L 13 AL 1222/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 973/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 1222/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Erstattung gezahlter Leistungen; hierbei ist streitig, ob es sich bei der Tätigkeit des Klägers als Koch im Betrieb seiner Ehefrau (Beigeladene) um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handelte.

Am 25. Juni 2007 meldete sich der Kläger -gegebenenfalls mit Wirkung zum 30. Juni 2007- arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Bei einer Vorsprache am 3. Juli 2007 bei der Arbeitsvermittlerin Ho. gab der Kläger nach einem Vermerk an, er habe sich von seiner Frau getrennt. Sie hätten aber zusammen eine Wirtschaft betrieben. Er sei als Ehemann auf 420 EUR - Basis angestellt gewesen (s. Blatt 197 der Verwaltungsakten der Beklagten). Am 11. Juli 2007 teilte er mit, seine Arbeitgeberin (Frau) weigere sich, die Bescheinigung richtig auszufüllen. Seine wöchentliche Arbeitszeit habe zwischen 100 und 120 Stunden betragen; sie möchte nur eine geringfügige Beschäftigung bestätigen, da das Einkommen laut Ehegattenarbeitsvertrag nur 420 EUR betragen habe. Nach der Arbeitsbescheinigung der Ehefrau vom 19. Juli 2007 war der Kläger als mithelfender Familienangehöriger vom 1. Januar 2006 bis 29. Juni 2007 als Koch in Teilzeit (durchschnittlich 11 Stunden wöchentlich) beschäftigt zu einem Bruttolohn von 420 EUR monatlich. Laut des von der Ehefrau ausgefüllten Feststellungsbogens war der Kläger an 3-6 Arbeitstagen durchschnittlich 11 Stunden wöchentlich tätig; weitere Fragen im Vordruck zur Arbeitszeit wurden nicht beantwortet. Der Kläger sei aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung tätig gewesen, sei wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert gewesen und sei an tatsächlich erfolgte Weisungen gebunden gewesen. Der Kläger habe bei der Führung des Betriebes nicht mitgewirkt; die Mitarbeit sei aufgrund familienhafter Rücksichtnahmen durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt gewesen. Ein Urlaubsanspruch und eine Kündigungsfrist sei nicht vereinbart gewesen. Eine Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit habe nicht stattgefunden; der Kläger sei nicht krank gewesen. Das Arbeitsentgelt habe nicht dem tariflichen bzw. ortsüblichen Lohn entsprochen; die Frage im Vordruck nach den Gründen wurde nicht beantwortet. Das Arbeitsentgelt sei nicht regelmäßig (so unter Ziff. 2.13 des Vordruckes; ohne Angaben von Gründen) bzw. wegen mündlicher Abrede nicht gezahlt worden (so unter Ziff. 2.15 des Vordruckes). Die Frage, ob von dem Arbeitsentgelt Lohnsteuer entrichtet worden sei, wurde nicht beantwortet. Das Arbeitsentgelt sei nicht als Betriebsausgaben gebucht worden. Zu der Beschäftigung sei kein Beitragsbescheid eines Sozialversicherungsträgers erteilt worden. Der Kläger sei nicht am Betrieb beteiligt gewesen, habe kein Darlehen gewährt oder Bürgschaften/Sicherheiten übernommen. Der Betrieb habe über kein Anlage- oder Umlaufvermögen im (Mit-) Eigentum des Klägers verfügt. Sie habe den Betrieb gepachtet. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag war nicht beigefügt, aber die Kündigung der Ehefrau des Klägers vom 20. Juni 2007 zum 29. Juni 2007. Die Kündigung erfolgte hiernach, da sie die private Trennung als Ehepaar wünsche und eine weitere Beschäftigung für beide Seiten unzumutbar sei. Über die Bezahlung der seit Februar 2005 ausstehenden Löhne werde eine Vereinbarung geschlossen. Nach dem ebenfalls vorgelegten Arbeitszeugnis vom 20. Juni 2007 war der Kläger vom 1. April 2003 bis 29. Juni 2007 in ihren Betrieben in Pf. (Gasthaus Gr. H.) und Li. (Landgasthaus Pi.) als Küchenchef, im Thekenbereich sowie in weiteren Bereichen tätig. Es habe ihm neben Kochen auch der Wareneinkauf und -kontrolle, aber auch die Event- und Cateringplanungen und deren Durchführung oblegen. Ferner sei er für den Schriftverkehr und die Gestaltung der Speisekarte verantwortlich gewesen. Ferner waren eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung vom 16. Februar 2006, die eine Anmeldung (Beschäftigungsbeginn) ab 1. Januar 2006 ausweist, und eine Lohnabrechnung vom 17. April 2007 für April 2007 beigefügt, die einen Lohn von 420 EUR bescheinigt. Mit Bescheid vom 23. Juli 2007 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 30. Juni bis 6. Juli 2007 wegen verspäteter Meldung als arbeitssuchend fest und bewilligte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 23. Juli 2007 Alg für den Zeitraum vom 7. Juli 2007 bis zum 28. Februar 2008 in Höhe des täglichen Leistungsbetrages von 6,55 EUR. Am 24. Juli 2007 teilte der Kläger der Beklagten mit, der zu Beginn der Tätigkeit vereinbarte Umfang über 11 Wochenstunden sei innerhalb kürzester Zeit auf 102 Stunden erhöht, die Gesamtforderung sei für den gemeinsamen Betrieb gestundet worden. Nachdem der gemeinsame Betrieb erloschen sei, sei auch die Stundung hinfällig. Eine Nachberechnung der effektiven Stunden müsse arbeitsgerichtlich verfolgt werden. Am 26. Juli 2007 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid; am 22. Juni 2007 habe er die Kündigung erhalten, am 25. Juni habe er sich telefonisch bei der Beklagten gemeldet, am 2. Juli 2007 persönlich vorgesprochen und am 5. Juli 2007 einen Termin beim Vermittler gehabt. Am selben Tag erhob der Kläger auch gegen den Bewilligungsbescheid Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, er sei bei seiner Ehefrau beschäftigt gewesen. Sie hätten einen Hotelbetrieb mit Gaststätte gehabt. Er habe täglich ca. 11-12 Stunden gearbeitet. Inzwischen habe er erfahren, dass er nur Teilzeit angemeldet gewesen sei. Erst jetzt habe er entsprechende Lohnabrechnungen erhalten. Das Entgelt sei auf ein gemeinsames Konto gegangen. Das gesamte Entgelt werde jetzt eingeklagt. Es habe einen (schriftlichen) Arbeitsvertrag gegeben, den seine Ehefrau habe; er habe keine Ausfertigung gehabt. Anfangs (2005) sei er Teilzeit geschrieben worden; auf Grund der Entwicklung des Betriebes sei die Arbeitszeit ständig erhöht worden, so dass innerhalb kürzester Zeit die Arbeitszeit 11-12 Stunden täglich (ca. 100 Wochenstunden) betragen habe. Mit "Änderungsbescheid" vom 14. September 2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 2008 Alg mit einem täglichen Leistungssatz von weiterhin 6,55 EUR. Im Rahmen der erfolgten Anhörung zur Aufhebung der Alg-Bewilligung gab der Kläger an, es habe ein Arbeitsvertrag bestanden. Die rückständigen Löhne würden vom Arbeitsgericht anerkannt und tituliert; die Ehefrau habe aber Insolvenz beantragt. Durch Bescheid vom 27. November 2007 nahm die Beklagte die Bewilligung ab dem 30. Juni 2007 zurück, da der Kläger bei seiner Ehefrau nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Ihm sei Alg vom 7. Juli bis 14. November 2007 in Höhe von 844,95 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Zusammen mit den zu erstattenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung (213,93 EUR und 24,25 EUR) habe er 1.083,13 EUR zu erstatten. Mit Bescheid vom 19. November 2007 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab 15. November 2007 wegen Arbeitsaufnahme auf. Die Widersprüche des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2008 als unbegründet zurück. Ein Anspruch des Klägers auf Alg habe nicht bestanden, da er die erforderliche Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Über den Eintritt einer Sperrzeit sei nicht zu befinden, da überhaupt kein Anspruch bestehe.

Hiergegen hat der anwaltlich vertretene Kläger mit Schriftsatz vom 4. März 2008 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 27. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben. Diesen Antrag hat er mit Schriftsatz vom 16. Juni 2008 wiederholt. Der Kläger sei davon ausgegangen, dass er als Arbeitnehmer angemeldet und versichert war; Versäumnisse des Arbeitgebers könnten ihm nicht angelastet werden. Mit Beschluss vom 26. Januar 2009 wurde die Ehefrau des Klägers beigeladen. Die Beigeladene hat gegenüber dem SG telefonisch angegeben, ihr Ex-Mann habe nicht 180 Stunden gearbeitet, was er bescheinigt haben wolle; er habe lediglich einen Job auf Basis von 400 EUR gehabt. Am 13. März 2009 hat sie noch mitgeteilt, dass sie keinerlei Unterlagen mehr habe. Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger sei bei seiner Ehefrau nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Er habe die Gaststätten mit seiner Ehefrau gemeinsam betrieben und nach seinen Angaben bis zu 102 Stunden wöchentlich gearbeitet. Hierbei habe er laut Angaben seiner Ehefrau seine Tätigkeit frei bestimmen können und die Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau sei aufgrund familiärer Rücksichtnahme durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander geprägt gewesen. Er habe weder einen Anspruch auf Urlaub gehabt, noch sei eine Kündigungsfrist vereinbart worden. Das Arbeitsentgelt habe nicht dem tarifüblichen Lohn entsprochen und sei unregelmäßig gezahlt worden. Der Kläger hätte damit seine fehlende Arbeitnehmereigenschaft erkennen müssen.

Am 17. Juli 2009 hat das SG eine mündliche Verhandlung durchgeführt; die Beteiligten angehört und den Zeugen Josef Br. vernommen. Der Kläger hat vorgetragen, seine Arbeitszeit habe 18 Stunden die Woche oder auch mehr, meistens über 100 Stunden betragen. Hierfür habe er ein monatliches Entgelt in Höhe von 420,00 EUR erhalten; mehr Geld sei einfach nicht da gewesen. Ab Februar 2005 seien ihm keine Löhne mehr bezahlt worden; im Rahmen eines Prozesses vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe sei seine Ehefrau jedoch zur Zahlung der rückständigen Löhne verurteilt worden. Primär habe er als Koch gearbeitet, jedoch auch Einkäufe erledigt, an der Theke ausgeholfen, die Speisekarte gestaltet und Bürotätigkeiten wahrgenommen. Eine Nachfrage beim Steuerberater habe ergeben, dass ein Ehegatten-Arbeitsvertrag bestanden habe. Dieser habe keinen Urlaubsanspruch enthalten; ob eine Kündigungsfrist oder eine Regelung über die Fortzahlung im Krankheitsfall vereinbart worden sei, könne er wirklich nicht mehr genau sagen. Dieser Arbeitsvertrag sei nicht mehr auffindbar. Es habe ein Firmenkonto gegeben, auf das er keinen Zugriff gehabt habe. Er habe ein Privatkonto gehabt; der Lohn sei aber immer bar ausbezahlt worden, um Bankgebühren zu sparen. Angefochten sei auch die Sperrzeit und die Höhe des Alg.

Die Beigeladene hat vorgetragen, die Angaben des Klägers würden im Großen und Ganzen stimmen. Kaufmännische Tätigkeiten, die nicht mit Lebensmitteln zusammen hingen, habe sie gemacht. Der Kläger hätte keine rechtliche Entscheidungsbefugnis gehabt. Sie hätte am Ende bestimmt, was gemacht werde.

Der Zeuge hat ausgesagt, der Kläger habe die ganze Woche ab 9 oder 10 Uhr morgens immer bis 23 Uhr gearbeitet. Soweit er wisse, hätten Kläger und Beigeladene gemeinsam entschieden, was auf die Speisekarte komme. Der Kläger habe den Einkauf vorgenommen. Das SG hat die Akten des Arbeitsgerichts Karlsruhe XX Ca XXX/XX beigezogen. Der Kläger hat hierauf vorgetragen, diese würde mit nicht zu widerlegender Deutlichkeit die Auffassung des Klägers bestätigen. Die Beigeladene hat mitgeteilt, der Kläger sei bei ihr angestellt und mit dem Entgelt zufrieden gewesen. Essen, Trinken, Rauchen, Auto-Versicherungen seien von ihr bezahlt worden. Mit Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei in einer Gesamtschau nicht abhängig beschäftigt gewesen, was er in Anbetracht der deutlichen Unterschiede zu einem gewöhnlichen Arbeitnehmer auch wissen musste, so dass eine rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung berechtigt war.

Am 11. März 2010 hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, es handele sich um eine Überraschungsentscheidung, da nach dem Verlauf der Verhandlung keiner der Beteiligten von einer Abweisung der Klage ausging. Nach den Entscheidungsgründen hätte es auch keiner Beiziehung der Arbeitsgerichtsakten bedurft. Übersehen worden sei das Urteil des Arbeitsgerichts vom 27. August 2007 und die Anmeldung zur Sozialversicherung. Vom Finanzamt sei der Kläger mehrfach darauf hingewiesen worden, dass auch geldwerte Vorteile zu versteuern seien und er hiernach mindestens 1500 EUR monatlich Einkommen erziele. Die Ausführungen zur groben Fahrlässigkeit muteten absurd an; Steuerberater, Finanzamt, Arbeitsgericht und der Prozessbevollmächtigte im Arbeitsgerichtsprozess seien von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausgegangen, weshalb der Kläger nicht zu einer anderen Beurteilung gelangen konnte.

In der Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger angegeben, das Gasthaus Gr. H. sei vom 1. April 2003 bis 31. März 2004, das Landgasthaus Pi. ab 1. April 2004 betrieben worden. Die im Ehegattenarbeitsvertrag geregelten 11 Wochenstunden hätten für die Tätigkeit im Gr. H. gegolten; danach sei die Arbeitszeit aber stark angestiegen. Da eine Scheidung nicht beabsichtigt gewesen sei, habe der Aufbau des gemeinsamen Betriebes auch der Alterssicherung dienen sollen. Ihm sei schon klar, dass einem Selbständigen kein Alg zustehe. Das Finanzamt gehe von einem Bruttoverdienst von ca. 2400 EUR aus; entsprechende Steuern habe er aber noch nicht bezahlt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Februar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 4. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 23. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2008 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld vom 25. Juni 2007 bis 14. November 2007 unter Berücksichtigung eines Arbeitsentgelts in Höhe von 2400 EUR brutto zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat die Akten des Arbeitsgerichts Karlsruhe beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2008 (s. Protokoll vom 17. Juli 2009) zutreffend abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat die für einen Anspruch auf Alg erforderliche Anwartschaftszeit (§ 123 SGB III) nicht erfüllt, da er in der Rahmenfrist (§ 124 SGB III) nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, weil er mit seiner Tätigkeit im Betrieb seiner Ehefrau nicht in einem entgeltlichen (§ 7 SGB IV) Beschäftigungsverhältnis (§ 25 SGB III) stand. Zudem blieb dem Kläger zumindest auf Grund grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides unbekannt, so dass er für die Vergangenheit zurückgenommen werden durfte.

Der Senat verweist auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids und sieht von einer Begründung insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Es lag eindeutig keine abhängige Beschäftigung vor. Der Kläger hat nicht nur am 3. Juli 2007, sondern auch unter dem 24. Juli 2007 sowie erneut vor dem Senat selbst angeführt, dass er zusammen mit der Beigeladenen eine gemeinsame Gaststätte betrieben hat (vgl. Bl. 183 und 197 der Verwaltungsakten der Beklagten). Der Betrieb sollte nach seinen Angaben vor dem Senat auch seine Altersversorgung sicher stellen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit elf Wochenarbeitsstunden konnte nicht vorgelegt werden. Dass der Kläger nach seinen Angaben einen solchen niemals besessen hat, er erst beim Steuerberater nachfragen musste, ob ein Arbeitsvertrag bestehe (s. Protokoll vom 17. Juli 2009), spricht ebenfalls dafür, dass der Kläger einen solchen tatsächlich nicht umgesetzt, sondern sich als Selbständigen verstanden hat. Nur dies erklärt, weshalb trotz einer Verzehnfachung der Wochenstundenzahl (s. die Angaben des Klägers am 24. Juli 2007, Bl. 183 d. Verwaltungsakten der Beklagten) kein Änderungsvertrag geschlossen wurde und es hiernach beim schriftlich vereinbarten Lohn von 420 EUR im Monat geblieben ist. Die Aufgaben des Klägers umfassten nicht nur die eines -angestellten- Koches, sondern auch kaufmännische Arbeiten (s. Arbeitszeugnis vom 20. Juli 2007). Die Speisekarte hat er selbst gestaltet und die Einkäufe im Wesentlichen erledigt; nur bei Großanschaffungen bedurfte er der Abstimmung mit seiner Ehefrau (s. eigene Angaben in der mündlichen Verhandlung). Damit hat der Kläger alle wesentlichen Aufgaben eines Gastwirtes erbracht, ohne dass eine Weisungsunterwerfung tatsächlich gehandhabt worden ist, was wesentlich für eine selbständige Tätigkeit spricht. Auch seine Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, mehr als der vereinbarte Lohn von (nur) 420 EUR monatlich sei nicht zur Auszahlung da gewesen, spricht für eine selbständige Tätigkeit, da das Entgelt allein am Ertrag ausgerichtet worden ist, was für einen Arbeitnehmer untypisch ist; dies gilt umso mehr, als der schriftlich vereinbarte Lohn in einem krassen Missverhältnis zu den Aufgaben des Klägers und zu den geleisteten Stunden (102 Wochenstunden, s. die Angaben auf Bl. 183 der Verwaltungsakten der Beklagten) stand. Dass dieser Lohn seit Februar 2005 nicht zur Auszahlung gelangte, ist ein weiteres wesentliches Indiz gegen das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, der Lohn sei bar ausbezahlt worden, kann sich nicht auf die Zeit ab Februar 2005 beziehen; denn diesen Lohn hat der Kläger erst durch arbeitsgerichtliche Klage nach der Trennung geltend gemacht -zudem widerspricht sie seinen Angaben im Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid, wonach das Entgelt auf ein gemeinsames Konto gegangen ist. Gegen ein Arbeitsverhältnis spricht auch, dass der Kläger weder laufende Lohnabrechnungen erhalten, noch sich um deren Erlangung gekümmert hat. Der Kläger hat schließlich lediglich Lohnabrechnungen vorlegen können für den Zeitraum Februar 2006 bis Juni 2007, die aber größtenteils erst am 20. Juni 2007 erstellt worden sind, am Tag der Kündigung, die wiederum wegen der erfolgten Trennung ausgesprochen wurde. Die Beigeladene hat im Feststellungsbogen angegeben, das Arbeitsentgelt sei wegen mündlicher Absprache nicht ausgezahlt worden. Hierzu passt, dass der Kläger den seit Februar 2005 fällig werdenden Lohn erst nach der Trennung geltend gemacht hat. Eine vollständige Stundung des Lohnes bis zum Erlöschen des Betriebes (s. die Angaben des Klägers, Bl. 183 der Verwaltungsakten der Beklagten) ist für einen Arbeitnehmer wesensfremd. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Lebensunterhalt des Klägers von dem Konto der Beigeladenen finanziert worden ist, dessen einzige Zuflüsse aus dem Gastronomiebetrieb stammten (s. Bl. 52 der Arbeitsgerichtsakten); hierzu passt, dass der Kläger auf die Zahlung des schriftlich vereinbarten Lohnes auch nicht angewiesen war. Gegen eine abhängige Beschäftigung spricht schließlich auch, dass weder ein Urlaubsanspruch noch eine Kündigungsfrist vereinbart worden ist (s. Feststellungsbogen Bl. 168 der Verwaltungsakten der Beklagten und die Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem SG). Nach alledem war der Kläger eindeutig nicht abhängig beschäftigt, sondern sollte lediglich mit geringem Beitrag sozialversichert werden.

Gegen die Würdigung des Senats spricht nicht, dass ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden ist. Denn dieser wurde jedenfalls für die Zeit ab 1. April 2004, als aufgrund des Betriebsstättenwechsels sich die Wochenstundenzahl verzehnfacht hat, nicht (mehr) befolgt (s. hierzu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. April 1993, 11 R AR 67/92; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. April 2009, L 11 KR 2930/06; Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage, § 25 Rdnr. 8). Schließlich spricht auch nicht für eine abhängige Beschäftigung, dass das Finanzamt, der Steuerberater und das Arbeitsgericht von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers ausgegangen sind oder eine Anmeldung - merkwürdigerweise zum 1. Januar 2006 (s. Bl. 172 der Verwaltungsakten der Beklagten), obwohl der Kläger laut Arbeitszeugnis bereits ab 1. April 2003 beschäftigt war - erfolgte. Denn diese gingen offensichtlich von dem nicht umgesetzten schriftlichen Arbeitsvertrag aus.

Der Senat sieht -wie auch das SG- die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X als erfüllt an. Der Kläger hat zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht gekannt. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dem Kläger, der gelernter Bankkaufmann ist und Berufspraxis im kaufmännischen Bereich gesammelt hat (vgl. Bl. 206 der Verwaltungsakten der Beklagten), musste es sich geradezu aufdrängen, dass in Anbetracht der eklatanten Differenz zwischen dem geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag und den tatsächlichen Verhältnissen, die eindeutig keine Beschäftigung begründeten (s.o.), kein Alg zustand. In der Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nachvollziehbar angegeben, dass ihm klar ist, dass einem Selbständigen kein Alg zusteht.

Die Anfechtungs- und Leistungsklage auf Gewährung höheren Alg vom 25. Juni 2007 bis 14. November 2007 -ab 15. November 2007 hat der Kläger eine neue Beschäftigung aufgenommen- ist damit ebenfalls unbegründet, weshalb der Senat offen lassen kann, ob sie bereits verfristet (§ 87 SGG) ist, da die Klage des anwaltlich vertretenen Klägers sich lediglich gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27. November 2007 -dieser in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2008- und nicht auch gegen die Bescheide vom 23. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides gerichtet hat (s. Schriftsätze vom 4. März und 16. Juni 2008).

Angesichts dessen, dass die Voraussetzungen einer -auch nicht beantragten- Zurückverweisung gem. § 159 SGG in der Fassung ab 1. Januar 2012 nicht vorliegen (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senates vom 24. Januar 2012, L 13 AS 1671/11, veröffentlicht in Juris), brauchte der Senat nicht darüber befinden, ob die Anhörung zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheides den Anforderungen des § 105 SGG entspricht (vgl. nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 105 SGG Rdnr. 10 m.w.N.) bzw. ob das SG tatsächlich eine Überraschungsentscheidung gefällt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Beklagte keinen berechtigten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat und die Rechtsverfolgung des Klägers insgesamt ohne Erfolg geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision gegen diese Entscheidung liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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