Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2917/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 5406/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.10.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten von Augenoperationen (cross-linking-Operation und Implantation intracornealer Ringe).
Bei dem 1972 geborenen Kläger wurde 1996 eine Hornhautverkrümmung (Keratokonus) diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine Hornhauterkrankung, die zur Verdünnung bzw. Vorwölbung der Hornhaut mit Stabsichtigkeit (irregulärer Astigmatismus) und Sehschärfenminderung führt.
Im Mai 2009 beantragte der Kläger, die Kosten einer cross-linking-Operation (Hornhautvernetzung mit Riboflavin und UV-Bestrahlung – Kollagenvernetzung) und der Implantation intracornealer Ringe zu übernehmen; beide Behandlungsmethoden sind nicht Teil der vertragsärztlichen Versorgung gesetzlich Versicherter. Er legte eine Kostenaufstellung der Augenklinik des Klinikums r. der I. (Kosten pro Auge 1.572,78 EUR bzw. 345,44 EUR) und Arztatteste vor.
Dr. W. von M. (Oberarzt der Augenklinik, Klinikum r. d. I.) führte unter dem 6.3.2009 aus, auf beiden Augen bestehe ein progredienter Keratokonus, wobei der Befund am linken Auge deutlich ausgeprägt sei (Stadium II bis III nach Amsler bzw. II nach Krumeich). Gerade am linken Auge könne auch mit Brille nur ein Visus von 0,5 erreicht werden. Zur Vermeidung einer Hornhautverpflanzung als einschneidendem und mit hohen Kosten verbundenem Eingriff werde eine cross-linking-Operation zuerst am linken Auge empfohlen. Das cross-linking habe sich in den letzten Jahren bewährt; mehrere Studien hätten gezeigt, dass eine Stabilisierung bzw. eine deutliche Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung erzielt werden könne. Um eine Verbesserung des Visus zu erreichen, sollten am linken Auge zusätzlich intracorneale Ringe implantiert werden. Das werde schon seit Jahren praktiziert; mehrere Studien hätten eine deutliche Verbesserung des Visus belegt.
Der Augenarzt Dr. B. teilte im Attest vom 30.3.2009 mit, infolge des Keratokonus bestehe ein hochgradiger Brechkraftunterschied, der mit einem Brillenglas wegen zu großer Bildgrößendifferenzen nicht mehr ausgleichbar sei. Eine Keratoplastik sei aufgrund fehlender Narbenbildung und nur unwesentlicher Hornhautverdünnung nicht indiziert. Mit der cross-linking-Operation könne die Hornhaut durch Stabilisierung des Stützgewebes verbessert werden.
Der Kläger gab an, durch die extreme Hornhautverkrümmung fielen Kontaktlinsen aus dem Auge; die Brille könne die Sehminderung nicht ausgleichen. Am linken Auge sei der Keratokonus anders als am rechten Auge nicht zum Stillstand gekommen. Als EDV-Administrator sei er auf gute Sehkraft angewiesen; nach 4 Stunden könne er Schriftarten und Diagramme nicht mehr lesen.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. bzw. B.-W. (MDK). In der MDK-Stellungnahme vom 22.6.2009 teilte Dr. Sch. mit, die vertragsärztlichen Behandlungsmethoden seien nicht ausgeschöpft. Die Kontaktlinsenunverträglichkeit des Klägers sei nicht belegt. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege nicht vor und es drohe auch nicht die Erblindung innerhalb weniger Wochen.
In der MDK-Stellungnahme vom 28.07.2009 führte Dr. A. (ergänzend) aus, die Behandlung eines Keratokonus mittels intracornealer Ringe in Kombination mit dem cross-linking-Verfahren stelle eine neue Behandlungsmethode gem. § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dar. Eine (befürwortende) Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Mit der Kontaktlinsenanpassung und der Keratoplastik stünden vertragsärztliche Behandlungsalternativen zur Verfügung. Die Keratoplastik sei die anerkannte operative Behandlungsmethode der Wahl bei fortgeschrittenem Keratokonus mit hohen Erfolgsaussichten; ca. 90 % der Patienten hätten danach langfristig eine klare Hornhaut. Für das cross-linking-Verfahren alleine gebe es keine veröffentlichten Studien, die einen Behandlungserfolg statistisch einwandfrei belegten; bislang seien nur Studien mit kleinen Fallzahlen veröffentlicht. Randomisierte, kontrollierte Studien existierten nicht. Den Daten zum cross-linking-Verfahren fehlten Kontrollgruppen, um nachzuweisen, dass die Behandlung effektiv sei. Zur Implantation intracornealer Ringe bei Keratokonus fänden sich Veröffentlichungen mit kleinen Fallzahlen ohne Kontrollgruppen. Die Nachbeobachtungszeit sei kurz. Für die beim Kläger vorzunehmende Kombinationsbehandlung gebe es keine Studien. Auch eine breite Resonanz in der Fachdiskussion sei nicht festzustellen und die Kombinationsbehandlung werde nicht von einer erheblichen Anzahl von Ärzten angewandt.
Mit Bescheid vom 3.8.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Implantation intracornealer Ringe in Kombination mit der cross-linking-Operation ab.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die in Rede stehende Behandlungsmethode gehöre wegen eines Systemmangels nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Keratoplastik sei nicht indiziert und stelle nicht die Methode der Wahl dar; vertragsärztliche Behandlungsmethoden stünden nicht zur Verfügung. Seine Sehfähigkeit verschlechtere sich laufend.
Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im der MDK-Stellungnahme vom 7.1.2010 führte Dr. B. aus, die Behandlung (cross-linking) werde ambulant in lokaler Tropfanästhesie durchgeführt. Die Implantation intracornealer Ringe und die cross-linking-Operation bzw. die Kombination beider Verfahren zur Behandlung des Keratokonus stellten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dar; es handele sich nicht um in der vertragsärztlichen Versorgung abrechnungsfähige Leistungen. Ein Antrag auf Beratung und Anerkennung durch den GBA sei nicht gestellt. Der Keratokonus beginne in der Regel in der Pubertät und schreite bei 20 % der Patienten so weit voran, dass eine Keratoplastik durchgeführt werden müsse. Die Erkrankung könne jederzeit zum Stillstand kommen, was im Einzelfall aber nicht vorhersehbar sei; auch beim Kläger sei der Eintritt eines praktisch vollständigen Visusverlustes in absehbarer Zeit daher nicht zu prognostizieren (vgl. auch BSG, Beschl. v. 26.9.2006, - B 1 KR 16/06 B -). Der Verlust der Sehfähigkeit bzw. die Erblindung drohe beim Keratokonus in der Regel nicht, weil in erster Linie der vordere Augenabschnitt betroffen sei, der nach Ausschöpfung der konservativen Behandlung (Brille, Kontaktlinsen) chirurgisch durch Hornhauttransplantation behandelt werden könne.
Die cross-linking-Behandlung bei Keratokonus werde in Deutschland von vielen größeren Kliniken angeboten, die Implantation intracornealer Ringe und die Kombinationsbehandlung hätten sich in der medizinischen Praxis aber nicht allgemein durchgesetzt und würden auch nicht von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt. Das cross-linking werde in einem G2-Gutachten vom November 2006 unter Berücksichtigung der aktuellen Studienlage nicht als Behandlungsmethode der gesetzlichen Krankenversicherung empfohlen. Im Februar 2009 seien die Dresdner Ergebnisse zur Kollagenvernetzung mit Riboflavin und UVA-Licht bei Keratokonus veröffentlicht worden. Dabei handele es sich um eine retrospektive (nicht randomisierte, kontrollierte) Studie (Beginn Fallzahl 221, Untersuchung nach 2 Jahren Fallzahl 68) ohne Kontrollgruppe. Hinsichtlich einer noch nicht abgeschlossenen australischen Studie (mit Kontrollgruppe) liege nach einem Jahr nur eine Zwischenanalyse mit Zwischenergebnissen vor. Immer noch fehlten längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit, zum Effekt auf das Hornhautendothel, zu Infektionskrankheiten und anderen Komplikationen, zum optimalen Zeitpunkt und zur genauen Indikation und zu Kontraindikationen. Aufgrund der bisherigen Daten sei nicht absehbar, ob mit dem cross-linking einer Hornhautverpflanzung vorgebeugt werden könne. Hinsichtlich der Implantation intracornealer Ringe bei Keratokonus gebe es Fallberichte über eine Verbesserung der Sehschärfe, aber keine Langzeitbeobachtungen zu den Auswirkungen der intracornealen Ringe auf den Keratokonus. Auch längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit und zu Kontraindikationen bzw. vergleichende Studien mit Kontrollgruppen fehlten. Zur Kombinationsbehandlung gebe es keine Studien bzw. Literaturstellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.6.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 14.7.2010 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhob. Er trug vor, der Keratokonus sei bereits weit fortgeschritten und habe in den vergangenen Jahren in relativ kurzen Zeiträumen zu einer massiven Visusverschlechterung geführt. Bei unbehandeltem Fortschreiten sei in absehbarer Zeit mit dem praktisch vollständigen Visusverlust zu rechnen. Er vertrage keine Kontaktlinsen, mit Brille sei ein akzeptabler Visus nicht zu erreichen. Für die Keratoplastik als vertragsärztliche Behandlung bestehe derzeit mangels Narbenbildung oder erheblicher Hornhautverdünnung keine Indikation. Angesichts der mit einer Keratoplastik verbundenen Probleme - Finden eines geeigneten Spenders, Gefahr der Abstoßung, langwierige Rehabilitation - sei der beantragte Eingriff das mildere Mittel. Auf dem rechten Auge sei der Keratokonus beinahe zum Stillstand gekommen, während sich am linken Auge die Sehleistung massiv verschlechtert habe; hier sei mit Brillenkorrektur eine Sehleistung von mehr als 35 % nicht möglich. Mittlerweile fingen die Ränder der Hornhaut an, sich abzulösen. Seit einem Jahr benötigte er (am Arbeitsplatz) einen Sehbehindertenbildschirm.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Prof. Dr. L. (Direktor der Augenklinik der St. V.-Kliniken, K.) vom 26.7.2011.
Prof. Dr. Dr. L. und Priv.-Doz. Dr. W. von M. (Augenklinik des Klinikums r. d. I.) führten im Bericht vom 5.11.2010 aus, die Korrektur der Sehminderung mittels Brille sei unzureichend, Kontaktlinsen würden nach Angaben des Klägers im Auge nicht halten. Nach Aussage des Klägers hätten sich Sehschärfe und Refraktion stetig verschlechtert. Jedoch könne die weitere Entwicklung bei einem Keratokonus nicht vorhergesagt werden. Bei stetiger Progredienz könne ein weiterer Visusabfall eintreten, bis hin zur Notwendigkeit einer Hornhauttransplantation. Da die Erkrankung sehr variabel verlaufe, könne dies wie auch der Zeitraum nicht vorhergesagt werden. Das derzeit am häufigsten angewandte Verfahren sei das cross-linking; viele Studien zeigten, dass es danach zu einer Stabilisierung des Befundes komme. Der Kläger habe derzeit (März 2009) noch ein gutes Sehvermögen, weshalb versucht werden solle, die Erkrankung zu stoppen. Eine Hornhauttransplantation wäre viel zu invasiv und würde zu viele Krankheitstage (visuelle Rehabilitation) erfordern. Das cross-linking solle die Progredienz stoppen, die Ringimplantate sollten die Sehschärfe verbessern; man könne beides einzeln oder auch kombiniert durchführen. Beide Operationen würden in der Regel ambulant vorgenommen.
Der Augenarzt Dr. B. teilte unter dem 24.11.2010 mit, eine weitere Progression des Keratokonus und der Visusverschlechterung sei möglich, Erblindung drohe nicht. Die ambulant durchzuführende cross-linking-Operation sei bislang noch nicht wissenschaftlich genau abgesichert, jedoch bereits seit längerem in Gebrauch. Die Implantation intrakornealer Ringe sei eine anerkannte Methode. Die Kombination beider Behandlungen solle nicht unbedingt angewendet werden.
Prof. Dr. L. führte in seinem Gutachten aus, die Hornhautverdünnung und -vorwölbung beim Kläger sei in der Vergangenheit vor allem am linken Auge progredient gewesen; derzeit liege (u.a.) rechts ein Keratokonus im Stadium II, links im Stadium II – III mit irregulärem Astigmatismus (und – u. a. - unscharfem Sehen sowie fehlendem Stereosehen) vor. Die Hornhaut sei aktuell klar ohne Narbenbildung. Dies könne sich jedoch im weiteren Verlauf ändern und es könnten eine Vernarbung, Eintrübung und ein Aufquellen der Hornhaut eintreten. Damit wäre eine noch ausgeprägtere Sehverschlechterung verbunden. Eine Erblindung im gesetzlichen Sinne könne durch eine komplette Eintrübung der Hornhaut entstehen. Ob und ggf. wann das der Fall sein werde, könne nicht vorhergesagt werden. Derzeit komme der Kläger bei der Arbeit mit einem Sehbehindertenbildschirm noch zurecht, wobei er im Tagesverlauf eine deutliche Verschlechterung der Sicherheit bemerke. Das Autofahren bereite Schwierigkeiten.
Derzeit komme die Hornhautverpflanzung beim Kläger auf keinen Fall in Betracht; dies wäre im Stadium IV indiziert. Die Hornhautverpflanzung stelle zwar den Goldstandard in der Behandlung eines weit fortgeschrittenen Keratokonus dar, sei aber auch mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. Sie erfordere eine intensive Spendersuche und einen längeren Krankenhausaufenthalt. Die Nachbehandlung umfasse eine intensive Lokaltherapie und manchmal eine systemische Therapie sowie häufige augenärztliche Kontrolluntersuchungen. Die Rehabilitation der Sehschärfe sei langwierig, zur weiteren Verbesserung seien oft refraktive Eingriffe oder Kontaktlinsen erforderlich. Zudem sei die Lebenszeit einer Spenderhornhaut begrenzt, weswegen ggf. mehrfache Hornhautverpflanzungen notwendig werden könnten. Auch Abstoßungsreaktionen seien möglich. Empfehlenswert sei, zunächst ein cross-linking am linken Auge durchzuführen, später am rechten Auge, und das weitere Vorgehen (Implantation intracornealer Ringe) vom künftigen Krankheitsverlauf abhängig zu machen.
Der Keratokonus sei eine progrediente Erkrankung. Schreite sie fort, komme es zu einer Reduzierung der Sehschärfe und bei weiterem Krankheitsfortschritt zur Hornhauttrübung mit irreversiblem Visusverlust. Eine Verbesserung könne in diesem Stadium dann nur eine Hornhautverpflanzung bringen. Ob es dazu kommen und in welchem Zeitraum dies geschehen werde, sei von Patient zu Patient unterschiedlich und könne nicht vorhergesagt werden. Bei ca. 20 % der Patienten müsse nach 20 Jahren eine Hornhauttransplantation durchgeführt werden. Dies sei aber erst im Stadium IV indiziert. Für frühere Stadien habe sich in den letzten Jahren das cross-linking zu einer Standardtherapie entwickelt. Intracorneale Ringimplantate würden seltener angewendet.
Mit Urteil vom 11.10.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V könnten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, wie das cross-linking und die Implantation intracornealer Ringe, in der vertragsärztlichen Versorgung nur angewandt werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Die Richtlinien regelten, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürften; außerdem werde der Umfang der den Versicherten geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Eine solche Richtlinie sei nicht erlassen worden. Ein Ausnahmefall, in dem die Empfehlung des GBA entbehrlich sei, liege nicht vor. Angesichts der Inzidenz von 1:2000 handele es sich beim Keratokonus nicht um einen Seltenheitsfall; Systemversagen liege nicht vor. Schließlich sei die begehrte Leistung auch nicht im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs zu gewähren. Es fehle nämlich an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer damit wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Eine hochgradige Sehstörung könne einer lebensbedrohlichen Erkrankung (anders als die drohende Erblindung) nicht gleich erachtet werden (BSG, Urt. v. 5.5.2009, a. a. O.). Bei drohender Erblindung seien die Wahrscheinlichkeit des Eintritts und eine zeitliche Nähe (nicht erst in 20 bis 30 Jahren) notwendig.
Nach den Erkenntnissen des Prof. Dr. L. und der Ärzte des MDK komme es bei 20 % der Betroffenen innerhalb von 20 Jahren zu einer Situation, in der die Progredienz des Keratokonus die Hornhaut so beschädige, dass zur Wiederherstellung der Sehfähigkeit eine Hornhautverpflanzung erforderlich sei. Beim Kläger sei der weitere Krankheitsverlauf nicht vorhersehbar. Es sei weder absehbar, ob überhaupt eine weitere Progredienz eintrete, noch wann konkret die Schädigung der Hornhaut drohe. Eine notstandsähnliche Extremsituation könne derzeit nicht angenommen werden. Davon abgesehen lägen hinsichtlich der beantragten Eingriffe keine randomisierten kontrollierten Studien und keine Langzeitbeobachtungen über den Erfolg der Operationen vor.
Auf das ihm am 8.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8.12.2011 Berufung eingelegt. Er bekräftigt sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, es sei von Systemversagen auszugehen. Weswegen der GBA die erforderliche Empfehlung nicht abgegeben habe, sei nicht nachvollziehbar, nachdem (behandelnde) Ärzte die beantragten Maßnahmen als Mittel der Wahl angesehen hätten. Außerdem müsse der Leistungskatalog im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung erweitert werden. Seine hochgradige Sehstörung sei einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleich zu erachten. Bei 20 % der Betroffenen könne es innerhalb von 20 Jahren zur drohenden Erblindung kommen, der genaue Zeitpunkt hierfür sei aber nicht vorhersehbar. Die Erblindungsgefahr könne auch früher eintreten. Dann wäre die beantragte Behandlung aber nicht mehr durchführbar, weshalb ein Zuwarten ausscheide. Daraus folge eine notstandsähnliche Extremsituation. Eine andere geeignete Behandlungsmethode gebe es derzeit nicht. Die Keratoplastik sei kontraindiziert, weil bei ihm das hierfür notwendige Stadium IV noch nicht erreicht sei. Ob für die begehrten Operationen randomisierte kontrollierte Studien und Langzeitbeobachtungen vorlägen, sei unerheblich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.10.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.6.2010 zu verurteilen, die Kosten für eine (ambulant durchzuführende) cross-linking-Operation und eine operative Implantation intracornealer Ringe an beiden Augen zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Klage hat mit der Gewährung der begehrten (ambulanten) Augenoperationen bzw. mit der Übernahme der hierfür entstehenden Kosten eine Dienstleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt zum Gegenstand. Der Beschwerdewert von 750 EUR ist bei Kosten pro Auge von 1.572.78 EUR bzw. 345,44 EUR überschritten. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für cross-linking-Operationen und für die Implantation intracornealer Ringe.
I. Die Leistungsansprüche der gesetzlich Krankenversicherten sind in § 27 Abs. 1 SGB V grundlegend umschrieben. Danach haben sie Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um (u. a.) eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 SGB V).
1.) Die Krankenkassen müssen und dürfen nicht für jegliche Art von Behandlung aufkommen. Ihre Leistungspflicht unterliegt vielmehr den in §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V gesetzlich festgelegten Grenzen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Hinsichtlich neuer, also im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) nicht enthaltener Behandlungsmethoden (vgl. BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 3/06 R – ), ist außerdem das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 7.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue (Untersuchungs- und) Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen (ambulanten) Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (BSGE 81,73, ständige Rechtsprechung – zuletzt BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des GBA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R - m. w. N.). Ohne befürwortende Entscheidung des GBA kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt für vertragsärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden bzw. angewandt werden sollen, gilt § 137c Abs. 1 SGB V. Im Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V entscheidet der GBA (positiv), ob eine neue Methode wegen Anerkennung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens zukünftig zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann. Im Verfahren nach § 137c SGB V entscheidet er (negativ), ob eine neue Methode von der zugelassenen Leistungserbringung im Krankenhaus wegen nicht bestehender Erforderlichkeit für eine ausreichende, zweckmäßige und notwendige Versorgung ausgeschlossen werden soll.
2.) Fehlt für eine neue Behandlungsmethode die gem. § 135 Abs. 1 SGB V eigentlich notwendige (positive) Empfehlung des GBA, kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse gleichwohl bestehen, wenn die fehlende Anerkennung darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und damit ein sog. "Systemversagen" vorliegt. Dann ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien nämlich rechtswidrig unterblieben, weshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (näher BSGE 81, 54 sowie BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -). Gleiches gilt im Sonderfall einer wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbaren Krankheit (Seltenheitsfall - vgl. dazu BSGE 93,236).
3.) Gem. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V (gültig ab 1.1.2012) können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt.
Mit § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die neuere Rechtsprechung des BVerfG und die daran anknüpfenden Rechtsprechung des BSG kodifiziert, wonach sich ansonsten nicht bestehende Leistungsansprüche aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben können. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind daher die Maßgaben der genannten Rechtsprechung heranzuziehen.
In seinem Beschluss vom 6.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach – so etwa BSG Urt. v. 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der GBA diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe (BSGE 94, 221), gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; BSGE 96,153),
2. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung,
3. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Anwendung von Arzneimitteln - dargelegt, dass eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur gerechtfertigt ist, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (so BSG, Urt. v. 27.3.2007, - B 1 KR 17/06 - und - B 1 KR 30/06 -; Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; zusammenfassend auch Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Das BVerfG hat die Rechtsprechung des BSG nicht beanstandet und in einem Beschluss vom 30.6.2008 (- 1 BvR 1665/07 - Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde) klargestellt, dass Anknüpfungspunkt für eine grundrechtsorientierte Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage ist (dazu auch etwa Senatsurteil vom 26.8.2009, - L 5 KR 637/09 -, zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -).
II. Davon ausgehend kann das Begehren des Klägers keinen Erfolg haben. Bei der cross-linking-Operation zur Behandlung der Hornhautverkrümmung und der Implantation intracornealer Ringe bzw. bei der Kombination beider Verfahren handelt es sich um neue Behandlungsmethoden i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V, für die eine (positive) Empfehlung des GBA nicht vorliegt. Diese ist weder wegen Systemversagens noch im Hinblick auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts entbehrlich. Die Beklagte darf die in Rede stehenden Operationen daher weder gewähren noch die Kosten hierfür übernehmen.
1.) Die cross-linking-Operation und die (operative) Implantation intracornealer Ringe als ärztliche Behandlungsmethoden zur Therapie der Hornhautverkrümmung sollen nicht im Rahmen der Krankenhausbehandlung (§ 137c Abs. 1 SGB V) angewandt, sondern ambulant erbracht werden. Daher ist der positive Richtlinienvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V und nicht der negative Richtlinienvorbehalt des § 137c Abs. 1 SGB V maßgeblich. Beide Operationen und ihre Kombination stellen neue Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB dar, da sie im EBM als abrechnungsfähige vertragsärztliche Leistung nicht enthalten sind. Eine positive Empfehlung des GBA nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 SGB V liegt nicht vor. Hierüber streiten die Beteiligten nicht.
2.) Die positive Empfehlung des GBA nach § 135 Abs. 1 SGB V ist nicht wegen Systemversagens entbehrlich (ein so genannter Seltenheitsfall liegt bei der Hornhautverkrümmung unstreitig nicht vor). Es ist nichts dafür ersichtlich oder stichhaltig geltend gemacht, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden wäre. Hierfür genügt es nicht, wenn behandelnde Ärzte bzw. der vom Sozialgericht beauftragte Gutachter im Einzelfall die Anwendung der neuen Behandlungsmethode befürworten oder für indiziert halten. Wie der MDK in den Stellungnahmen vom 28.7.2009 (Dr. A.) und vom 7.1.2010 (Dr. B.) dargelegt hat, gibt es sowohl für die cross-linking-Operation wie für die Implantation intracornealer Ringe (und die Kombination beider Verfahren) keine hinreichend aussagekräftigen randomisierten und kontrollierten Studien, die im Sinne der evidenzbasierten Medizin den medizinischen Nutzen ausreichend belegen könnten. Auch eine breite Resonanz in der Fachdiskussion fehlt. Für die cross-linking-Operation liegen allenfalls nicht hinreichend aussagekräftige Zwischenergebnisse (einer australischen Studie) vor, während längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit, zum Effekt auf das Hornhautendothel, zu Infektionskrankheiten und anderen Komplikationen, zum optimalen Zeitpunkt und zur genauen Indikation und zu Kontraindikationen fehlen. Hinsichtlich der Implantation intracornealer Ringe bei Hornhautverkrümmung sind nur Fallberichte über eine Verbesserung der Sehschärfe, aber keine Langzeitbeobachtungen zu den Auswirkungen der intracornealen Ringe verfügbar. Auch längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit und zu Kontraindikationen bzw. vergleichende Studien mit Kontrollgruppen fehlen. Zur Kombination der cross-linking-Operation mit der Implantation intracornealer Ringe sind Studien (gar) nicht vorhanden. Im Hinblick darauf ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn ein Verfahren vor dem GBA gem. § 135 Abs. 1 SGB V nicht durchgeführt worden ist. Dass (vor allem) die cross-linking-Operation in größeren Krankenhäusern offenbar zunehmend zur Behandlung der Hornhautverkrümmung (in Frühstadien) angewandt wird und sich dort – so Prof. Dr. L. im Gutachten vom 26.7.2011 - zu einer Standardtherapie entwickelt hat, ändert daran nichts. Durch diese tatsächliche Entwicklung für sich allein wird eine neue ärztliche Behandlungsmethode noch nicht Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierfür ist zusätzlich die in § 135 Abs. 1 SGB V vorgeschriebene Richtlinienentscheidung des GBA notwendig. Auf diese kann vorliegend nicht verzichtet werden.
3.) Der Kläger kann sei Leistungsbegehren schließlich auch nicht auf § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V stützen.
Der Kläger leidet an einer Hornhautverkrümmung im Stadium II bzw. II bis III. Dabei handelt es sich unstreitig nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Krankheit des Klägers ist solchen Erkrankungen auch nicht gleichzustellen bzw. wertungsmäßig vergleichbar i. S. d. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V. Das ist zwar beim akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion möglich, was bei drohender Erblindung grundsätzlich angenommen werden kann. Erforderlich ist freilich auch dann eine notstandsähnliche Extremsituation. Daran fehlt es hier. Die Hornhautverkrümmung schreitet nicht in jedem Fall bis zum Stadium IV mit der Gefahr der Erblindung fort. Nach den Erkenntnissen des Gutachters Prof. Dr. L. und der Ärzte des MDK kommt es dazu nur in 20 % der Fälle; in den übrigen Fällen kommt die Erkrankung zum Stillstand. Die Hornhautverkrümmung im Stadium IV kann zudem – so Dr. B. in der MDK-Stellungnahme vom 7.1.20120 – mit der Hornhauttransplantation therapiert werden, so dass auch dann regelmäßig Erblindung nicht eintritt.
Der weitere Verlauf der Erkrankung des Klägers ist nicht vorhersehbar, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass sich die Erblindungsgefahr in einem kürzeren, überschaubaren Zeitraum mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl. dazu auch etwa LSG Hessen, Beschl. v. 7.6.11, - L 8 KR 42/11 B ER -). Darüber sind sich die behandelnden und die begutachtenden Ärzte einig. Im Bericht der Augenklinik des Klinikums r. d. I. vom 5.11.2010 ist ausgeführt, die weitere Entwicklung der Hornhautverkrümmung könne (auch beim Kläger) nicht vorhergesagt werden; die Erkrankung verlaufe sehr variabel. Der (behandelnde) Augenarzt Dr. B. hat dem zugestimmt und demzufolge mitgeteilt, Erblindung drohe nicht. Diese Auffassung hat auch Prof. Dr. L. im Gutachten vom 26.7.2011 vertreten.
Die Krankenkassen können die Kosten für die ambulant durchzuführende cross-linking-Operation und die Implantation intracornealer Ringe nach alledem erst dann übernehmen, wenn hierfür eine entsprechende Empfehlung des GBA gem. § 135 Abs. 1 SGB V vorliegt.
III. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten von Augenoperationen (cross-linking-Operation und Implantation intracornealer Ringe).
Bei dem 1972 geborenen Kläger wurde 1996 eine Hornhautverkrümmung (Keratokonus) diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine Hornhauterkrankung, die zur Verdünnung bzw. Vorwölbung der Hornhaut mit Stabsichtigkeit (irregulärer Astigmatismus) und Sehschärfenminderung führt.
Im Mai 2009 beantragte der Kläger, die Kosten einer cross-linking-Operation (Hornhautvernetzung mit Riboflavin und UV-Bestrahlung – Kollagenvernetzung) und der Implantation intracornealer Ringe zu übernehmen; beide Behandlungsmethoden sind nicht Teil der vertragsärztlichen Versorgung gesetzlich Versicherter. Er legte eine Kostenaufstellung der Augenklinik des Klinikums r. der I. (Kosten pro Auge 1.572,78 EUR bzw. 345,44 EUR) und Arztatteste vor.
Dr. W. von M. (Oberarzt der Augenklinik, Klinikum r. d. I.) führte unter dem 6.3.2009 aus, auf beiden Augen bestehe ein progredienter Keratokonus, wobei der Befund am linken Auge deutlich ausgeprägt sei (Stadium II bis III nach Amsler bzw. II nach Krumeich). Gerade am linken Auge könne auch mit Brille nur ein Visus von 0,5 erreicht werden. Zur Vermeidung einer Hornhautverpflanzung als einschneidendem und mit hohen Kosten verbundenem Eingriff werde eine cross-linking-Operation zuerst am linken Auge empfohlen. Das cross-linking habe sich in den letzten Jahren bewährt; mehrere Studien hätten gezeigt, dass eine Stabilisierung bzw. eine deutliche Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung erzielt werden könne. Um eine Verbesserung des Visus zu erreichen, sollten am linken Auge zusätzlich intracorneale Ringe implantiert werden. Das werde schon seit Jahren praktiziert; mehrere Studien hätten eine deutliche Verbesserung des Visus belegt.
Der Augenarzt Dr. B. teilte im Attest vom 30.3.2009 mit, infolge des Keratokonus bestehe ein hochgradiger Brechkraftunterschied, der mit einem Brillenglas wegen zu großer Bildgrößendifferenzen nicht mehr ausgleichbar sei. Eine Keratoplastik sei aufgrund fehlender Narbenbildung und nur unwesentlicher Hornhautverdünnung nicht indiziert. Mit der cross-linking-Operation könne die Hornhaut durch Stabilisierung des Stützgewebes verbessert werden.
Der Kläger gab an, durch die extreme Hornhautverkrümmung fielen Kontaktlinsen aus dem Auge; die Brille könne die Sehminderung nicht ausgleichen. Am linken Auge sei der Keratokonus anders als am rechten Auge nicht zum Stillstand gekommen. Als EDV-Administrator sei er auf gute Sehkraft angewiesen; nach 4 Stunden könne er Schriftarten und Diagramme nicht mehr lesen.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. bzw. B.-W. (MDK). In der MDK-Stellungnahme vom 22.6.2009 teilte Dr. Sch. mit, die vertragsärztlichen Behandlungsmethoden seien nicht ausgeschöpft. Die Kontaktlinsenunverträglichkeit des Klägers sei nicht belegt. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege nicht vor und es drohe auch nicht die Erblindung innerhalb weniger Wochen.
In der MDK-Stellungnahme vom 28.07.2009 führte Dr. A. (ergänzend) aus, die Behandlung eines Keratokonus mittels intracornealer Ringe in Kombination mit dem cross-linking-Verfahren stelle eine neue Behandlungsmethode gem. § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dar. Eine (befürwortende) Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Mit der Kontaktlinsenanpassung und der Keratoplastik stünden vertragsärztliche Behandlungsalternativen zur Verfügung. Die Keratoplastik sei die anerkannte operative Behandlungsmethode der Wahl bei fortgeschrittenem Keratokonus mit hohen Erfolgsaussichten; ca. 90 % der Patienten hätten danach langfristig eine klare Hornhaut. Für das cross-linking-Verfahren alleine gebe es keine veröffentlichten Studien, die einen Behandlungserfolg statistisch einwandfrei belegten; bislang seien nur Studien mit kleinen Fallzahlen veröffentlicht. Randomisierte, kontrollierte Studien existierten nicht. Den Daten zum cross-linking-Verfahren fehlten Kontrollgruppen, um nachzuweisen, dass die Behandlung effektiv sei. Zur Implantation intracornealer Ringe bei Keratokonus fänden sich Veröffentlichungen mit kleinen Fallzahlen ohne Kontrollgruppen. Die Nachbeobachtungszeit sei kurz. Für die beim Kläger vorzunehmende Kombinationsbehandlung gebe es keine Studien. Auch eine breite Resonanz in der Fachdiskussion sei nicht festzustellen und die Kombinationsbehandlung werde nicht von einer erheblichen Anzahl von Ärzten angewandt.
Mit Bescheid vom 3.8.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Implantation intracornealer Ringe in Kombination mit der cross-linking-Operation ab.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die in Rede stehende Behandlungsmethode gehöre wegen eines Systemmangels nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Keratoplastik sei nicht indiziert und stelle nicht die Methode der Wahl dar; vertragsärztliche Behandlungsmethoden stünden nicht zur Verfügung. Seine Sehfähigkeit verschlechtere sich laufend.
Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im der MDK-Stellungnahme vom 7.1.2010 führte Dr. B. aus, die Behandlung (cross-linking) werde ambulant in lokaler Tropfanästhesie durchgeführt. Die Implantation intracornealer Ringe und die cross-linking-Operation bzw. die Kombination beider Verfahren zur Behandlung des Keratokonus stellten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dar; es handele sich nicht um in der vertragsärztlichen Versorgung abrechnungsfähige Leistungen. Ein Antrag auf Beratung und Anerkennung durch den GBA sei nicht gestellt. Der Keratokonus beginne in der Regel in der Pubertät und schreite bei 20 % der Patienten so weit voran, dass eine Keratoplastik durchgeführt werden müsse. Die Erkrankung könne jederzeit zum Stillstand kommen, was im Einzelfall aber nicht vorhersehbar sei; auch beim Kläger sei der Eintritt eines praktisch vollständigen Visusverlustes in absehbarer Zeit daher nicht zu prognostizieren (vgl. auch BSG, Beschl. v. 26.9.2006, - B 1 KR 16/06 B -). Der Verlust der Sehfähigkeit bzw. die Erblindung drohe beim Keratokonus in der Regel nicht, weil in erster Linie der vordere Augenabschnitt betroffen sei, der nach Ausschöpfung der konservativen Behandlung (Brille, Kontaktlinsen) chirurgisch durch Hornhauttransplantation behandelt werden könne.
Die cross-linking-Behandlung bei Keratokonus werde in Deutschland von vielen größeren Kliniken angeboten, die Implantation intracornealer Ringe und die Kombinationsbehandlung hätten sich in der medizinischen Praxis aber nicht allgemein durchgesetzt und würden auch nicht von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt. Das cross-linking werde in einem G2-Gutachten vom November 2006 unter Berücksichtigung der aktuellen Studienlage nicht als Behandlungsmethode der gesetzlichen Krankenversicherung empfohlen. Im Februar 2009 seien die Dresdner Ergebnisse zur Kollagenvernetzung mit Riboflavin und UVA-Licht bei Keratokonus veröffentlicht worden. Dabei handele es sich um eine retrospektive (nicht randomisierte, kontrollierte) Studie (Beginn Fallzahl 221, Untersuchung nach 2 Jahren Fallzahl 68) ohne Kontrollgruppe. Hinsichtlich einer noch nicht abgeschlossenen australischen Studie (mit Kontrollgruppe) liege nach einem Jahr nur eine Zwischenanalyse mit Zwischenergebnissen vor. Immer noch fehlten längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit, zum Effekt auf das Hornhautendothel, zu Infektionskrankheiten und anderen Komplikationen, zum optimalen Zeitpunkt und zur genauen Indikation und zu Kontraindikationen. Aufgrund der bisherigen Daten sei nicht absehbar, ob mit dem cross-linking einer Hornhautverpflanzung vorgebeugt werden könne. Hinsichtlich der Implantation intracornealer Ringe bei Keratokonus gebe es Fallberichte über eine Verbesserung der Sehschärfe, aber keine Langzeitbeobachtungen zu den Auswirkungen der intracornealen Ringe auf den Keratokonus. Auch längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit und zu Kontraindikationen bzw. vergleichende Studien mit Kontrollgruppen fehlten. Zur Kombinationsbehandlung gebe es keine Studien bzw. Literaturstellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.6.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 14.7.2010 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhob. Er trug vor, der Keratokonus sei bereits weit fortgeschritten und habe in den vergangenen Jahren in relativ kurzen Zeiträumen zu einer massiven Visusverschlechterung geführt. Bei unbehandeltem Fortschreiten sei in absehbarer Zeit mit dem praktisch vollständigen Visusverlust zu rechnen. Er vertrage keine Kontaktlinsen, mit Brille sei ein akzeptabler Visus nicht zu erreichen. Für die Keratoplastik als vertragsärztliche Behandlung bestehe derzeit mangels Narbenbildung oder erheblicher Hornhautverdünnung keine Indikation. Angesichts der mit einer Keratoplastik verbundenen Probleme - Finden eines geeigneten Spenders, Gefahr der Abstoßung, langwierige Rehabilitation - sei der beantragte Eingriff das mildere Mittel. Auf dem rechten Auge sei der Keratokonus beinahe zum Stillstand gekommen, während sich am linken Auge die Sehleistung massiv verschlechtert habe; hier sei mit Brillenkorrektur eine Sehleistung von mehr als 35 % nicht möglich. Mittlerweile fingen die Ränder der Hornhaut an, sich abzulösen. Seit einem Jahr benötigte er (am Arbeitsplatz) einen Sehbehindertenbildschirm.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Prof. Dr. L. (Direktor der Augenklinik der St. V.-Kliniken, K.) vom 26.7.2011.
Prof. Dr. Dr. L. und Priv.-Doz. Dr. W. von M. (Augenklinik des Klinikums r. d. I.) führten im Bericht vom 5.11.2010 aus, die Korrektur der Sehminderung mittels Brille sei unzureichend, Kontaktlinsen würden nach Angaben des Klägers im Auge nicht halten. Nach Aussage des Klägers hätten sich Sehschärfe und Refraktion stetig verschlechtert. Jedoch könne die weitere Entwicklung bei einem Keratokonus nicht vorhergesagt werden. Bei stetiger Progredienz könne ein weiterer Visusabfall eintreten, bis hin zur Notwendigkeit einer Hornhauttransplantation. Da die Erkrankung sehr variabel verlaufe, könne dies wie auch der Zeitraum nicht vorhergesagt werden. Das derzeit am häufigsten angewandte Verfahren sei das cross-linking; viele Studien zeigten, dass es danach zu einer Stabilisierung des Befundes komme. Der Kläger habe derzeit (März 2009) noch ein gutes Sehvermögen, weshalb versucht werden solle, die Erkrankung zu stoppen. Eine Hornhauttransplantation wäre viel zu invasiv und würde zu viele Krankheitstage (visuelle Rehabilitation) erfordern. Das cross-linking solle die Progredienz stoppen, die Ringimplantate sollten die Sehschärfe verbessern; man könne beides einzeln oder auch kombiniert durchführen. Beide Operationen würden in der Regel ambulant vorgenommen.
Der Augenarzt Dr. B. teilte unter dem 24.11.2010 mit, eine weitere Progression des Keratokonus und der Visusverschlechterung sei möglich, Erblindung drohe nicht. Die ambulant durchzuführende cross-linking-Operation sei bislang noch nicht wissenschaftlich genau abgesichert, jedoch bereits seit längerem in Gebrauch. Die Implantation intrakornealer Ringe sei eine anerkannte Methode. Die Kombination beider Behandlungen solle nicht unbedingt angewendet werden.
Prof. Dr. L. führte in seinem Gutachten aus, die Hornhautverdünnung und -vorwölbung beim Kläger sei in der Vergangenheit vor allem am linken Auge progredient gewesen; derzeit liege (u.a.) rechts ein Keratokonus im Stadium II, links im Stadium II – III mit irregulärem Astigmatismus (und – u. a. - unscharfem Sehen sowie fehlendem Stereosehen) vor. Die Hornhaut sei aktuell klar ohne Narbenbildung. Dies könne sich jedoch im weiteren Verlauf ändern und es könnten eine Vernarbung, Eintrübung und ein Aufquellen der Hornhaut eintreten. Damit wäre eine noch ausgeprägtere Sehverschlechterung verbunden. Eine Erblindung im gesetzlichen Sinne könne durch eine komplette Eintrübung der Hornhaut entstehen. Ob und ggf. wann das der Fall sein werde, könne nicht vorhergesagt werden. Derzeit komme der Kläger bei der Arbeit mit einem Sehbehindertenbildschirm noch zurecht, wobei er im Tagesverlauf eine deutliche Verschlechterung der Sicherheit bemerke. Das Autofahren bereite Schwierigkeiten.
Derzeit komme die Hornhautverpflanzung beim Kläger auf keinen Fall in Betracht; dies wäre im Stadium IV indiziert. Die Hornhautverpflanzung stelle zwar den Goldstandard in der Behandlung eines weit fortgeschrittenen Keratokonus dar, sei aber auch mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. Sie erfordere eine intensive Spendersuche und einen längeren Krankenhausaufenthalt. Die Nachbehandlung umfasse eine intensive Lokaltherapie und manchmal eine systemische Therapie sowie häufige augenärztliche Kontrolluntersuchungen. Die Rehabilitation der Sehschärfe sei langwierig, zur weiteren Verbesserung seien oft refraktive Eingriffe oder Kontaktlinsen erforderlich. Zudem sei die Lebenszeit einer Spenderhornhaut begrenzt, weswegen ggf. mehrfache Hornhautverpflanzungen notwendig werden könnten. Auch Abstoßungsreaktionen seien möglich. Empfehlenswert sei, zunächst ein cross-linking am linken Auge durchzuführen, später am rechten Auge, und das weitere Vorgehen (Implantation intracornealer Ringe) vom künftigen Krankheitsverlauf abhängig zu machen.
Der Keratokonus sei eine progrediente Erkrankung. Schreite sie fort, komme es zu einer Reduzierung der Sehschärfe und bei weiterem Krankheitsfortschritt zur Hornhauttrübung mit irreversiblem Visusverlust. Eine Verbesserung könne in diesem Stadium dann nur eine Hornhautverpflanzung bringen. Ob es dazu kommen und in welchem Zeitraum dies geschehen werde, sei von Patient zu Patient unterschiedlich und könne nicht vorhergesagt werden. Bei ca. 20 % der Patienten müsse nach 20 Jahren eine Hornhauttransplantation durchgeführt werden. Dies sei aber erst im Stadium IV indiziert. Für frühere Stadien habe sich in den letzten Jahren das cross-linking zu einer Standardtherapie entwickelt. Intracorneale Ringimplantate würden seltener angewendet.
Mit Urteil vom 11.10.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V könnten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, wie das cross-linking und die Implantation intracornealer Ringe, in der vertragsärztlichen Versorgung nur angewandt werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Die Richtlinien regelten, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürften; außerdem werde der Umfang der den Versicherten geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Eine solche Richtlinie sei nicht erlassen worden. Ein Ausnahmefall, in dem die Empfehlung des GBA entbehrlich sei, liege nicht vor. Angesichts der Inzidenz von 1:2000 handele es sich beim Keratokonus nicht um einen Seltenheitsfall; Systemversagen liege nicht vor. Schließlich sei die begehrte Leistung auch nicht im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs zu gewähren. Es fehle nämlich an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer damit wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Eine hochgradige Sehstörung könne einer lebensbedrohlichen Erkrankung (anders als die drohende Erblindung) nicht gleich erachtet werden (BSG, Urt. v. 5.5.2009, a. a. O.). Bei drohender Erblindung seien die Wahrscheinlichkeit des Eintritts und eine zeitliche Nähe (nicht erst in 20 bis 30 Jahren) notwendig.
Nach den Erkenntnissen des Prof. Dr. L. und der Ärzte des MDK komme es bei 20 % der Betroffenen innerhalb von 20 Jahren zu einer Situation, in der die Progredienz des Keratokonus die Hornhaut so beschädige, dass zur Wiederherstellung der Sehfähigkeit eine Hornhautverpflanzung erforderlich sei. Beim Kläger sei der weitere Krankheitsverlauf nicht vorhersehbar. Es sei weder absehbar, ob überhaupt eine weitere Progredienz eintrete, noch wann konkret die Schädigung der Hornhaut drohe. Eine notstandsähnliche Extremsituation könne derzeit nicht angenommen werden. Davon abgesehen lägen hinsichtlich der beantragten Eingriffe keine randomisierten kontrollierten Studien und keine Langzeitbeobachtungen über den Erfolg der Operationen vor.
Auf das ihm am 8.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8.12.2011 Berufung eingelegt. Er bekräftigt sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, es sei von Systemversagen auszugehen. Weswegen der GBA die erforderliche Empfehlung nicht abgegeben habe, sei nicht nachvollziehbar, nachdem (behandelnde) Ärzte die beantragten Maßnahmen als Mittel der Wahl angesehen hätten. Außerdem müsse der Leistungskatalog im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung erweitert werden. Seine hochgradige Sehstörung sei einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleich zu erachten. Bei 20 % der Betroffenen könne es innerhalb von 20 Jahren zur drohenden Erblindung kommen, der genaue Zeitpunkt hierfür sei aber nicht vorhersehbar. Die Erblindungsgefahr könne auch früher eintreten. Dann wäre die beantragte Behandlung aber nicht mehr durchführbar, weshalb ein Zuwarten ausscheide. Daraus folge eine notstandsähnliche Extremsituation. Eine andere geeignete Behandlungsmethode gebe es derzeit nicht. Die Keratoplastik sei kontraindiziert, weil bei ihm das hierfür notwendige Stadium IV noch nicht erreicht sei. Ob für die begehrten Operationen randomisierte kontrollierte Studien und Langzeitbeobachtungen vorlägen, sei unerheblich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.10.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.6.2010 zu verurteilen, die Kosten für eine (ambulant durchzuführende) cross-linking-Operation und eine operative Implantation intracornealer Ringe an beiden Augen zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Klage hat mit der Gewährung der begehrten (ambulanten) Augenoperationen bzw. mit der Übernahme der hierfür entstehenden Kosten eine Dienstleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt zum Gegenstand. Der Beschwerdewert von 750 EUR ist bei Kosten pro Auge von 1.572.78 EUR bzw. 345,44 EUR überschritten. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für cross-linking-Operationen und für die Implantation intracornealer Ringe.
I. Die Leistungsansprüche der gesetzlich Krankenversicherten sind in § 27 Abs. 1 SGB V grundlegend umschrieben. Danach haben sie Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um (u. a.) eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 SGB V).
1.) Die Krankenkassen müssen und dürfen nicht für jegliche Art von Behandlung aufkommen. Ihre Leistungspflicht unterliegt vielmehr den in §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V gesetzlich festgelegten Grenzen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Hinsichtlich neuer, also im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) nicht enthaltener Behandlungsmethoden (vgl. BSG, Urt. v. 26.9.2006, - B 1 KR 3/06 R – ), ist außerdem das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 7.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue (Untersuchungs- und) Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen (ambulanten) Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (BSGE 81,73, ständige Rechtsprechung – zuletzt BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des GBA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R - m. w. N.). Ohne befürwortende Entscheidung des GBA kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt für vertragsärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden bzw. angewandt werden sollen, gilt § 137c Abs. 1 SGB V. Im Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V entscheidet der GBA (positiv), ob eine neue Methode wegen Anerkennung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens zukünftig zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann. Im Verfahren nach § 137c SGB V entscheidet er (negativ), ob eine neue Methode von der zugelassenen Leistungserbringung im Krankenhaus wegen nicht bestehender Erforderlichkeit für eine ausreichende, zweckmäßige und notwendige Versorgung ausgeschlossen werden soll.
2.) Fehlt für eine neue Behandlungsmethode die gem. § 135 Abs. 1 SGB V eigentlich notwendige (positive) Empfehlung des GBA, kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse gleichwohl bestehen, wenn die fehlende Anerkennung darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und damit ein sog. "Systemversagen" vorliegt. Dann ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien nämlich rechtswidrig unterblieben, weshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (näher BSGE 81, 54 sowie BSG, Urt. v. 4.4.2006, - B 1 KR 12/05 R -). Gleiches gilt im Sonderfall einer wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbaren Krankheit (Seltenheitsfall - vgl. dazu BSGE 93,236).
3.) Gem. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V (gültig ab 1.1.2012) können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt.
Mit § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die neuere Rechtsprechung des BVerfG und die daran anknüpfenden Rechtsprechung des BSG kodifiziert, wonach sich ansonsten nicht bestehende Leistungsansprüche aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben können. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind daher die Maßgaben der genannten Rechtsprechung heranzuziehen.
In seinem Beschluss vom 6.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach – so etwa BSG Urt. v. 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der GBA diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe (BSGE 94, 221), gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; BSGE 96,153),
2. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung,
3. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Anwendung von Arzneimitteln - dargelegt, dass eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur gerechtfertigt ist, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (so BSG, Urt. v. 27.3.2007, - B 1 KR 17/06 - und - B 1 KR 30/06 -; Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; zusammenfassend auch Urt. v. 5.5.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Das BVerfG hat die Rechtsprechung des BSG nicht beanstandet und in einem Beschluss vom 30.6.2008 (- 1 BvR 1665/07 - Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde) klargestellt, dass Anknüpfungspunkt für eine grundrechtsorientierte Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage ist (dazu auch etwa Senatsurteil vom 26.8.2009, - L 5 KR 637/09 -, zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -).
II. Davon ausgehend kann das Begehren des Klägers keinen Erfolg haben. Bei der cross-linking-Operation zur Behandlung der Hornhautverkrümmung und der Implantation intracornealer Ringe bzw. bei der Kombination beider Verfahren handelt es sich um neue Behandlungsmethoden i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V, für die eine (positive) Empfehlung des GBA nicht vorliegt. Diese ist weder wegen Systemversagens noch im Hinblick auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts entbehrlich. Die Beklagte darf die in Rede stehenden Operationen daher weder gewähren noch die Kosten hierfür übernehmen.
1.) Die cross-linking-Operation und die (operative) Implantation intracornealer Ringe als ärztliche Behandlungsmethoden zur Therapie der Hornhautverkrümmung sollen nicht im Rahmen der Krankenhausbehandlung (§ 137c Abs. 1 SGB V) angewandt, sondern ambulant erbracht werden. Daher ist der positive Richtlinienvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V und nicht der negative Richtlinienvorbehalt des § 137c Abs. 1 SGB V maßgeblich. Beide Operationen und ihre Kombination stellen neue Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB dar, da sie im EBM als abrechnungsfähige vertragsärztliche Leistung nicht enthalten sind. Eine positive Empfehlung des GBA nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 SGB V liegt nicht vor. Hierüber streiten die Beteiligten nicht.
2.) Die positive Empfehlung des GBA nach § 135 Abs. 1 SGB V ist nicht wegen Systemversagens entbehrlich (ein so genannter Seltenheitsfall liegt bei der Hornhautverkrümmung unstreitig nicht vor). Es ist nichts dafür ersichtlich oder stichhaltig geltend gemacht, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden wäre. Hierfür genügt es nicht, wenn behandelnde Ärzte bzw. der vom Sozialgericht beauftragte Gutachter im Einzelfall die Anwendung der neuen Behandlungsmethode befürworten oder für indiziert halten. Wie der MDK in den Stellungnahmen vom 28.7.2009 (Dr. A.) und vom 7.1.2010 (Dr. B.) dargelegt hat, gibt es sowohl für die cross-linking-Operation wie für die Implantation intracornealer Ringe (und die Kombination beider Verfahren) keine hinreichend aussagekräftigen randomisierten und kontrollierten Studien, die im Sinne der evidenzbasierten Medizin den medizinischen Nutzen ausreichend belegen könnten. Auch eine breite Resonanz in der Fachdiskussion fehlt. Für die cross-linking-Operation liegen allenfalls nicht hinreichend aussagekräftige Zwischenergebnisse (einer australischen Studie) vor, während längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit, zum Effekt auf das Hornhautendothel, zu Infektionskrankheiten und anderen Komplikationen, zum optimalen Zeitpunkt und zur genauen Indikation und zu Kontraindikationen fehlen. Hinsichtlich der Implantation intracornealer Ringe bei Hornhautverkrümmung sind nur Fallberichte über eine Verbesserung der Sehschärfe, aber keine Langzeitbeobachtungen zu den Auswirkungen der intracornealen Ringe verfügbar. Auch längerfristige und umfassende Daten zur Sicherheit und zu Kontraindikationen bzw. vergleichende Studien mit Kontrollgruppen fehlen. Zur Kombination der cross-linking-Operation mit der Implantation intracornealer Ringe sind Studien (gar) nicht vorhanden. Im Hinblick darauf ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn ein Verfahren vor dem GBA gem. § 135 Abs. 1 SGB V nicht durchgeführt worden ist. Dass (vor allem) die cross-linking-Operation in größeren Krankenhäusern offenbar zunehmend zur Behandlung der Hornhautverkrümmung (in Frühstadien) angewandt wird und sich dort – so Prof. Dr. L. im Gutachten vom 26.7.2011 - zu einer Standardtherapie entwickelt hat, ändert daran nichts. Durch diese tatsächliche Entwicklung für sich allein wird eine neue ärztliche Behandlungsmethode noch nicht Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierfür ist zusätzlich die in § 135 Abs. 1 SGB V vorgeschriebene Richtlinienentscheidung des GBA notwendig. Auf diese kann vorliegend nicht verzichtet werden.
3.) Der Kläger kann sei Leistungsbegehren schließlich auch nicht auf § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V stützen.
Der Kläger leidet an einer Hornhautverkrümmung im Stadium II bzw. II bis III. Dabei handelt es sich unstreitig nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Krankheit des Klägers ist solchen Erkrankungen auch nicht gleichzustellen bzw. wertungsmäßig vergleichbar i. S. d. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V. Das ist zwar beim akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion möglich, was bei drohender Erblindung grundsätzlich angenommen werden kann. Erforderlich ist freilich auch dann eine notstandsähnliche Extremsituation. Daran fehlt es hier. Die Hornhautverkrümmung schreitet nicht in jedem Fall bis zum Stadium IV mit der Gefahr der Erblindung fort. Nach den Erkenntnissen des Gutachters Prof. Dr. L. und der Ärzte des MDK kommt es dazu nur in 20 % der Fälle; in den übrigen Fällen kommt die Erkrankung zum Stillstand. Die Hornhautverkrümmung im Stadium IV kann zudem – so Dr. B. in der MDK-Stellungnahme vom 7.1.20120 – mit der Hornhauttransplantation therapiert werden, so dass auch dann regelmäßig Erblindung nicht eintritt.
Der weitere Verlauf der Erkrankung des Klägers ist nicht vorhersehbar, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass sich die Erblindungsgefahr in einem kürzeren, überschaubaren Zeitraum mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl. dazu auch etwa LSG Hessen, Beschl. v. 7.6.11, - L 8 KR 42/11 B ER -). Darüber sind sich die behandelnden und die begutachtenden Ärzte einig. Im Bericht der Augenklinik des Klinikums r. d. I. vom 5.11.2010 ist ausgeführt, die weitere Entwicklung der Hornhautverkrümmung könne (auch beim Kläger) nicht vorhergesagt werden; die Erkrankung verlaufe sehr variabel. Der (behandelnde) Augenarzt Dr. B. hat dem zugestimmt und demzufolge mitgeteilt, Erblindung drohe nicht. Diese Auffassung hat auch Prof. Dr. L. im Gutachten vom 26.7.2011 vertreten.
Die Krankenkassen können die Kosten für die ambulant durchzuführende cross-linking-Operation und die Implantation intracornealer Ringe nach alledem erst dann übernehmen, wenn hierfür eine entsprechende Empfehlung des GBA gem. § 135 Abs. 1 SGB V vorliegt.
III. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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