L 6 U 3494/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 U 2549/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3494/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts St. vom 27. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 6. August 1973.

Der 1941 geborene Kläger erlitt am 6. August 1973 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Gerüstbauhelfer einen Arbeitsunfall. Seinerzeit war eine Baudiele von einem Gerüst hinabgestürzt und ihm auf den Schädel gefallen. Der Kläger wurde noch am Unfallort notfallmäßig behandelt und sodann im K.-O.-Krankenhaus in St. stationär aufgenommen. Nach dem Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. R., Chefarzt der Chirurgischen Klinik im K.-O.-Krankenhaus, vom 6. August 1973 fand sich beim Kläger über dem linken Scheitelbein eine ca. acht cm lange, an den Rändern zerfetzte, stark blutende Platzwunde; außerdem war das linke Oberlid hämatomverfärbt und stark angeschwollen. Die Röntgenuntersuchung des Schädels ergab keinen sicheren Hinweis auf eine knöcherne Verletzung. Es wurden folgende Diagnosen gestellt: Kopfplatzwunde, Commotio cerebri, Verdacht auf Schädelbasisfraktur. Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit wurde mit acht bis zehn Wochen angegeben.

Auf die von der Beklagten veranlasste nervenärztliche Begutachtung erstattete der Nervenarzt Dr. W. unter dem 21. Mai 1974 ein nervenärztliches Gutachten, in dem er als Unfallfolgen "Narbe der linken Scheitelgegend. Sternförmiger Schädelgrundbruch im Bereich des linken Augenhöhlendaches mit Hirnbeeinträchtigung und dadurch bedingte Kopfbeschwerden" beschrieb, die er mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (v.H.) bewertete. Gestützt hierauf anerkannte die Württembergische Bau-Berufsgenossenschaft, Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet), die genannten Gesundheitsstörungen mit Bescheid vom 28. Januar 1975 als Unfallfolgen und gewährte dem Kläger ab 22. Oktober 1973 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. Dagegen erhob der Kläger beim Sozialgericht St. (SG) Klage (S 3 U 462/75) und machte die Gewährung einer höheren Rente geltend.

Während des Klageverfahrens erstattete Dr. W. das weitere nervenärztliche Gutachten vom 23. Juni 1975, dies allerdings nach Aktenlage, nachdem der Kläger seiner Einladung zur gutachtlichen Untersuchung nicht nachgekommen und auch sein Aufenthaltsort nicht zu ermitteln war. Darin ist ausgeführt, es könne angenommen werden, dass die leichte bis mittelschwere Gehirnerschütterung inzwischen folgenlos ausgeheilt sei, d.h. keine Kopfschmerzen mehr verursache. Als Unfallfolgen bezeichnete Dr. W. nunmehr noch folgende Gesundheitsstörungen: "Narbe der linken Scheitelgegend. Verheilter sternförmiger Schädelgrundbruch im Bereich des linken Augenhöhlendaches". Eine messbare MdE gehe hiervon nicht mehr aus.

Mit Bescheid vom 3. Juli 1975 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Dauerrente ab; gleichzeitig entzog sie die gewährte vorläufige Rente mit Ablauf des Monats August 1975. Dieser Bescheid wurde Gegenstand des beim SG anhängigen Klageverfahrens (S 3 U 462/75). Nach Einholung des Gutachtens des Prof. Dr. Dr. M. und des Dr. St., Neurologische Universitätsklinik T., vom 11. Mai 1976, die Unfallfolgen nicht mehr hatten objektivieren können, wies das SG die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung (L 10 Ua 2004/76) wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 12. Juni 1979 zurückgewiesen. Das LSG schloss sich der Einschätzung des Prof. Dr. Dr. M. und des Dr. St. an, wobei Prof. Dr. Dr. M. im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme vom 19. September 1978 ausführlich begründet hatte, weshalb dem vom LSG eingeholten Gutachten des Prof. Dr. B., Psychiatrische Klinik im Klinikum der Universität H., vom 18. November 1977, der als Unfallfolge einen mit einer MdE um 20 v.H. zu bewertenden Kopfschmerz angenommen hatte, nicht zu folgen sei. Auch die vom Kläger im Berufungsverfahren geltend gemachte Schädigung seines Seh- und Hörvermögens sah das LSG nicht als unfallbedingt an. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (2 BU 149/79) verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 26. Oktober 1979 als unzulässig.

Am 4. März 1999 wandte sich der Kläger an die Beklagte, machte geltend, mehrere Arbeitsunfälle erlitten zu haben, und beantragte die Gewährung von Verletztenrente. Neben der Kopfverletzung vom 6. August 1973 habe er am 26. August 1983 eine weitere sehr schwere Kopfverletzung erlittenen, weshalb er zehn Tage stationär behandelt worden sei. Folge hiervon seien sehr starke, kaum zu ertragende ständige Kopfschmerzen, wobei sich die Schmerzstelle vom Verletzungsort am Kopf entlang der Wirbelsäule bis zum Ende des Kreuzes erstrecke. Bei der "Biegung" sei der Schmerz noch stärker und er sehe Sterne und befinde sich in der Nähe einer Ohnmacht. Er sei total kraftlos, zittere und bekomme starkes Herzklopfen. Im linken Ohr habe er ständige sehr starke Geräusche und auf dem linken Auge sehe er nicht klar. Sämtliche gesundheitliche Probleme seien auf die genannten Arbeitsunfälle zurückzuführen. Er legte verschiedene medizinische Unterlagen vor. Mit Bescheid vom 1. April 1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente aus den genannten Unfällen mit der Begründung ab, die geklagten Beschwerden seien nicht Folge dieser Unfälle. Im Hinblick auf den Unfall vom 6. August 1973 sei dies bereits durch das Urteil des LSG vom 12. Juni 1979 bestätigt worden. Auch die am 26. August 1983 erlittene Commotio cerebri mit Kopfplatzwunde sei folgenlos ausgeheilt. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und legte verschiedene Arztberichte vor. Die Beklagte holte bei dem behandelnden Arzt Z. den Befundbericht vom 21. Juli 1999 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 1999 zurück.

Am 6. Juli 2006 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Verletztenrente, nunmehr wegen Unfällen vom 6. August 1973, 16. Februar 1994 und 26. August 1993 (gemeint: 1983). Hierzu legte er den Befundbericht des Arztes für Orthopädie Dr. Ph. vom 12. Juni 2006, das Attest des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. V. vom 26. Juni 2006, den Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 26. Juni 2006, den Arztbrief des Augenarztes Dr. D. vom 1. Juni 2006 sowie den Entlassungsbericht der Psychiatrischen Klinik im Bürgerhospital der Stadt St. vom 31. Dezember 1975 (stationärer Aufenthalt vom 22. Oktober bis 29. November 1975) vor. Nach Auswertung dieser Unterlagen durch den Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers in Bezug auf den Unfall vom 6. August 1973 mit Bescheid vom 26. Juli 2006 ab und führte zur Begründung aus, die derzeit vorliegenden Beschwerden seien nicht auf dieses Ereignis zurückzuführen. Entsprechendes sei bereits mit Urteil des LSG vom 12. Juni 1979 bestätigt worden; belegt werde dies auch durch die eingereichten Unterlagen. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe weiterhin Beschwerden, die auf die erlittenen Unfälle zurückzuführen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 19. Oktober 2006 beim SG Klage, mit der er wiederum geltend machte, die bei ihm gegenwärtig vorhandenen Beschwerden seien Folge der erlittenen Unfälle (S 9 U 7690/06). Das SG hörte Dr. V. unter dem 22. Dezember 2006, Dr. P. unter dem 12. Januar 2007, Dr. D. unter dem 17. Januar 2007, Dr. Ph. unter dem 20. Januar 2007 sowie die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. St. unter dem 21. Januar 2007 schriftlich als sachverständige Zeugen und wies mit Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2007 die Klage ab, da die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen in keinem Zusammenhang mit dem Unfall vom 6. August 1973 stünden. Hiergegen legte der Kläger am 19. Juni 2007 beim LSG Berufung ein. Zur Begründung verwies er auf die in Kopie vorgelegten Unterlagen (Rezept des Dr. D. vom 12. Juni 2007, Bescheinigung des Dr. Ph. vom 19. Juni 2007, Rezept des Dr. P. vom 4. Juni 2007, Attest des Dr. V. vom 19. Juni 2007) und machte geltend, sämtliche bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen, insbesondere auch die Knie-, Arm- und Schulterbeschwerden seien unfallbedingt (L 6 U 3369/07). Mit Urteil vom 24. Januar 2008 wies das LSG die Berufung zurück. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt:

"Das SG hat zutreffend dargelegt, dass der Kläger zwar durch erhebliche Beeinträchtigungen im Bereich des Haltungs- und Bewegungsapparates in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, die insoweit vorliegenden Erkrankungen, wie namentlich die Hüftarthrose, die Kniegelenksarthrose sowie die Bandscheibenschädigung, einschließlich der Nacken- und Kopfbeschwerden jedoch degenerativer Natur sind und nicht ursächlich mit dem in Rede stehenden Unfall vom 6. August 1973 in Zusammenhang gebracht werden können. Ein entsprechender Zusammenhang ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger bei diesem Unfall lediglich eine Schädelverletzung erlitten hat, weitere Verletzungen, gerade im Bereich der Wirbelsäule oder der unteren Gliedmaßen, aber ausdrücklich nicht dokumentiert sind. Soweit der Kläger im Rahmen des Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 23. Oktober 2007 einen Zusammenhang zwischen der Schädelverletzung und den Kniebeschwerden meinte herstellen zu können, weil das auf seinen Kopf aufgeschlagene Brett sich durch seinen Körper hindurch auch auf die Knie ausgewirkt habe, handelt es sich um eine laienhafte, schon als grotesk zu bezeichnende Erklärung, die jeder medizinischen Grundlage entbehrt. Da der Kläger bei dem in Rede stehenden Unfall auch im Bereich der oberen Extremitäten keine Verletzung erlitten hat, lässt sich gleichermaßen auch das von neurologischer Seite beschriebene Karpaltunnelsyndrom in keinen Unfallzusammenhang bringen.

Auch die beim Kläger zu objektivierende Schwerhörigkeit und die Sehstörung stehen in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der am 6. August 1973 erlittenen Schädelverletzung. Diesbezüglich hat sich das LSG bereits in seinem Urteil vom 12. Juni 1979 in dem Verfahren L 10 Ua 2004/76 ausführlich geäußert. Denn auch bereits in jenem Berufungsverfahren hatte der Kläger vorgebracht, durch den Unfall in seinem Seh- und Hörvermögen geschädigt worden zu sein. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat auf die seinerzeitigen Ausführungen des LSG in dem erwähnten Urteil. Aufgrund der vom Kläger im jetzigen Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich insoweit nichts anderes. Insbesondere vermag der Senat im Hinblick auf den von dem Augenarzt Dr. D. im Rahmen des vorgelegten Rezeptes vom 12. Juni 2007 bescheinigten Sehnervschaden, der (allerdings lediglich handschriftlich ergänzt) als Unfallfolgeschaden bezeichnet ist, nicht zu einer anderen Beurteilung gelangen. So ist der Bestätigung bereits nicht zu entnehmen, auf welches konkrete Schädeltrauma dieser Schaden zurückgeführt wird und wann dieses Trauma stattgefunden haben soll. Da zeitnah zu dem vorliegend in Rede stehenden Unfall eine Schädigung des Sehnerves aber auch gerade nicht dokumentiert wurde und Dr. D. im Rahmen seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 17. Januar 2007 dargelegt hat, dass er den Kläger erst seit Februar 1999 behandle, ist nicht erklärbar, weshalb die bescheinigte Sehnervschädigung nunmehr gerade mit dem hier zu beurteilenden Unfall in Zusammenhang gebracht wird und daraus abzuleiten sein soll, dass der Kläger im Rahmen seiner Schädelverletzung auch im Bereich des Sehnervs geschädigt wurde.

Letztlich steht auch das beim Kläger bescheinigte hirnorganische Psychosyndrom in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem angeschuldigten, mehr als 30 Jahre zurückliegenden Ereignis. Denn noch zeitnah zu dem Unfall vom 6. August 1973 konnte als Folge der Fortentwicklung der medizinischen Erkenntnismöglichkeiten bereits während des Verfahren vor dem LSG im Jahr 1976 auf Veranlassung des damaligen Sachverständigen Prof. Dr. B. beim Kläger eine Computertomographie des Schädels durchgeführt werden. Diese erbrachte aber gerade keinen Hinweis auf traumatisch bedingte Hirnsubstanzdefekte, weshalb der genannte Sachverständige im Rahmen seiner Ausführungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine gravierende Hirnsubstanzschädigung auch ausschloss. Ohne unfallbedingte Hirnsubstanzschädigung ist ein Zusammenhang mit der beim Kläger später eingetretenen hirnorganischen Wesensänderung jedoch nicht herzustellen, so dass auch das beim Kläger diagnostizierte hirnorganische Psychosyndrom nicht in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Unfall gebracht werden kann.

Da die beim Kläger ausweislich der vorgelegten Unterlagen zu objektivierenden Gesundheitsstörungen somit sämtlich unfallunabhängig entstanden sind, hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, dem Kläger Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztenrente zu gewähren. Nach alledem konnte auch die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben."

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wurde durch Beschluss des BSG vom 13. März 2008 abgelehnt und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen (B 2 U 45/08 B).

Mit Schreiben vom 4. Dezember 2008 beantragte der Kläger erneut bei der Beklagten die Überprüfung der Unfälle aus den Jahren 1973 und 1983. Seine Gesundheitsstörungen hätten sich verschlechtert, er sei sehr krank. Ärztliche Bescheinigungen oder sonstige medizinische Unterlagen legte er nicht vor (B 2 U 45/08 B).

Mit Bescheid vom 20. März 2009 wies die Beklagte unter Bezugnahme auf das Urteil des SG vom 30. Mai 2007 und das Senatsurteil vom 24. Januar 2008 den Antrag ab. Die Folgen des Unfalles vom 6. August 1973 seien folgenlos ausgeheilt. Die jetzt noch vorliegenden Beschwerden seien nicht auf diesen Unfall zurückzuführen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und legte das Attest des HNO-Arztes Dr. V. vom 21. Juli 2009 (Hyposmie, Hypacusis) und des Facharztes für Augenheilkunde Dr. P.-K. vom 22. Juli 2009 (Cataract, Blepharoptosis, oculäre Hypertension, Patient leidet u. a. an Erkrankungen, die auf einen Unfall von 1973 zurückzuführen sind) vor. Mit Schriftsatz vom 28. September 2009 zeigte der klägerische Bevollmächtigte eine Mandatierung an und stellte "den Antrag nach § 44 Abs. 2 SGB X betreffend die drei Arbeitsunfälle vom 08.08.1973, 26.08.1983 sowie vom 16.02.1994." Die Beklagte informierte den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 13. Januar 2010 darüber, dass noch kein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 44 SGB X aufgenommen worden, hinsichtlich des Bescheides vom 20. März 2009 aber noch das Widerspruchsverfahren anhängig sei. Mit Schreiben vom 9. Februar 2010 teilte der Kläger mit, er wolle das Widerspruchsverfahren aufrecht erhalten. Seine Beschwerden seien Folgen des Unfalles von 1973. Handschriftlich ergänzte der Kläger: " Ich will von 1973, alles andere vergessen. Sofort Antworten revision". Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da Folgen des Unfalles vom 6. August 1973, die die Annahme einer MdE rentenberechtigenden Grades zulassen würden, nicht vorlägen.

Hiergegen hat der Kläger am 27. April 2010 Klage beim SG erhoben und zur Begründung geltend gemacht, er leide seit dem Arbeitsunfall vom 6. August 1973 u. a. unter zunehmenden Kopfschmerzen, zerebralen Durchblutungsstörungen, Schwerhörigkeit und Sehstörungen. Mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und in Ergänzung zu den vorgenannten gerichtlichen Entscheidungen ausgeführt, einem Anspruch des Klägers auf Verletztenrente stehe für die Zeit von September 1975 bis 31. Dezember 2003 bereits § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegen, wonach Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme, bzw. wenn die Rücknahme auf Antrag erfolge ab Antragstellung, erbracht würden. Es komme aber auch darüber hinaus kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente in Betracht. Der Kläger habe im Rahmen des Überprüfungs- und Klageverfahrens keinen neuen Sachverhalt, sondern lediglich Erkrankungen vorgetragen, mit denen sich das LSG und zuvor das SG bereits in ihren Entscheidungen explizit auseinander gesetzt hätten und für die sie einen Zusammenhang mit dem Unfall vom 6. August 1973 abgelehnt hätten. Aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Befundberichten ergäbe sich keine abweichende Entscheidung.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. August 2011 Berufung eingelegt. Am 12. September 2011 hat der Kläger ein Anlagenkonvolut (Bl. 22 bis 81 Senatsakte) übergeben und zur Niederschrift auf der Geschäftsstelle erklärt, er möchte, dass sein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente am (gemeint: ab) dem 1. September 1975 aufgrund eines Unfalles vom 6. August 1973 nochmals überprüft werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts St. vom 27. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 3. Juli 1975 zurückzunehmen und ihm unter Anerkennung seiner Gesundheitsstörungen als Folgen des Unfalls vom 6. August 1973 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat den Rechtstreit mit den Beteiligten am 17. Januar 2012 erörtert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Gerichtsakten (L 6 U 3369/08, L 8 U 4876/08) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 3. Juli 1975 und auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Gesundheitsstörungen infolge des Arbeitsunfalles vom 6. August 1973.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG, SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 23; Wiesner in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 44 RdNr. 13). Während im Falle eines Verschlimmerungsantrages nach § 48 SGB X zu prüfen ist, ob der aktuelle Sachverhalt noch mit den zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes maßgebenden Verhältnissen übereinstimmt, kann im hier beantragten Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X nicht eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach Erlass des Bescheides geltend gemacht werden. Prüfungsgegenstand ist vielmehr, ob die damalige Beurteilung der Sach- und Rechtslage auch unter Berücksichtigung neuer Tatsachen oder neuer rechtlicher Gegebenheiten noch Geltung besitzt. Eine Abänderung des ursprünglichen Bescheides kommt nach § 44 SGB X somit nur in Betracht, wenn der neue Sachverhalt oder die geänderten gesetzlichen Umstände die Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Verwaltungsaktes bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses beeinflussen.

Solche Tatsachen hat der Kläger weder im Verwaltungs- noch im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, die die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 3. Juli 1975 in Frage stellen würden. Insoweit kann vollumfänglich auf die Urteile des LSG vom 12. Juni 1979 und 24. Januar 2008 verwiesen werden.

Auch aus den vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich nicht, dass der Kläger am 3. Juli 1975 an Gesundheitsstörungen gelitten hat, die auf den Arbeitsunfall vom 6. August 1973 zurückzuführen sind und eine MdE rentenberechtigenden Grades bedingen.

Der Arztbrief des Prof. Dr. Sp. vom 31. Dezember 1975 zum stationären Aufenthalt des Klägers vom 22. Oktober bis 29 November 1975 im Bürgerhospital Stadt St., Psychiatrische Klinik, (depressiv-hypochondrische Entwicklung, Harnwegsinfekt) war bereits Gegenstand des Urteils des LSG vom 12. Juni 1979. Im dort eingeholten Gutachten vom 18. November 1977 berichtete Prof. Dr. B., das u. a. die Krankenblätter der Psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals ausgewertet wurde. Keiner der gutachterlich gehörten Sachverständigen hat die psychischen Erkrankungen des Klägers auf das Unfallereignis vom 6. August 1973 zurückgeführt. Vielmehr haben alle übereinstimmend diese mit einer eindeutig unfallunabhängigen abnormen Persönlichkeitsentwicklung, für deren Zustandekommen das Unfallereignis lediglich einen austauschbaren Punkt der Thematisierung und des monokausalen Bezuges dargestellt hat, begründet (vgl. Gutachten Prof. Dr. B., Bl. 62 d. V-Akte, Gutachten Prof. Dr. Dr. M. und Dr. St., Bl. 31 und 70 d. V-Akte). Eine hiervon abweichende ärztliche Einschätzung des kausalen Zusammenhangs findet sich auch in den vom Kläger vorgelegten Befundberichten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 4. August 2009 und 18. Februar 2008 nicht. Soweit dieser u.a. ein "initiales HOPS F07.9 nach posttraumatischer Belastungsstörung F43.1Z" (Befundbericht vom 18. Februar 2008) bzw. "initiales HOPS F07.9 nach posttraumatischer Belastungsstörung F43.1Z Arbeitsunfall 1973" (Befundbericht vom 4. August 2009) diagnostiziert hat, ergibt sich hieraus für den Senat noch keine nachvollziehbare Darstellung eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis am 6. August 1973 und dem hirnorganischen Psychosyndrom. Dass ein solcher Zusammenhang mit dem fast 40 Jahre zurückliegenden Ereignis nicht besteht, hat das LSG in seinem Urteil vom 24. Januar 2008, auf das auch insoweit Bezug genommen wird, im Einzelnen dargelegt und begründet.

Traumatisch bedingte, auf den Unfall vom 6. August 1973 zurückzuführende Hirnsubstanddefekte, die eine Wesensänderung des Klägers begründen könnten, hat auch Dr. P. nicht festgestellt. Vielmehr haben auch die bei ihm durchgeführten Untersuchungen ein "gut ausgeprägtes &945; Hirnstrombild, 11/s, 25µV. Kein Krampfgeschehen, kein konstanten Herdbefund" gezeigt. Die Prüfung des visuell evozierten Potentials (VEP) ergab: "optisch bei Serienreizung werden nach Form, Dauer und Amplitude regelrechte Graphoelemente summiert & gerechnet an Mittelwert. Der P2-Wert zeigt 104 ms links & 102 ms rechts Latenzen (N von 100-115 ms)." (Bl. 28 Senatsakte). Ohnehin können seinen Berichten keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden, wie der Gesundheitszustand des Klägers zum Zeitpunkt des Erlasses des hier zur Überprüfung gestellten Bescheides vom 3. Juli 1975 gewesen ist. Denn der Kläger steht erst seit dem 16. Februar 1999 in Behandlung bei Dr. P ...

Dies gilt entsprechend für die weiteren vom Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen. Soweit der Facharzt für Augenheilkunde Dr. P.-K. in seinen Attesten vom 3. und 22. Juli 2009 (Bl. 263 d. V-Akte, Bl. 32 d. Senatsakte) einen kausalen Zusammenhang zwischen Erkrankungen und dem Unfall von 1973 bejaht, fehlt es bereits an einer konkreten Bezeichnung, welche Erkrankungen hiermit gemeint sind und wann diese aufgetreten sein sollen. Dass der Kläger durch den Arbeitsunfall am 6. August 1973 verletzt worden ist, ist hinlänglich dokumentiert. Die hier festgestellten kausalen Gesundheitsstörungen sind indes seit langem abgeheilt, ohne Folgeschäden rentenberechtigenden Grades ausgelöst zu haben. Dass der Kläger durch den Unfall vom 6. August 1973 nicht in seinem Seh- und Hörvermögen geschädigt worden ist, ist in den Urteilen des LSG vom 12. Juni 1979 und 24. Januar 2008 rechtskräftig festgestellt worden. Medizinische Tatsachen, die diese Auffassung widerlegen könnten, hat Dr. P.-K. in den genannten Attesten noch nicht einmal genannt, geschweige denn durch entsprechende Untersuchungen oder Auswertungen früherer Untersuchungsergebnisse belegt.

Auch dem von Dr. D. ausgestellten Rezept vom 12. Juni 2007 kommt kein entsprechender Erkenntniswert zu. Dies hat das LSG in seinem Urteil vom 24. Januar 2008 bereits dargestellt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. In dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des Dr. D. vom 11. März 1999 an das Versorgungsamt St. wird angegeben, aufgrund des Unfalles vor ca. 26 Jahren sei eine retrobulbäre Schädigung als Folgeerscheinung, Schädigung des Opticus, zurückgeblieben. Da sodann aber eingeräumt wird, keine genauen Angaben dazu machen zu können, da weder der Kläger noch sein Hausarzt genauere Verletzungsdaten vorweisen könnten, muss die Bejahung eines Kausalzusammenhangs zwischen der 1999 diagnostizierten Augenschädigung und dem Unfallereignis vom 6. August 1973 als reine Spekulation ohne belegbaren Tatsachenkern bewertet und somit abgelehnt werden.

Die von Dr. Ph., Arzt für Orthopädie, Chirotherapie - Sportmedizin, ausgestellten fachärztlichen Bescheinigungen vom 27. Oktober 2006 und 7. Mai 2001 (Bl. 38 und 52 d. Senatsakte) stellen keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den diagnostizierten Erkrankungen her. Es wird vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Beurteilung mangels Information nicht möglich sei.

Das undatierte den Kläger betreffende ärztliche Attest des Dr. St. (dessen Attest vom 29. März 2007 betrifft die Ehefrau des Klägers) berichtet zwar über eine hausärztliche Behandlung u. a. wegen "Zustand nach Arbeitsunfall 1973 mit schwerer Kopfverletzung und Spätfolgen wie Kopfschmerzen". Seit wann diese Spätfolgen vorliegen, insbesondere ob sie bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des hier maßgeblichen Bescheides bestanden haben, wird indes ebenso wenig dargelegt wie der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns bei Dr. St ... Nachdem im Urteil des LSG vom 12. Juni 1979 auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. M. und Dr. St. festgestellt worden ist, dass und warum zwar in den ersten 2 Jahren nach dem Unfall eine Fraktur im Bereich der linken vorderen Schädelgrube die Ursache von belastungsabhängigen Kopfschmerzen sein kann, mit der röntgenologisch ersichtlichen Abheilung der Schädelfraktur spätestens Ende August 1975 aber die vom Kläger weiterhin geklagten Kopfschmerzen nicht mehr auf dem Unfallereignis beruhen können, können dem Attest des Dr. St. keine dem widersprechenden medizinischen Erkenntnisse entnommen werden, die eine abweichende Beurteilung des Sachverhaltes i. S. des § 44 Abs. 1 SGB X rechtfertigen würden.

Dies gilt in gleicher Weise für die Atteste des HNO-Arztes Dr. V. vom 19. Juni 2007 und 26. Juni 2006 (Bl. 54 und 26 d. Senatsakte). Soweit hierin angegeben wird, der Kläger sei seit über dreißig Jahren bzw. seit dem Unfall 1973 Hörgeräteträger, beruht diese Feststellung ausschließlich auf den eigenen Angaben des Klägers. Dr. V. behandelt den Kläger erst seit Februar 1999. In keinem der eingeholten Gutachten findet sich indes ein Hinweis auf eine Hörgeräteversorgung des Klägers. Demgegenüber hat Prof. Dr. T./Dr. W., HNO-Klinik des K. St., in seinem Arztbericht vom 21. November 1978 ausgeführt, dass der Kläger anlässlich seiner Untersuchung dort zwar audiometrisch eine Taubheit links angegeben habe, nach Stenger-Test und Stapediusreflex höre er jedoch annährend normal auf dem linken Ohr. Nach dem bei Dr. W. eingeholten Gutachten vom 22. Oktober 1973 hat der Kläger lediglich 2 Tage lang nach dem Unfall auf dem rechten Ohr schlecht gehört. Die Behauptung des Klägers, er trage bereits seit dem Unfall vom 6. August 1973 ein Hörgerät, ist daher unzutreffend.

Da somit bei Erlass des Bescheides vom 3. Juli 1975 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, besteht kein Anspruch des Klägers auf Rücknahme des Bescheides nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dass darüber hinaus einem Leistungsanspruch des Klägers für Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegensteht, hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid, auf den insoweit Bezug genommen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), zutreffend ausgeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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