Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 2561/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4395/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV) des Klägers streitig.
Der 1966 geborene Kläger absolvierte vom 01.08.1982 bis 30.01.1985 erfolgreich eine Lehre im Schornsteinfegerhandwerk. Anschließend war er bis 31.10.1988 als Schornsteinfegergeselle tätig. Vom 02.11.1988 bis 05.07.1989 besuchte er die Meisterschule für Schornsteinfeger und legte am 04.11.1989 die Meisterprüfung mit Erfolg ab. Im Schuljahr 1990/1991 besuchte der Kläger die gewerblich-technische Berufsaufbauschule in F. mit dem Erwerb der Fachschulreife und anschließend bis 1992 das Berufskolleg in F. mit dem Erwerb der Fachhochschulreife. Von März 1994 bis Mai 2001 studierte der Kläger an der Fachhochschule P. im Studiengang Steuer- und Revisionswesen, das er ohne Diplom beendete (Exmatrikulation wegen Überschreitens der Regelstudienzeit). Im Frühjahr 1998 wurde dem Kläger vom Regierungspräsidium S. (mehrfach) die Übernahme eines Kehrbezirks als Bezirksschornsteinfegermeister angeboten, die der Kläger ausschlug. Vom 01.08.2001 bis 30.09.2001 absolvierte er ein freiwilliges Praktikum bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Vom 25.10.2001 bis 23.07.2002 besuchte der Kläger die Fachschule für Betriebswirtschaft an der Kaufmännischen Schule S. mit dem Erwerb des Staatlich geprüften Betriebswirts. Seit 24.07.2002 ist der Kläger arbeitslos.
In der Zeit seiner Tätigkeit als Schornsteinfegergeselle erlitt der Kläger am 15.12.1987 auf dem Heimweg von der Arbeit mit dem Pkw einen Verkehrsunfall (Wegeunfall). Mit Bescheid vom 24.02.1989 gewährte die Beklagte dem Kläger auf der Grundlage eines JAV von 39.053,45 DM Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. für die Zeit vom 11.04.1988 bis 10.07.1988, von 30 v.H. für die Zeit vom 11.07.1988 bis 14.12.1988 und von 20 v.H. ab dem 15.12.1988 sowie mit Bescheid vom 27.11.1989 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 15.12.1988. Außerdem gewährte die Beklagte dem Kläger Berufshilfe (Umschulung), die der Kläger nicht annahm, weswegen er (zahlreiche) Klage- und Eilverfahren gegen die Beklagte beim Sozialgericht Reutlingen (SG), beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) und Bundessozialgericht (BSG) führte, die ohne Erfolg blieben.
Mit Bescheid vom 26.03.1993 setzte die Beklagte die Verletztenrente mit Wirkung vom 01.05.1993 auf 20 v.H. herab. Auf die vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde der Bescheid vom 26.03.1993 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.07.1993) vom SG mit Urteil vom 17.12.2007 (S 4 U 1957/04) aufgehoben. Gegen dieses Urteil legten der Kläger sowie die Beklagte Berufung beim LSG ein. Der Kläger nahm seine Berufung in der mündlichen Verhandlung am 16.10.2008 zurück. Die Berufung der Beklagten wurde vom LSG mit Urteil vom 16.10.2008 (L 6 U 880/08) zurückgewiesen.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.02.2009 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 01.05.1993 und setzte den JAV mit 23.516,87 EUR fest. Mit Bescheid vom 03.04.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger außerdem Zinsen i.H.v. 8.506,29 EUR. Weiter lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2009 einen Antrag des Klägers auf Erhöhung der MdE wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen und einer besonderen beruflichen Betroffenheit ab. Gegen diese Bescheide vom Kläger eingelegte Widersprüche wurden von der Beklagten mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 13.08.2009 (betreffend die Bescheide vom 17.02.2009 und 03.04.2009) sowie vom 02.10.2009 (betreffend den Bescheid vom 07.07.2009) zurückgewiesen.
Entsprechend einem Antrag des Klägers vom 08.01.2006 auf Überprüfung des JAV im Bescheid vom 24.02.1989 holte die Beklagte die Auskünfte des Landesinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks B. vom 16.03.2009 (Bl. 3022 der Verwaltungsakte) sowie vom 17.04.2009 (Bl. 3076 der Verwaltungsakte) ein, auf die Bezug genommen wird. Gestützt auf diese Auskünfte nahm die Beklagte mit Bescheid vom 16.07.2009 den Bescheid vom 24.02.1989 gemäß § 44 SGB X teilweise zurück und setzte den JAV i.H.v. 21.894,16 EUR (42.921,25 DM) zum 04.11.1988 neu fest mit Gewährung einer Nachzahlung von 2.721,62 EUR für den Zeitraum ab 01.01.2002. Unter Berücksichtigung der Rentenanpassungsfaktoren für die Zeit vom 01.07.1988 bis 01.07.2009 ergab sich ein JAV von 30.808,65 EUR. Außerdem gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 01.09.2009 Zinsen i.H.v. 252,58 EUR.
Gegen den Bescheid vom 16.07.2009 erhob der Kläger am 24.07.2009 Widerspruch, der mit Widerspruchbescheid der Beklagten vom 02.10.2009 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, der JAV sei ab 04.11.1988 zu niedrig festgesetzt worden, weshalb der Bescheid vom 24.02.1989 nach § 44 SGB X insoweit zurückzunehmen gewesen sei. § 90 Abs. 1 SGB VII komme vorliegend nicht zum Zuge, da der Versicherungsfall nicht vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eingetreten sei.
Gegen die Bescheide vom 17.02.2009, 03.04.2009, 07.07.2009 und 21.06.2009 (richtig 16.07.2009) erhob der Kläger am 05.08.2009 Klage beim SG, die vom SG unter getrennten Aktenzeichen geführt wurden (Bescheid vom 16.07.2009 S 7 U 2561/09 und Bescheid vom 07.07.2009 S U 3268/09, über die vom SG noch nicht entschieden wurde). Im Übrigen nahm der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 03.02.2010 seine Klagen zurück (S 7 U 2751/09 und S 7 U 2752/09). Im Verfahren S 7 U 2561/09 beschränkte der Kläger den Streitgegenstand auf die Höhe des JAV (Niederschrift des SG vom 03.02.2010) und erklärte seine Klage im Übrigen für erledigt (Schriftsatz des Klägers vom 09.02.2010).
Der Kläger führte zur Begründung seiner Klage (soweit vorliegend relevant) aus, bei der Bemessung des JAV sei der Jahresarbeitsverdienst eines Bezirksschornsteinfegermeisters zu berücksichtigen und nicht das von ihm im Alter von 21 Jahren erzielte Jahreseinkommen als Schornsteinfegergeselle i.H.v. umgerechnet 19.1967,71 EUR. Er habe vom Regierungspräsidium S. am 19.02.1998 ein Angebot für die Übernahme eines Kehrbezirks als Bezirksschornsteinfegermeister erhalten, weshalb der JAV für die Zeit ab Februar 1998 als Ende der Berufsausbildung auf den Jahresgewinn eines kraft Satzung versicherten Selbständigen (Bezirksschornsteinfegermeister) auf mindestens 62.400 EUR zu erhöhen sei. Eine Stufenausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister liege vor. Die Ablegung der Schornsteinfegermeisterprüfung sei von ihm seit der Gesellenprüfung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also vor dem Arbeitsunfall am 15.12.1987, fest geplant gewesen. Sein Berufsziel sei als fester Bestandteil seiner Lebens- und Berufsplanung der Bezirksschornsteinfegermeister gewesen. Unter Berücksichtigung der durch die Meisterprüfungsverordnung als Zulassungsvoraussetzung zur Meisterprüfung vorgeschriebenen Gesellentätigkeit von drei Jahren habe er zum schnellstmöglichen Zeitpunkt am 16.11.1989 den Berufsabschluss Schornsteinfegermeister im Alter von 23 Jahren erreicht. Mit dem nach Ablauf der Wartezeit erfolgten Angebot des Regierungspräsidiums S. vom 19.02.1998 zur Übernahme eines Kehrbezirks zum 01.04.1998 habe er sein Berufsziel formal erreicht. Ende der Berufsausbildung sei der 01.04.1998. Die Ansicht der Beklagten, die Schornsteinfegermeisterprüfung stelle eine berufliche Weiterbildung und keine Berufsausbildung dar, werte die Schornsteinfegermeisterprüfung ohne Rechtsgrundlage ab. Es handele sich um eine vielseitige und umfassende Fortsetzung der Berufsausbildung. Allein die Tatsache, dass die Schornsteinfegermeisterprüfung eine der Voraussetzungen für die Eintragung in die vom Regierungspräsidium S. geführte Landesbewerberliste für freiwerdende Kehrbezirke sei, zeige, dass die Schornsteinfegermeisterprüfung die schwierigste Stufe der sieben Stufen umfassenden Ausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister sei. Ohne den Arbeitsunfall vom 15.12.1987 hätte er im Februar 1998 einen Kehrbezirk als Bezirksschornsteinfegermeister übernommen. Rechtsgrundlagen seien die Satzung der Beklagten in Verbindung mit §§ 83, 85 Abs. 2, 90 Abs. 1 bis 3 und 95 SGB VII. Hilfsweise sei der JAV i.H.v. 81.172 EUR entsprechend der Feuerwehr-Unfallkasse H. gemäß § 85 SGB VII ab Februar 1998 festzusetzen. Ab 04.11.1988 sei der JAV nach der oberen Lohngruppe für Schornsteinfegergesellen festzusetzen. Der Einschätzung der Beklagten, er könne einer Erwerbstätigkeit nachgehen, werde widersprochen. Tatsache bleibe, dass er seit dem Arbeitsunfall nicht wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden sei. Die Zeit sei durchweg mit Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schulbesuchen und wieder Arbeitslosigkeit und Krankheit gekennzeichnet. § 44 Abs. 4 SGB X, wonach höchstens für 4 Jahre zu Unrecht enthaltene Sozialleistungen erstattet würden und der Rest verfalle, sei im Gerichtsverfahren nicht anwendbar. Er beantrage volle Rückzahlung ohne Abstriche plus Zinsen ab dem 01.04.1998, dem Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erhöhung des JAV gemäß § 48 SGB X. Eine Neufestsetzung hätte in den Jahren 1988 und 1989 von Amts wegen erfolgen müssen, weshalb der Bescheid vom 24.02.1989 nicht bestandskräftig geworden sei. Er sei von der Beklagten um sein Recht auf eine qualifizierte Umschulung gebracht worden. Die Beklagte habe in Sachen Umschulung eine sachgerechte Lösung zur Schonung der eigenen Kasse blockiert und so sein Berufsleben und seine Lebenschancen ruiniert. Der Kläger berief sich auf sozialgerichtliche Rechtsprechung und legte Unterlagen vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. § 90 Abs. 1 SGB VII sei nicht anwendbar, da der Versicherungsfall nicht vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung des Klägers eingetreten sei. Eine Stufenausbildung liege nicht vor. Eine bloße berufliche Weiterbildung sei keine Berufsausbildung. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 SGB VII, dass der Kläger einer Erwerbstätigkeit überhaupt nicht mehr nachgehen könne, lägen nicht vor. Von der Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X, wonach Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden, könne nicht abgewichen werden.
Das SG hat vom Landesinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerks B. den Bundestarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 14.10.1985, den Zusatztarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 17.11.1986 sowie die Vereinbarung zum Zusatztarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 17.11.1986 jeweils im Gebiet des Landes Baden-Württemberg beigezogen.
Mit Urteil vom 21.09.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Festsetzung des JAV nach dem Verdienst eines Schornsteinfegermeisters bzw. eines Bezirksschornsteinfegermeisters. Die Beklagte habe beim Kläger zutreffend den JAV eines Schornsteinfegergesellen zugrunde gelegt. Bei der Ausbildung zum Schornsteinfegermeister handele es sich nicht um eine Berufsausbildung, sondern um eine nicht erfasste Fortbildung im erreichten Beruf. Sofern der Kläger einer Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr nicht mehr habe nachgehen können und ihm somit die etwaige Möglichkeit der Wahrnehmung bezahlter Posten verwehrt geblieben sei, sei dies nicht entscheidend. Eine über die mit Bescheid vom 16.07.2009 hinausgehende Neufestsetzung des JAV komme nach den heranzuziehenden tariflichen Regelungen nicht in Betracht. Der dem Bescheid vom 24.02.1989 zu Grunde gelegte JAV von 39.053,45 DM war angesichts des von Anfang an höheren tariflichen JAV bei Erlass des Bescheides zu niedrig bemessen und damit unrichtig. Diesem Umstand habe die Beklagte mit dem Bescheid vom 16.07.2009 dadurch Rechnung getragen, dass ab dem 04.11.1988 ein JAV von umgerechnet 21.894,16 EUR zugrundegelegt wurde. Dabei sei der Kläger dahingehend begünstigt, als die Beklagte die Erhöhung des Weihnachtsgeldes in die Berechnung mit einbezogen habe. Eine Neufestsetzung des JAV gemäß § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X in Verbindung mit § 90 Abs. 2 SGB VII bzw. § 573 Abs. 2 RVO habe zu keinem Zeitpunkt erfolgen müssen, da nach dem Erlass des Bescheides vom 24.02.1989 keine Änderung zu Gunsten des Klägers eingetreten sei. Es sei alleine auf die tariflichen Regelungen abzustellen, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles gegolten hätten. In den maßgeblichen Tarifverträgen sei bis zum 30. Lebensjahr alleine eine tarifliche Lohnerhöhung mit Vollendung des 22. Lebensjahres vorgesehen. Auf den Überprüfungsantrag des Klägers vom 08.01.2006 habe die Beklagte gemäß § 44 Abs. 4 SGB X den Nachzahlungszeitraum zu Recht auf die Zeit ab dem 01.01.2002 beschränkt. Der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers sei zurückzuweisen, da der Inhalt interner Rundschreiben oder Informationen der Beklagten nicht entscheidungserheblich sei.
Gegen das dem Kläger am 06.10.2011 zugestellte Urteil hat er am 10.10.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen einen Verstoß gegen Art. 3 GG geltend gemacht. Es sei tatsächlich zu klären, ob die Meisterprüfung Berufsausbildung oder lediglich berufliche Weiterbildung sei. Der Rechtsstreit sei an das SG zurückzuverweisen. Es bestehe eine verfassungswidrige Interessenpolitik zugunsten Bessergestellter. Eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 GG sei angezeigt. Das SG habe den Begriff der Berufsausbildung verkannt. Die vom SG herangezogene Internetseite sei ungeeignet, die Ansicht des SG zu stützen. Verkannt werde, dass die Beklagte keine angemessene Umschulung unterstützt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2009 zu verurteilen, den Jahresarbeitsverdienst ab dem 1. April 1998 nach ihren Satzungsregelungen (§ 83 SGB VII für Unternehmer, § 90 Abs. 1 SGB VII Neufestsetzung des JAV nach Ende der Berufsausbildung, § 95 SGB VII Anpassung von Geldleistungen, in Anlehnung an die Aufstellung bzgl. Differenzen beim JAV in Anlage 08 zum Schriftsatz vom 11.02.2011) zu bestimmen, hilfsweise den Jahresarbeitsverdienst entsprechend der Feuerwehr-Unfallkasse H. i.H.v. 81.172 EUR festzustellen, den Jahresarbeitsverdienst bis zu seinem 30. Lebensjahr zu erhöhen, sowie ihm rückwirkend ab dem 1. April 1998 Verletztenrente plus Zinsen nachzubezahlen, hilfsweise Beweis zu erheben gemäß Antrag 2 auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 20.03.2012, hilfsweise eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nach Art. 100 GG beim Bundesverfassungsgericht einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf neun Bände Verwaltungsakten der Beklagten und neun Aktenordner des Klägers Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Der vorliegend allein streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 16.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2009 ist rechtmäßig. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgeblichen rechtlichen Vorschriften und Grundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Das SG hat weiter sehr ausführlich und zutreffend begründet, dass die Beklagte den JAV zutreffend nach dem Verdienst des Klägers als Schornsteinfegergeselle bestimmt hat, das Bestehen der Schornsteinfegermeisterprüfung keine zu berücksichtigende Berufsausbildung darstellt und die weiteren Anträge des Klägers keinen Erfolg haben können. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er schließt sich den Entscheidungsgründen des SG im angefochtenen Urteil zur Begründung seiner Entscheidung in vollem Umfang an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend bleibt auszuführen:
Dass der Kläger nach seinem Vorbringen als Berufsziel die Tätigkeit des Bezirksschornsteinfegermeisters angestrebt hat, rechtfertigt keine ihm günstigere Feststellung des JAV. Zwar kann diese Tätigkeit nach dem Vorbringen des Klägers und den von ihm hierzu vorgelegten Unterlagen erst nach der Zulassung vorliegend durch das Regierungspräsidium S. - nach entsprechender Wartezeit - ausgeübt werden. Diese Tätigkeit erfordert aber - auch nach dem Vorbringen des Klägers - neben der Schornsteinfegermeisterprüfung keine weitere Berufsausbildung. Sie ist ein Teilbereich des Gesamttätigkeitsbereichs eines Schornsteinfegermeisters, dem vorliegend für die Festsetzung des JAV keine eigenständige Bedeutung beigemessen werden kann. Die Ansicht des Klägers, bei der Ausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister handele sich um eine Stufenausbildung, trifft deshalb nicht zu. Es kommt daher auch nicht entscheidend darauf an, ob das Vorbringen des Klägers, sein Berufsziel sei als fester Bestandteil seiner Lebens- und Berufsplanung der Bezirksschornsteinfegermeister gewesen, tatsächlich zutrifft.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 90 Abs. 3 SGB VII berufen. Diese Vorschrift setzt (u.a.) voraus, dass der Kläger infolge des Versicherungsfalles einer Erwerbstätigkeit nicht (mehr) nachgehen kann. Dass dies beim Kläger zutrifft, ist nicht ersichtlich. Dass der Kläger Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit bezieht, ist nicht der Fall. Allein die Tatsache, dass der Kläger seit dem Arbeitsunfall nicht wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert wurde, wie er geltend macht, rechtfertigt die Annahme von Erwerbsunfähigkeit nicht. Unabhängig davon käme selbst dann, wenn zu seinen Gunsten von Erwerbsunfähigkeit ausgegangen würde, eine Erhöhung des streitigen JAV gemäß § 90 Abs. 3 SGB VII nicht in Betracht. Denn die zur Zeit des Versicherungsfalls maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen sehen nur einen höheren Wochenlohn nach Vollendung des 22. Lebensjahres vor, wie sich aus den vom SG eingeholten Auskünften des Landesinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks B. vom 16.03.2009 und 17.04.2009 sowie dem vom SG beigezogenen Bundestarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 14.10.1985 und dem Zusatztarifvertrag für das Land Baden-Württemberg vom 17.11.1986 ergibt. Tarifliche Regelungen, die gemäß § 90 Abs. 3 SGB VII eine weitere Neufeststellung des JAV zu Gunsten des Klägers nach dem Erreichen eines bestimmten Berufsjahres oder dem Ablauf einer bestimmten Bewährungszeit ermöglichen würden, bestehen nicht bzw. sind von der Beklagten berücksichtigt worden (Erhöhung des Weihnachtsgeldes).
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung, auf die sich der Kläger zur Begründung seiner Klage berufen hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Sie gibt die vom SG dargestellte Rechtslage wieder, auf deren Grundlage das nicht zu beanstandende Urteil des SG ergangen ist. Neue (rechtliche) Gesichtspunkte, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung rechtfertigen, sind den vom Kläger genannten Entscheidungen, insbesondere des BSG, nicht zu entnehmen.
Der Senat sah sich zu keinen Ermittlungen veranlasst. Die vom Kläger in seinem Schreiben vom 21.03.2012 unter Beweis gestellte Frage, ob eine Meisterprüfung als Berufsausbildung i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB VII gilt, ist eine Rechtsfrage und daher einem Zeugenbeweis nicht zugänglich. Eine konkrete Tatsache hat der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Eine ungeklärte entscheidungserhebliche Tatsache ist auch nicht ersichtlich. Eine gutachterliche Klärung der Rechtsfrage durch die vom Kläger benannten Stellen ist nicht geboten, denn die Auslegung der Rechtsvorschriften nach dem SGB VII obliegt dem Senat.
Die Beklagte hat den JAV mit 21.894,16 EUR ab dem 04.11.1988 gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 573 Abs. 2 RVO rechnerisch zutreffend ermittelt und unter zutreffender Berücksichtigung der Rentenanpassungsfaktoren fortgeschrieben.
Gegen die hier maßgeblichen Vorschriften zur Bestimmung des JAV bestehen - entgegen der Ansicht des Klägers - keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere nicht im Hinblick auf Art. 3 GG, weshalb dem Antrag des Klägers, eine Entscheidung nach Art. 100 GG beim Bundesverfassungsgericht einzuholen, nicht zu entsprechen war.
Gründe, die eine Zurückverweisung des Rechtsstreites an das SG rechtfertigen, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV) des Klägers streitig.
Der 1966 geborene Kläger absolvierte vom 01.08.1982 bis 30.01.1985 erfolgreich eine Lehre im Schornsteinfegerhandwerk. Anschließend war er bis 31.10.1988 als Schornsteinfegergeselle tätig. Vom 02.11.1988 bis 05.07.1989 besuchte er die Meisterschule für Schornsteinfeger und legte am 04.11.1989 die Meisterprüfung mit Erfolg ab. Im Schuljahr 1990/1991 besuchte der Kläger die gewerblich-technische Berufsaufbauschule in F. mit dem Erwerb der Fachschulreife und anschließend bis 1992 das Berufskolleg in F. mit dem Erwerb der Fachhochschulreife. Von März 1994 bis Mai 2001 studierte der Kläger an der Fachhochschule P. im Studiengang Steuer- und Revisionswesen, das er ohne Diplom beendete (Exmatrikulation wegen Überschreitens der Regelstudienzeit). Im Frühjahr 1998 wurde dem Kläger vom Regierungspräsidium S. (mehrfach) die Übernahme eines Kehrbezirks als Bezirksschornsteinfegermeister angeboten, die der Kläger ausschlug. Vom 01.08.2001 bis 30.09.2001 absolvierte er ein freiwilliges Praktikum bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Vom 25.10.2001 bis 23.07.2002 besuchte der Kläger die Fachschule für Betriebswirtschaft an der Kaufmännischen Schule S. mit dem Erwerb des Staatlich geprüften Betriebswirts. Seit 24.07.2002 ist der Kläger arbeitslos.
In der Zeit seiner Tätigkeit als Schornsteinfegergeselle erlitt der Kläger am 15.12.1987 auf dem Heimweg von der Arbeit mit dem Pkw einen Verkehrsunfall (Wegeunfall). Mit Bescheid vom 24.02.1989 gewährte die Beklagte dem Kläger auf der Grundlage eines JAV von 39.053,45 DM Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. für die Zeit vom 11.04.1988 bis 10.07.1988, von 30 v.H. für die Zeit vom 11.07.1988 bis 14.12.1988 und von 20 v.H. ab dem 15.12.1988 sowie mit Bescheid vom 27.11.1989 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 15.12.1988. Außerdem gewährte die Beklagte dem Kläger Berufshilfe (Umschulung), die der Kläger nicht annahm, weswegen er (zahlreiche) Klage- und Eilverfahren gegen die Beklagte beim Sozialgericht Reutlingen (SG), beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) und Bundessozialgericht (BSG) führte, die ohne Erfolg blieben.
Mit Bescheid vom 26.03.1993 setzte die Beklagte die Verletztenrente mit Wirkung vom 01.05.1993 auf 20 v.H. herab. Auf die vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde der Bescheid vom 26.03.1993 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.07.1993) vom SG mit Urteil vom 17.12.2007 (S 4 U 1957/04) aufgehoben. Gegen dieses Urteil legten der Kläger sowie die Beklagte Berufung beim LSG ein. Der Kläger nahm seine Berufung in der mündlichen Verhandlung am 16.10.2008 zurück. Die Berufung der Beklagten wurde vom LSG mit Urteil vom 16.10.2008 (L 6 U 880/08) zurückgewiesen.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.02.2009 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 01.05.1993 und setzte den JAV mit 23.516,87 EUR fest. Mit Bescheid vom 03.04.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger außerdem Zinsen i.H.v. 8.506,29 EUR. Weiter lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2009 einen Antrag des Klägers auf Erhöhung der MdE wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen und einer besonderen beruflichen Betroffenheit ab. Gegen diese Bescheide vom Kläger eingelegte Widersprüche wurden von der Beklagten mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 13.08.2009 (betreffend die Bescheide vom 17.02.2009 und 03.04.2009) sowie vom 02.10.2009 (betreffend den Bescheid vom 07.07.2009) zurückgewiesen.
Entsprechend einem Antrag des Klägers vom 08.01.2006 auf Überprüfung des JAV im Bescheid vom 24.02.1989 holte die Beklagte die Auskünfte des Landesinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks B. vom 16.03.2009 (Bl. 3022 der Verwaltungsakte) sowie vom 17.04.2009 (Bl. 3076 der Verwaltungsakte) ein, auf die Bezug genommen wird. Gestützt auf diese Auskünfte nahm die Beklagte mit Bescheid vom 16.07.2009 den Bescheid vom 24.02.1989 gemäß § 44 SGB X teilweise zurück und setzte den JAV i.H.v. 21.894,16 EUR (42.921,25 DM) zum 04.11.1988 neu fest mit Gewährung einer Nachzahlung von 2.721,62 EUR für den Zeitraum ab 01.01.2002. Unter Berücksichtigung der Rentenanpassungsfaktoren für die Zeit vom 01.07.1988 bis 01.07.2009 ergab sich ein JAV von 30.808,65 EUR. Außerdem gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 01.09.2009 Zinsen i.H.v. 252,58 EUR.
Gegen den Bescheid vom 16.07.2009 erhob der Kläger am 24.07.2009 Widerspruch, der mit Widerspruchbescheid der Beklagten vom 02.10.2009 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, der JAV sei ab 04.11.1988 zu niedrig festgesetzt worden, weshalb der Bescheid vom 24.02.1989 nach § 44 SGB X insoweit zurückzunehmen gewesen sei. § 90 Abs. 1 SGB VII komme vorliegend nicht zum Zuge, da der Versicherungsfall nicht vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eingetreten sei.
Gegen die Bescheide vom 17.02.2009, 03.04.2009, 07.07.2009 und 21.06.2009 (richtig 16.07.2009) erhob der Kläger am 05.08.2009 Klage beim SG, die vom SG unter getrennten Aktenzeichen geführt wurden (Bescheid vom 16.07.2009 S 7 U 2561/09 und Bescheid vom 07.07.2009 S U 3268/09, über die vom SG noch nicht entschieden wurde). Im Übrigen nahm der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 03.02.2010 seine Klagen zurück (S 7 U 2751/09 und S 7 U 2752/09). Im Verfahren S 7 U 2561/09 beschränkte der Kläger den Streitgegenstand auf die Höhe des JAV (Niederschrift des SG vom 03.02.2010) und erklärte seine Klage im Übrigen für erledigt (Schriftsatz des Klägers vom 09.02.2010).
Der Kläger führte zur Begründung seiner Klage (soweit vorliegend relevant) aus, bei der Bemessung des JAV sei der Jahresarbeitsverdienst eines Bezirksschornsteinfegermeisters zu berücksichtigen und nicht das von ihm im Alter von 21 Jahren erzielte Jahreseinkommen als Schornsteinfegergeselle i.H.v. umgerechnet 19.1967,71 EUR. Er habe vom Regierungspräsidium S. am 19.02.1998 ein Angebot für die Übernahme eines Kehrbezirks als Bezirksschornsteinfegermeister erhalten, weshalb der JAV für die Zeit ab Februar 1998 als Ende der Berufsausbildung auf den Jahresgewinn eines kraft Satzung versicherten Selbständigen (Bezirksschornsteinfegermeister) auf mindestens 62.400 EUR zu erhöhen sei. Eine Stufenausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister liege vor. Die Ablegung der Schornsteinfegermeisterprüfung sei von ihm seit der Gesellenprüfung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also vor dem Arbeitsunfall am 15.12.1987, fest geplant gewesen. Sein Berufsziel sei als fester Bestandteil seiner Lebens- und Berufsplanung der Bezirksschornsteinfegermeister gewesen. Unter Berücksichtigung der durch die Meisterprüfungsverordnung als Zulassungsvoraussetzung zur Meisterprüfung vorgeschriebenen Gesellentätigkeit von drei Jahren habe er zum schnellstmöglichen Zeitpunkt am 16.11.1989 den Berufsabschluss Schornsteinfegermeister im Alter von 23 Jahren erreicht. Mit dem nach Ablauf der Wartezeit erfolgten Angebot des Regierungspräsidiums S. vom 19.02.1998 zur Übernahme eines Kehrbezirks zum 01.04.1998 habe er sein Berufsziel formal erreicht. Ende der Berufsausbildung sei der 01.04.1998. Die Ansicht der Beklagten, die Schornsteinfegermeisterprüfung stelle eine berufliche Weiterbildung und keine Berufsausbildung dar, werte die Schornsteinfegermeisterprüfung ohne Rechtsgrundlage ab. Es handele sich um eine vielseitige und umfassende Fortsetzung der Berufsausbildung. Allein die Tatsache, dass die Schornsteinfegermeisterprüfung eine der Voraussetzungen für die Eintragung in die vom Regierungspräsidium S. geführte Landesbewerberliste für freiwerdende Kehrbezirke sei, zeige, dass die Schornsteinfegermeisterprüfung die schwierigste Stufe der sieben Stufen umfassenden Ausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister sei. Ohne den Arbeitsunfall vom 15.12.1987 hätte er im Februar 1998 einen Kehrbezirk als Bezirksschornsteinfegermeister übernommen. Rechtsgrundlagen seien die Satzung der Beklagten in Verbindung mit §§ 83, 85 Abs. 2, 90 Abs. 1 bis 3 und 95 SGB VII. Hilfsweise sei der JAV i.H.v. 81.172 EUR entsprechend der Feuerwehr-Unfallkasse H. gemäß § 85 SGB VII ab Februar 1998 festzusetzen. Ab 04.11.1988 sei der JAV nach der oberen Lohngruppe für Schornsteinfegergesellen festzusetzen. Der Einschätzung der Beklagten, er könne einer Erwerbstätigkeit nachgehen, werde widersprochen. Tatsache bleibe, dass er seit dem Arbeitsunfall nicht wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden sei. Die Zeit sei durchweg mit Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schulbesuchen und wieder Arbeitslosigkeit und Krankheit gekennzeichnet. § 44 Abs. 4 SGB X, wonach höchstens für 4 Jahre zu Unrecht enthaltene Sozialleistungen erstattet würden und der Rest verfalle, sei im Gerichtsverfahren nicht anwendbar. Er beantrage volle Rückzahlung ohne Abstriche plus Zinsen ab dem 01.04.1998, dem Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erhöhung des JAV gemäß § 48 SGB X. Eine Neufestsetzung hätte in den Jahren 1988 und 1989 von Amts wegen erfolgen müssen, weshalb der Bescheid vom 24.02.1989 nicht bestandskräftig geworden sei. Er sei von der Beklagten um sein Recht auf eine qualifizierte Umschulung gebracht worden. Die Beklagte habe in Sachen Umschulung eine sachgerechte Lösung zur Schonung der eigenen Kasse blockiert und so sein Berufsleben und seine Lebenschancen ruiniert. Der Kläger berief sich auf sozialgerichtliche Rechtsprechung und legte Unterlagen vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. § 90 Abs. 1 SGB VII sei nicht anwendbar, da der Versicherungsfall nicht vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung des Klägers eingetreten sei. Eine Stufenausbildung liege nicht vor. Eine bloße berufliche Weiterbildung sei keine Berufsausbildung. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 SGB VII, dass der Kläger einer Erwerbstätigkeit überhaupt nicht mehr nachgehen könne, lägen nicht vor. Von der Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X, wonach Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden, könne nicht abgewichen werden.
Das SG hat vom Landesinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerks B. den Bundestarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 14.10.1985, den Zusatztarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 17.11.1986 sowie die Vereinbarung zum Zusatztarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 17.11.1986 jeweils im Gebiet des Landes Baden-Württemberg beigezogen.
Mit Urteil vom 21.09.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Festsetzung des JAV nach dem Verdienst eines Schornsteinfegermeisters bzw. eines Bezirksschornsteinfegermeisters. Die Beklagte habe beim Kläger zutreffend den JAV eines Schornsteinfegergesellen zugrunde gelegt. Bei der Ausbildung zum Schornsteinfegermeister handele es sich nicht um eine Berufsausbildung, sondern um eine nicht erfasste Fortbildung im erreichten Beruf. Sofern der Kläger einer Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr nicht mehr habe nachgehen können und ihm somit die etwaige Möglichkeit der Wahrnehmung bezahlter Posten verwehrt geblieben sei, sei dies nicht entscheidend. Eine über die mit Bescheid vom 16.07.2009 hinausgehende Neufestsetzung des JAV komme nach den heranzuziehenden tariflichen Regelungen nicht in Betracht. Der dem Bescheid vom 24.02.1989 zu Grunde gelegte JAV von 39.053,45 DM war angesichts des von Anfang an höheren tariflichen JAV bei Erlass des Bescheides zu niedrig bemessen und damit unrichtig. Diesem Umstand habe die Beklagte mit dem Bescheid vom 16.07.2009 dadurch Rechnung getragen, dass ab dem 04.11.1988 ein JAV von umgerechnet 21.894,16 EUR zugrundegelegt wurde. Dabei sei der Kläger dahingehend begünstigt, als die Beklagte die Erhöhung des Weihnachtsgeldes in die Berechnung mit einbezogen habe. Eine Neufestsetzung des JAV gemäß § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X in Verbindung mit § 90 Abs. 2 SGB VII bzw. § 573 Abs. 2 RVO habe zu keinem Zeitpunkt erfolgen müssen, da nach dem Erlass des Bescheides vom 24.02.1989 keine Änderung zu Gunsten des Klägers eingetreten sei. Es sei alleine auf die tariflichen Regelungen abzustellen, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles gegolten hätten. In den maßgeblichen Tarifverträgen sei bis zum 30. Lebensjahr alleine eine tarifliche Lohnerhöhung mit Vollendung des 22. Lebensjahres vorgesehen. Auf den Überprüfungsantrag des Klägers vom 08.01.2006 habe die Beklagte gemäß § 44 Abs. 4 SGB X den Nachzahlungszeitraum zu Recht auf die Zeit ab dem 01.01.2002 beschränkt. Der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers sei zurückzuweisen, da der Inhalt interner Rundschreiben oder Informationen der Beklagten nicht entscheidungserheblich sei.
Gegen das dem Kläger am 06.10.2011 zugestellte Urteil hat er am 10.10.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen einen Verstoß gegen Art. 3 GG geltend gemacht. Es sei tatsächlich zu klären, ob die Meisterprüfung Berufsausbildung oder lediglich berufliche Weiterbildung sei. Der Rechtsstreit sei an das SG zurückzuverweisen. Es bestehe eine verfassungswidrige Interessenpolitik zugunsten Bessergestellter. Eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 GG sei angezeigt. Das SG habe den Begriff der Berufsausbildung verkannt. Die vom SG herangezogene Internetseite sei ungeeignet, die Ansicht des SG zu stützen. Verkannt werde, dass die Beklagte keine angemessene Umschulung unterstützt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2009 zu verurteilen, den Jahresarbeitsverdienst ab dem 1. April 1998 nach ihren Satzungsregelungen (§ 83 SGB VII für Unternehmer, § 90 Abs. 1 SGB VII Neufestsetzung des JAV nach Ende der Berufsausbildung, § 95 SGB VII Anpassung von Geldleistungen, in Anlehnung an die Aufstellung bzgl. Differenzen beim JAV in Anlage 08 zum Schriftsatz vom 11.02.2011) zu bestimmen, hilfsweise den Jahresarbeitsverdienst entsprechend der Feuerwehr-Unfallkasse H. i.H.v. 81.172 EUR festzustellen, den Jahresarbeitsverdienst bis zu seinem 30. Lebensjahr zu erhöhen, sowie ihm rückwirkend ab dem 1. April 1998 Verletztenrente plus Zinsen nachzubezahlen, hilfsweise Beweis zu erheben gemäß Antrag 2 auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 20.03.2012, hilfsweise eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nach Art. 100 GG beim Bundesverfassungsgericht einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf neun Bände Verwaltungsakten der Beklagten und neun Aktenordner des Klägers Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Der vorliegend allein streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 16.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2009 ist rechtmäßig. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgeblichen rechtlichen Vorschriften und Grundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Das SG hat weiter sehr ausführlich und zutreffend begründet, dass die Beklagte den JAV zutreffend nach dem Verdienst des Klägers als Schornsteinfegergeselle bestimmt hat, das Bestehen der Schornsteinfegermeisterprüfung keine zu berücksichtigende Berufsausbildung darstellt und die weiteren Anträge des Klägers keinen Erfolg haben können. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er schließt sich den Entscheidungsgründen des SG im angefochtenen Urteil zur Begründung seiner Entscheidung in vollem Umfang an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend bleibt auszuführen:
Dass der Kläger nach seinem Vorbringen als Berufsziel die Tätigkeit des Bezirksschornsteinfegermeisters angestrebt hat, rechtfertigt keine ihm günstigere Feststellung des JAV. Zwar kann diese Tätigkeit nach dem Vorbringen des Klägers und den von ihm hierzu vorgelegten Unterlagen erst nach der Zulassung vorliegend durch das Regierungspräsidium S. - nach entsprechender Wartezeit - ausgeübt werden. Diese Tätigkeit erfordert aber - auch nach dem Vorbringen des Klägers - neben der Schornsteinfegermeisterprüfung keine weitere Berufsausbildung. Sie ist ein Teilbereich des Gesamttätigkeitsbereichs eines Schornsteinfegermeisters, dem vorliegend für die Festsetzung des JAV keine eigenständige Bedeutung beigemessen werden kann. Die Ansicht des Klägers, bei der Ausbildung zum Bezirksschornsteinfegermeister handele sich um eine Stufenausbildung, trifft deshalb nicht zu. Es kommt daher auch nicht entscheidend darauf an, ob das Vorbringen des Klägers, sein Berufsziel sei als fester Bestandteil seiner Lebens- und Berufsplanung der Bezirksschornsteinfegermeister gewesen, tatsächlich zutrifft.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 90 Abs. 3 SGB VII berufen. Diese Vorschrift setzt (u.a.) voraus, dass der Kläger infolge des Versicherungsfalles einer Erwerbstätigkeit nicht (mehr) nachgehen kann. Dass dies beim Kläger zutrifft, ist nicht ersichtlich. Dass der Kläger Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit bezieht, ist nicht der Fall. Allein die Tatsache, dass der Kläger seit dem Arbeitsunfall nicht wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert wurde, wie er geltend macht, rechtfertigt die Annahme von Erwerbsunfähigkeit nicht. Unabhängig davon käme selbst dann, wenn zu seinen Gunsten von Erwerbsunfähigkeit ausgegangen würde, eine Erhöhung des streitigen JAV gemäß § 90 Abs. 3 SGB VII nicht in Betracht. Denn die zur Zeit des Versicherungsfalls maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen sehen nur einen höheren Wochenlohn nach Vollendung des 22. Lebensjahres vor, wie sich aus den vom SG eingeholten Auskünften des Landesinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks B. vom 16.03.2009 und 17.04.2009 sowie dem vom SG beigezogenen Bundestarifvertrag für das Schornsteinfegerhandwerk vom 14.10.1985 und dem Zusatztarifvertrag für das Land Baden-Württemberg vom 17.11.1986 ergibt. Tarifliche Regelungen, die gemäß § 90 Abs. 3 SGB VII eine weitere Neufeststellung des JAV zu Gunsten des Klägers nach dem Erreichen eines bestimmten Berufsjahres oder dem Ablauf einer bestimmten Bewährungszeit ermöglichen würden, bestehen nicht bzw. sind von der Beklagten berücksichtigt worden (Erhöhung des Weihnachtsgeldes).
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung, auf die sich der Kläger zur Begründung seiner Klage berufen hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Sie gibt die vom SG dargestellte Rechtslage wieder, auf deren Grundlage das nicht zu beanstandende Urteil des SG ergangen ist. Neue (rechtliche) Gesichtspunkte, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung rechtfertigen, sind den vom Kläger genannten Entscheidungen, insbesondere des BSG, nicht zu entnehmen.
Der Senat sah sich zu keinen Ermittlungen veranlasst. Die vom Kläger in seinem Schreiben vom 21.03.2012 unter Beweis gestellte Frage, ob eine Meisterprüfung als Berufsausbildung i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB VII gilt, ist eine Rechtsfrage und daher einem Zeugenbeweis nicht zugänglich. Eine konkrete Tatsache hat der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Eine ungeklärte entscheidungserhebliche Tatsache ist auch nicht ersichtlich. Eine gutachterliche Klärung der Rechtsfrage durch die vom Kläger benannten Stellen ist nicht geboten, denn die Auslegung der Rechtsvorschriften nach dem SGB VII obliegt dem Senat.
Die Beklagte hat den JAV mit 21.894,16 EUR ab dem 04.11.1988 gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 573 Abs. 2 RVO rechnerisch zutreffend ermittelt und unter zutreffender Berücksichtigung der Rentenanpassungsfaktoren fortgeschrieben.
Gegen die hier maßgeblichen Vorschriften zur Bestimmung des JAV bestehen - entgegen der Ansicht des Klägers - keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere nicht im Hinblick auf Art. 3 GG, weshalb dem Antrag des Klägers, eine Entscheidung nach Art. 100 GG beim Bundesverfassungsgericht einzuholen, nicht zu entsprechen war.
Gründe, die eine Zurückverweisung des Rechtsstreites an das SG rechtfertigen, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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