L 6 SF 151/12 E

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 151/12 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Vergütung für das Gutachten des Erinnerungsführers vom 16. Dezember 2011 wird auf 970,97 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

In dem Berufungsverfahren H.-J. B .../. Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (Az.: L 6 R 1035/09) beauftragte die Berichterstatterin des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts nach Einholung eines Kostenvorschusses von 1.300,00 Euro mit Beweisanordnung vom 4. März 2011 Dr. E. F. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgrund ambulanter Untersuchung. Nachdem dieser gebeten hatte, ihn aus persönlichen Gründen von der Aufgabe zu entbinden, beauftragte sie nach Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Beweisanordnung vom 30. August 2011 den Erinnerungsführer, einen Facharzt für Orthopädie. Ihm wurden 411 Blatt Gerichtsakte und 91 Blatt Verwaltungsakten (64 Blatt Verwaltungsakte, 27 Blatt medizinische Beiakte) übersandt.

Der Erinnerungsführer fertigte sein Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 7. Oktober 2011 unter dem 16. Dezember 2011 auf insgesamt 16 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom gleichen Tag machte er insgesamt 1.320,97 Euro geltend: Aktenstudium 8,0 Stunden Erhebung der Vorgeschichte 1,0 Stunde Untersuchung 1,0 Stunde Beurteilung 1,5 Stunden Diktat und Korrektur 2,5 Stunden. Die 14 Stunden seien mit einem Stundendensatz von 85,00 Euro zu vergüten. Zusätzlich zu erstatten seien besondere Leistungen (95,57 Euro), Schreibauslagen (28,50 Euro) und Porto (6,90 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 28 f. des Kostenhefts verwiesen.

Mit Verfügung vom 4. Januar 2012 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung auf 850,97 Euro: Aktenstudium 6,1 Stunden Erhebung der Vorgeschichte/Untersuchung 2,0 Stunden Beurteilung 1,3 Stunden Diktat/Korrektur 2,5 Stunden Zusätzlich zu den 12 Stunden (aufgerundet) zu einem Stundensatz von 60,00 Euro nach M2 (= 720,00 Euro) seien die Aufwendungen für besondere Leistungen, Schreibauslagen und Porto zu erstatten.

Am 17. Januar 2012 hat sich der Erinnerungsführer gegen die Festsetzung gewandt. Er sei mit der massiven Honorarkürzung nicht einverstanden. Tatsächlich habe es sich um ein Gutachten der Honorargruppe M3 gehandelt und zwar schon deshalb, weil zuvor schon andere orthopädische Gutachten stattgefunden hätten. Zudem habe es sich um eine wissenschaftliche Darstellung inklusive Auswertung der Literatur gehandelt. Das Gutachten solle zurückgesandt werden. Bei einem Honorarsatz M2 müssten die wissenschaftlichen Aspekte gestrichen werden um ein angemessenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen wieder herzustellen. Das Gutachten dürfe nur verwendet werden, wenn der volle geforderte Stundensatz gezahlt werde.

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,

die Vergütung für das Gutachten vom 16. Dezember 2011 auf 1.320,97 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner hat keinen Antrag gestellt.

Die UKB hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 17. Januar 2011) und sie dem erkennenden Senat vorgelegt.

II.

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz (JVEG)) erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Die Erinnerungsführer ist Berechtigter im Sinne dieser Vorschrift.

Bei der Erinnerung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen werden (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 4. April 2005 – Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., 27. Januar 2005 – Az.: L 6 SF 745/04, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 10. Oktober 2005 – Az.: 1 B 97.1352, nach juris). Bei der Festsetzung ist der Senat weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch die UKB oder den Antrag der Beteiligten gebunden; er kann lediglich nicht mehr als beantragt festsetzen. Die Erinnerung ist kein Rechtsbehelf; insofern gilt nach ganz herrschender Meinung (h.M.) das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius") bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2011 - L 6 SF 1617/11 E m.w.N.).

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar der Sachverständigen errechnet sich nach den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Insofern kommt es nicht darauf an, wie viele Stunden tatsächlich aufgewendet wurden, sondern welchen Zeitaufwand ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (vgl. u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16. Dezember 2003 – Az.: X ZR 206/98, nach juris; Senatsbeschluss vom 15. März 2010 - Az.: L 6 B 209/09 SF; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2008 - Az.: I 10 W 60/08, 10 W 60/08, Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 35). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 277/11 B, LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 – Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A, nach juris), werden jedoch die üblichen Erfahrungswerte um mehr als 15 v.H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen.

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend diesem Merkblatt grundsätzlich in fünf Bereichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Für das Gutachten vom 16. Dezember 2011 war angesichts der übersandten Unterlagen und unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte nach der Senatsrechtsprechung ein Zeitaufwand von 12,6 Stunden, aufgerundet 13 Stunden, erforderlich. Der beantragte Zeitansatz (14 Stunden) überschreitet die üblichen Erfahrungswerte nicht um 15 v.H. und ist damit anzusetzen.

Für das Aktenstudium ist ein Zeitaufwand von 6,6 Stunden angemessen. Der Senat unterstellt in ständiger Rechtsprechung, dass ein Sachverständiger für das Aktenstudium und vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde für etwa 80 Blatt mit ca. 1/4 medizinischem Inhalt benötigt (vgl. u. a. Beschlüsse 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF und 11. Februar 2003 - Az.: L 6 B 6/03 SF); ist der medizinische Anteil höher, erfolgt eine zusätzliche Prüfung. Er beträgt hier ca. 32 v.H. Damit sind die Akten mit allgemeinem und mit medizinischem Inhalt getrennt zu erfassen und wie folgt zu bewerten (vgl. Senatsbeschluss vom 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08): medizinische Unterlagen ca. 1 Stunde für 50 Blatt, sonstige Unterlagen ca. 1 Stunde für 100 Blatt. Hier lagen - bei Abzug von Doppelheftungen - ca. 160 Blatt medizinische Unterlagen vor.

Bedenken gegen den Zeitansatz für die Erhebung der Vorgeschichte und die Untersuchung (2 Stunden) bestehen nicht. Angesichts der Schreibweise wird auch der beantragte Ansatz für die schriftliche Beurteilung akzeptiert (1,5 Stunden). Sie umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. Die Seitenzahl der Beurteilung ist allenfalls Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl (vgl. Senatsbeschluss vom 13. März 2012 - Az.: L 6 SF 197/12 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. November 2011 - Az.: L 5 P 55/10, nach juris); maßgebend ist immer der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zu Ausdruck kommt. Andernfalls würden Sachverständige mit umständlichen Ausführungen gegenüber solchen bevorzugt werden, die knapp und prägnant ihre Ergebnisse begründen. Für Diktat, Durchsicht und Korrektur des Gutachtens hat die UKB den beantragten zeitlichen Aufwand von 2,5 Stunden akzeptiert. Bedenken bestehen dagegen nicht.

Zusätzlich ersetzt werden die Schreibauslagen werden nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG. Insoweit und hinsichtlich der sonstigen Leistungen und Aufwendungen wird auf die Ausführungen der UKB verwiesen.

Die Vergütung ist nach der Honorargruppe M2 (60,00 Euro) zu berechnen (§ 9 Abs. 1 JVEG). Sie wird in der Anlage zu § 9 Abs. 1 folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustands-) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einer medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität. Die Honorargruppe M3 dagegen erfordert Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalitätszusammenhänge und/oder differentialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilungen der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten zum Kausalzusammenhang mit problematischen Verletzungsfolgen oder in Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz. In den Beispielen beider Honorargruppen werden Gutachten zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit nicht genannt. Um ein Gutachten zu Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbstätigkeit bei besonderen Schwierigkeiten geht es im Hauptsacheverfahren nicht. Deshalb erfolgt die Zuordnung nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 1 S. 3 2. Halbs. JVEG). Zustandsgutachten - wie im zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren - ordnet die h.M. im Regelfall der Honorargruppe M2 zu (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 277/11 B und 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08; Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. September 2009 - Az.: L 15 SF 188/09; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – Az.: L 2/9 SF 82/04, beide nach juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 872). Es handelt sich um typische Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit. Nach dem Senatsbeschluss vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 277/11 B (Anschluss an LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. September 2004 - Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A; nach juris) erfordern Gutachten der Honorargruppe M3 umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen. Auch andere Gründe sind denkbar, z.B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer Angaben. Im vorliegenden Fall sind dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Die in sozialgerichtlichen Verfahren durchaus übliche Auseinandersetzung mit einschlägigen Vorgutachten begründet allein nicht den hohen Schwierigkeitsgrad der Honorargruppe M3 (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschlüsse vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 277/11 B, 8. Mai 2009 - Az.: L 6 SF 35/08, 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08). Zudem weicht das Gutachten des Erinnerungsführers nur von der Einschätzung im Gutachten des Dr. J. vom 2. März 2007 ab, nicht von der der anderen Gutachter. Es ist nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall differentialdiagnostische Überlegungen mit hohem Schwierigkeitsgehalt angestellt werden mussten und das Gutachten hinsichtlich Schwierigkeiten und Aufwand ein "normales" Zustandsgutachten deutlich übersteigt.

Die vorgetragene "Auswertung der Literatur" kann die Honorargruppe M3 nicht begründen. Hierfür kann in Einzelfällen allenfalls ein zusätzlicher - hier aber nicht beantragter - Zeitansatz zuerkannt werden, z.B. wenn zur Erfüllung des Auftrags das Lesen von neuer und bisher nicht diskutierter Literatur erforderlich ist (vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 848) oder bei ganz speziellen Beweisfragen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 30. November 2011 - Az.: L 15 SF 97/11, nach juris), wenn im Gutachten eine kritische Auseinandersetzung erfolgt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Februar 2008 - Az.: L 6 B 186/07 SF). Insofern kann dahingestellt bleiben, ob die hier zitierte Literatur (Rompe/Erlenkämper; Leitlinie DRV "Sozialmedizinische Beurteilung bei Bandscheiben- und bandscheibenassoziierten Erkrankungen"; "Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung"; Mehrhoff,Meindl,Muhr; Schönberger,Mehrtens,Valentin) diese Voraussetzungen tatsächlich erfüllt.

Keine Bedenken bestehen gegen die Vergütung der besonderen Leistungen, Schreibauslagen und Porto.

Damit errechnet sich die Vergütung des Erinnerungsführers wie folgt: 14 Stunden x 60,00 Euro (Honorargruppe M2) 840,00 Euro besondere Leistungen 95,57 Euro Schreibauslagen 28,50 Euro Porto 6,90 Euro Gesamtbetrag 970,97 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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