Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 38 AS 6334/11 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 1138/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Frage eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses, wenn der Antragsteller zunächst beantragt, die
vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen, sich dann aber gegen den angekündigten endgültigen
Abschluss des Bewilligungsverfahrens wendet.
2. Die Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die
Rechte des Antragstellers sichern soll. Hierzu kann das Gericht bestandsschützende einstweilige Maßnahen anordnen. Die Sicherungsanordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie
dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden.
3. Vorbeugender Rechtsschutz gegen einen zu erwartenden Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn ein
besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für
einen vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz –
einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes – unzumutbar ist.
4. Zur Zulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage.
vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen, sich dann aber gegen den angekündigten endgültigen
Abschluss des Bewilligungsverfahrens wendet.
2. Die Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die
Rechte des Antragstellers sichern soll. Hierzu kann das Gericht bestandsschützende einstweilige Maßnahen anordnen. Die Sicherungsanordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie
dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden.
3. Vorbeugender Rechtsschutz gegen einen zu erwartenden Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn ein
besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für
einen vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz –
einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes – unzumutbar ist.
4. Zur Zulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 18. November 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen einen Beschluss, mit dem ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
Der Antragsteller zu 1 ist als Lebensberater, Maler und Musiker selbständig tätig. Das letztere berufliche Standbein ist noch im Aufbau begriffen. Ein Teil dieser Tätigkeiten erfolgt über den TV-Sender Astro TV.
Die ARGE S. bewilligte dem Antragsteller zu 1 sowie den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellern zu 2 bis 5 mit vorläufigen Bescheiden vom 19. Juli 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 12. August 2010 und 13. September 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 8. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2010. Das zum 1. Januar 2011 an die Stelle des der ARGE getretene Jobcenter, der Antragsgegner, bewilligte ihnen mit vorläufigem Bescheid vom 3. Januar 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juli 2011.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011, die im Bescheid vom 3. Januar 2011 vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen.
Mit Schreiben vom 9. August 2011 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zu 1 unter anderem auf, abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für jede der drei selbständigen Tätigkeiten für den Zeitraum von Mai 2010 bis Juni 2011 vorzulegen. Im Schriftsatz vom 6. September 2011 teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit, dass der Antragsteller zu 1 nur eine einheitliche selbständige Tätigkeit ausübe. Auf das Erinnerungsschreiben vom 13. September 2011 teilte die Antragstellerin zu 2 mit Schreiben vom 15. September 2011 mit, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners gegenüber dem Antragsteller zu 1 am 4. Juli 2011 alle drei Tätigkeiten als zusammen gehörend anerkannt habe. Außerdem würde kein Sinn darin gesehen, Unterlagen für die Monate Mai bis Juli 2010 einzureichen. Denn in dieser Zeit hätten sie keine Leistungen bezogen.
Der Antragsgegner hörte den Antragsteller zu 1 mit Schreiben vom 26. Oktober 2011 zum beabsichtigten Erlass eines, den Zeitraum vom 8. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides an. Da keine genaue Zuordnung erfolgen könne, mit welcher Tätigkeit welche Einnahmen erzielt worden seien und welche Ausgaben welche Einnahmen beträfen, würden nur die Einnahmen als Einkommen berücksichtigt. Ausgaben würden nicht anerkannt.
Der Antragstellerbevollmächtigte hat am 1. November 2011 Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass es sich bei der vom Antragsteller zu 1 ausgeübten selbständigen Tätigkeiten um eine einheitliche selbständige Tätigkeit handle. Außerdem hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel beantragt, dem Antragsgegner bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18. November 2011 abgelehnt. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung sei bereits unzulässig, weil vorbeugender Rechtsschutz begehrt werde. Das hierfür erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse fehle aber. Es sei den Antragstellern zumutbar, den Bescheid mit der endgültigen Leistungsfestsetzung abzuwarten. Ein hiergegen eingelegte Widerspruch habe aufschiebende Wirkung. Antragsgegner dürfe deshalb die Erstattungsbeträge nicht vollstrecken.
Der Antragstellerbevollmächtigte hat gegen den ihm am 23. November 2011 zugestellten Beschluss am 23. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen. Er macht geltend, dass mit dem Antrag der Erlass einer Sicherungsanordnung begehrt werde. In der Hauptsache sei streitig, ob er Antragsteller zu 1 eine selbständige Tätigkeit ausübe oder mehrere. Diese Frage sei entscheidend für die Vorfrage, wie die Leistungen aus selbständiger Tätigkeit angerechnet würden. Daher bestehe ein Feststellungsinteresse im Hauptsacheverfahren. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19. Februar 2009 (Az.: B 4 AS 10/08 R) vertritt er die Auffassung, dass bei einem berechtigten Feststellungsinteresse nicht auf die vorrangige Anfechtungsklage zu verweisen sei. Dies dürfe auch für ein Eilverfahren gelten. Der Antragsgegner solle nicht durch den Erlass von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden die Position der Antragsteller vereiteln dürfen.
Der Antragsgegner beantragt unter Verweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen und die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
1. Das Beschwerdebegehren ist dahingehend auszulegen, den Beschluss vom 18. November 2011 abzuändern und dem Antragsgegner bis zur Entscheidung über die Hauptsache zu untersagen, die den Antragstellern gewährten Leistungen für die Zeiträume vom 8. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 sowie vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 endgültig festzusetzen. Ein vom Antrag im Schriftsatz vom 1, November 2011 erweitertes oder abweichendes Begehren ergibt sich nicht aus dem Beschwerdeschriftsatz.
2. Die solchermaßen beschriebene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
a) Es ist bereits fraglich, ob den Antragstellern nicht schon deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis, das heißt ein schützenswertes Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung, fehlt, weil sie sich dem Vorwurf treuwidrigen Verhaltens ausgesetzt sehen können.
Ein schützenswertes Interesse fehlt unter anderem dann, wenn Rechtsschutz in einer zu missbilligenden Weise oder zur Verfolgung von zu missbilligenden Zielen in Anspruch genommen wird (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 3. März 2008 – L 3 B 187/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [20. Erg.-Lfg., Mai 2010], Vorb § 40 Rdnr. 98 ff., m.w.N.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung [17. Aufl., 2011], Vorb § 40 Rdnr. 52, m.w.N.). Dies kann der Fall sein, wenn die Rechtsverfolgung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstößt. Eine Rechtsausübung ist unter anderem unzulässig, wenn sie mit früherem Verhalten in Widerspruch steht (venire contra factum proprium), auch wenn durch das frühere Verhalten kein schützenswertes Vertrauen anderer begründet wurde (vgl ... Sächs. LSG, Beschluss vom 3. März 2008, a. a. O.; Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [71. Aufl., 2012], § 242 Rdnr. 59).
Insoweit kann den Antragstellern entgegengehalten werden, dass sie zunächst selbst mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011 beantragten, die im Bescheid vom 3. Januar 2011 vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen, sich nunmehr aber gegen den angekündigten endgültigen Abschluss des Bewilligungsverfahrens wenden. Der Umstand, dass nicht ihrem Anliegen entsprechend die vorläufige Bewilligung durch eine endgültige Bewilligung ersetzt wird, sondern sie sich im Gegenteil nunmehr voraussichtlich einer Rückforderung gegenüber sehen, erscheint nicht geeignet, den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfallen zu lassen.
Dieser Gesichtspunkt kann jedoch dahingestellt bleiben, weil dem Antrag auf einstweilige Untersagung einer endgültigen Leistungsfestsetzung aus anderen Gründen der Erfolg versagt bleibt.
b) Den Antragstellern fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sie verfrüht vorbeugenden Rechtsschutz begehren.
(1) Zwar ist der Einwand des Antragstellerbevollmächtigten zutreffend, dass nicht der Erlass einer Regelungs-, sondern einer Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG beantragt ist. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner können sie nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rechte des Antragstellers sichern soll. Hierzu kann das Gericht bestandsschützende einstweilige Maßnahen anordnen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 86b Rdnr. 25a, m. w. N.). Die Sicherungsanordnung soll mit anderen Worten der "Veränderung eines bestehenden Zustandes" vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Juli 2006 – L 1 B 267/05 KR-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 29; vgl. auch Bay. LSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – L 7 AS 731/11 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.). Maßgebend für die Entscheidung, ob vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz durch den Erlass einer Sicherungsanordnung in Betracht kommt, ist nicht der Wortlaut des Antrages (vgl. § 123 SGG), sondern die verfahrensrechtliche Situation einerseits und das Ziel des Rechtsschutzbegehrens andererseits.
Vorliegend wurden den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vorläufig bewilligt. Sie erstreben, die vorläufig bewilligten und gezahlten Leistungen endgültig behalten zu dürfen. Aus diesem Grund beantragten sie mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011 gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) bzw. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 328 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), die vorläufige Endscheidung für endgültig zu erklären. Der Antragsgegner ist demgegenüber der Auffassung, die Leistungsbewilligungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufheben und die erbrachten Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 SGB X zurückfordern zu können. Gegen diese angekündigten Verwaltungsmaßnahmen wenden sich die Antragsteller im vorliegenden Verfahren. Ihnen ist es im vorliegenden Verfahren somit daran gelegen, vorläufig den Erlass einer sie belastenden Verwaltungsentscheidung zu verhindern und damit ihre derzeitige Rechtsstellung vorläufig zu sichern. Hierzu dient die Sicherungsanordnung.
(2) Der Antrag der Antragsteller ist gleichwohl unzulässig, weil sie vorbeugenden Rechtsschutz begehren, ohne dass hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.
Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner, den Erlass eines Verwaltungsaktes zu unterlassen. Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach den prozessrechtlichen Regelungen der Grundsatz des nachrangigen Rechtsschutzes gilt (vgl. Ehlers, a. a. O., Vorb § 40 Rdnr. 101; Kopp/Schenke, a. a. O., Vorb 40 Rdnr. 33). So wird sowohl in Regelungen zum Widerspruchsverfahren (vgl. z. B. § 78 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 1 Satz 1, § 86 SGG) als auch zum vorläufigen Rechtsschutz (vgl. z. B. § 86a, 86b Abs. 1 SGG) vorausgesetzt, dass ein Verwaltungsakt erlassen wurde. Vorbeugender Rechtsschutz gegen einen zu erwartenden Verwaltungsakt ist somit nur zulässig, wenn ein besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 10. September 2010 – L 11 AS 484/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 54 Rdnr. 42a, m. w. N.; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [21. Erg.-Lfg., Dezember 2011], § 54 Rdnr. 119, m. w. N.; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], § 104, m. w. N.). Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für einen vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz – einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes – unzumutbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 3 P 4/02 R – BSGE 91, 174 [176 Rdnr. 7] = SozR 4-3300 § 37 Nr. 1 S. 3 Rdnr. 7 = JURIS-Dokument Rdnr. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2008 – L 8 AS 5585/07 ER-B – JURIS-Dokument Rdnr. 8; Bay. LSG, Beschluss vom 10. September 2010, a. a. O.; Keller, a. a. O.; Ehlers, a. a. O., Vorb § 40 Rdnr. 101, m. w. N; Kopp/Schenke, a. a. O., Vorb. § 40 Rdnr. 33 f., m. w. N.). Dies gilt in besonderem Maße für das Begehren nach vorläufigem vorbeugendem Rechtsschutz (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2008, a. a. O.).
Ein solches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller liegt nicht vor. Für den Fall, dass der Antragsgegner die angekündigten, die Antragsteller belastenden Verwaltungsakte erlassen sollte, steht ihnen ausreichend effektiver – auch vorläufiger – Rechtsschutz zur Verfügung. Wenn der Antragsgegner – wie im Anhörungsschreiben angesprochen – einen Aufhebungsbescheid gemäß § 48 SGB X erlassen sollte, hätte ein Widerspruch der Antragsteller hiergegen zwar gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Antragsteller könnten jedoch gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragen. Die mit der Aufhebungsentscheidung verbundene, auf § 50 SGB X gestützt Erstattungsentscheidung fällt weder unter eine der Ausnahmetatbestände in § 39 SGB II noch in § 86a Abs. 2 SGG. Damit hat ein Widerspruch hiergegen gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Sofern der Antragsgegner den Weg über § 328 SGB III beschreiten sollte, wäre zu klären, ob die vorliegend mit der endgültigen Festsetzung verbundene tatsächliche Leistungsentziehung unter den Anwendungsbereich des § 39 Nr. 1 SGB II gefasst werden kann. Zumindest aber ist auch in dieser Variante die auf § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III Erstattungsforderung nicht sofort vollziehbar. Die Antragsteller sehen sich in keinem der beiden Varianten einer sofort vollziehbaren Erstattungsforderung ausgesetzt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern es dem Antragsgegner vor dem Hintergrund dieser Rechtslage möglich sein sollte, durch den Erlass von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden die Position der Antragsteller zu vereiteln, wie deren Bevollmächtigter befürchtet.
c) Unabhängig von der Frage nach einem Rechtsschutzbedürfnis ist für die begehrte einstweilige Anordnung auch nicht der gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Anordnungsanspruch, das heißt der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch, glaubhaft gemacht.
Im Klageverfahren wird ein Feststellungsbegehren verfolgt. Nach dem allein in Betracht kommenden § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne ist die Rechtsbeziehung zwischen Personen oder Personen und Gegenständen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 9. Februar 1995 – 7 RAr 78/93 – SozR 3-4427 § 5 Nr. 1 S. 4 = JURIS-Dokument Rdnr. 26; Sächs. LSG, Urteil vom 29. November 2007 – L 3 AL 125/06 – JURIS-Dokument Rdnr. 37; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 55 Rdnr. 4, m. w. N.; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [21. Erg.-Lfg., Dezember 2011], § 55 Rdnr. 49, m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes umfasst § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG jedoch auch die Feststellung einzelner Beziehungen oder Berechtigungen aus dem Rechtsverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – ZFSH/SGB 2009, 282 [283] = JURIS-Dokument Rdnr. 10, m. w. N.; Keller, a. a. O., § 55 Rdnr. 6, m. w. N.; Ulmer, a. a. O., § 55 Rdnr. 54, m. w. N.).
Ausgehend hiervon bezieht sich die Feststellungsklage der Antragsteller nicht auf ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Denn es wird die Feststellung begehrt, dass es sich bei der vom Antragsteller zu 1 ausgeübten selbständigen Tätigkeiten um eine einheitliche selbständige Tätigkeit handle. Dies ist aber, wie der Antragstellerbevollmächtigte selbst formuliert, nur eine Vorfrage für Berechnung von Leistungsansprüche nach dem SGB II. Insoweit unterscheidet sich der Fall der Antragsteller von dem, der dem von ihnen zitierten Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19. Februar 2009 zugrunde lag. Dort war die Vorlage von Kontoauszügen, das heißt das Bestehen einer Handlungspflicht, streitig und damit eine Rechtsbeziehung zwischen der dortigen Klägerin und der SGB II-Behörde (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, a. a. O.).
Im Falle der Antragsteller käme allenfalls eine Feststellungsklage in Form einer Elementenfeststellungsklage in Betracht (vgl. hierzu: Keller, a. a. O., § 55 Rdnr. 9 und 9a, m. w. N.; Ulmer, a. a. O., § 55 Rdnr. 54, m. w. N.). Der 4. Senat des Bundessozialgerichtes hat im Urteil vom 6. April 2011 hervorgehoben, dass diese Klage Fallgestaltungen betrifft, in denen der Streit zwischen den Beteiligten durch die gerichtliche Feststellung über ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses vollständig ausgeräumt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 5/10 R – JURIS-Dokument Rdnr. 17, m. w. N.). Unabhängig von der Frage, ob eine Elementenfeststellungsklage im normierten Rechtsschutzsystem des Sozialgerichtsgesetzes überhaupt verortet werden kann (zweifelnd wohl BSG, Urteil vom 6. April 2011, a. a. O.; zur Unzulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage: BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 13 Rdnr. 13 = JURIS-Dokument Rdnr. 13; ablehnend ebenfalls: Ulmer, a. a. O.), könnte der Streit zwischen den Beteiligten nicht in Folge des Feststellungsurteiles vollständig ausgeräumt werden. Denn selbst wenn eine Feststellung zur Behandlung der selbständigen Tätigkeit(en) des Antragstellers zu 1 im Sinne der Antragsteller getroffen würde, sind noch weitere Feststellungen zu den Einnahmen und Ausgaben des Antragstellers zu 1 zu treffen. Auf der Grundlage dieser festgestellten Tatsachen ist sodann zu prüfen, welche Einnahmen zu berücksichtigen und welche Ausgaben in welchem Umfang vom Einkommen abzusetzen sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen einen Beschluss, mit dem ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
Der Antragsteller zu 1 ist als Lebensberater, Maler und Musiker selbständig tätig. Das letztere berufliche Standbein ist noch im Aufbau begriffen. Ein Teil dieser Tätigkeiten erfolgt über den TV-Sender Astro TV.
Die ARGE S. bewilligte dem Antragsteller zu 1 sowie den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellern zu 2 bis 5 mit vorläufigen Bescheiden vom 19. Juli 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 12. August 2010 und 13. September 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 8. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2010. Das zum 1. Januar 2011 an die Stelle des der ARGE getretene Jobcenter, der Antragsgegner, bewilligte ihnen mit vorläufigem Bescheid vom 3. Januar 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juli 2011.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011, die im Bescheid vom 3. Januar 2011 vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen.
Mit Schreiben vom 9. August 2011 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zu 1 unter anderem auf, abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für jede der drei selbständigen Tätigkeiten für den Zeitraum von Mai 2010 bis Juni 2011 vorzulegen. Im Schriftsatz vom 6. September 2011 teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit, dass der Antragsteller zu 1 nur eine einheitliche selbständige Tätigkeit ausübe. Auf das Erinnerungsschreiben vom 13. September 2011 teilte die Antragstellerin zu 2 mit Schreiben vom 15. September 2011 mit, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners gegenüber dem Antragsteller zu 1 am 4. Juli 2011 alle drei Tätigkeiten als zusammen gehörend anerkannt habe. Außerdem würde kein Sinn darin gesehen, Unterlagen für die Monate Mai bis Juli 2010 einzureichen. Denn in dieser Zeit hätten sie keine Leistungen bezogen.
Der Antragsgegner hörte den Antragsteller zu 1 mit Schreiben vom 26. Oktober 2011 zum beabsichtigten Erlass eines, den Zeitraum vom 8. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides an. Da keine genaue Zuordnung erfolgen könne, mit welcher Tätigkeit welche Einnahmen erzielt worden seien und welche Ausgaben welche Einnahmen beträfen, würden nur die Einnahmen als Einkommen berücksichtigt. Ausgaben würden nicht anerkannt.
Der Antragstellerbevollmächtigte hat am 1. November 2011 Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass es sich bei der vom Antragsteller zu 1 ausgeübten selbständigen Tätigkeiten um eine einheitliche selbständige Tätigkeit handle. Außerdem hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel beantragt, dem Antragsgegner bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18. November 2011 abgelehnt. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung sei bereits unzulässig, weil vorbeugender Rechtsschutz begehrt werde. Das hierfür erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse fehle aber. Es sei den Antragstellern zumutbar, den Bescheid mit der endgültigen Leistungsfestsetzung abzuwarten. Ein hiergegen eingelegte Widerspruch habe aufschiebende Wirkung. Antragsgegner dürfe deshalb die Erstattungsbeträge nicht vollstrecken.
Der Antragstellerbevollmächtigte hat gegen den ihm am 23. November 2011 zugestellten Beschluss am 23. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen. Er macht geltend, dass mit dem Antrag der Erlass einer Sicherungsanordnung begehrt werde. In der Hauptsache sei streitig, ob er Antragsteller zu 1 eine selbständige Tätigkeit ausübe oder mehrere. Diese Frage sei entscheidend für die Vorfrage, wie die Leistungen aus selbständiger Tätigkeit angerechnet würden. Daher bestehe ein Feststellungsinteresse im Hauptsacheverfahren. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19. Februar 2009 (Az.: B 4 AS 10/08 R) vertritt er die Auffassung, dass bei einem berechtigten Feststellungsinteresse nicht auf die vorrangige Anfechtungsklage zu verweisen sei. Dies dürfe auch für ein Eilverfahren gelten. Der Antragsgegner solle nicht durch den Erlass von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden die Position der Antragsteller vereiteln dürfen.
Der Antragsgegner beantragt unter Verweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen und die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
1. Das Beschwerdebegehren ist dahingehend auszulegen, den Beschluss vom 18. November 2011 abzuändern und dem Antragsgegner bis zur Entscheidung über die Hauptsache zu untersagen, die den Antragstellern gewährten Leistungen für die Zeiträume vom 8. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 sowie vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 endgültig festzusetzen. Ein vom Antrag im Schriftsatz vom 1, November 2011 erweitertes oder abweichendes Begehren ergibt sich nicht aus dem Beschwerdeschriftsatz.
2. Die solchermaßen beschriebene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
a) Es ist bereits fraglich, ob den Antragstellern nicht schon deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis, das heißt ein schützenswertes Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung, fehlt, weil sie sich dem Vorwurf treuwidrigen Verhaltens ausgesetzt sehen können.
Ein schützenswertes Interesse fehlt unter anderem dann, wenn Rechtsschutz in einer zu missbilligenden Weise oder zur Verfolgung von zu missbilligenden Zielen in Anspruch genommen wird (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 3. März 2008 – L 3 B 187/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [20. Erg.-Lfg., Mai 2010], Vorb § 40 Rdnr. 98 ff., m.w.N.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung [17. Aufl., 2011], Vorb § 40 Rdnr. 52, m.w.N.). Dies kann der Fall sein, wenn die Rechtsverfolgung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstößt. Eine Rechtsausübung ist unter anderem unzulässig, wenn sie mit früherem Verhalten in Widerspruch steht (venire contra factum proprium), auch wenn durch das frühere Verhalten kein schützenswertes Vertrauen anderer begründet wurde (vgl ... Sächs. LSG, Beschluss vom 3. März 2008, a. a. O.; Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [71. Aufl., 2012], § 242 Rdnr. 59).
Insoweit kann den Antragstellern entgegengehalten werden, dass sie zunächst selbst mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011 beantragten, die im Bescheid vom 3. Januar 2011 vorläufig gewährten Leistungen endgültig festzusetzen, sich nunmehr aber gegen den angekündigten endgültigen Abschluss des Bewilligungsverfahrens wenden. Der Umstand, dass nicht ihrem Anliegen entsprechend die vorläufige Bewilligung durch eine endgültige Bewilligung ersetzt wird, sondern sie sich im Gegenteil nunmehr voraussichtlich einer Rückforderung gegenüber sehen, erscheint nicht geeignet, den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfallen zu lassen.
Dieser Gesichtspunkt kann jedoch dahingestellt bleiben, weil dem Antrag auf einstweilige Untersagung einer endgültigen Leistungsfestsetzung aus anderen Gründen der Erfolg versagt bleibt.
b) Den Antragstellern fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sie verfrüht vorbeugenden Rechtsschutz begehren.
(1) Zwar ist der Einwand des Antragstellerbevollmächtigten zutreffend, dass nicht der Erlass einer Regelungs-, sondern einer Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG beantragt ist. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner können sie nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Sicherungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rechte des Antragstellers sichern soll. Hierzu kann das Gericht bestandsschützende einstweilige Maßnahen anordnen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 86b Rdnr. 25a, m. w. N.). Die Sicherungsanordnung soll mit anderen Worten der "Veränderung eines bestehenden Zustandes" vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Juli 2006 – L 1 B 267/05 KR-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 29; vgl. auch Bay. LSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – L 7 AS 731/11 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.). Maßgebend für die Entscheidung, ob vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz durch den Erlass einer Sicherungsanordnung in Betracht kommt, ist nicht der Wortlaut des Antrages (vgl. § 123 SGG), sondern die verfahrensrechtliche Situation einerseits und das Ziel des Rechtsschutzbegehrens andererseits.
Vorliegend wurden den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vorläufig bewilligt. Sie erstreben, die vorläufig bewilligten und gezahlten Leistungen endgültig behalten zu dürfen. Aus diesem Grund beantragten sie mit Schriftsatz vom 1. Juli 2011 gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) bzw. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung) i. V. m. § 328 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), die vorläufige Endscheidung für endgültig zu erklären. Der Antragsgegner ist demgegenüber der Auffassung, die Leistungsbewilligungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufheben und die erbrachten Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 SGB X zurückfordern zu können. Gegen diese angekündigten Verwaltungsmaßnahmen wenden sich die Antragsteller im vorliegenden Verfahren. Ihnen ist es im vorliegenden Verfahren somit daran gelegen, vorläufig den Erlass einer sie belastenden Verwaltungsentscheidung zu verhindern und damit ihre derzeitige Rechtsstellung vorläufig zu sichern. Hierzu dient die Sicherungsanordnung.
(2) Der Antrag der Antragsteller ist gleichwohl unzulässig, weil sie vorbeugenden Rechtsschutz begehren, ohne dass hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.
Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner, den Erlass eines Verwaltungsaktes zu unterlassen. Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach den prozessrechtlichen Regelungen der Grundsatz des nachrangigen Rechtsschutzes gilt (vgl. Ehlers, a. a. O., Vorb § 40 Rdnr. 101; Kopp/Schenke, a. a. O., Vorb 40 Rdnr. 33). So wird sowohl in Regelungen zum Widerspruchsverfahren (vgl. z. B. § 78 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 1 Satz 1, § 86 SGG) als auch zum vorläufigen Rechtsschutz (vgl. z. B. § 86a, 86b Abs. 1 SGG) vorausgesetzt, dass ein Verwaltungsakt erlassen wurde. Vorbeugender Rechtsschutz gegen einen zu erwartenden Verwaltungsakt ist somit nur zulässig, wenn ein besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 10. September 2010 – L 11 AS 484/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 54 Rdnr. 42a, m. w. N.; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [21. Erg.-Lfg., Dezember 2011], § 54 Rdnr. 119, m. w. N.; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], § 104, m. w. N.). Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für einen vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz – einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes – unzumutbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 3 P 4/02 R – BSGE 91, 174 [176 Rdnr. 7] = SozR 4-3300 § 37 Nr. 1 S. 3 Rdnr. 7 = JURIS-Dokument Rdnr. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2008 – L 8 AS 5585/07 ER-B – JURIS-Dokument Rdnr. 8; Bay. LSG, Beschluss vom 10. September 2010, a. a. O.; Keller, a. a. O.; Ehlers, a. a. O., Vorb § 40 Rdnr. 101, m. w. N; Kopp/Schenke, a. a. O., Vorb. § 40 Rdnr. 33 f., m. w. N.). Dies gilt in besonderem Maße für das Begehren nach vorläufigem vorbeugendem Rechtsschutz (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2008, a. a. O.).
Ein solches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller liegt nicht vor. Für den Fall, dass der Antragsgegner die angekündigten, die Antragsteller belastenden Verwaltungsakte erlassen sollte, steht ihnen ausreichend effektiver – auch vorläufiger – Rechtsschutz zur Verfügung. Wenn der Antragsgegner – wie im Anhörungsschreiben angesprochen – einen Aufhebungsbescheid gemäß § 48 SGB X erlassen sollte, hätte ein Widerspruch der Antragsteller hiergegen zwar gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Antragsteller könnten jedoch gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragen. Die mit der Aufhebungsentscheidung verbundene, auf § 50 SGB X gestützt Erstattungsentscheidung fällt weder unter eine der Ausnahmetatbestände in § 39 SGB II noch in § 86a Abs. 2 SGG. Damit hat ein Widerspruch hiergegen gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Sofern der Antragsgegner den Weg über § 328 SGB III beschreiten sollte, wäre zu klären, ob die vorliegend mit der endgültigen Festsetzung verbundene tatsächliche Leistungsentziehung unter den Anwendungsbereich des § 39 Nr. 1 SGB II gefasst werden kann. Zumindest aber ist auch in dieser Variante die auf § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III Erstattungsforderung nicht sofort vollziehbar. Die Antragsteller sehen sich in keinem der beiden Varianten einer sofort vollziehbaren Erstattungsforderung ausgesetzt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern es dem Antragsgegner vor dem Hintergrund dieser Rechtslage möglich sein sollte, durch den Erlass von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden die Position der Antragsteller zu vereiteln, wie deren Bevollmächtigter befürchtet.
c) Unabhängig von der Frage nach einem Rechtsschutzbedürfnis ist für die begehrte einstweilige Anordnung auch nicht der gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Anordnungsanspruch, das heißt der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch, glaubhaft gemacht.
Im Klageverfahren wird ein Feststellungsbegehren verfolgt. Nach dem allein in Betracht kommenden § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne ist die Rechtsbeziehung zwischen Personen oder Personen und Gegenständen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 9. Februar 1995 – 7 RAr 78/93 – SozR 3-4427 § 5 Nr. 1 S. 4 = JURIS-Dokument Rdnr. 26; Sächs. LSG, Urteil vom 29. November 2007 – L 3 AL 125/06 – JURIS-Dokument Rdnr. 37; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 55 Rdnr. 4, m. w. N.; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [21. Erg.-Lfg., Dezember 2011], § 55 Rdnr. 49, m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes umfasst § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG jedoch auch die Feststellung einzelner Beziehungen oder Berechtigungen aus dem Rechtsverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – ZFSH/SGB 2009, 282 [283] = JURIS-Dokument Rdnr. 10, m. w. N.; Keller, a. a. O., § 55 Rdnr. 6, m. w. N.; Ulmer, a. a. O., § 55 Rdnr. 54, m. w. N.).
Ausgehend hiervon bezieht sich die Feststellungsklage der Antragsteller nicht auf ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Denn es wird die Feststellung begehrt, dass es sich bei der vom Antragsteller zu 1 ausgeübten selbständigen Tätigkeiten um eine einheitliche selbständige Tätigkeit handle. Dies ist aber, wie der Antragstellerbevollmächtigte selbst formuliert, nur eine Vorfrage für Berechnung von Leistungsansprüche nach dem SGB II. Insoweit unterscheidet sich der Fall der Antragsteller von dem, der dem von ihnen zitierten Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19. Februar 2009 zugrunde lag. Dort war die Vorlage von Kontoauszügen, das heißt das Bestehen einer Handlungspflicht, streitig und damit eine Rechtsbeziehung zwischen der dortigen Klägerin und der SGB II-Behörde (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, a. a. O.).
Im Falle der Antragsteller käme allenfalls eine Feststellungsklage in Form einer Elementenfeststellungsklage in Betracht (vgl. hierzu: Keller, a. a. O., § 55 Rdnr. 9 und 9a, m. w. N.; Ulmer, a. a. O., § 55 Rdnr. 54, m. w. N.). Der 4. Senat des Bundessozialgerichtes hat im Urteil vom 6. April 2011 hervorgehoben, dass diese Klage Fallgestaltungen betrifft, in denen der Streit zwischen den Beteiligten durch die gerichtliche Feststellung über ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses vollständig ausgeräumt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 5/10 R – JURIS-Dokument Rdnr. 17, m. w. N.). Unabhängig von der Frage, ob eine Elementenfeststellungsklage im normierten Rechtsschutzsystem des Sozialgerichtsgesetzes überhaupt verortet werden kann (zweifelnd wohl BSG, Urteil vom 6. April 2011, a. a. O.; zur Unzulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage: BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 13 Rdnr. 13 = JURIS-Dokument Rdnr. 13; ablehnend ebenfalls: Ulmer, a. a. O.), könnte der Streit zwischen den Beteiligten nicht in Folge des Feststellungsurteiles vollständig ausgeräumt werden. Denn selbst wenn eine Feststellung zur Behandlung der selbständigen Tätigkeit(en) des Antragstellers zu 1 im Sinne der Antragsteller getroffen würde, sind noch weitere Feststellungen zu den Einnahmen und Ausgaben des Antragstellers zu 1 zu treffen. Auf der Grundlage dieser festgestellten Tatsachen ist sodann zu prüfen, welche Einnahmen zu berücksichtigen und welche Ausgaben in welchem Umfang vom Einkommen abzusetzen sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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