S 2 KR 208/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 KR 208/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 153/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die im Rahmen der häuslichen Krankenpflege für die Versicherte Frau XX angefallenen Hausbesuchspauschalen im Zeitraum Dezember 2006 bis September 2007 in Höhe von 1.818,96 Euro zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Zahlung weiterer Hausbesuchspauschalen im Zusammenhang mit Leistungen häuslicher Krankenpflege im Streit.

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst mit Sitz in A-Stadt und erbringt unter anderem für Versicherte der Beklagten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V. Die Versicherte Frau XX beantragte mit Verordnung vom 21.12.2006 bei der Beklagten Leistungen der häuslichen Krankenpflege, unter anderem fünfmal täglich subkutane Insulininjektionen, ärztlich verordnet durch die Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. RF./Z. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 24.01.2007 die Entrichtung zweiter zusätzlicher Hausbesuchspauschalen ab. Auch hinsichtlich des Abrechnungszeitraumes 01.04. – 31.12.2007, dem die ärztliche Verordnung vom 27.03.2007 zugrunde liegt, lehnte die Beklagte zusätzliche Hausbesuchspauschalen ab. Die Klägerin wandte dagegen ein, dass die zwischen den Beteiligten abgeschlossene Vergütungsvereinbarung vorsehe, dass die Hausbesuchspauschale in medizinisch begründeten Einzelfällen eine mehr als dreimalige Abrechenbarkeit vorsehe. Dass die Hausbesuche medizinisch indiziert gewesen seien, ergebe sich aus der ärztlichen Bescheinigung der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. RF./Z ... Diese bescheinigten am 27.02.2007, dass die Versicherte unter einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer Herzinsuffizienz sowie Retinopathie leide und unter der derzeitigen intensivierten Insulintherapie mit fünf Injektionen täglich der Zucker der Patientin nach langem Krankheitsverlauf zufriedenstellend eingestellt sei. Eine Reduktion auf drei Injektionen täglich würde ihrer Einschätzung nach zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes führen. Die Beklagte führte zunächst aus, dass ein Widerspruch nicht möglich sie, da es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Ungeachtet dessen sei eine häufigere Abrechnungsfähigkeit der Hausbesuchspauschale als dreimal täglich nur in medizinisch begründeten Einzelfällen vereinbarungsfähig. Die medizinische Notwendigkeit allein sei bei allen genehmigten Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegeben, da ansonsten gar keine Genehmigungsfähigkeit vorliege. Bei der regelhaften, dauerhaft angelegten Versorgung der Versicherten handele es sich indes nicht um einen Einzelfall. Daher habe auch keine entsprechende Einzelfallvereinbarung getroffen werden können.

Mit ihrer am 16.08.2007 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangenen Klage, die zunächst auf Bescheidung des Widerspruches, dann indes auf Zahlung der offenstehenden Hausbesuchspauschalen für den Abrechnungszeitraum Dezember 2006 bis September 2007 abgeändert worden ist, wendet sich die Klägerin erneut gegen die Ablehnung zwei weiterer Hausbesuchspauschalen. Zur Begründung führt sie aus, dass nach Anlage 3a zum Rahmenvertrag über die häusliche Krankenpflege unter laufender Nummer 33 und 34 die Hausbesuchspauschalen abzurechnen seien. Diese seien zwar maximal dreimal täglich und nur im Zusammenhang mit erbrachten und abrechnungsfähigen Dienstleistungen abrechnungsfähig. In der Bemerkungszeile dieser Anlage werde indes ausgeführt, dass in medizinisch begründeten Einzelfällen (z. B. Augentropfengabe, Injektionen, etc.) eine häufigere Abrechnungsfähigkeit vereinbarungsfähig sei. Vor dem Hintergrund der vorliegenden bestätigten medizinischen Notwendigkeit von fünf täglichen Einsätzen habe die Klägerin auf der Rückseite der ärztlichen Verordnung die Genehmigung von fünf Hausbesuchen täglich beantragt. Dieses Verfahren entspreche der in den Sitzungen des Einigungsausschusses zum Rahmenvertrag nach § 132 a SGB V vom 09.10./27.10./13.11.2006 getroffenen Regelung. Hintergrund der Regelung sei, dass die zwischen den Parteien bestehende Vergütungsvereinbarung grundsätzlich vorsehe, dass die Hausbesuchspauschale nur dreimal täglich abrechenbar sei. In begründeten Einzelfällen sei indes eine häufigere Abrechnung möglich. Hierzu bedürfe es einer Vereinbarung, welche nach den Ergebnissen des Einigungsausschusses dadurch erreicht werden solle, dass der Pflegedienst dies kurz beantrage und die Krankenkasse darüber entscheide. Laut Ergebnis des Einigungsausschusses hätten die Kassen den Antrag des Pflegedienstes gemäß § 5 Rahmenvertrag zu prüfen. § 5 des Rahmenvertrages über die häusliche Krankenpflege nach § 132 a SGB V regele die Genehmigung der von den Versicherten beantragten Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Die Beklagte habe die medizinische Notwendigkeit von fünf Insulininjektionen nicht in Abrede gestellt. Folglich müsse sie auch die daraus resultierende erhöhte Hausbesuchspauschale entrichten.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zur verurteilen, die im Rahmen der häuslichen Krankenpflege für die Versicherte Frau XX angefallenen Hausbesuchspauschalen betreffend den Zeitraum Dezember 2006 bis September 2007 in Höhe von 1.818,96 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass Ziffer 33 und 34 der Vergütungsvereinbarung eine maximal dreimal tägliche abrechenbare Hausbesuchspauschale vorsähen. Dies bedeute, dass ein gegebenenfalls darüber hinaus gehender Bedarf mit abgedeckt sei, da es sich um eine Mischkalkulation handele. Zwar sei in medizinisch begründeten Einzelfällen eine häufigere Abrechnungsfähigkeit vereinbarungsfähig. Eine derartige Vereinbarung sei vorliegend aber nicht getroffen worden. Die Beklagte verweist zudem auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichtes, derzufolge die vertraglichen Regelungen eng auszulegen seien. Die vertragliche Regelung könne hingegen nur so verstanden werden, dass generell die Anzahl der abrechnungsfähigen Hausbesuchspauschalen auf drei begrenzt sei. Der im Rahmenvertrag angegebene Ausnahmefall sei vorliegend nicht gegeben, da die Verabreichung von Insulininjektionen einer der Hauptanwendungsfälle für die Abrechnung einer Hausbesuchspauschale sei. Es liege somit kein Einzelfall vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die hier allein zulässige Leistungsklage ist begründet. Die Beklagte hat der Klägerin im streitigen Zeitraum Dezember 2006 bis September 2007 die abgerechneten fünf täglichen Hausbesuchspauschalen zu erstatten. Auf die Frage, ob ein Widerspruchsbescheid seitens der Beklagten zu erteilen gewesen wäre, war vorliegend nicht mehr abzustellen, nachdem die Klägerin ihr Begehren von einer Bescheidungs- auf eine Leistungsklage umgestellt hat.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachte Forderung ist der Vergütungsanspruch nach § 42 des Rahmenvertrages über die häusliche Krankenpflege nach § 132 a Abs. 2 SGB V in Hessen vom 01.05.2006. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Ebenso wenig ist streitig, dass nach Ziffer 33 bzw. 34 der Anlage 3 zu § 23 Abs. 3 und 42 Abs. 1 des Rahmenvertrages Hausbesuchspauschalen maximal dreimal täglich abrechnungsfähig sind, in medizinisch begründeten Einzelfällen (z. B. Augentropfengabe, Injektionen, etc.) hingegen eine häufigere Abrechnungsfähigkeit vereinbarungsfähig ist.

Unstreitig ist weiterhin, dass Klägerin und Beklagte eine Vereinbarung über eine höhere Abrechnungsfähigkeit als dreimal täglich nicht abgeschlossen haben. Dies führt nach Überzeugung des Gerichtes hingegen nicht dazu anzunehmen, dass somit auch der Anspruch der Klägerin auf entsprechende Entrichtung der erbrachten Leistungen entfallen würde. Es ist zwar zutreffend, dass die Festlegung der Vergütung grundsätzlich Verhandlungssache der Beteiligten ist und es nicht Aufgabe der Gerichte sein kann, in den betreffenden Konstellationen die angemessene Vergütung festzusetzen. Gleichwohl findet eine Rechtskontrolle dahin statt, ob die Krankenkassen die Grenzen des ihnen eingeräumten Verhandlungsspielraums einhalten und den Leistungserbringern Konditionen nicht aufzwingen, die mit ihrer Stellung als öffentlich- rechtlich gebundener Träger unvereinbar sind. Daraus kann im Einzelfall ein Kontrahierungszwang der Krankenkasse erwachsen (vgl. Urteil des BSG vom 20.11.2008, B 3 KR 25/07 R – juris).

Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Annahme eines medizinisch indizierten Einzelfalles vorliegen, die Krankenkasse verpflichtet ist, entsprechend abzurechnen. Denn ansonsten würde es in ihrem Belieben stehen, durch Nichtabschluss einer entsprechenden Vereinbarung berechtigte Vergütungsansprüche des Leistungserbringers nicht zu erfüllen.

Als Auslegungshilfe ist darüber hinaus das Ergebnisprotokoll des Einigungsausschusses zum Rahmenvertrag nach § 132 a SGB V heranzuziehen. Offensichtlich vor dem Hintergrund von Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Pflegedienst und Krankenkasse wurde im Ergebnisprotokoll der Sitzungstermine 09./27.10. und 13.11.2006 festgehalten, dass in dem Fall, dass ein Pflegedienst die Hausbesuchspauschale häufiger als in Position 33 bzw. 34 geregelt abrechnen möchte, auf der Rückseite des Verordnungsvordruckes dies kurz beantragen muss und die Kasse dann gemäß § 5 Rahmenvertrag prüfen. Zwar ist in diesem Ergebnisprotokoll lediglich das Procedere festgelegt und keine inhaltliche Entscheidung damit verknüpft, es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Klägerin sich genau an diese Vorgaben gehalten und bei Vorlage der ärztlichen Verordnung einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten gestellt hat. § 5 des Rahmenvertrages sieht vor, dass Art, Umfang und Dauer der vom Pflegedienst nach diesem Vertrag abrechenbaren Leistungen sich grundsätzlich aus der von der Kasse genehmigten Verordnung des behandelnden Vertragsarztes ergibt. Vorliegend ist unstreitig, dass die behandelnden Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. RF./Z. eine fünfmal tägliche Insulininjektion bei der Versicherten XX verordnet haben. Dies haben sie darüber hinaus hinreichend begründet, indem angegeben wurde, dass die bisher durchgeführte dreimal tägliche Insulininjektion nicht den gewünschten Erfolg erbracht habe, während nunmehr nach langem Krankheitsverlauf eine zufriedenstellende Zuckereinstellung der Patientin erfolgt sei. Dies wird von der Beklagten auch in keiner Weise angegriffen. Denn sie hat bei der Abrechnung der Klägerin die fünf täglichen Insulininjektionen auch anerkannt und bezahlt.

Wenn aber die medizinische Notwendigkeit für fünf Insulininjektionen täglich anerkannt wird, erschließt sich für das Gericht in keiner Weise, mit welcher Begründung die damit verbundene Abrechnung der Hausbesuchspauschalen nicht möglich sein sollte. Die Beklagte kann insoweit nicht vorbringen, dass kein Einzelfall im Sinne von Ziffern 33/34 der Anlage 3a zum Rahmenvertrag vorliege, da die Behandlung nicht einmalig, sondern auf einen längeren Zeitraum angelegt gewesen sei. Diese Interpretation der Formulierung "in medizinisch begründeten Einzelfällen" erschließt sich der Kammer in keiner Weise. Würde eine Abrechnungsfähigkeit lediglich für einmalige Ausnahme von den üblichen dreimal täglichen Hausbesuchspauschalen hinaus laufen, hätte die Formulierung nicht "Einzelfälle", sondern "einmalige" Fälle lauten müssen.

Dem Steht nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung des LSG Darmstadt (L 1 KR 380/03) entgegen, wonach vertragliche Vereinbarungen eng auszulegen seien. Denn dies bezieht sich lediglich auf Formulierungen, die einen Beurteilungsspielraum eröffnen. Vorliegend ist hingegen die Interpretation der Beklagten, was unter "in medizinisch begründeten Einzelfällen" zu verstehen ist, völlig abwegig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass als Beispielsfall die Injektionsgabe genannt ist. Im Übrigen hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt, dass bei der Versicherten fünfmal täglich Injektionen mit Insulin subkutan zu erfolgen hatten. Die Interpretation, dass unter Einzelfälle Ausnahmefälle zu verstehen seien, kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Ebenso wenig ist das Argument überzeugend, dass Insulininjektionen der Hauptanwendungsfall der Abrechnung von Hausbesuchspauschalen seien. Denn gerade Injektionen werden als Beispielsfall in der Bemerkungszeile für medizinisch begründete Einzelfälle genannt.

Vor diesem Hintergrund steht für das Gericht fest, dass die Klägerin sich an das durch den Einigungsausschuss festgelegte Procedere bei der Abrechnung erhöhter Hausbesuchspauschalen gehalten, die Beklagte die medizinische Notwendigkeit für fünf Insulininjektionen anerkannt und insoweit auch für die damit verbundene Erforderlichkeit von fünf Hausbesuchspauschalen täglich aufzukommen hat.

Hinsichtlich der Höhe der Forderung errechnet sich der Betrag von 1.118,96 Euro aus der Differenz zwischen den von der Beklagten ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Rechnungen angewiesenen Beträge im Zeitraum 12/06 bis 09/07 und der von der Klägerin geltend gemachten Forderung. Soweit klägerseits zunächst nur ein Betrag von 1.573,82 Euro geltend gemacht wurde, hat die Nachberechnung ergeben, dass bei der Aufstellung der offenstehende Betrag aus der Dezember 2006 in Höhe von 245,14 Euro versehentlich nicht eingerechnet worden war. Darüber hinaus erübrigen sich weitere Ausführungen, da die Beklagte die Höhe der Forderung nicht bestritten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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