L 6 SF 197/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 2064/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 197/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Seitenzahl einer Beurteilung ist allenfalls Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl; maßgebend ist der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 12. Dezember 2011 aufgehoben und die Vergütung des Beschwerdeführers für das Gutachten vom 17. März 2011 auf 1.140,50 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

In dem Klageverfahren H. Kliniken GmbH./. IKK Thüringen (Az.: S 38 KR 2064/09) beauftragte die Vorsitzende der 38. Kammer des Sozialgerichts Gotha mit Beweisanordnung vom 7. Januar 2011 den Orthopäden Dr. J. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage unter Verwertung der vorliegenden Gutachten und Befundberichte zu folgenden Fragen: 1. Welche Erkrankungen lagen bei dem Versicherten K. H. auf Seiten Ihres Fachgebietes vor? 2. Welche Behandlungsmaßnahmen wurden bei dem Versicherten während der stationären Behandlung in der Zeit vom 13. April 2004 bis 27. April 2004 durchgeführt? 3. Welche Diagnosen waren zu stellen gewesen? 4. Welche OPS konnten in Ansatz gebracht werden? 5. Welche DRG konnte im Behandlungsfall K. H. abgerechnet werden?

Nachdem Dr. J. mitgeteilt hatte, seine Kenntnisse seien bezüglich der DRG und des OPS für eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht ausreichend, ernannte das Sozialgericht mit Beweisanordnung vom 15. Februar 2011 den Beschwerdeführer - Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Chirotherapie und Rehabilitationswesen - bei den bisherigen Beweisfragen zum Sachverständigen. Übersandt wurden ihm 124 Blatt Akten (Klageakte 63 Blatt, Verwaltungs- (50 Blatt) und die Patientenakte (11 Blatt).

Der Beschwerdegegner fertigte unter dem 17. März 2011 sein Gutachten auf insgesamt 13 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom 29. März 2011 machte er insgesamt 1.318,37 Euro geltend (18 Stunden Zeitaufwand (4 Stunden Aktenstudium. 6 Stunden Diktat, 8 Stunden Ausarbeitung) zu einem Stundensatz von 60,00 Euro (Honorargruppe M2), Schreibauslagen 12,10 Euro, Kopierkosten 13,00 Euro, Portoauslagen 3,30 Euro, Mehrwertsteuer 209,97 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 1 f. des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 12. April 2011 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung auf 590,72 Euro. Die "Entschädigung" errechne sich bei einem objektiv notwendigen Zeitaufwand von 5 Stunden (1,6 Stunden Aktendurchsicht, 2,2 Stunden Diktat, 2,7 Stunden Beurteilung) auf 468,00 Euro. Zusätzlich zu erstatten seien die beantragten Portokosten, Schreibauslagen und Kopierkosten und die Mehrwertsteuer.

Am 30. Mai 2011 hat der Beschwerdeführer die richterliche Festsetzung beantragt und vorgetragen, die Gutachtenserstellung habe sich äußerst zeitaufwändig und schwierig dargestellt. Mit Beschluss vom 12. Dezember 2011 hat das Sozialgericht die "Entschädigung" für das erstattete Gutachten auf 590,72 Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen der UKB Bezug genommen und zusätzlich ausgeführt, der Behandlungsfall sei weder umfangreich noch schwierig zu beurteilen. Außerdem sei ein Aktengutachten in Auftrag gegeben worden.

Gegen den am 2. Januar 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 16. Januar 2012 Beschwerde eingelegt. Dessen Begründung sei formal und inhaltlich falsch und nicht plausibel. Die vorgegebene Begründung sei grotesk. Ihm sei gerade aufgegeben worden, eine Analyse des Akteninhalts durchzuführen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha aufzuheben und die Vergütung für das Gutachten vom 17. März 2011 auf 1.318,37 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 18. Januar 2012) und die Akten dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 9. März 2012 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

II.

Die Beschwerde gegen einen im Erinnerungsverfahren ergangenen Beschluss ist nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz – JVEG -) bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen statthaft (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. u.a. Beschluss vom 24. August 2009 - Az.: L 6 B 248/08 SF; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. September 2009 - Az.: L 6 R 303/09 B, nach juris). Sie ist zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 21. Dezember 2006 – Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f., 4. April 2005 – Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., 27. Januar 2005 – Az.: L 6 SF 745/04, 17. Mai 2004 – Az.: L 6 SF 732/03, 1. August 2003 – Az.: L 6 SF 220/03 in MedSach 2004, 102 f; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Oktober 2005 – Az.: 1 B 97.1352, nach juris). Gleiches hätte für die Vorinstanz gegolten. Insofern hätte sie zumindest die fehlerhafte Berechnung der UKB korrigieren müssen. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass auch im Erinnerungsverfahren eine Beteiligung des Beschwerdegegners zwingend erforderlich ist; trotzdem wurde er nicht angehört.

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar des Sachverständigen errechnet sich nach den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden tatsächlich aufgewendet wurden, sondern welcher Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität erforderlich ist (vgl. u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16. Dezember 2003 – Az.: X ZR 206/98, nach juris; Senatsbeschluss vom 15. März 2010 - Az.: L 6 B 209/09 SF). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - Az.: L 6 B 22/06 SF, LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 – Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A, nach juris). Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, a.a.O.), ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen.

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend dem Thüringer "Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen" grundsätzlich in fünf Bereichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Vorab weist der Senat darauf hin, dass die Stundenaddition in der Festsetzung der UKB vom 12. April 2011 (1,6 Stunden + 2,2 Stunden + 2,7 Stunden = 5 Stunden) fehlerhaft ist. Soweit sie den Stundensatz von 60,00 Euro, möglicherweise wegen der schwierigen Krankengeschichte, um 20 v.H. erhöht hat, gibt es dafür im Gesetz keine Grundlage. § 9 Abs. 1 JVEG sieht nur die Honorargruppen M1 bis M3 vor. Insofern hätte bei einer besonderen Schwierigkeit allenfalls der Stundensatz M3 (85,00 Euro) angesetzt werden dürfen. Nicht nachvollziehbar ist, warum die Vorinstanz trotzdem auf die Entscheidung verwiesen und sie damit offensichtlich akzeptiert hat.

Für das Gutachten nach Aktenlage vom 17. März 2011 war angesichts der dem Beschwerdeführer übersandten Unterlagen unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte nach der Senatsrechtsprechung ein Zeitaufwand von 15,1 Stunden, aufgerundet 15,5 Stunden, erforderlich.

Zu Recht gehen der Beschwerdeführer und die UKB davon aus, dass ein Ansatz für notwendige Untersuchungen nicht in Betracht kommt.

Für das Aktenstudium ist ein Zeitaufwand von - wie beantragt - 4 Stunden plausibel. Im Normalfall unterstellt zwar die Senatsrechtsprechung, dass ein Sachverständiger für das Aktenstudium und vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde für etwa 80 Blatt mit ca. 1/4 medizinischem Inhalt benötigt (vgl. u. a. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - Az.: L 6 B 6/03 SF und 24. November 1999 – Az.: L 6 SF 549/99). Allerdings sind hier - wie im Übrigen für alle Ansätze - die Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten, um den Arbeitsaufwand des Sachverständigen zu vergüten. Grundlage des Gutachtens war allein der vorliegende Inhalt der übersandten Akten. Der Senat folgt der Ansicht des Beschwerdeführers, dass dann durchaus ein deutlich höherer zeitlicher Aufwand als im Normalfall anfallen kann.

Für die Abfassung der Vorgeschichte und die Beurteilung kann angesichts der Schreibweise insgesamt ein Zeitansatz von 8 Stunden berücksichtigt werden. Die Vorgeschichte hat der Beschwerdeführer in seiner Kostenrechnung nicht ausdrücklich aufgeführt, aber im Rahmen des Gutachtens (im Aktenauszug) geschildert; sie muss damit vergütet werden. Die Beurteilung umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. Die Seitenzahl der Beurteilung ist allenfalls Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. November 2011 - Az.: L 5 P 55/10, nach juris); maßgebend ist immer der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt. Andernfalls würden Sachverständige mit umständlichen Ausführungen gegenüber solchen bevorzugt werden, die knapp und prägnant ihre Ergebnisse begründen. Angesichts dieser besonderen Umstände folgt der Senat nicht der Ansicht der UKB, dass hier insgesamt nur ein Zeitansatz von 2,7 Stunden zu vergüten ist. Die Begründung der Vorinstanz, wegen des Aktengutachtens komme ein höherer Ansatz nicht in Betracht, ist unverständlich.

Für Diktat, Durchsicht und Korrektur des Gutachtens akzeptiert der Senat angesichts der Schreibweise einen zeitlichen Aufwand von 3,1 Stunden. Erfahrungsgemäß kommt für ca. 5 bis 6 Seiten etwa 1 Stunde Zeitaufwand in Betracht (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 5. März 2012 - Az.: L 6 SF 1854/11 B).

Keine Bedenken hat der Senat gegen die beantragte Honorargruppe M2 (60,00 Euro). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad.

Zusätzlich zu erstatten sind die verauslagten Portoauslagen, Schreibauslagen und Kopierkosten und die Umsatzsteuer.

Danach errechnet sich die Vergütung wie folgt: 15,5 Stunden zu 60,00 Euro 930,00 Euro Portoauslagen 3,30 Euro Schreibauslagen 25,10 Euro 958,40 Euro Umsatzsteuer 182,10 Euro 1.140,50 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
Saved