L 7 SB 55/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 SB 39/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 55/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Die 1953 geborene Klägerin beantragte am 30. April 2003 u. a. wegen Erkrankungen im Bereich der Halswirbelsäule, beider Kniegelenke und der Durchtrennung der Strecksehne des Zeigefingers der linken Hand beim Versorgungsamt H. die Feststellung von Behinderungen, das Zuerkennen der Merkzeichen "G", "aG", und "RF" sowie das Ausstellung eines entsprechenden Ausweises; die Merkzeichen "aG" und "RF" wurden von der Klägerin später nicht mehr verfolgt. Das Versorgungsamt zog Befundberichte des Facharztes für Neurologie Dr. Z., und des Orthopäden Dipl.-Med. K., beide H., bei, denen weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren. Der Ärztliche Dienst des Beklagten schlug nach Auswertung dieser Unterlagen die Bezeichnung der Behinderungen "Funktionsminderung der Kniegelenke, Funktionsminderung des 2. Fingers links nach Strecksehnenverletzung, Funktionseinschränkung der Wirbelsäule" und die Feststellung eines GdB von 20 vor. Dem folgend erließ der Beklagte den Bescheid vom 22. Januar 2004 und lehnte die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises sowie die Feststellung von Merkzeichen ab, weil der GdB unter 50 liege. Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, es seien bei der Bemessung die Erkrankungen "Retropatellares Schmerzsyndrom bei Fehlstellung, Schulterschmerzen bei Zervikobrachialsyndrom, endgradige Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke" nicht berücksichtigt worden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. April 2004). Das nachfolgende Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Halle wurde durch Vergleich vom 4. April 2005 beendet. Der Beklagte stellte daraufhin mit Ausführungsbescheid vom 13. April 2005 den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest und stützte diesen auf die Funktionsbeeinträchtigungen "Funktionsminderung der Kniegelenke, Funktionsminderung des 2. Fingers links nach Strecksehnenverletzung, Funktionseinschränkung der Wirbelsäule".

Am 14. April 2004 stellte die Klägerin beim Versorgungsamt H. einen weiteren Antrag auf Feststellung von Behinderungen, das Zuerkennen des Merkzeichens G sowie das Ausstellen eines entsprechenden Ausweises. Diesen Antrag stützte sie auf die Erkrankungen "Gonarthrose bds., retropatellare Chondropathie; Cervicobrachial- und Lumbalsyndrom; Bewegungseinschränkungen Hüftgelenk, Bewegungseinschränkung bd. Schultern, und wies auf einen gestellten Rentenantrag hin. Aus der Rehabilitationsklinik D. war sie kurz zuvor als arbeitsunfähig entlassen worden (20. April 2004). Mit Bescheid vom 13. April 2005 setzte der Beklagte in Ausführung des vor dem SG abgegebenen Vergleiches vom 4. April 2005 den GdB auf 30 bei gleichzeitiger Feststellung einer bestehenden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Als Funktionsbeeinträchtigungen benannte er: "Funktionsminderung der Kniegelenke; Funktionsminderung des 2. Fingers links nach Strecksehnenverletzung; Funktionseinschränkung der Wirbelsäule".

Am 23. Mai 2006 beantragte die Klägerin die Neufeststellung von Behinderungen nebst Zuerkennen des Merkzeichens G sowie das Ausstellung eines entsprechenden Ausweises. Nunmehr machte sie als Erkrankungen "Hüftleiden, Wirbelsäule, Halswirbelsäule" geltend. Dem Antrag fügte sie zwei Arztbriefe vom 27. Dezember 2005 und 20. März 2006 (jeweils Dr. R., Zentrum für Orthopädie und Sporttraumatologie E.) bei. Danach bestanden bei ihr eine Spondylosisthese L 5/S 1, eine erstgradige Coxarthrose links und eine mediale Varusgonarthrose links sowie eine Spondychondrose C5/6 mit rezidivierender Cervicalgie und nächtlichen Parästhesien. In Auswertung dieser Unterlagen stellte der Ärztliche Dienst des Beklagten fest, es sei keine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse eingetreten. Die initiale Gonarthrose bedinge bei erhaltener Beweglichkeit keinen GdB. Zusammenfassend sei der GdB mit 20 einzuschätzen. Dem folgend lehnte der Beklagte die Neufeststellung mit Bescheid vom 9. August 2006 ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, unter ständigen Schmerzen in den Kniegelenken und in der Wirbelsäule zu leiden. Sie könne nicht mehr länger stehen, gehen oder sitzen. Schon wegen der gravierenden Einschränkungen beider Kniegelenke sei ein GdB von mindestens 50 anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da die bei der Klägerin bestehenden Behinderungen vollständig und richtig bezeichnet und mit einem GdB von 30 nach wie vor zutreffend bewertet seien.

Mit der am 23. Februar 2007 beim Sozialgericht (SG) Halle erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und Anspruch auf einen GdB von 60 und das Merkzeichen G erhoben. Sie hat vorgetragen, inzwischen sei ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt worden. Im Rentenverfahren seien durch eine Begutachtung schwerwiegende Veränderungen im Stütz- und Bewegungsapparat festgestellt worden. Die Gehfähigkeit sei insbesondere durch die an beiden Knien festgestellte fortgeschrittene sehr schmerzhafte Arthrose beider Kniegelenke nachhaltig beeinträchtigt. Die schmerzfreie Gehstrecke betrage nur noch 250 bis 300 m, wodurch der Fußweg auf 450 m begrenzt sei. Zur Bekräftigung dieser Ausführungen hat die Klägerin einen Auszug aus dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. W., Zentrum für Rückenmarkverletzte und Klinik für Orthopädie, H., vom 20. Dezember 2006 vorgelegt. Gegenüber dem Sachverständigen hat die Klägerin nach dessen Feststellungen angegeben, sie schaffe es wegen der Knieschmerzen nicht mehr bis zum 600m von der Wohnung entfernten Konsum im Dorf. Sie könne mit dem Ehemann nur noch eine viertel bis halbe Stunde Spazieren gehen. Dabei müsse sie langsam laufen und links eine Gehstütze einsetzen. Anschließend habe sie noch mehr Schmerzen und sei geschafft. Wegen der erheblichen Knieschmerzen könne sie diese Anstrengung nur alle zwei bis drei Tage auf sich nehmen. Zur körperlichen Untersuchung hat Dr. W. angegeben, die Klägerin gehe langsam, ohne eine Unterarmgehstütze einzusetzen. Das Gangbild sei leicht hinkend, Treppensteigen über eine Etage möglich. Das Gewicht betrage 82 kg bei einer Größe von 153 cm. Zehen- und Hackenstand sowie beidseitiger Einbeinstand seien möglich, nicht aber die Durchführung der Hocke. Die Beweglichkeit der Kniegelenke hat Dr. W. mit beidseits 0-0-130 Grad angegeben; der Bandhalt sei auf beiden Seiten stabil. Am linken Kniegelenk komme es bei voller Streckung zu einem Reiben hinter der Kniescheibe, ferner bestehe innen und außen am Gelenkspalt ein Druckschmerz. Auch am rechten Kniegelenk sei beim Durchbewegen ein deutliches retropatellares Reiben festzustellen. Die Füße seien an der Fußfläche beidseits deutlich beschwielt. Die Klägerin hinke rechts, sei aber ihren Angaben zufolge auf eine Gehhilfe für die linke Seite angewiesen. Durch die dekompensierte Gonarthrose in beiden Kniegelenken sei die Fähigkeit zum Gehen und Treppensteigen massiv beeinträchtigt, ebenso das Fahrradfahren, Autofahren und Aufstehen aus dem Sitzen. Infolge des deutlichen Übergewichts sei die Leistungsfähigkeit im Zusammenspiel mit der Arthrose beider Kniegelenke eingeschränkt. Allerdings habe die Klägerin durch Nahrungsumstellung innerhalb eines Jahres 17 kg abgenommen und befinde sich auf einem erfolgversprechenden Weg. Ihre Gehfähigkeit sei auf Wege unter 450 m beschränkt, da sie nur noch 250 bis 300 m ohne unzumutbare Schmerzen und ohne erhebliche Beschwerden laufen könne. Mit Hilfe zweier Unterarmgehstützen könne sie sicherlich 500 m bewältigen und 500 m mit einer Pause auch mit Hilfe einer Gehhilfe. Die Schwierigkeit bestehe im Übergewicht und der Arthrose in beiden Kniegelenken. Zusammenfassend hat Dr. W. folgende Diagnosen benannt:

Fortgeschrittene, sehr schmerzhafte Arthrose beider Kniegelenke

Schmerzen und Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Bandscheibendegeneration L 5/S 1 und geringgradigem Wirbelgleiten L 5/S 1

Geringgradige Bandscheibendegeneration in zwei Bewegungssegmenten an der Halswirbelsäule ohne Bewegungseinschränkungen

Kampfaderleiden an den Unterschenkeln

Übergewicht/Adipositas (BMI 35 kg/m²)

Mit Urteil vom 25. Mai 2007 hat das SG der Klage teilweise stattgegeben und den GdB auf 40 festgesetzt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Die von Dr. W. festgestellten Bewegungsmaße für die Brust- und Lendenwirbelsäule (LWS) zeigten Einschränkungen mit geringen funktionellen Auswirkungen und bedingten einen GdB von 10. Hinsichtlich der oberen Extremitäten sei keine Behinderung ersichtlich, ebenso nicht im Bereich der Hüften. Bei den Kniegelenken bestehe zwar keine Bewegungseinschränkung, aber eine schmerzhafte Arthrose. Auszugehen sei von einem Knorpelschaden im linken Knie vom Grad III bis IV und im rechten Knie von II bis III. Dies rechtfertige einen GdB von 40. Dieser GdB sei nicht wegen des Einzel-GdB von 10 für die LWS zu erhöhen. Das Merkzeichen G könne die Klägerin nicht beanspruchen, da noch kein Gesamt-GdB von 50 erreicht sei.

Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 20. Juli 2007 für die Behinderungen "Schmerzhafte Belastbarkeitsminderung der Kniegelenke mit Knorpelschaden rechts (Einzel-GdB um 40), Funktionseinschränkung des 2. Fingers links nach Strecksehnenverletzung (Einzel-GdB um 10), Funktionseinschränkung der Wirbelsäule (Einzel-GdB um 10) einen Gesamt-GdB von 40 ab 23. Mai 2006 festgestellt.

Das ihr am 17. Juli 2007 zugestellte Urteil greift die Klägerin mit ihrer rechtzeitig am 30. Juli 2007 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhobenen Berufung an. Sie macht weiterhin einen GdB von 60 und das Merkzeichen G geltend. Im Vordergrund ihrer Beschwerden stünden die Auswirkungen durch die Erkrankungen in beiden Kniegelenken, weshalb sie nicht mehr in der Lage sei, Wegstrecken von 2000 m zu bewältigen. Dabei müsse auch das Übergewicht berücksichtigt werden, das zu einer erheblichen Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des Stütz- und Bewegungsapparates sowie zu einer Muskelinsuffizienz mit Kraftlosigkeit, insbesondere in den unteren Extremitäten, führe. Hinzu kämen die in beiden Schultergelenken bestehenden Bewegungseinschränkungen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. Mai 2007 sowie den Bescheid vom 20. Juli 2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr ab dem 23. Mai 2006 einen Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil und seinen Ausführungsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und Befundberichte vom Facharzt für Allgemeinmedizin MR R. vom 31. Januar 2010 und vom Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. K. vom 19. April 2010 eingeholt, denen in Anlage weitere medizinische Unterlagen anderer Ärzte und Einrichtungen beigefügt waren. MR R. berichtete über Behandlungen von 1992 bis zum 5. Oktober 2008 (anschließend wurde die Praxis geschlossen; seit Januar 2009 wird die Klägerin von Dipl.-Med J. behandelt) und benannte die Diagnosen "Verdacht einer Gonarthrose beidseits, rechts mehr als links, Lumbalsyndrom bei Wirbelgleiten L5/S1 und ein Cervicalsyndrom mit Dysaesthesien beider Arme. Daneben bestehe eine Adipositas mit einem BMI von 31. Wegen dieser Erkrankungen seien langes Gehen und Stehen eingeschränkt, er wisse aber nicht, ob die Klägerin auf Hilfsmittel angewiesen sei. Mit Gehhilfen, Schmerzmitteln und Pausen, wenn möglich mit Sitzgelegenheit könne die Klägerin noch eine Wegstrecke von zwei Kilometern zurücklegen. Angaben zu der dafür benötigten Zeit machte der Arzt nicht. Dipl.-Med. K. hat u. a. die Diagnosen einer Gonarthrose II. bis IV. Grades beidseits, eines chronischen Lumbal- und Cervicalsyndroms bei Bandscheibenschäden angegeben. Die Beschwerden hätten insgesamt zugenommen und bedingten eine eingeschränkte Gehfähigkeit. Außerhalb der Wohnung benötige die Klägerin eine Unterarmstütze. Gehstrecken über maximal 1000 könne sie nicht bewältigen, auch keine Wegstrecke von zwei Kilometern. Ergänzend hat Dipl.-Med. K. am 13. Juli 2010 das Gewicht der Klägerin mit 85 kg angegeben. Sie habe in den letzten 18 Monaten elf kg abgenommen, wobei es zu keinem wesentlichen Rückgang der Schmerzen oder Verbesserung der Gehfähigkeit gekommen sei. Eine Verdoppelung der Gehstrecke sei auch bei weiterer Gewichtsabnahme nicht zu erwarten.

Ferner hat das Gericht einen Befundbericht vom Praktischen Arzt Dipl.-Med. J. vom 3. Oktober 2010 eingeholt, dem ebenfalls weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren. Dieser hat mitgeteilt, bei der seit 1. Januar 2007 berenteten Klägerin hätten sich die erhobenen Befunde nicht geändert. Es bestünden Funktionsstörungen in beiden Kniegelenken und der LWS, wodurch die Gehfähigkeit eingeschränkt sei. Nach ihren Angaben könne die Klägerin keine Wegstrecken im Ortsverkehr, auch nicht über zwei Kilometer, mehr zurücklegen. Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. R. hat Dipl.-Med. J. am 14. September 2009 hinsichtlich der Beinvenen der Klägerin mitgeteilt, die Dopplersonografie habe keinen Nachweis einer tiefen venösen Abflussstörung oder Venenklappeninsuffizienz erbracht. Die Lokaltherapie sei wie bisher weiter zu führen mit: Kühlen, Gabe von Antiphlogistika, Venenkompressionsverband.

Aufgrund des Hinweises der Prozessbevollmächtigten, die Klägerin sei wegen Schlafapnoe in der Uniklinik in H. in Behandlung, hat das Gericht noch einen Befundbericht des Universitätsklinikums H., Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 24. August 2010 eingeholt, wonach bei stationärer Behandlung vom 10. bis 13. Juli 2010 die Diagnosen "Insomnie multifaktorieller Ursache, leichtes Schlafapnoesyndrom ( ), Arterieller Hypertonus ( ), Adipositas ( ), Migräne ( ) festgestellt worden seien. Nach Anamnese, psychopathologischem Befund und Verlauf sei am ehesten von einer multifaktoriellen Insomnie (Schlaflosigkeit) auszugehen. Die Patientin gehe ins Bett, obwohl sie nicht müde sei ("es sei Zeit zu schlafen"), liege dann länger wach und grüble. Außerdem werde sie durch Schmerzen am Schlafen gehindert. Hinzu komme ein leichtes Schlafapnoesyndrom, das die Insomnie gleichfalls fördere. Therapeutisch komme eine Reduktion der Schlafdauer in Betracht und hinsichtlich der Schmerzen eine Überprüfung der Medikation. Bezüglich des leichten Schlafapnoesyndroms sei zunächst eine Gewichtsreduktion zu empfehlen. Bei Misserfolg dieser Maßnahmen sei die Indikation für eine Beatmungsbehandlung zu überprüfen.

Schließlich hat das Gericht Beweis erhoben und von dem Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin Dr. P. ein orthopädisches Gutachten vom 1. August 2011 (Untersuchung vom 27. Juli) eingeholt. Zur Anamnese hat der Sachverständige berichtet, die Klägerin beklage seit 2007 eine Zunahme der Beschwerden im Bereich der Kniegelenke und eine Verschlechterung des Geh- und Stehvermögens. Sie könne nur noch 200 m langsam gehen und müsse dabei Pausen einlegen. Sie benötige dafür 15 Minuten. Auch die Lendenwirbelsäulenbeschwerden hätten zugenommen. Dr. P. hat das Gewicht der Klägerin mit 90 kg und die Körpergröße mit 153 cm angegeben. Zur Untersuchung der Wirbelsäule hat er folgende Bewegungsmaße mitgeteilt: HWS: Extension/Flexion 20/0/30 Grad; Seitneige rechts/links 30/0/30 Grad; Rotation rechts/links 50/0/50 Grad. Die Mobilität in der unteren HWS sei von C5/6 an abwärts sowie im Bereich des zervicothorakalen Überganges eingeschränkt. Motorik, Sensibilität und Reflexe an beiden Armen und Händen sei intakt. Die BWS weise eine normale Kyphose auf. Die Reklinationsfähigkeit und Seitneigefähigkeit sei beidseits eingeschränkt; in der mittleren BWS bestehe ein Klopfschmerz. Die LWS zeige eine normale Lordose ohne Seitabweichung. Auch hier sei die Reklinationsfähigkeit und beiderseitige Seitneigefähigkeit von L 2/3 an abwärts eingeschränkt. Das Zeichen nach Schober betrage 10/13 cm, der Finger-Fuß-Abstand 10 cm. Im Bereich beider Beckengelenke bestehe ein Bewegungs- und Druckschmerz. Die Rumpfmuskulatur sei dorsal abgeschwächt und ventral bei vorgefallenen Bauchdecken deutlich abgeschwächt. Der Zehen- und Fersenstand sei möglich, das Gangbild unauffällig. Motorik, Sensibilität und Reflexe seien an beiden Beinen intakt. Die Bewegungsmaße der Hüftgelenke teilte er aktiv und passiv wie folgt mit: Extension/Flexion 0/0/120 Grad (Weichteilhemmung), Abduktion/Adduktion 25/0/15 Grad, Außen-/Innenrotation 20/0/0 Grad. Es bestehe beidseits ein geringer endgradiger Innenrotationsschmerz in der Leistenbeuge. Die Kraft der Hüftmuskulatur betrage beidseits in allen Muskelgruppen Stufe V nach Janda. Die Bewegungsmaße der Kniegelenke beliefen sich auf 0/0/140 Grad bei der Extension/Flexion. Die Bänder seien stabil, die Kraft der Oberschenkelmuskultur betrage beidseits in allen Muskelgruppen Stufe V nach Janda. Allerdings sei ein deutliches retropatellares Reiben festzustellen. Das Gangbild sei etwas langsam, aber flüssig und insgesamt sicher. Zum Befund der Schultergelenke teilt er mit: "Schultergeradestand. Kraft der Schultermuskulatur beidseits Stufe V nach Janda in allen Muskelgruppen. Bewegungsmaße beidseits: Anteversion/Retroversion 140/0/30 Grad; Abduktion/Adduktion 80/0/20 Grad; Außen-/Innenrotation 10/0/80 Grad. Beidseits bestehe geringer endgradiger Bewegungsschmerz bei Anteversion und Innenrotation. Beidseits Druckschmerz im Verlauf der langen Bicepssehne. Dr. P. führt insgesamt folgende Diagnosen an:

Retropatellare Chondropathie (rechts ) links) und beginnende Varusgonarthrose beidseits

Lumbalgie mit leichter Bewegungseinschränkung der unteren LWS bei

Verschleiss der Bandscheibe im Segment L5/S1

Adipositas

Insuffizienz der ventralen und dorsalen Rumpfmuskulatur

Streckdefizit im DIP-Gelenk des zweiten Fingers rechts

Verdacht auf beginnende Coxarthrose beidseits

Auf anderen Fachgebieten bestünden eine Adipositas und ein Bluthochdruck. Das am meisten zu beachtende Krankheitsbild sei die Erkrankung beider Kniegelenke. Dort bestehe hauptsächlich eine Knorpelerkrankung an der Rückfläche der Kniescheibe bzw. im Gelenk zwischen Kniescheibe und Oberschenkelknochen. Diese Veränderungen erklärten das Auftreten von Beschwerden bei längerem Laufen sowie beim Knien und Hocken und beim Treppensteigen; hauptsächlich beim Treppabsteigen. Allerdings bestünden an beiden Kniegelenken bisher keine Bewegungseinschränkung und keine Bandinstabilität. Ferner liege auch keine Abschwächung der das Kniegelenk bewegenden oder stabilisierenden Muskulatur vor. Angesichts dieses Befundes seien die Kniegelenksbeschwerden glaubhaft. Die Darstellung aber, wonach die Klägerin einigermaßen schmerzarm nur noch etwa 200m laufen könne und dafür auch noch 15 Minuten brauche, sei aufgrund der Kniegelenksbefunde nicht zu erklären. Im erheblichen Übergewicht von 37 kg liege aber sicherlich ein Grund für die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, auch des Laufens. Eine nennenswerte Beeinträchtigung des Gehvermögens bestehe von Seiten der Kniegelenke aber nicht. Auch bei den Hüftgelenken lasse sich derzeit keine Erkrankung nachweisen, durch die die Gehfähigkeit eingeschränkt sein könnte. Die Einschränkung der beidseitigen Beugefähigkeit auf 120 Grad gegenüber 140 bis 150 Grad bei Normalbefund sei nicht auf eine Arthroseerkrankung, sondern auf die massive Adipositas im Bauchbereich zurückzuführen. Der im Bereich der LWS erhobene funktionelle Befund entspreche im Wesentlichen einem Normalbefund, d. h. die Bewegungseinschränkungen ließen sich bei Gleichaltrigen sehr häufig finden. Es bestehe im Bereich der unteren Extremitäten kein funktionelles Defizit. Der Sachverständige hält einen Gesamt-GdB von 40 für gerechtfertigt, wobei er die Erkrankung der Kniegelenke mit 40, die der LWS mit 10 und die Erkrankung des 2. Fingers links ebenfalls mit 10 bewertet. Die Gehfähigkeit sei wegen der Erkrankung der Kniegelenke für längere Gehstrecken und für das Treppensteigen eingeschränkt. Wegstrecken im Ortsverkehr bis 2000 m könne die Klägerin aber noch zurücklegen. Auf die Benutzung von Hilfsmitteln sei sie nicht angewiesen. Das Übergewicht sei ein die Gehfähigkeit sicherlich beeinträchtigender Faktor, es sei aber bei der Beurteilung eines GdB bzw. der Einschätzung der Gehfähigkeit im Hinblick auf orthopädische Erkrankungen nicht mit zu berücksichtigen. Insgesamt seien die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht erfüllt.

Das Gutachten ist den Beteiligten mit Schreiben vom 15. August 2011 übersandt worden, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der Aufforderung, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken. Diese hat mit Fax vom 13. Oktober 2011 Bedenken gegen das Gutachten geäußert und vorgetragen, Dr. P. habe die Gehfähigkeit offenbar nur geschätzt, statt sie, z. B. durch einen Laufbandtest, zu erheben. Unklar sei auch, ob er die Auswirkungen des erheblichen Übergewichts und der Schmerzsymptomatik ausreichend berücksichtigt habe. Nach Teil B Nr. 15.3 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Nr. 57, S. 2412 – VersMedV) sei eine Adipositas bei Folgen- und Begleitschäden, insbesondere am kardiopulmonalen System oder am Stütz- und Bewegungsapparat, zu berücksichtigen. Ferner habe er das Krampfaderleiden, den Bluthochdruck und die Schulterbeschwerden nicht ausreichend berücksichtigt. Allein für die Bewegungseinschränkungen der Schultern sei ein GdB von 20 anzusetzen.

Demgegenüber hält der Beklagte die Feststellungen des Sachverständigen für zutreffend.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie ein Auszug aus den medizinischen Unterlagen des Rentenversicherungsträgers haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und nach § 141 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist aber nicht begründet, denn das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass zugunsten der Klägerin kein GdB von höher als 40 festzustellen war. Demzufolge hat sich der Beklagte auch zu Recht mit Ausführungsbescheid vom 20. Juli 2007 auf die Umsetzung des Urteils des SG beschränkt.

Die von der Klägerin gemäß §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 SGG erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage richtet sich nur noch gegen den Ausführungsbescheid vom 20. Juli 2007, mit dem der Beklagte das erstinstanzliche Urteil umgesetzt und die bis dahin angefochtenen Bescheide vom 9. August 2006 und 2. Februar 2007 im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG ersetzt hat (Minderung der Beschwer, vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, RdNr. 4b zu § 96). Bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22). Unter Beachtung dieses Zeitpunktes und nach Auswertung der medizinischen Ermittlungen liegt bei der Klägerin ab 23. Mai 2006 kein GdB von mehr als 40 vor. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" sind ebenfalls nicht gegeben. Die Berufung hat keinen Erfolg.

Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 13. April 2005 einen GdB von 30 festgestellt und damit über den Grad der Behinderung der Klägerin entschieden hatte, richten sich die Voraussetzungen für die 23. Mai 2006 beantragte Neufeststellung nach § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustands eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen aber noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheids noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, Stand Mai 2006, § 48 Rdnr. 14 m.w.N.).

Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 13. April 2005 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 20. Juli 2007 vorgelegen haben, ist nur eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Erhöhung des GdB auf 40 ab 23. Mai 2006 gerechtfertigt hat, die Voraussetzungen für eine darüber hinaus gehende Erhöhung des Gesamt-GdB auf 60 bzw. für die Vergabe des Merkzeichens "G" liegen dagegen nicht vor.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60 ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – im Wesentlichen inhaltlich unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a [S. 19]).

Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 – B 9/9a SB 6/06 R – in juris RdNr. 15 m.w.N.).

Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 19 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 19 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 33).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen der Klägerin kein höherer GdB als 40 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eingeholten Befundberichte und Arztbriefe, das in erster Instanz beigezogene Rentengutachten von Dr. W. vom 20. Juni 2006 sowie insbesondere auf das vom Senat eingeholte orthopädische Gutachten von Dr. P. vom 1. August 2011.

Das Hauptleiden der Klägerin besteht in einer Erkrankung der Kniegelenke. Diese Einschränkung ist dem Funktionssystem "Beine" zuzuordnen (vgl. Anlage zu § 2 der VersMedV, Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A Gemeinsame Grundsätze, Nr. 2 Buchst. e, S. 20). Wie die medizinischen Ermittlungen ergeben haben, bestehen ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke in Form einer Chondromalacia patellae im Stadium II bis IV mit anhaltenden Reizerscheinungen. Eine solche Erkrankung ist nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, Teil B, Nr. 18.14 (Schäden der unteren Gliedmaßen, Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke, S. 117) bei einseitigem Betroffensein ohne Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Da hier nach den übereinstimmenden ärztlichen Feststellungen keine Bewegungseinschränkungen vorliegen und die Knorpelschäden rechts etwas stärker als links ausgeprägt sind, erscheint es nicht gerechtfertigt, den Bewertungsrahmen ausschließlich wegen der mit der retropatellaren Chondropathie verbundenen Funktionseinschränkung mit einem GdB von 40 voll auszuschöpfen. Stattdessen ist diese Behinderung mit einem GdB von 30 zu bewerten, der aber unter Berücksichtigung des im Gutachten von Dr. P. festgestellten Übergewichts von 37 kg auf 40 zu erhöhen ist (vgl. zur Berücksichtigung von Adipositas im Schwerbehindertenrecht (dort Übergewicht von 50 kg] BSG, Urt. vom 24. April 2008, B 9/9a SB 7/06 R, zitiert nach juris). Ein noch höherer GdB kommt hingegen nicht in Betracht, da ein Einzel-GdB von 50 oder höher nur für Knorpelschäden bei den Kniegelenken nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht vorgesehen ist.

Weitere Funktionseinschränkungen liegen in den Funktionssystemen "Arme" und "Rumpf" vor, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind (Strecksehnenverletzung Zeigefinger links, Bewegungseinschränkung der Schultergelenke, leichte Bewegungseinschränkungen der HWS und LWS). Eine höhere Bewertung kommt für diese leichten Funktionseinschränkungen nicht in Betracht, da der gerichtliche Sachverständige Dr. P. an der Wirbelsäule einen annähernd altersentsprechenden Befund erhoben hat, der in weiten Teilen (z.B. hinsichtlich der Lordose) sogar einem Normalbefund entspricht. Gegen diese Feststellung hat die Klägerin auch keine beachtlichen Einwände erhoben. Die Bewegungseinschränkung der Schultergelenke ist ebenfalls nicht höher zu bewerten, denn die vom Sachverständigen auf Seite 10 seines Gutachtens mitgeteilten Bewegungseinschränkungen für beide Schultergelenke rechtfertigen entgegen der Ansicht der Klägerin keinen GdB von mindestens 20. Dr. P. hat die Maße für die Anteversion und Retroversion (Armhebung rückwärts/vorwärts) mit 30/0/140 Grad angegeben (Normalmaße: 40/0/150 bis 170 Grad). Nach der GdS-Tabelle zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 18.13, S. 110) ist erst bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks einschließlich Schultergürtel bis 120 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit anzunehmen. Ein solches Ausmaß erreichen die Werte der Klägerin nicht, sodass allein für dieses Bewegungsmaß allein noch nicht einmal ein GdB von mindestens 10 festzustellen wäre. Allerdings hat Dr. P. des Weiteren für die Abduktion/Adduktion (Arm seitwärts/körperwärts) die Maße mit 80/0/20 Grad angegeben, was eine deutlichere Abweichung von den Normalmaßen (180/0/20 bis 40 Grad) bedeutet, die – käme es allein auf dieses Maß im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze an – einen Einzel-GdB von 20 bedingen würde. Allerdings wird dieses eingeschränkte Bewegungsmaß bei der seit- und körperwärtigen Armhebung dadurch relativiert, dass die Armhebung rückwärts/vorwärts nicht nennenswert eingeschränkt ist. Es ist den Ausführungen im Gutachten auch kein Hinweis auf Bewegungseinschränkungen im Bereich der Schultern im Sinne einer Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit zu entnehmen, ebenso nicht den von Dr. P. gestellten Diagnosen. Unter Würdigung des Gutachtens insgesamt und der übrigen medizinischen Unterlagen, in denen von Funktionseinschränkungen im Bereich der Schultern nicht die Rede ist, kann für die Bewegungseinschränkung der Schultergelenke daher nur Einzel-GdB von 10 angenommen werden.

Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 22) anzuwenden. Nach Nr. 3 c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach kann kein höherer Gesamtgrad der Behinderung als 40 angenommen werden. Für das Funktionssystem "Beine" ist zunächst der Einzel-GdB von 40 zugrunde zu legen. Die daneben bestehenden Erkrankungen im Funktionsbereich "Rumpf" sowie "Arme", die einen Einzel-GdB von jeweils höchstens 10 rechtfertigen können, führen nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. In der Gesamtbewertung dieser Behinderungen darf keine Addition der Einzel-GdB-Werte erfolgen. Vielmehr ist nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen von Folgendem auszugehen (Teil A, Nr. 3ee, S. 23): Regelmäßig kann der Gesamt-GdB aufgrund weiterer Erkrankungen, die allenfalls mit einem GdB von 10 rechtfertigen können, nicht erhöht werden. Denn es führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Behinderungsgrad von 10 bedingen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, daraus auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Letztlich widerspräche hier die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auch dem nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A Nr. 3b, S. 22) zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Im Vergleich mit Gesundheitsschäden, zu denen in der GdB-Tabelle feste Werte angegeben sind, ist bei der Klägerin ein höherer Gesamtgrad als 40 nicht gerechtfertigt. Die Gesamtauswirkungen der verschiedenen Funktionsstörungen beeinträchtigen ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft insbesondere nicht so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung.

Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Dieses sog. Merkzeichen ist ein Nachteilsausgleich, der auf Antrag des behinderten Menschen festzustellen und bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen im Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch einzutragen ist (§ 69 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX). Allerdings ist die Klägerin nicht im Sinne der Vorschriften der §§ 68 ff. SGB IX schwerbehindert, weil bei ihr kein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Es ist deshalb kein Ausweis auszustellen und es sind auch keine Merkzeichen einzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved