L 6 SF 306/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 3697/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 306/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein medizinischer Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung benötigt für die gedankliche Erarbeitung der Beurteilung durchschnittlich eine Stunde für ca. 1 ½ Blatt (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26. März 2012 - Az.: L 6 SF 132/12 E). Es handelt sich um einen Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl; maßgebend ist im Zweifelsfall der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 12. Dezember 2011 aufgehoben und die Vergütung des Beschwerdeführers für das Gutachten vom 21. März 2011 auf 1.364,82 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewie-sen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

In dem Klageverfahren H. K .../. AOK Plus - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thürin-gen (Az.: S 38 KR 3697/10) beauftragte die Vorsitzende der 38. Kammer des Sozialgerichts Gotha mit Beweisanordnung vom 26. Januar 2011 Dr. P. H. mit der Erstellung eines Sachver-ständigengutachtens nach Aktenlage unter Verwertung der vorliegenden Gutachten und Be-fundberichte zu folgenden Fragen: 1. Welche Erkrankungen lagen bei der Versicherten M. L. vor? 2. Welche Behandlungsmaßnahmen wurden während des stationären Aufenthalts vom 22.08.2007 - 05.09.2007 durchgeführt? 3. Welche Diagnosen waren zu stellen gewesen? 4. Welche Kodierung für Diagnosen und Prozeduren konnten in Ansatz gebracht werden? 5. Welche DRG musste im Behandlungsfall L. zur Abrechnung kommen?

Unter dem 15. Februar 2011 änderte das Sozialgericht seine Beweisanordnung ab und ernann-te den Beschwerdeführer - Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Chirotherapie und Reha-bilitationswesen - zum Sachverständigen; im Übrigen bleibe der Inhalt der bisherigen Be-weisanordnung maßgeblich.

Der Beschwerdeführer fertigte unter dem 21. März 2011 sein Gutachten auf insgesamt 17 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom 29. März 2011 machte er insgesamt 1.614,03 Euro gel-tend. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 1 f. des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfü-gung vom 15. April 2011 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergü-tung auf 829,31 Euro. Die Entschädigung errechne sich bei einem objektiv notwendigen Zeit-aufwand von (aufgerundet) 11 Stunden (6 Stunden Aktendurchsicht, 3 Stunden Diktat, 1,7 Stunden Beurteilung) auf 660,00 Euro. Zusätzlich zu erstatten seien "alle weiteren Kos-ten wie beantragt".

Am 30. Mai 2011 hat der Beschwerdegegner die richterliche Festsetzung beantragt und vor-getragen, die Gutachtenserstellung habe sich sehr zeitaufwändig und schwierig gestaltet.

Ohne Beteiligung des Beschwerdegegners hat das Sozialgericht die Entschädigung für das erstattete Gutachten mit Beschluss vom 12. Dezember 2011 auf 829,31 Euro festgesetzt und zur Begründung auf die Ausführungen der UKB verwiesen. Zusätzlich hat es angegeben, ein überdurchschnittlicher Umfang und Schwierigkeitsgrad seien nicht erkennbar. Es sei ein Ak-tengutachten zu erstellen gewesen.

Gegen den am 2. Januar 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 16. Januar 2012 Beschwerde eingelegt. Die Beschlussbegründung sei formal, inhaltlich und sachlich falsch und nicht plausibel. Die vorgegebene Begründung, sein Gutachten bestehe im Wesent-lichen aus einer Wiedergabe des Akteninhalts, sei grotesk. Letztendlich liefere ja erst die Ana-lyse des Akteninhalts die Begründung in der Beantwortung der Fragen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 12. Dezember 2011 aufzuheben und die Vergütung für das Gutachten vom 21. März 2011 auf 1.614,03 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt und sich in der gesetzten Frist zur Sache nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 6. Februar 2012) und die Akten dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt

II.

Die Beschwerde gegen einen im Erinnerungsverfahren ergangenen Beschluss ist nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmet-schern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Rich-terinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz – JVEG) bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen statthaft (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. u.a. Beschluss vom 24. August 2009 - Az.: L 6 B 248/08 SF; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. September 2009 - Az.: L 6 R 303/09 B, nach juris). Sie ist zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Vorinstanz den Beschwerdegegner hätte beteiligen müssen.

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten ge-währt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar des Sachverständigen errechnet sich nach den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden tatsächlich aufge-wendet wurden, sondern welcher Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Ar-beitsintensität erforderlich ist (vgl. u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16. De-zember 2003 – Az.: X ZR 206/98, nach juris; Senatsbeschluss vom 15. März 2010 - Az.: L 6 B 209/09 SF). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - Az.: L 6 B 22/06 SF, LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 – Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A, nach juris). Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen.

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend dem Thüringer "Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen" grundsätzlich in fünf Berei-chen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Für das Gutachten nach Aktenlage vom 21. März 2011 war angesichts der dem Beschwerde-führer übersandten Unterlagen unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte ein Zeit-aufwand von 18,4 Stunden, aufgerundet 18,5 Stunden, erforderlich.

Nicht in Betracht kommt hier ein Ansatz für eine Untersuchung. Für das Aktenstudium ist der beantragte Zeitaufwand von 6 Stunden plausibel und zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Für die Abfassung der Beurteilung kann angesichts der Schreibweise der beantragte Zeitan-satz von insgesamt 9 Stunden berücksichtigt werden. Die Beurteilung umfasst die Beantwor-tung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. In seinem Beschluss vom 26. März 2012 - Az.: L 6 SF 132/12 E hat der erkennende Senat wie folgt ausgeführt: "In Abän-derung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. u.a. Beschlüsse vom 1. Dezember 2011 - Az.: L 6 SF 1617/11 E und 3. August 2009 - Az.: L 6 SF 44/08) geht der Senat davon aus, dass ein medizinischer Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung für die gedankliche Erarbeitung durchschnittlich eine Stunde für ca. 1 ½ Blatt benötigt. Dies ent-spricht im Vergleich zu der Rechtsprechung der anderen Landessozialgerichte einem durch-schnittlichen Ansatz (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 30. November 2011 - L 15 SF 97/11, nach juris: 1 Seite/h, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. November 2011 - Az.: L 5 P 55/10, nach juris: 1 Seite/h; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 23. September 2011 - Az.: L 2 SF 254/11, nach juris: 2 Seiten/h; Widder/Gaidzig, Leistungsgerechte Vergütung nach dem Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz? in MedSach 2005, S. 127, 131). Zu berücksichtigen ist die Schreibweise; eine Einschränkung auf bestimmte "Normseiten", die manche Landessozialgerichte vornehmen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 - Az.: L 2/9 SF 82/04, nach juris: 1.800 Anschläge; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. April 2005 - Az.: L 12 SB 795/05 KO-A, nach juris: 2.700 Anschläge), kommt allerdings mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - Az.: L 6 B 22/06 SF). Die Beurteilung kann sich durchaus an mehreren Stellen eines Gutachtens - ohne Reduzierung unter bestimmte Unterschriften (z.B. Zusammenfassung, Be-urteilung etc.) - befinden ... Der Senat weist darauf hin, dass der von ihm angenommene Wert nur ein Anhaltspunkte für die angemessene Stundenzahl sein kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. März 2012 - Az.: L 6 SF 224/12 B und 13. März 2012 - Az.: L 6 SF 197/12 B; LSG Rhein-land-Pfalz, Beschluss vom 16. November 2011 - Az.: L 5 P 55/10, nach juris), um den Kos-tenbeamten im Normalfall eine sinnvolle Bearbeitung zu ermöglichen. Maßgebend ist im Zweifelsfall der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gut-achten zum Ausdruck kommt. Insofern ist in begründeten Sonderfällen durchaus eine Abwei-chung (positiv wie negativ) bei dem o.g. Ansatz erforderlich. Andernfalls würden medizini-sche Sachverständige mit umständlichen Ausführungen gegenüber solchen bevorzugt, die knapp und prägnant ihre Ergebnisse begründen."

Hier findet sich die Beurteilung entgegen der Ansicht der UKB im Gutachten ab Blatt 3. Auf die Überschrift und Wiederholung der Beweisfragen kommt es offensichtlich nicht an. Dem Beschwerdeführer wurde in der Beweisanordnung ausdrücklich aufgegeben, die Erkrankun-gen und Behandlungsmaßnahmen während des stationären Aufenthalts anhand der vorliegen-den Unterlagen zu beschreiben. Dann ist ihm auch die Schilderung der Aktenlage zuzuerken-nen.

Für Diktat, Durchsicht und Korrektur des Gutachtens kann angesichts der Schreibweise der beantragte Zeitansatz von 7 Stunden allerdings nicht akzeptiert werden. Zuzubilligen ist ihm hier - ausgehend von einem Zeitaufwand von 1 Stunde für ca. 5 bis 6 Seiten (vgl. u.a. Senats-beschluss vom 5. März 2012 - Az.: L 6 SF 1854/11 B) - nur ein Aufwand von 3,4 Stunden.

Keine Bedenken bestehen gegen die beantragte Honorargruppe M2 (60,00 Euro). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Sche-ma ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufs-prognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad. Zusätzlich zu erstatten sind die ver-auslagten Portoauslagen, Schreibauslagen und Kopierkosten und die Umsatzsteuer.

Danach errechnet sich die Vergütung wie folgt: 18,5 Stunden zu 60,00 Euro 1.110,00 Euro Portoauslagen 3,60 Euro Schreibauslagen 33,30 Euro 1.146,90 Euro MWSt 217,92 Euro 1.364,82 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
Saved