L 3 U 19/08

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 U 51/06
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 19/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. November 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2006 aufgehoben. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung einer Verletztenrente im Streit.

Der Kläger erlitt als Busfahrer der H.-Aktiengesellschaft einen Arbeitsunfall, als beim Fahrgastwechsel an der Haltestelle E. auf der Linie am 31. Dezember 1998 gegen 18:55 Uhr ein Jugendlicher einen Knallkörper neben der Fahrerkabine explodieren ließ.

Nachdem die Berufsgenossenschaft Bahnen, die Rechtsvorgängerin der Beklagten, mit Bescheid vom 21. Mai 2002 die Gewährung einer Verletztenrente mit Blick auf die als Unfallfolge geklagte psychische Störung und einen Tinnitus zunächst abgelehnt hatte, weil lediglich eine vorübergehende psychische Reaktion in Form einer Anpassungsstörung auf einen explodierenden Knallkörper im Zeitraum vom 31. Dezember 1998 bis zum 16. August 1999 bestanden habe und Ursache des weiterhin bestehenden seelischen Leidens nicht versicherte Faktoren seien, nahm diese auf den Widerspruch des Klägers weitere Ermittlungen auf, hob mit Abhilfebescheid vom 25. November 2003 ihren Bescheid vom 21. Mai 2002 auf und entschied, dass ab dem 16. Dezember 2000 Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert bestehe. Zur Begründung heißt es, der Arbeitsunfall habe zu einer rechtsseitigen, mittelgradigen Schwerhörigkeit einhergehend mit einem Ohrgeräusch (Tinnitus) und hieraus resultierender anhaltender Anpassungsstörung nach Knalltrauma geführt.

Im Oktober 2004 leitete die Berufsgenossenschaft Bahnen ein Überprüfungsverfahren ein und forderte hierzu zunächst Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte an. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. teilte am 3. Dezember 2004 mit, der Kläger befinde sich bei ihm in Behandlung wegen einer schweren chronifizierten Anpassungsstörung bei Zustand nach Knalltrauma mit Tinnitus. Die psychische Situation verändere sich trotz vielfältiger Therapiemaßnahmen nicht richtungweisend. Der Patient werde nach wie vor von Angst- und Panikattacken gequält. Insbesondere in der Zeit vor Silvester oder auch jetzt in seiner Heimat in B., wo viel geschossen werde, traue er sich kaum aus dem Haus. Massive Schlafstörungen und eine vitale depressive Verstimmung seien nach wie vor vorhanden. Mit Änderung und Besserung sei nur langfristig zu rechnen. Mit Zustimmung des Klägers wurde der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. mit der Untersuchung und Begutachtung des Verletzten beauftragt. Er stellte in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 7. Februar 2005 eine anhaltende depressive Episode mit Angstanteilen, einen chronischen Tinnitus und eine Hörminderung fest. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei nicht (mehr) nachzuweisen. Zwar habe der Verletzte angegeben, unter einem fortbestehenden Tinnitus und einer rechtsseitigen Hörminderung zu leiden und deshalb depressiv, ängstlich, schreckhaft zu sein und sich nicht konzentrieren zu können. Aus nervenärztlicher Sicht sei gleichwohl festzustellen, dass sich zwischenzeitlich auch Veränderungen in seiner Lebenssituation ergeben hätten, welche nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen seien und von dem Verletzten ebenfalls belastend erlebt würden. Denn konkurrierend zu der ständigen Wahrnehmung des Ohrgeräuschs und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit dem chronischen Tinnitus sei eine von dem Verletzten ebenfalls belastend erlebte Partnertrennung eingetreten. Dieser Konflikt habe zum Zeitpunkt der letzten Begutachtung im August 2000 noch nicht bestanden. Unter vom Verletzten als narzisstisch kränkend wahrgenommenen Rahmenbedingungen sei es zwischenzeitlich zur Trennung und zum Scheidungsverfahren gekommen. Nachfolgend sei auch eine Schuldenproblematik verblieben, deren Lösung bislang nicht gelungen sei. Diese grundsätzliche Änderung des ursprünglichen Lebensentwurfs sei von dem Begutachteten noch nicht hinreichend psychisch verarbeitet worden. Die damit verknüpften Kränkungserlebnisse trügen ganz wesentlich zu einer Aufrechterhaltung der Symptomatik bei und überwögen inzwischen deutlich gegenüber der Anpassungsstörung nach Knalltrauma und bei Tinnitus. Die MdE aufgrund der Unfallfolgen werde aus nervenärztlicher Sicht mit nicht mehr als 10 vom Hundert angegeben.

Daraufhin entzog die Berufsgenossenschaft Bahnen mit Bescheid vom 23. März 2005 die Rente mit Ablauf des Monats März 2005, weil wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine MdE in rentenberechtigendem Grade nicht mehr vorliege. Die dem Bescheid vom 25. November 2003 zu Grunde liegenden Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Dr. N. sei im Rahmen seiner gutachterlichen Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass mittlerweile ein Wechsel in der Wesensgrundlage der Erkrankung eingetreten sei. Die unfallbedingte psychische Anpassungsstörung sei inzwischen als überwunden anzusehen. Während der Begutachtung sei festgestellt worden, dass der Versicherte an einer unfallunabhängigen depressiv-ängstlichen Symptomatik leide. Diese Symptomatik äußere sich in Form einer eingeengten gefühlsbetonten, emotionalen Schwingungsfähigkeit sowie einer beeinträchtigten Ein- und Umstellungsfähigkeit im Rahmen einer vermehrt nach innen gerichteten Selbstwahrnehmung und negativen Vorstellungskraft.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, seine psychische Verfassung werde durch die erlebte Scheidung und durch die Schuldenproblematik nicht wesentlich beeinträchtigt. Bei Letzterem handele es sich um eine vorübergehende Problematik, zumal auch eine Erwerbsminderungsrente bezogen werde. Auch sei er bereits einmal geschieden worden, ohne dass psychische Auffälligkeiten aufgetreten seien. Lebensbiografische Einflüsse würden seine psychische Verfassung nicht beeinträchtigen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. teilte mit, dass sein Patient die Scheidung eher als befreiend denn als Belastung erlebt habe. Die Trennung spiele in dem langfristigen Krankheitsverlauf keine Rolle.

Die Berufsgenossenschaft Bahnen zog die Akte des Trägers der Rentenversicherung bei. In dem darin enthaltenen Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 16. Januar 2003 vertritt dieser die Auffassung, dass die Leistungsfähigkeit des Probanden zum Untersuchungszeitpunkt weitgehend durch eine ängstlich-depressive Störung im Sinne einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung und psychoreaktive Folgen eines beiderseitigen rechtsbetonten Tinnitus nach Knalltrauma aufgehoben sei. In seinem ergänzenden nervenärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 7. Dezember 2005 blieb Dr. N. in Kenntnis der Widerspruchsbegründung bei seiner Einschätzung, dass eine Änderung der Wesensgrundlage eingetreten sei. Dies werde gerade anlässlich der Begutachtung durch Dr. L. deutlich. Die Veränderung des Lebensentwurfs, der Zusammenbruch der zuvor narzisstisch stabilisierend erlebten partnerschaftlichen, beruflichen und allgemeinen Integration führe bei dem Verletzten immer stärker zur Entwicklung der ängstlich-depressiven Symptomatik und zur Aufrechterhaltung der psychischen Störung. Der Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit, die zweite Partnertrennung sowie das finanzielle Desaster mit Schulden destabilisierten den Gesundheitszustand des Verletzten und führten zu dem jetzt vorgefundenen psychopathologischen Befund. Vor diesem biografischen Hintergrund und den persönlichkeitsgebundenen Faktoren bestünden multiple, komplexe Kausalitätsbeziehungen, die den chronischen Tinnitus und das Ereignis vom 31. Dezember 1998 als Randereignis verblassen ließen. Es sei ein Wechsel der Wesensgrundlage der Erkrankung von der Auseinandersetzung mit dem Ereignis vom 31. Dezember 1998 und dem erlittenen Ohrgeräusch hin zu weiteren lebensgeschichtlichen Ereignissen festzustellen.

Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 wies die Berufsgenossenschaft Bahnen den Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid zurück. Die länger dauernde mittelgradige depressive Episode mit Angstanteilen vor dem Hintergrund lebensbiografischer Veränderungen überlagere die unfallbedingte Anpassungsstörung nicht nur, sondern dränge sie weit in den Hintergrund, so dass eine rentenberechtigende MdE aufgrund von Unfallfolgen nicht mehr nachzuweisen sei.

Daraufhin hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben und vorgetragen, es sei weiterhin davon auszugehen, dass die aufgrund des Unfalls aufgetretenen Ohrgeräusche seine psychische Situation maßgeblich bestimmten. Es könne auch nicht überzeugen, wenn Dr. N. meine, in Übereinstimmung mit Dr. L. davon ausgehen zu können, dass nicht mehr das Unfallereignis bzw. der damit verknüpfte Tinnitus die psychische Symptomatik aufrecht erhalte, sondern Persönlichkeitsakzente mit anankastischen aber auch narzisstischen Zügen, welche das Zurechtkommen mit der veränderten Lebenssituation verhindert hätten. Vielmehr erläutere Dr. L. in seinem Gutachten, das er nach wie vor an klassischen Symptomen sowohl einer mittlerweile chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung als auch an einer erheblichen ängstlich-depressiven Störung als Folge des nach wie vor bestehenden Ohrgeräuschs nach Knalltrauma leide. Dr. L. vertrete ferner die Auffassung, dass das Scheitern der Ehe sicherlich zu weiterer depressiver Dekompensation geführt habe, dass aber das Unfalltrauma als latenter Dekompensationsfaktor unverändert fortbestehe.

Das Sozialgericht hat erneut Dr. N. mit der Untersuchung und schriftlichen Begutachtung des Klägers auf dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie beauftragt. In seinem schriftlichen Gutachten vom 26. Oktober 2007 hat er die Auffassung vertreten, bei dem Verletzten bestehe weiterhin ein ängstlich-depressives Syndrom im Sinne einer ängstlich-depressiven Anpassungsstörung mit deutlicher Chronifizierung. Diese psychische Gesundheitsstörung sei nicht mehr wesentlich auf den Unfall vom 31. Dezember 1998 zurückzuführen. Weiterhin stünden lebensbiografische Faktoren, welche unfallabhängig seien, im Vordergrund. Insoweit sei eine wesentliche Änderung in der Folge des Arbeitsunfalles vom 31. Dezember 1998 eingetreten. Spätestens seit seiner Begutachtung im Februar 2005 habe sich die Wesensgrundlage eindeutig geändert.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hat sich hierzu am 6. November 2007 geäußert. Aus der zunächst akuten posttraumatischen Belastungsreaktion sei inzwischen eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver Verstimmung und Angst- sowie Panikattacken und ständigem Grübeln geworden. Die Annahme, dass im Laufe der Zeit unfallunabhängige Mechanismen die Erkrankung aufrecht erhielten und es zu einem Wechsel der Wesensgrundlage gekommen sei, sei eine theoretische Annahme, Vermutung oder Interpretation, die aber nicht aus realen Fakten oder neu oder verändert auftretenden Symptomen abzuleiten sei. Man könne dem Patienten schließlich nicht anlasten, dass er sich berechtigte Sorgen um seine Zukunft mache und sein schlechtes Befinden und ängstlich-depressives Verhalten auch in seiner Umgebung zu Problemen, etwa in der Ehe, führten. Depressive Symptomatiken oder Angstsymptomatiken seien von keinem Gutachter vor Auftreten des Unfalls festgestellt worden. Vielmehr hätten die verschiedenen Gutachter unfallabhängig zunächst eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Es sei bekannt, dass es leider auch chronische, therapieresistente Verläufe gebe, bei denen keine Änderung der Wesensgrundlage eintrete, sondern die akute Erkrankung chronifiziert bestehen bleibe. Dies werde auch in der medizinischen Fachliteratur beschrieben. Für die Annahme neuer, die Krankheit unterhaltender, unfallunabhängiger Wesensgrundlagen finde sich ebenso wenig ein konkreter Anhalt wie für eine Aggravation oder Befundbetonungstendenz.

Durch Urteil vom 14. November 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bei dem Kläger bestehe das Bild eines mittelgradig ausgeprägten depressiven Syndroms, verknüpft mit erheblichen Angstanteilen, sowie anamnestisch geschilderten Panikattacken. Ob für einen abgegrenzten Zeitraum eine posttraumatische Belastungsstörung vorgelegen habe, bleibe zweifelhaft, könne jedoch dahingestellt bleiben, da differenzialdiagnostisch auch von einer akuten Belastungsreaktion und sich daran anschließender fortdauernder Anpassungsstörung bei anhaltenden Belastungsfaktoren ausgegangen werden könne, wie dies Dr. N. formuliere. Bereits zu früherer Zeit sei ärztlicherseits aber darauf hingewiesen worden, dass auch persönlichkeitsbedingte Faktoren in der Krankheitsbewältigung eine Rolle spielten. Mit zunehmendem Zeitabstand zum Unfallereignis sei es dann zu unfallfremden psychosozialen Belastungsfaktoren gekommen, in deren Kontext im Zusammenhang mit den persönlichkeitsgebundenen Faktoren der Tinnitus spätestens seit Januar 2005 hinsichtlich seiner Bedeutung in der Unterhaltung des Krankheitsbildes in den Hintergrund gerückt sei. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Ausführungen von Dr. N., welcher den Tinnitus nur noch für eine Bagatelle im Vergleich zu den schweren Belastungsfaktoren im psychosozialen Umfeld halte. Von Bedeutung sei auch, dass Krankheitssymptome wie Depressionen und Schlafstörungen ausweislich der Krankheitsanamnese der zuständigen Krankenkasse in früheren Jahren ohne den nach dem Unfall auftretenden Tinnitus zeitweilig aufgetreten seien. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. Februar 2008 zugestellt worden.

Der Kläger hat am 25. März 2008, dem Dienstag nach Ostern, Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt, soweit in der angefochtenen Entscheidung darauf abgehoben werde, dass er ausweislich des dokumentierten Krankheitsverzeichnisses der zuständigen Krankenkasse bereits in früheren Jahren unter Depressionen und Schlafstörungen gelitten habe, sei darauf hinzuweisen, dass in den Aktenauszügen des Krankheitsverzeichnisses lediglich für den September/Oktober 1993 einmalig die Diagnose Depressionen und Herzrhythmusstörungen enthalten sei. Bereits aufgrund der kurzen Dauer der seinerzeitigen Erkrankung sowie unter Berücksichtigung der verschiedenen Gutachten, die sämtlich keine erhöhte Vulnerabilität festgestellt hätten, erscheine eine vorbestehende psychische Disposition nicht gegeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. November 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers unter Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil und die Ausführungen von Dr. N. entgegen.

Das Berufungsgericht hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Dr. M. gelangt in seinem Gutachten vom 6. April 2009 aufgrund der am 7. Januar 2009 durchgeführten ambulanten Untersuchung und einer Rücksprache mit dem behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. zu der Einschätzung, dass der Verletzte auch über zehn Jahre nach dem Unfallereignis an einer mittelgradigen bis schweren Depressionen als Ausdruck einer schweren chronischen Anpassungsstörung bei Zustand nach Knalltrauma leide. Hinzu komme ein therapieresistenter Tinnitus, welcher ihn zusätzlich belaste. Differenzialdiagnostisch sei durchaus auch von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen, welche sich chronifiziert habe. Der in den Krankenkassenunterlagen enthaltene Hinweis auf psychische Störungen sei so zu verstehen, dass die dort aufgeführten Störungen allenfalls psychosomatisch begründet, nicht jedoch mit den später vorhandenen depressiven Störungen vergleichbar seien. Auch seien diese Diagnosen seinerzeit nicht fachärztlich sondern allgemeinärztlich gestellt worden. Dies habe die Rücksprache mit dem behandelnden Nervenarzt ergeben. Zur Frage der Verursachungsverschiebung sei darauf hinzuweisen, dass die anhaltenden Belastungsfaktoren im partnerschaftlichen, finanziellen und beruflichen Bereich zum seinerzeitigen Zeitpunkt bereits abgeklungen gewesen seien, so dass sie zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. N. keinesfalls im Vordergrund bei der andauernden Anpassungsstörung gestanden hätten. Es ließen sich bei dem Kläger auch weder anankastische noch narzisstische Merkmale feststellen. Unzutreffend sei auch, dass der Kläger zuvor eine narzisstisch stabilisierend erlebte partnerschaftliche Beziehung geführt habe. Nach allem bestünden die dem Bescheid vom 25. November 2003 zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen weiterhin auch über das Jahr 2005 hinaus unverändert fort.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Sie ist auch begründet. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) war die Beklagte nicht berechtigt, dem Kläger die bis dahin nach einer MdE von 20 vom Hundert gewährte Verletztenrente durch Neufeststellung nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) mit Ablauf des 31. März 2005 zu entziehen, weil die hierfür notwendige wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden kann.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung – hierum handelt es sich bei der Gewährung einer Rente – vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Änderung der Verhältnisse muss im Vollbeweis, d.h. mit vernünftige Zweifel ausschließender Gewissheit, feststehen. An diesen Voraussetzungen fehlt es.

Zwar kommt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse auch dann in Betracht, wenn das Leiden äußerlich betrachtet unverändert bleibt, es aber auf einer anderen Ursache als zuvor beruht, d.h., wenn die ursprünglich als Unfallfolge festgestellten Gesundheitsstörungen nunmehr von einer unfallunabhängigen Ursache aufrechterhalten werden. In diesen Fällen wird von einer Verschiebung der Wesensgrundlage (zum Begriff vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 112) gesprochen. Unzutreffend ist aber die Beklagte und ist dies billigend das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die die Grundlage der Gewährung einer Verletztenrente mit Wirkung vom 16. Dezember 2000 durch Bescheid vom 25. November 2003 bildenden Gesundheitsstörungen im Sinne einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit dem 1. April 2005 von unfallunabhängigen Ursachen unterhalten werden. Hiervon vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen.

Für den Vergleich der Verhältnisse bei Wirksamwerden des die Verletztenrente zusprechenden Bescheides vom 25. November 2003 mit den Verhältnissen am 1. April 2005 braucht nicht entschieden zu werden, ob der Verletzte zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Rente unter einer rechtsseitigen, mittelgradigen Schwerhörigkeit einhergehend mit einem Ohrgeräusch (Tinnitus) und hieraus resultierender anhaltender Anpassungsstörung nach Knalltrauma litt, wie es in den Gründen des Bescheides vom 25. November 2003 heißt, oder aber neben dem Tinnitus an einer länger dauernden depressiven Episode bei Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung, wie Dr. N. es noch in seinem Gutachten vom 11. September 2000 formuliert hatte. Denn die Feststellung der mittelbaren Unfallfolge hat nicht Eingang in den verfügenden Teil des Bescheides vom 25. November 2003 gefunden; sie ist vielmehr bloßes Begründungselement für die dort verfügte Rentengewährung nach einer MdE von 20 vom Hundert. Für den Vergleich der Verhältnisse kommt es vielmehr ausschließlich darauf an, ob bei dem Kläger über den 31. März 2003 hinaus im Zusammenwirken der MdE auf hals-, nasen- und ohrenärztlichem Gebiet und derjenigen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eine MdE von insgesamt 20 vom Hundert wegen der mittelbaren Unfallfolgen über den 31. März 2005 hinaus festzustellen ist. Zudem besteht differentialdiagnostisch (im Sinne einer Abgrenzung ähnlicher Krankheitsbilder) zwischen den Auswirkungen einer Anpassungsstörung nach Psychotrauma und denen einer posttraumatischen Belastungsstörung kein entscheidender Unterschied, vielmehr gleichen sich die Krankheitsbilder einer fortdauernden Anpassungsstörung und einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung. In beiden Fällen handelt es sich um Belastungsreaktionen nach ICD-10 F 43 (Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen), deren Folgen gleichermaßen Depressivität und Angst sein können, so dass – wie Dr. M. in seinem schriftlichen Gutachten ausführt – aus neurologisch-psychiatrischer Sicht auf eine Festlegung verzichtet werden kann.

Auf dem hals-, nasen- und ohrenärztlichen Fachgebiet hat sich eine Änderung der Verhältnisse nicht ergeben. Eine solche ist zwischen den Beteiligten nicht diskutiert worden und auch sonst gibt es hierfür keine Anhaltspunkte. Mit den Ausführungen von Dr. M. ist ferner davon auszugehen, dass der Verletzte auch über zehn Jahre nach dem Unfallereignis auf dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie unverändert an einer mittelgradigen bis schweren Depressionen als Ausdruck einer schweren chronischen Anpassungsstörung bei Zustand nach Knalltrauma oder aber an dem entsprechenden Zustand nach chronifizierter posttraumatischer Belastungsstörung leidet. Dem steht nicht entgegen, dass sich zwischenzeitlich in Gestalt von Scheidung und einer vorübergehend schlechten finanziellen Situation auch Veränderungen in der Lebenssituation des Versicherten ergeben haben, welche ebenfalls als belastend erlebt wurden und werden. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, dass diese Veränderungen – wie Dr. N. meint – den Gesundheitszustand des Verletzten so destabilisieren, dass nunmehr sie zu dem seit 1. April 2005 sowie aktuell vorgefundenen psychopathologischen Befund führen. Insoweit erschöpft sich die Einschätzung von Dr. N. in einer bloßen Behauptung, die in dem psychopathologischen Längsschnitt, auf welchen Dr. M. nach Rückgriff auf die Befundungen des behandelnden Nervenarztes und Psychiaters Dr. S. abhebt, keine Stütze finden. Unabdingbare Voraussetzung für die Begründung des Eintritts einer Verschiebung der Wesensgrundlage ist aber die Erhebung von Verlaufsdaten über einen ausreichend langen Zeitraum (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, a.a.O.). Von der Erhebung entsprechender Daten berichtet Dr. N. in seinen Gutachten nicht. Er nimmt offenbar allein die Schilderung des Klägers in der Untersuchung am 19. Januar 2005, dass dieser, wenn er allein sei, über sein Leben und die Veränderungen, die sich "seit der Scheidung im Jahr 2002" ergeben hätten, nachdenken müsse sowie den Hinweis auf "die hohe Hypothek, die er nun abzahlen müsse", zum Anlass, nach einer anderen Ursache für die festgestellten Gesundheitsstörungen Ausschau zu halten. Dabei weist der Kläger in der Untersuchungssituation ausweislich des Gutachtens gegenüber Dr. N. ausdrücklich darauf hin, dass ihn diese Dinge "zusätzlich" belasteten. Die Annahme einer Verschiebung der Wesensgrundlage lässt sich hierauf nicht stützen. Wenn Dr. N. des Weiteren zur Begründung seiner Einschätzung auf das Gutachten des Dr. L. vom 16. Januar 2003 verweist, so kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Vielmehr hat Dr. L. in Kenntnis der bei seiner Untersuchung am 8. Januar 2003 bereits erfolgten Scheidung und des sich abzeichnenden finanziellen Niedergangs bei einem vergleichbaren psychopathologischen Befund wie von Dr. N. erhoben nur von einer Verstärkung der depressiven Dekompensation durch die neueren lebensbiographischen Ereignisse gesprochen, die chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge aber weiterhin als führend für die Unterhaltung des Leidens angesehen. Auch haben weder Dr. M. noch Dr. S. bei dem Verletzten die von Dr. N. zur Unterstützung seiner Auffassung angeführten anankastischen und narzisstischen Züge gefunden. Auch Vorerkrankungen auf dem psychiatrischen Fachgebiet finden sich mit Ausnahme einer einmaligen depressiven Episode im August/September 1993 ausweislich des Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse (Blatt 444 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten, Bd. 3) entgegen der Behauptung der Beklagten nicht. Nach allem mögen die lebensbiographischen Veränderungen zur Verstärkung des Leidens geführt haben. Davon aber, dass sie die mittelbare Unfallfolge als Verursacher der psychischen Störung so zurückgedrängt haben, dass von stattgefundener Verschiebung der Wesensgrundlage auszugehen wäre, vermag sich der Senat nach allem nicht zu überzeugen. Da die Beklagte, die eine Änderung der Verhältnisse behauptet, aber hierfür die – objektive – Beweislast trägt, kann ihr Bescheid keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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