L 5 AS 323/11 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 AS 2486/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 323/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg (SG), das die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens abgelehnt hat.

Die Klägerin bezieht vom Beklagten ergänzende Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Mit Bescheid vom 4. Februar 2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 5. Februar 2009 nahm der Beklagte seine Leistungsbewilligung für die Monate März, April und Mai 2008 teilweise zurück. Er forderte die Klägerin auf, einen Gesamtbetrag iHv 106,72 EUR (6,07 EUR für März, 62,00 EUR für April und 38,65 EUR für Mai 2008) zu erstatten, da der Ehemann der Klägerin – neben seinem Renteneinkommen – aus einer Nebenbeschäftigung Einnahmen erzielt habe. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2009).

Am 20. August 2009 hat die Klägerin anwaltlich vertreten Klage erhoben, mit der sie die vorgenannten Bescheide angefochten und eine Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung beantragt hat. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht bzw. nicht in der geltend gemachten Höhe. Der Beklagte habe vom Einkommen jeweils nicht die Versicherungspauschale iHv 30,00 EUR abgezogen und zudem bei der Leistungsbewilligung nur unzureichende Heizkosten berücksichtigt. Der diesbezügliche Leistungsanspruch sei um mindestens 11,37 EUR monatlich höher. Ferner habe sie monatlich um 393,03 EUR höhere Wohnkosten gegenüber denjenigen nachgewiesen, die der Beklagte anerkannt hat. Zudem hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das SG hat mit Beschluss vom 28. Juni 2011 den Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt. Es hat darauf hingewiesen, der Beschluss sei unanfechtbar, da der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht werde.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 15. Juni 2011 "sofortige Beschwerde" eingelegt. Zur Begründung hat sie sich auf eine Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg bezogen, nach der eine Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in Klageverfahren auch dann zulässig sei, wenn der Streitwert in der Hauptsache den Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erreiche. Sie meint, § 127 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sei in sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. Die Klage habe auch inhaltlich Aussicht auf Erfolg, denn die Rückforderung sei nicht gerechtfertigt. Vielmehr ergebe sich eine Nachzahlung. Der Beklagte habe kein schlüssiges Konzept für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU). Es seien daher die Werte nach dem Wohngeldgesetz zugrunde zu legen.

Der Beklagte hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 28. Juni 2011 ist unzulässig und war daher zu verwerfen.

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Beschwerde gegen die Ablehnung von Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet sich nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Verweisung bezieht sich auf alle in dem Buch 1, Abschnitt 2, Titel 7 der ZPO enthaltenen Vorschriften über die Prozesskostenhilfe, soweit das SGG nicht ausdrücklich - etwa in § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG - etwas anderes regelt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 73a, Rn. 2). Dabei fordert die "entsprechende Anwendung" allerdings eine Anpassung der jeweils maßgeblichen Vorschriften der ZPO auf das sozialgerichtliche Verfahren, soweit prozessuale Besonderheiten bestehen. Dies betrifft insbesondere die Ersetzung des dem sozialgerichtlichen Verfahren fremden Rechtsmittels der "sofortigen Beschwerde" durch die "Beschwerde", ferner die Bestimmung des Beschwerdegerichts und des maßgeblichen Werts des Beschwerdegegenstands für die Berufung.

Die Regelungen sind durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 durch Einfügung von § 172 Abs. 3 Ziffer 2 SGG modifiziert worden. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss nur dann zulässig ist, wenn die Erfolgsaussichten verneint werden und in der Sache die Berufung zulässig wäre (vgl. zur Begründung im Einzelnen die Ausführungen in seinem Beschluss vom 20. Februar 2009, L 5 B 304/08, L 5 B 305/08, juris).

Auch nach der Neuregelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl I, 1127) mit Wirkung zum 11. August 2010 sieht der Senat keinen Grund, von seiner Rechtsauffassung abzuweichen. Er sieht sich im Gegenteil durch diese Neufassung bestätigt (so seit der Gesetzesänderung auch: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. Januar 2012, L 2 AS 180/11 B; Bayrisches LSG, Beschluss vom 7. November 2011, L 11 AS 754/11 B PKH; Beschluss vom 27. September 2010, L 9 AL 133/10 B PKH; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 30. Mai 2011, L 3 AL 65/11 B PKH; Beschluss vom 3. September 2010, L 11 AS 146 und 152/10; Hessisches LSG, Beschluss vom 16. Mai 2011, L 6 AS 642/10 B, Beschluss vom 25. März 2011, L 9 AS 108/11 B, Beschluss vom 4. Oktober 2010, L 7 AS 436/10 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2010, L 34 AS 2182/10 B PKH, Beschluss vom 29. Oktober 2010, L 25 B 2246/08 AS PKH; Beschluss vom 27. September 2010, L 20 AS 1602/10 B PKH; Sächsisches LSG, Beschluss vom 6. Dezember 2010, L 1 AL 212/09 B PKH; alle recherchiert über juris).

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG n.F. ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre; dies gilt auch für Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen dieser Verfahren. Durch die Neuregelung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Konvergenz zwischen Prozesskostenhilfeverfahren als Nebenverfahren und dem Verfahren in der Sache auch für das einstweilige Rechtsschutzverfahren gilt. Es sollte verhindert werden, dass gegen die Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weitergehende Rechtsmittel bestehen als im einstweiligen Rechtsschutzverfahren selbst (vgl. BT-Drs. 17/1684, S. 16,17).

Die Regelung ist eine Sonderregelung für einstweilige Rechtsschutzverfahren im Rahmen des SGG. Für das Klageverfahren hatte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 127 Abs. 2 ZPO den Konvergenzgedanken bereits manifestiert. Er hat in seiner Begründung ausgeführt (BT-Drs. 14/163, S. 14):

"In Rechtsprechung und Literatur ist seit langem umstritten, ob die Zulässigkeit einer Beschwerde in Fällen sachlicher Nebenentscheidungen nach § 91a Abs. 2, § 99 Abs. 2 und § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO davon abhängt, dass in der Hauptsache ein Rechtsmittel zulässig wäre. Ein Teil der Rechtsprechung wendet in diesen Fällen den Konvergenzgedanken an und hält deshalb eine Beschwerde nur für zulässig, wenn nicht nur der Beschwerdewert erreicht ist, sondern auch die fiktive Rechtsmittelgrenze gemäß § 511a Abs. 1 ZPO überschritten würde. Ob eine derartige Zulassungsbeschränkung von Rechtsmitteln im Wege der Interpretation möglich ist, ist im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Prozesskostenhilfe im Asylverfahrensrecht fraglich (vgl. BVerfGE 78, 88). Der Konvergenzgedanke sollte deshalb in den genannten Fällen gesetzlich geregelt werden, um den Rechtsmittelausschluss auf eine sichere Grundlage zu stellen.

Aus Sachgründen ist der Rechtsmittelausschluss angezeigt. Stellt der Gesetzgeber nämlich für die Hauptsacheentscheidung nur eine Instanz zur Verfügung, so besteht kein Grund für die wirtschaftlich weniger bedeutsame Nebenentscheidung, die im Regelfall im Zusammenhang mit der Hauptsacheentscheidung getroffen wird, einen weitergehenden Instanzenzug zu eröffnen. Bei PKH-Sachen greift die Beschränkung des Beschwerderechtszuges nur für die Frage der Beurteilung der Erfolgsaussichten."

Die Anwendung dieses Gedankens auch für sozialrechtliche Klageverfahren hatte der Gesetzgeber bereits durch die Verweisungsvorschrift des § 73a SGG sichergestellt. Für andere als Klageverfahren hat die Zivilgerichtsbarkeit den Konvergenzgedanken des § 127 Abs. 2 ZPO analog angewendet. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 23. Februar 2005 (Az.: XII ZB 1/03, juris) entschieden, eine Beschwerde gegen eine Prozesskostenhilfe-Entscheidung sei nicht zulässig in Verfahren (dort einstweilige Anordnungen nach §§ 620, 620c, 644 ZPO (nunmehr §§ 49, 57 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FamFG])), in denen die Entscheidung in der Hauptsache nicht anfechtbar ist. Eine ausdrückliche Regelung für die Behandlung von Prozesskostenhilfeverfahren in Verfahren der rechtswegbeschränkten einstweiligen Anordnung fehlte sowohl in der ZPO als auch bis zum 11. August 2010 im SGG. Die Verweisung des § 73a SGG auf § 127 ZPO führte mithin nicht zum vom Gesetzgeber geäußerten Willen, die Konvergenz auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren sicherzustellen. Es bedurfte insoweit einer gesetzlichen Regelung, zumal in der Rechtsprechung und Literatur diese Rechtsfrage umstritten war.

Soweit vereinzelt vertreten wird, dass weder vor noch nach der Rechtsänderung mit Wirkung vom 11. August 2010 § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG oder § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechend anwendbar seien (so etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Januar 2011, L 7 AS 4623/10, juris), folgt der erkennende Senat dem nicht. Die Begründung, wonach die Anregung des Bundesrats (BR-Drs 152/10 S. 5 Nr. 9) zur klarstellenden Formulierung des Beschwerdeausschlusses auch bei Klageverfahren von der Bundesregierung trotz zugesagter Prüfung (BT-Drs 17/1684 S. 25) nicht in die Neufassung des Gesetzes aufgenommen worden sei, überzeugt nicht. Allein daraus lässt sich nicht schließen, dass der Gesetzgeber die Prozesskostenhilfebeschwerde in Klageverfahren unterhalb des Beschwerdewerts von 750,00 EUR (weiterhin) für zulässig gehalten hätte. Angesichts der von den Landessozialgerichten vor der Gesetzesänderung überwiegend vertretenen Auffassung hätte es dann vielmehr nahegelegen, anlässlich der Gesetzesänderung eine ausdrückliche Regelung dahingehend aufzunehmen, dass die Beschwerde in Klageverfahren ausdrücklich zugelassen ist. Dies ist aber nicht erfolgt.

Soweit die Klägerin ausführt, nach der Neufassung des § 127 Abs. 2 ZPO zum 1. April 2008 sei diese Vorschrift auf danach eingegangene Beschwerden nicht mehr anzuwenden, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Daraus, dass die Beschwerde bei einer Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen des Fehlens der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen unzulässig ist, lässt sich ebenfalls nicht auf die Zulässigkeit der Beschwerde in allen anderen Fällen schließen (vgl. oben zur Begründung).

Der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstands wird nicht erreicht. Der Senat geht jedenfalls nicht von einem Wert des Beschwerdegegenstandes aus, der 750,00 EUR übersteigt.

Mit der am 20. August 2009 erhobenen Klage hat die Klägerin sich gegen die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des Beklagten (Bescheid vom 4. Februar 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 5. Februar 2009 und des Widerspruchsbescheids vom 31. Juli 2009) gewandt, mit der eine Rückforderung von insgesamt 106,72 EUR geltend gemacht worden ist. Dies ergibt sich aus dem Vortrag zur Klagebegründung und auch noch aus der Beschwerdebegründung vom 14. Juli 2011, in der die Klägerin ausdrücklich von einem Beschwerdewert von 106,72 EUR ausgeht. Es handelt sich insoweit um eine Anfechtungsklage.

Soweit die Klägerin erst im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens geltend gemacht hat, sie habe mit dieser Klage auch gleichzeitig ein Verpflichtungsbegehren geltend machen wollen, wodurch der Wert des Beschwerdegegenstandes über 750,00 EUR steige, kann der Senat dem nicht folgen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens war nach zutreffender Auslegung des klägerischen Vortrags von Klageerhebung an ausschließlich die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des Beklagten. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über von der Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden, §§ 106 Abs. 1, 112 Abs. 2, Satz 2 SGG. Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlauf eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften; die Auslegung von Anträgen richtet sich vielmehr danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchten, was ihm auf Grund des Sachverhalts zusteht (BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R - juris).

Auf Grundlage dieser Maßstäbe sind die in der Klageschrift vom 19. August 2009 gestellten Anträgen unklar, da - erstens - ein Anfechtungsantrag gegen die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gestellt wird und - zweitens - der Beklagte verurteilt werden soll, der Klägerin einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu erteilen. Der Antrag unter Punkt 2. ist nicht nachvollziehbar und hat nach verständiger Auslegung keine eigenständige Bedeutung. Der Klägerin ging es aufgrund des geltend gemachten Sachverhalts und der von ihr benannten Bescheide nach verständiger Auslegung ausschließlich um die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des Beklagten iHv 106,72 EUR. Dies folgt aus der Klagebegründung vom 20. November 2009, in der ausgeführt wird, dass ein Erstattungsanspruch nicht gegeben sei. Ein verständiger Kläger hätte auch mutmaßlich kein Verpflichtungsbegehren geltend macht, da die Bewilligungsentscheidung bisher nicht Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens gewesen und damit bestandskräftig ist. Angesichts des Kostenrisikos hinsichtlich des Verpflichtungsantrags, der vom Beschwerdewert die streitige Rückforderung weit überschreiten würde (weitere KdU von 41,37 EUR + 393,03 EUR/Monat), hätte ein verständiger Prozessbeteiligter nach rechtlichem Hinweis dieses Begehren nicht weiter verfolgt. Ansonsten würden ihm auch bei einem Obsiegen in der Anfechtungsklage nur ein kleiner Teil seiner Kosten erstattet werden können. Soweit nunmehr - wie sich aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 26. Oktober 2011 ergibt - ein Überprüfungsverfahren bei dem Beklagten anhängig ist, muss die Klägerin zunächst die Entscheidung hierüber abwarten, damit dieses Begehren (nach Durchführung eines Vorverfahrens) Gegenstand einer zulässigen Klage werden kann.

Es kann für die hier entscheidende Frage des Beschwerdewertes dahinstehen, ob - wie die Klägerin meint - im Rahmen der Prüfung der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung über die Gründe für diese Entscheidung hinaus auch die bestandskräftige Bewilligungsentscheidung überprüft werden muss. Selbst wenn man diese Auffassung vertreten würde, kann die Prüfung im Ergebnis nicht dazu führen, dass die Klägerin - über ihr Begehren der Beseitigung der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung iHv 106,72 EUR hinaus - weitere Ansprüche gegen den Beklagten im vorliegenden Verfahren verwirklichen kann.

Der Senat weist jedoch auf Folgendes hin:

Die von der Klägerin vertretene Auffassung dürfte unzutreffend sein. Denn nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit einer der dort genannten Tatbestände vorliegt. Ein über die dort aufgeführten Sachverhalte hinausgehender, rückwirkender Eingriff in die Bestandskraft der Bewilligungsentscheidung dürfte damit bereits vom Wortlaut her ausgeschlossen sein. Aber auch wenn man den Wortlaut für auslegungsbedürftig hielte, ergibt eine solche Auslegung nichts anderes.

Die Sonderregelung des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X zeigt vielmehr, dass nach der Systematik des Gesetzes grundsätzlich die Bestandskraft der Bewilligungsentscheidung unangetastet bleiben soll und die Prüfung der Aufhebungsentscheidung nur soweit geht, wie einer der im Gesetz genannten Tatbestände betroffen ist. Die Bestandskraft des Verwaltungsaktes soll nur ausnahmsweise im Fall des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X - der hier nicht vorliegt - durchbrochen werden. Einer solchen Ausnahmeregelung hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber davon ausginge, dass bereits nach der Grundregelung des § 48 Abs. 1 SGB X die Bestandskraft der Bewilligungsentscheidung über die zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände hinaus durchbrochen werden soll.

Desweiteren spricht aus systematischen Gesichtspunkten auch der direkte Regelungszusammenhang mit § 44 SGB X gegen diese Auslegung. In § 44 SGB X ist ausdrücklich geregelt, unter welchen Bedingungen, nach welchem Prüfungsmaßstab und unter welchen zeitlichen Einschränkungen die Bestandskraft durchbrochen werden kann. Der Gesetzgeber hat hier unter dem Titel "Bestandskraft des Verwaltungsaktes" mit den §§ 44 ff SGB X Kriterien aufgestellt, wonach zu entscheiden ist, ob dem Prinzip der Rechtssicherheit oder dem Gebot der Gerechtigkeit der Vorrang gebührt. Es sind die Funktionsfähigkeit der Judikative und der Verwaltung, die Gewaltenteilung, die Verwaltungseffizienz und der Vertrauensschutz der Beteiligten zu berücksichtigen. Die Bestandskraft bleibt der Grundsatz; denn an ihr besteht aus Gründen der Rechtssicherheit ein hohes rechtsstaatliches Interesse (Schütze in: von Wulffen, Kommentar, SGB X, 7. Auflage 2010, vor §§ 44 - 49, Rn. 8).

Eine andere Auslegung würde auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen. Denn sie würde denjenigen Kläger (erneut) bevorteilen, der einem Aufhebungs- und Erstattungsanspruch des Beklagten ausgesetzt ist, da ihm zu hohe Leistungen gewährt worden sind. Einen Grund für diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen Klägern, über deren Leistungen ebenfalls bestandskräftig entschieden ist, erkennt der Senat nicht. Vor diesem Hintergrund ist bereits zweifelhaft, ob der Beklagte berechtigt wäre, die Klägerin zu bevorzugen. Jedenfalls besteht kein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten dahingehend, dass dieser im Rahmen der streitigen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung die Voraussetzungen der Bewilligungsentscheidungen erneut prüft. Vielmehr sind beide Gruppen von Klägern auf das Verfahren nach § 44 SGB X zu verweisen, das diese Fallkonstellation betrifft.

Die Klägerin hat auch einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt, dessen Entscheidung sie abzuwarten hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten, § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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