfahren auf 639,74 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seinen erstinstanzlichen Antrag, in den sich ein Rechenfehler eingeschlichen habe und die Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 15. März 2011 - Az.: L 6 SF 975/10 B, 25 Oktober 2010 - Az.: L 6 SF 652/10 B, 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Antragsteller, denen PKH gewährt wurde, waren kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF, 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 – Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Vorinstanz nicht berechtigt war, die Gebühren des Beschwerdeführers unter den Antrag des Beschwerdegegners im Erinnerungsverfahren zu kürzen. Grundsätzlich kommt eine Festsetzung nach § 33 Abs. 2 S. 1 RVG nur auf Antrag, nicht von Amts wegen in Betracht. Ein bestimmter Antrag ist zwar nicht erforderlich. Wird er aber gestellt, darf das Gericht nicht über ihn hinausgehen; ebenso gilt das Verbot der reformatio in peius (vgl. Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Auflage 2005, § 56 Rdnr. 7).

Hier übersteigen die beantragten die tatsächlich zustehenden Verfahrens- und Terminsgebühren um mehr als 20 v.H. und sind damit unbillig.

Einschlägige Verfahrensgebühr für ein Beschwerdeverfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Landessozialgericht ist Nr. 3501 VV-RVG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 247/11 B m.w.N. und 15. März 2011 - Az.: L 6 SF 975/10 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 3. August 2011 - Az.: L 7 AS 681/11 B und 5. Mai 2008 - Az.: L 20 B 139/07 SO; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. April 2011 - Az.: L 2 SF 205/10 E, nach juris). Zwar handelt es sich bei Nr. 3501 VV RVG wie bei Nr. 3500 VV RVG um eine Auffangvorschrift (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, 19. Auflage 2010, VV RVG 3500 Rdnr. 4); eine speziellere Regelung enthält das Gesetz jedoch nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 15. März 2011 - Az.: L 6 SF 975/10 B). Die allein in Betracht kommende "bestimmte Beschwerde" in Abschnitt 2 ("Berufung, Revision, bestimmte Beschwerden und Verfahren vor dem Finanzgericht") wird in der Vorbemerkung 3.2.1 erläutert. Verfahren vor den Sozialgerichten werden dort nicht genannt. Eine analoge Anwendung der Nr. 3204 VV-RVG kommt nicht in Betracht, denn es fehlt an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke (vgl. Senatsbeschluss vom 15. März 2011 - Az.: L 6 SF 975/10 B).

Die von der Vorinstanz zuerkannte Mittelgebühr in Höhe von 87,50 Euro ist allerdings zu niedrig angesetzt; sie ist auf die Mitte zwischen Mitte- und Höchstgebühr (123,75 Euro (87,50 Euro + 160,00 Euro = 247,50 Euro: 2)) festzusetzen. Es ist unschädlich, dass der Beschwerdeführer ursprünglich die Mittelgebühr (allerdings von Nr. 3204 VV-RVG) beantragt hatte; eine Begrenzung oder ein Verzicht erfolgte dadurch nicht. Der zeitliche Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren vor dem 7. Senat lag im Ergebnis über dem durchschnittlichen Umfang eines Beschwerdeverfahrens, nicht jedoch im Höchstbereich. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist eher dem Durchschnittsbereich zuzuordnen. Der 7. Senat hatte die Beschwerde mangels Anordnungsgrund zurückgewiesen. Diese Prüfung ist in allen Eilverfahren erforderlich und stellt an den Prozessbevollmächtigten keine erhöhten Anforderungen. Bereits deshalb kann der Argumentation des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden, Beschwerdeverfahren in einstweiligen Rechtsschutzverfahren seien immer die schwierigsten Verfahren der Nr. 3501 VV-RVG. Im Übrigen kommt eine generelle Zuordnung nicht in Betracht; es ist immer auf den Einzelfall abzustellen. Die Bedeutung der Angelegenheit (Zahlung von höheren Leistungen (insgesamt 915,52 Euro) an die Antragsteller) ist deutlich überdurchschnittlich, wird aber durch die niedrigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller kompensiert.

Die Gebühr ist nach Nr. 1008 VV RVG für drei weitere Personen (Auftraggebermehrheit) um 90 v.H. (= 111,38 Euro) zu erhöhen.

Die Terminsgebühr Nr. 3515 VV-RVG ist auf 123,75 Euro festzusetzen. Die Dauer des Erörterungstermins am 12. Juni 2008 war mit 40 Minuten leicht überdurchschnittlich. Hinsichtlich der übrigen Gesichtspunkte des § 14 Abs. 1 RVG wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen.

Keine Bedenken bestehen gegen die die Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld und Pauschale für Post- und Telekommunikation. Damit errechnen sich die zustehenden Gebühren wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3501 VV RVG 123,75 Euro Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 111,38 Euro Terminsgebühr Nr. 3515 VV RVG 123,75 Euro Fahrtkosten Nr. 7003, 7004 RVG 33,60 Euro Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV RVG 20,00 Euro Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Zwischensumme 432,48 Euro Mehrwertsteuer 82,17 Euro Gesamtbetrag 514,65 Euro

Von diesem Betrag sind bereits 118,71 Euro Vorschuss gezahlt.

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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