L 1 KR 180/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 KR 323/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 180/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Anschaffung einer mechanischen Zughilfe für den Rollstuhl, ein so genanntes Rollstuhl-Bike.

Er ist 1940 geboren, Mitglied bei der Beklagten und leidet u.a. an Querschnittslähmung. Ursächlich ist ein Cauda-Equina-Syndrom seit 2002, das nach einer Operation einer Spinalkanalstenose aufgetreten ist. Die Beklagte hat den Kläger mit einem Aktivrollstuhl versorgt.

Ausweislich der Rechnung erhielt der Kläger am 27. August 2007 ein Rollstuhlbike der Marke S der Firma S zum Preis von 3.259,05 Euro geliefert. Die Rechnung wurde vom Kläger beglichen.

Seine Lieferantin, die Firma r, beantragte für ihn bei der Beklagten unter Einreichung eines Kostenvoranschlages vom 11. September 2007 und einer ärztlichen Verordnung der neurologischen Rehabilitationsklinik B vom 30. August 2007 ein solches S.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. September 2007 ab: Der Kläger sei ausreichend mit einem Aktivrollstuhl versorgt. Dieser ermögliche die gebotene Bewegungsfreiheit zur Erfüllung der Grundbedürfnisse. Bei Erwachsenen zähle hierzu nicht die Benutzung eines Rollstuhl-Bikes. Therapeutische Übungen mit einem solchen Bike seien zwar zur Stärkung der Gesundheit geeignet. Dies löse aber keine Leistungspflicht aus.

Der Kläger erhob Widerspruch. Er benötige das Rollstuhl-Bike zur Bewältigung mittlerer Wegstrecken von (mindestens) einigen Kilometern, die er nicht ohne fremde Hilfe mit dem Aktivrollstuhl bewältigen könne. Es handelt sich daher seiner Auffassung nach um ein Hilfsmittel gemäß § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Januar 2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Er sei aufgrund der Verengung des Spinalkanals in Höhe der Lumbalwirbel komplett querschnittsgelähmt. Es bestehe die medizinische Notwendigkeit für ein Training. Ziel sei es, die Herz-Kreislauffunktion zu erhalten, Adipositas vorzubeugen und eine Kräftigung der Schulter und Rumpfmuskulatur zur Vorbeugung für Einschränkungen und Schmerzen in der Schulter zu erreichen, ferner seinen Mobilitätsradius zu erweitern und die soziale Integration in die Gesellschaft zu fördern.

Das SG hat mit Urteil vom 22. April 2009 die auf Verurteilung zur Übernahme der Kosten entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 30. August 2007 gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die von ihm beantragte mechanische Zughilfe. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V seien nicht erfüllt. Eine mechanische Zughilfe bzw. ein Rollstuhl-Bike sei für Erwachsene kein Hilfsmittel im Sinne dieser Vorschrift. Das Gesetz definiere sächliche Mittel nur dann als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Im zweit genannten Sinne sei ein Hilfsmittel erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde. Dazu gehörten zum einen die körperlichen Grundfunktionen und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die dazu erforderlichen Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Maßstab sei der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke bzw. behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe der von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittel wieder aufschließen solle (Bezugnahme auf Bundessozialgericht -BSG- SozR 3-2500 § 33 Nr. 3 und 5 sowie BSGE 66, 245, 246). Nach diesen Kriterien sei eine mechanische Zughilfe für Erwachsene kein Hilfsmittel. Nur bei Kindern und Jugendlichen könne das Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel eingestuft werden, weil das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden zu verstehen sei. Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung eines gewissen körperlichen Freiraumes zähle nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer. Maßgebend könne auch nicht sein, dass das Rollstuhl-Bike zur Stärkung der noch vorhandenen Muskulatur und des Herz-Kreislaufs-Systems beitrage. Dieses Ziel lasse sich durch weniger aufwendige Geräte oder entsprechende krankengymnastische und sportliche Übungen mit geringem Kostenaufwand erreichen (Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 16.09.1999 – B 3 KR 8/98 und v. 29.01.2009 – B 3 KR 39/08). In der letztgenannten Entscheidung habe der BSG-Senat noch einmal daraufhin gewiesen, an seiner Rechtssprechung zum Rollstuhl-Bike bei Erwachsenen festzuhalten. Das vom Kläger angeführte Urteil des Hessischen Landessozialgerichtes vom 13.09.2007 (L 8 KR 247/06) habe einen anders gelagerten Fall betroffen, indem der Kläger an einer infantilen Cerebralparese gelitten habe und deshalb trotz seines Erwachsenenalters geistig einem Kind gleichzustellen gewesen sei. Auch habe es für den dortigen schwerstbehinderten Kläger keine Alternativen gegeben sekundäre Schäden zu vermeiden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er hat drei Rechnungen in Kopie eingereicht, welche er gegen die Beklagte geltend mache. Das SG habe verkannt, dass der Basisausgleich der Behinderung des Klägers durch die Versorgung mit einem Aktivrollstuhl nicht in ausreichender Weise erfolge. Es habe nicht medizinisch geprüft, ob die Stärkung der noch vorhandenen Muskulatur und des Herz-Kreislaufs-Systems beim Kläger durch weniger aufwendigere Geräte oder entsprechende krankengymnastische und sportliche Übungen mit geringerem Kostenaufwand erreicht werden könnte. Auch leide der Kläger an einem Karpaltunnelsyndrom an beiden Händen. Die Beschwerden träten typischerweise während und vor allem nach der Belastung der Handgelenke auf, wie diese etwa bei der Fortbewegung mit einem Aktiv-Rollstuhl aufträten. Auch komme es bei der Fortbewegung mittels Aktiv-Rollstuhles unweigerlich zur Überschreckung oder Beugung der Handgelenke, die zur weiteren Missempfindungen beim Kläger aufgrund des Karpaltunnelsyndroms führten. Es werde die Einholung eines neurologischen sowie orthopädischen Gutachtens angeregt.

Er beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2009 sowie den Bescheid vom 24. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kosten für ein Handbike in Höhe von 3.259,95 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Dem Kläger stünden zur Stärkung der allgemeinen Fitness und Krankheitsprävention andere Maßnahmen zur Verfügung, z. B. seit Oktober 2007 ein Beintrainer, des weiteren sei aktuell Rehabilitationssport in Form von Schwimmen bewilligt worden. Wenn der Kläger, welchem die Beklagte erst im Juni 2009 eine umfangreiche Rollstuhlreparatur bezahlt habe, tatsächlich den Aktivrollstuhl aufgrund des Karpaltunnelsyndroms nicht mehr benutzen können, sei nicht ein Rollstuhl-Bike sondern ein Elektrorollstuhl das Hilfsmittel der Wahl.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine nach §§ 155 Abs. 3, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.

Die Berufung hat kein Erfolg. Zu Gunsten des Klägers wird dabei davon ausgegangen, dass dieser nicht in zweiter Instanz die Klage erweitern wollte, sondern nach wie vor Kostenerstattung (nur) für das Speedy-Bike selbst begehrt. Hinsichtlich der Kostenerstattung für weitere Rechnungen stellte sich die Klage nämlich bereits als unzulässig dar, weil weder das Antrags- noch das Widerspruchsverfahren durchgeführt wurden. So bleibt es dem Kläger unbenommen etwaige Kostenerstattungsansprüche hinsichtlich der an seinem Handbike vorgenommenen Änderungen noch geltend zu machen.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung aus der einzig denkbaren Anspruchsgrundlage, § 13 Abs. 3 S. 1 bzw. S. 2 SGB V i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 4 Sozialgesetzbuch 9. Buch (zu Unrecht abgelehnter Antrag) scheitert bereits an der dazu notwendigen Antragstellung vorab. Das BSG hat bereits wiederholt entschieden, ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründeten Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachtteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (ständige Rechtssprechung des BSG, vgl. aus jüngster Zeit Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 5/09 R – RdNr. 15 mit weiteren Nachweisen). Daran fehlt es, wenn – wie hier – die Krankenkasse vor in Anspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens von vornherein feststeht, etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen (vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 1.04.2010 – B 1 KR 114/09 B – mit Rechtssprechungsnachweisen). Hier hat sich der Kläger das Rollstuhl-Bike bereits beschafft, bevor der erstmalige Antrag bei der Krankenkasse gestellt wurde und noch bevor die ärztliche Verordnung ausgestellt worden ist.

Im Übrigen reichte der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als der entsprechende Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in natura als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtssprechung des BSG, z. B. Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R –). Einschlägig ist – wie vom SG ausgeführt – § 33 SGB V, welcher die spezielle Vorschrift zum allgemeinen der Krankenbehandlung des § 27 SGB V darstellt. Dass dem Kläger kein Anspruch auf Ausstattung mit dem begehrten Handbike zusteht, hat das SG bereits zutreffend ausgeführt. Auf die Begründung im angegriffenen Urteil wird nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Ergänzend ist nur noch auszuführen, dass die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen hat, dass für den Fall, dass der Kläger aufgrund seiner Karpaltunnelsyndrom-Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, sich mit einem Aktivrollstuhl fortzubewegen, die Grundversorgung mit einem Elektrorollstuhl zu gewährleisten wäre bzw. sein werden würde. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf das Rollstuhl-Bike als notwendiges Therapiemittel. Die Benutzung steht weder zur allgemeinen Stärkung der Muskulatur, zur Stärkung des Herz-Kreislaufs-Systems noch zur Behandlung des Karpaltunnelsyndroms in engem Zusammenhang mit einer andauernden, auf einen ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und/oder ärztlich angeleitete Leistungserbringer und ist nicht als planvolle Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen (vgl. zu diesen Anforderungen BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 10/10 R – juris RdNr. 11.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger - verständlicherweise – Operationen zur Behandlung des Karpaltunnelsyndroms angesichts seines persönlichen Schicksals vermeiden will.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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