L 3 AL 60/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 24 AL 145/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 60/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung genügt es nicht, dass die gewählte Ausbildung zu einem
anerkannten beruflichen Abschluss führt. Sie muss vielmehr auch in den vom Berufsbildungsgesetz
vorgeschriebenen Formen durchgeführt werden.

2. Die Bundesagentur für Arbeit und die Gerichte sind an die Nichteintragung eines Ausbildungsverhältnisses
in das Verzeichnis nach Berufsbildungsgesetz gebunden.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Februar 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte in beiden Verfahrenszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtsmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 12. Dezember 2007 und insbesondere über die Frage, ob die Ausbildung der Klägerin förderfähig ist.

Die 1991 geborene Klägerin begann am 1. September 2007 eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin beim Universitätsklinikum L. Am 5. Juni 2007 beantragte sie bei der Beklagten Berufsausbildungsbeihilfe, welche ihr mit Bescheid vom 28. September 2007 für die Zeit vom 1. September 2007 bis 28. Februar 2009 in Höhe von 258,00 EUR monatlich bewilligt wurde.

Mit Schreiben vom 26. November 2007 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung der Berufsausbildungsbeihilfe an. Die Ausbildung sei nicht förderfähig, weil es sich um eine schulische Ausbildung handele.

Die Klägerin teilte im Rahmen des Anhörungsverfahrens mit, dass es sich ihrer Meinung nach um eine betriebliche Ausbildung handele.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2008 hob die Beklagte die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 12. Dezember 2007 auf. Es handele sich um eine schulische Ausbildung. Laut Ausbildungsvertrag fände das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz – KrPflG) vom 16. Juli 2003 in Verbindung mit der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege Anwendung. Nach § 22 KrPflG sei die Anwendung des Berufsausbildungsgesetzes (BBiG) ausgeschlossen.

Dagegen hat die Klägerin am 14. Februar 2008 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Februar 2010 den Bescheid vom 6. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2008 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin entsprechend dem Bewilligungsbescheid vom 28. September 2007 Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 12. Dezember 2007 bis 28. Februar 2009 zu gewähren. Zwar sei in § 22 KrPflG geregelt, dass für die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin das Berufsausbildungsgesetz keine Anwendung finde. Der gesetzlichen Regelung sei jedoch nicht zu entnehmen, dass damit die Förderung der Berufsausbildung durch das Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) grundsätzlich ausgeschlossen werden solle. Vielmehr gelte nach § 3 Abs. 1 BBiG das Berufsausbildungsgesetz für die Berufsbildung. Dies sei nach § 1 Abs. 1 BBiG auch die Berufsausbildung. Diesen Anforderungen entspräche auch die Ausbildung der Klägerin zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Dazu sei die sinngemäße Anwendung des § 60 Abs. 1 SGB III erforderlich, da ansonsten die Klägerin gar keine Förderung erhalten würde. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift sei im Einzelfall auch die Förderung einer betrieblichen Ausbildung möglich. Die Ausbildung erfülle auch die Voraussetzungen einer betrieblichen Ausbildung, da der Anteil der praktischen Ausbildung mit 2.500 Stunden deutlich die theoretische Ausbildung von 2.100 Stunden übersteige. Auch die Zahlung einer Ausbildungsvergütung spräche dafür, da diese im Rahmen eines Schulbesuches nicht gezahlt werde.

Hiergegen hat die Beklagte am 15. März 2010 Berufung eingelegt. Nach § 60 SGB III sei eine berufliche Ausbildung förderfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsausbildungsgesetz anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt werde, der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden sei und der durch das Berufsausbildungsgesetz vorgeschriebenen Form entspräche. Zu letzterem werde ein Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe vom Bundesinstitut für Berufsausbildung geführt und veröffentlicht (§ 90 Abs. 3 Nr. 3 BBiG). Die Ausbildung der Klägerin findet sich danach nicht in diesem Verzeichnis.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Februar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Ausbildung der Klägerin erfülle sämtliche Voraussetzungen einer betrieblichen Ausbildung. Daher bestünde eine Förderfähigkeit nach § 59 ff. SGB III.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe, da es sich nicht um eine förderungsfähige Ausbildung im Sinne der §§ 59 Nr. 1, 60 Abs. 1 SGB III handelt. Zu Recht hat die Beklagte daher den Bewilligungsbescheid vom 28. September 2007 für die Zeit ab 12. Dezember 2007 gemäß § 45 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufgehoben.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat(begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll.

Dies ist vorliegend der Fall, denn der Bewilligungsbescheid vom 28. September 2007 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe. Gemäß § 59 SGB III in der hier maßgebenden, vom 1. Januar 1998 bis zum 17. September 2010 geltenden Fassung haben Anspruch darauf Auszubildende während einer beruflichen Ausbildung oder einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, wenn 1. die berufliche Ausbildung oder die berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme förderfähig ist, 2. sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind und 3. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.

Daneben muss die Ausbildung selbst gemäß § 60 Abs. 1 SGB III (in der hier maßgebenden, vom 1. Januar 1998 bis zum 29. August 2008 geltenden Fassung) förderfähig sein. Eine berufliche Ausbildung ist förderfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

Demnach muss es sich um eine Ausbildung handeln, die zum einen nach den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes durchgeführt wird. Außerdem ist ein Ausbildungsvertrag mit dem Eintragungsvermerk der zuständigen Kammer vorzulegen, der bestätigt, dass die Ausbildung im Ausbildungsverzeichnis der Kammer aufgenommen ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin genügt es für die Förderungsfähigkeit nicht, dass die gewählte Ausbildung zu einem anerkannten beruflichen Abschluss führt (vgl. BSG, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a/7 AL 100/04 R – JURIS-Dokument, Orientierungssatz 1 und Rdnr. 17). Sie muss vielmehr auch in den vom Berufsbildungsgesetz vorgeschriebenen Formen durchgeführt werden (so bereits BSG, Urteil vom 23. Mai 1990 – 9b/7 RAr 18/89SozR 3-4100 § 40 Nr. 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 14). Durch die Aufnahme des Berufsausbildungsverhältnisses in das nach § 34 BBiG (in der seit 1. April 2005 geltenden Fassung) einzurichtende und zu führende Verzeichnis entscheidet die hierfür zuständige Stelle, ob eine Ausbildung der durch das Berufsbildungsgesetz vorgeschriebenen Form entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a/7 AL 100/04 R – JURIS-Dokument Rdnr. 16). Wird das einer Ausbildung dienende Rechtsverhältnis, mithin der Berufsausbildungsvertrag, nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen, so bewirkt dies für Gerichte, andere Behörden und Dritte, dass die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für Sozialgerichte, die Beklagte und die Parteien des Ausbildungsverhältnisses bindend sind. Die Beklagte und die Gerichte sind an die Nichteintragung des Ausbildungsverhältnisses in das Verzeichnis nach § 34 BBiG gebunden. Eine Überprüfung der inhaltlichen Übereinstimmung der betrieblichen Ausbildung mit den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes und der jeweiligen Ausbildungsordnung steht der Beklagten im Rahmen der Entscheidung über die Berufsausbildungsbeihilfe und damit den Sozialgerichten grundsätzlich nicht zu (BSG, a. a. O.).

Unstreitig ist der zwischen der Klägerin und dem Universitätsklinikum L abgeschlossene Berufsausbildungsvertrag zur Gesundheits- und Krankenpflegerin nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen. Das Verzeichnis über die Berufsausbildungsverhältnisse ist im Internet abrufbar (www2.bibb.de/tools/aab/ aabberufeliste.php, Stand August 2011). Der Einwand der Klägerin, das Vertragsverhältnis ähnele einem Ausbildungsverhältnis im Sinne des Berufsbildungsgesetzes, ist daher allein aus diesen Gründen ebenso unbeachtlich, wie das Argument es handele sich um eine berufliche Ausbildung. Der vom Sozialgericht vorgenommenen Auslegung der gesetzlichen Regelung nach Sinn und Zweck ist aufgrund des klaren Wortlauts der Vorschrift und der oben ausgeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zu folgen Danach ist es sachgerecht, wenn Leistungen für eine berufliche Ausbildung an die Voraussetzung geknüpft sind, dass die Ausbildung nach Maßgabe des Berufsbildungsgesetzes erfolgt. Dies verstößt nicht gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, wie das Bundessozialgericht ebenfalls bereits ausgeführt hat (vgl. BSG, a. a. O., Rdnr. 20).

Den mithin gemäß § 45 Abs. 1 SGB X rechtswidrig begünstigenden Bewilligungsbescheid vom 28. September 2007 durfte die Beklagte auch trotz der Vertrauensschutzregelung des Absatzes 2 zurücknehmen.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr Vertrauen im Sinne von § 45 Abs. 2 SGB X schutzwürdig ist, da die Beklagte die bewilligte Berufsausbildungsbeihilfe mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 mit Wirkung zum 12. Dezember 2007, mithin für die Zukunft, aufgehoben hat. Die Klägerin konnte die bewilligten Leistungen weder verbrauchen noch diesbezüglich eine Vermögensdisposition treffen.

Damit und durch ihre Angaben im Antrag auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe hat die Klägerin keinen der Regeltatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X erfüllt. Bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt jedoch in der Regel ein erhöhtes öffentliches Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsaktes vor (so BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 – 9a RVg 2/84BSGE 60, 147 = SozR1300 § 45 Nr. 24 = JURIS-Dokument, jeweils Leisatz Nr. 3). Zwar wird damit der Grundsatz der Rechtssicherheit, zu der auch die Bestandskraft eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes gehört, durchbrochen. Aber das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines unrichtigen Verwaltungsaktes, durch den laufende Geldleistungen für die Zukunft zuerkannt worden sind, überwiegt in der Regel (vgl. BSG, a. a. O., JURIS-Dokument Rdnr. 30), vor allem wenn wie hier die Bewilligung der Berufsausbildungsbeihilfe für einen längeren Zeitraum (vom 1. September 2007 bis 28. Februar 2009) erfolgt ist. Auch der recht kurze Zeitraum zwischen Bewilligung und Rücknahme der Leistung spricht gegen die Schutzbedürftigkeit der Klägerin.

Die Aufhebungsentscheidung begegnet auch in Formeller Hinsicht keinen Bedenken. Die Beklagte hat der in § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X geforderten Pflicht zur Begründung der Ermessensentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2008 genügt. Damit ist der Begründungsmangel aus dem Aufhebungsbescheid vom 6. Dezember 2007 gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X noch im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Die Rücknahmefrist von zwei Jahren (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X) ist gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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