S 18 KR 853/08

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 853/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Versicherte jenseits des 20. Lebensjahres sind vom Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln ausgeschlossen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die unterbliebene Gleichstellung geistig behinderter Menschen mit bis 20-Jährigen auf eine
I. Der Bescheid vom 13.11.2008 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 29.08.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

III. Der Streitwert wird auf 25,84 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Arzneimittelkostenregress wegen der Verordnung empfängnisverhütender Arzneimittel für eine im Verordnungszeitpunkt über 20 Jahre alte Versicherte. Bei der Beigeladenen zu 1 handelt es sich um eine Gemeinschaftspraxis zweier Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Im Quartal III/2007 verordneten die Ärzte der Beigeladenen zu 1 in drei Fällen empfängnisverhütende Arzneimittel für Versicherte der Klägerin, die im Verordnungszeitpunkt das 20. Lebensjahr überschritten hatten. Die Klägerin wurde nach Abzug von Rabatten und Zuzahlungen mit Nettoverordnungskosten in Höhe von 68,72 EUR belastet. Hiervon entfielen 25,84 EUR auf die Verordnung von Depo-Clinovir Fertigspritzen am 28.08.2007 für die am 18.08.1987 geborene Patientin G. Die Klägerin beantragte am 02.09.2008 mit Schreiben vom 29.08.2008 die Festsetzung eines Regresses gegen die Beigeladene zu 1 wegen der Verordnung von der Leistungspflicht ausgeschlossener Leistungen. Die Ärzte der Beigeladenen zu 1 wiesen in einer Stellungnahme zu dem Regressantrag hinsichtlich der Verordnung der Depo-Clinovir Fertigspritzen vom 28.08.2007 darauf hin, dass die Patientin G. an einem frühkindlichen Hirnschaden leide. Sie sei sexuell hyperaktiv bei fehlender Bildungs- und sozialer Kontaktfähigkeit. Eine Sterilisation sei nicht möglich. Der Ausschluss der Menstruation sei hygienisch erwünscht. Die Verordnung sei medizinisch, ethisch, wirtschaftlich und hygienisch sinnvoll. Die Beklagte setzte mit Prüfbescheid vom 13.11.2008 gegen die Beigeladene zu 1 einen Regress in Höhe von 42,88 EUR fest. Hinsichtlich der übrigen Nettoverordnungskosten in Höhe von 25,84 EUR auf Grund der Verordnung von Depo-Clinovir Fertigspritzen für die Patientin G. begründete die Beklagte den Verzicht auf die Festsetzung eines Regresses unter Hinweis auf einen ähnlich entschiedenen Einzelfall. Hiergegen richtet sich die am 10.12.2008 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 08.12.2008. § 24a Abs. 2 SGB V sei eindeutig. Der Wunsch nach Ausschluss der Menstruation aus hygienischen Gründen rechtfertige keine Verordnung zu Lasten der Kasse. Es gebe auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Die Urteile des Bundessozialgerichts vom 13.02.1975, Az. 3 RK 68/73, und vom 24.01.1990, Az. 3 RK 18/88, seien nicht einschlägig, da sie vor dem Inkrafttreten des § 24a Abs. 2 SGB V ergangen seien. Dass die Geburt eines behinderten Kindes hätte verhindert werden sollen, sei nicht dargelegt. Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 13.11.2008 aufzuheben, soweit ihrem Antrag nicht stattgegeben worden ist, und die Beklagte zu verurteilen, über ihren Antrag vom 29.08.2008 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Entscheidung gegen einen Regress habe sie in Abwägung von Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit getroffen. Die Nichtberücksichtigung geistig Behinderter in § 24a Abs. 2 SGB V sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Behinderte erführen gesamtgesellschaftliche, alle Bereiche des Zusammenlebens betreffende Sonderregelungen. Die Patientin wäre nicht in der Lage, im Fall einer Schwangerschaft die Erziehung und wirtschaftliche Versorgung des Kindes zu übernehmen. Eine Kostenübernahme sei der Krankenkasse wirtschaftlich zumutbar und humanitär einzig akzeptabel. Die Beigeladene zu 1 ist, ohne einen Antrag zu stellen, der Klage entgegen getreten. Die Patientin leide seit ihrer Geburt an einem extrem ausgeprägten Hirnschaden und sei sozial betreuungspflichtig. Auf Grund des Gesundheitszustandes sei eine Gravidität nicht wünschenswert, nicht zumutbar und nicht erstrebenswert. Eine orale Kontrazeption erscheine nicht sicher, eine operative Intervention wäre mit erheblichen Risiken verbunden. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Prüfbescheid ist rechtswidrig, soweit der Beklagte von der Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung von Depo-Clinovir für die Patientin G. unter Hinweis auf eine gleichlautende frühere Entscheidung abgesehen hat. Insoweit ist die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten. Gemäß § 24a Abs. 2 1. Halbsatz SGB V haben Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln, soweit sie ärztlich verordnet werden. Dies bedeutet: Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln haben Versicherte nur bis zum vollendeten 20. Lebensjahr, Versicherte jenseits des 20. Lebensjahres sind vom Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln ausgeschlossen. Gründe, hiervon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die unterbliebene Gleichstellung geistig behinderter Menschen mit bis 20-Jährigen auf einer planwidrigen Lücke des Gesetzes beruhen würde. Die Ablehnung des Regressantrags lässt sich auch nicht auf die bisherige Praxis der Prüfgremien in ähnlichen Konstellationen stützen. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung kommt nur im Rahmen rechtmäßigen Handelns in Betracht. Allerdings hatte Bundessozialgericht durch Urteil vom 13.02.1975, Az. 3 RK 68/73, klargestellt, dass Handlungen, die den Eintritt einer Schwangerschaft und damit die Entstehung von Leben verhindern sollen, vom Begriff her nicht mehr zur Krankenhilfe im Sinne des § 182 RVO gehören, indessen unter besonderen Voraussetzungen Teil der von den Krankenkassen zu gewährenden Krankenhilfe sein können, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um von der Versicherten die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihres körperlichen oder ihres geistig-seelischen Gesundheitszustandes abzuwenden (medizinische Indikation). Im Urteil vom 24.01.1990, Az. 3 RK 18/88, hat es darüber hinaus eine embryonale Schädigung zugleich als psycho-physische Gesundheitsbeeinträchtigung der Mutter angesehen und Kontrazeptiva, um den Eintritt einer solchen Schädigung infolge der Nebenwirkung eines Arzneimittels zu verhindern, der Krankenbehandlung mittels Arzneimitteln und nicht der aus dem Leistungskatalog ausgeschlossenen Empfängnisverhütung zugeordnet. Die Kammer lässt offen, ob diese Abgrenzung zwischen Empfängnisverhütung und Krankenbehandlung nach der Aufnahme empfängnisverhütender Mittel für bis 20-Jährige in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung noch Geltung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen, um die Verschreibung des Präparats nach den Kriterien dieser Rechtsprechung ausnahmsweise der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 und § 31 SGB V zuzurechnen, so dass es auf die Voraussetzungen für die Leistung empfängnisverhütender Mittel nach § 24a Abs. 2 1. Halbsatz SGB V nicht ankäme, sind hier nicht erfüllt. Eine Krankheit der Patientin sollte durch die verordneten Fertigspritzen ebenso wenig geheilt oder verhindert werden wie die Erkrankung eines ungeborenen Kindes. Dass im Falle einer Schwangerschaft überhaupt die Gefahr einer Erkrankung des Kindes bestanden hätte, ist weder von der Beigeladenen zu 1 vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Hygienische Erwägungen allein reichen nicht aus. Unsauberkeit ist ebenso wenig eine Krankheit wie promiskes Verhalten, das mit Kontrazeptiva ohnehin nicht unterbunden werden kann. Die Verhinderung einer Schwangerschaft aus sozialen Gründen gehört darüber hinaus nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Insoweit wäre allenfalls zu erwägen, ob nicht Unterstützungsleistungen der Sozialhilfe in Betracht kommen, sei es, um die nicht vom Regelbedarf umfassten Kosten empfängnisverhütender Mittel ganz oder teilweise zu übernehmen, sei es, um Hilfen zur Erziehung bereitzustellen. Keinesfalls aber hat die Klägerin hierfür als Kostenträger einzustehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 1 Nr. 4 GKG und § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG nach der sich aus dem Klageantrag ergebenden Bedeutung der Sache festzusetzende Streitwert entspricht dem streitgegenständlichen Regressbetrag (§ 52 Abs. 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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