L 7 R 5711/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1703/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 5711/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1957 in der Türkei geborene Klägerin siedelte 1972 in die Bundesrepublik Deutschland über, wo sie bis Februar 2006 - mit Unterbrechung von 1979 bis 1989 wegen Kindererziehung - durchgängig in ungelernten Tätigkeiten bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt war. Vom 22. Februar 2006 bis 28. Februar 2007 bezog sie Leistungen der Bundesagentur für Arbeit wegen Arbeitslosigkeit.

Nachdem sie bereits vom 22. März bis 25. April 2005 stationär und unmittelbar anschließend bis 10. Mai 2005 teilstationär im PZN wegen dissoziativer Störungen und histrionischer Persönlichkeitsstörung behandelt worden war, durchlief sie vom 17. Januar bis 21. Februar 2006 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der psychiatrischen Abteilung der Reha-Klinik G ... Aus dieser wurde sie als arbeitsunfähig und nicht leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen (insbesondere rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; Panikstörung).

Auf den am 29. September 2008 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ließ die Beklagte die Klägerin durch die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ke. untersuchen. Diese beschrieb in ihrem Gutachten vom 11. November 2008 eine vorbekannte histrionische Persönlichkeitsstörung mit Pseudohalluzinationen, degenerative Veränderungen des Schultergelenks rechts mit somatoformer Komponente, einen arteriellen Hypertonus, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II sowie degenerative Veränderungen des rechten Knies. Unter Ausschluss von Überkopfarbeiten, häufigem Knien oder Hocken sowie Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sei die Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig. Mit Bescheid vom 13. November 2008 lehnte die Beklagte daraufhin wegen fehlender Erwerbsminderung den Rentenantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2009 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. Mai 2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und zur Begründung in erster Linie auf bestehende dissoziative Störungen sowie eine histrionische Persönlichkeitsstörung verwiesen. Sie leide unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen, Panikattacken, Schlafstörungen und sozialen Rückzugstendenzen. Hinzu träten eine depressive Erkrankung, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Daneben bestünden als körperliche Gesundheitsstörungen koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Wirbelsäulen- und Schulter-Arm-Beschwerden.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Wegen der Einzelheiten der Stellungnahmen des Chirurgen N. vom 2. Oktober 2009, des Allgemeinmediziners W. vom 9. Oktober 2009, der Diplom-Psychologin Z. vom 15. Oktober 2009 und des Orthopäden Dr. H. vom 27. Oktober 2009 wird auf Bl. 21/25, 46/47 sowie 48/50 der SG-Akte Bezug genommen. In einem orthopädischen Zusatzgutachten vom 1. Februar 2010 hat Dr. We., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, eine Schulterfunktionsstörung rechts mit variierender Bewegungseinschränkung ohne Muskelminderung oder äußere Reizerscheinungen, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Bewegungseinschränkung und periphere Nervenwurzelreizsymptomatik sowie eine leichte Kniegelenksstörung rechts ohne Bewegungseinschränkung beschrieben. Die Klägerin könne eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Ausgeschlossen seien Arbeiten mit überwiegendem oder ständigem Armvorhalt oder über Kopf rechts, überwiegend in Wirbelsäulenzwangshaltungen und Bücken, mit Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, häufig im Knien oder in der tiefen Hocke sowie solche mit sehr häufigem Treppensteigen. Auf Anforderung des SG hat die Fachärztin Dr. Hu. unter dem 24. März 2010 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstattet, in dem sie psychiatrisch eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine Dysthymia sowie eine Panikstörung leichteren Ausprägungsgrades und neurologisch ein Carpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert hat. Arbeiten in monotoner Körperhaltung, vorrangig Überkopfarbeiten, häufiges Bücken, Treppensteigen, auf Leitern oder Gerüsten und unter Einwirkung von Dämpfen, Gasen oder Staub seien der Klägerin ebenso wenig zuzumuten wie solche unter erhöhtem Zeitdruck mit erhöhter Stressbelastung und mit erhöhter Verantwortung, insbesondere Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit. Bei Beachtung dieser Ausschlüsse könne die Klägerin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich verrichten. In einem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholten psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachten vom 25. November 2010 hat die Fachärztin Dr. H.-P. dissoziative Störungen, kumulative Traumata, Angst- und Panikstörungen, Dysthymia sowie eine histrionische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Zu vermeiden seien Schicht- und Nachtarbeiten sowie Tätigkeiten unter Zeitdruck, mit erhöhtem Maß an Verantwortung für Personen oder Sachwerte sowie solche, die eine anhaltend hohe Konzentrationsfähigkeit voraussetzen oder erhöhte psychomentale Anforderungen stellen wie rasche Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit oder Publikumskontakt. Auch bei Beachtung dieser Einschränkungen sei die Klägerin für eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig.

Die Beklagte war der Klage unter Verweis auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie Dr. W. vom 22. Dezember 2010 entgegengetreten (Bl. 188/189 der SG-Akte). Wegen der ergänzenden Stellungnahme von Dr. Hu. vom 21. Februar 2011, in der diese ihre Leistungsbeurteilung in Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Dr. H.-P. aufrechterhalten hatte, wird auf Bl. 192/195 der SG-Akte Bezug genommen.

Mit Urteil vom 9. November 2011 hat das SG die Klage abgewiesen, da eine quantitative Leistungseinschränkung nicht objektivierbar sei.

Gegen diese ihrem Bevollmächtigten am 29. November 2011 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 27. Dezember 2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zu deren Begründung hat sie über ihr bisheriges Vorbringen hinaus ausgeführt, aus den Gutachten von Dr. Hu. und Dr. H.-P. ergebe sich das Bild einer in ihrer Leistungsfähigkeit so stark beeinträchtigten Frau, dass ihr bei realistischer Einschätzung eine vollschichtige Arbeitstätigkeit nicht mehr möglich sei. Aufgrund der von Dr. Hu. für erforderlich gehaltenen qualitativen Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich Zeitdruck und Stress, sei keine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt mehr gegeben. Einen zunächst nach § 109 SGG gestellten Antrag hat die Klägerin später wieder zurückgenommen.

Die Klägerin hat schriftlich beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2008 und deren Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihre bisherigen Ausführungen verwiesen.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 17. Januar und 2. April 2012 sind die Beteiligten mit der Möglichkeit der Stellungnahme darauf hingewiesen worden, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss beabsichtigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 SGG die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem eindeutig gestellten Antrag der rechtskundig vertretenen Klägerin nur ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, nicht auch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Auf entsprechende Nachfrage hat der Bevollmächtigte der Klägerin nichts anderes angegeben. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht verneint.

Maßgeblich für die beanspruchte Rente ist das ab 1. Januar 2001 für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltende Recht (eingeführt durch Gesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827)). Nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben bei Erfüllung hier nicht streitiger versicherungsrechtlicher Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht unter den genannten Bedingungen bei einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich (Abs. 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3).

Bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin stehen im Vordergrund deren Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet, mit denen diese ihr Klage- und Berufungsbegehren auch vorrangig begründet hat. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen der Klägerin in zeitlicher Hinsicht einschränkten. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um deren Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das nervenärztliche Fachgutachten von Dr. Hu ... Diese hat die nach ausführlicher Exploration und Untersuchung ermittelten Befunde und die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen anschaulich dargestellt und hieraus schlüssig und nachvollziehbar deren Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen abgeleitet. Zunächst ist festzuhalten, dass bei der Klägerin mit einer Dysthymia zwar eine Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis vorliegt, diese jedoch nicht von einer solchen Schwere ist, dass sie sich nachhaltig auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Dies ergibt sich aus dem von Dr. Hu. erhobenen unauffälligen psychischen Befund. Die Stimmung der Klägerin zeigte sich ausgeglichen, ihre emotionale Schwingungsfähigkeit gut erhalten, der Antrieb ungestört. Themenbezogen (Tod des Vaters, Erleben des Erdbebens in der Türkei 1999) zeigte sie sich adäquat affektiv berührt, ließ sich danach aber wieder aufhellen. Bei angegebenen nächtlichen Schlafstörungen wurde ein Tagesschlaf verneint. Die Klägerin zeigte sich in der Untersuchung konzentriert, ohne dass mnestische oder kognitive Defizite zu Tage traten. Die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wird als gut angegeben, was sich anhand des dargestellten Tagesablaufes nachvollziehen lässt. Dieser zeigt sich strukturiert durch die anfallenden Haushaltsarbeiten, Kontakte mit Nachbarn und insbesondere einer Freundin, mit der sie auch täglich längere Spaziergänge unternimmt. Wenn sie auch keine eigentlichen Hobbys bezeichnen konnte, schaut sie Fernsehen, liest Zeitung, strickt und zeigt Freude am Enkel und an Blumen. Gegenüber Dr. Hu. gab sie auch Kinobesuche mit ihrem Ehemann an. Einmal im Jahr fährt sie für mehrere Wochen in die Türkei. Entgegen ihren Angaben während des Verfahrens ist daher weder ein sozialer Rückzug noch eine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ersichtlich, erst recht keine Unfähigkeit, den Anforderungen des täglichen Lebens gerecht zu werden. Bereits bei der Begutachtung durch Dr. We. imponierte die Klägerin ausgeglichen ohne Hinweise auf Denkstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten. Der von Dr. H.-P. wiedergegebene Befund weicht hiervon nicht maßgeblich ab. Dementsprechend hat auch diese Gutachterin lediglich eine Dysthymie diagnostiziert und ihre abweichende Leistungseinschätzung nicht mit der depressiven Erkrankung begründet.

Ebenfalls übereinstimmend beschreiben beide Fachärztinnen eine histrionische Persönlichkeitsstörung, die bereits von den 2005 im PZN behandelnden Ärzten diagnostiziert worden war. Die damals dort in diesem Rahmen beschriebene Affektlabilität liegt aktuell, wie dargestellt, nicht mehr vor. Wie Dr. Hu. anschaulich dargestellt hat, sind auch die beschriebenen Pseudohalluzinationen und Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen der Dissoziationen Ausprägungen dieses Krankheitsbildes. Gleiches gilt für die Ausbildung von Krankheitssymptomen, die i.S.e. manipulativen Verhaltens die Aufmerksamkeit und Fürsorge des Ehemannes auf die Klägerin leiten, weshalb die Sachverständige auch nachvollziehbar auf einen sekundären Krankheitsgewinn hinweist. Der Senat folgt auch der überzeugenden Bewertung von Dr. Hu., dass die Panikstörung insgesamt leicht ausgeprägt und die "Theatralik" in der Darstellung im Panik auslösenden Moment ebenfalls im Rahmen der histrionischen Persönlichkeitsstörung zu erklären ist.

Dr. H.-P. stützt ihre abweichende Leistungsbeurteilung hingegen auf eine stärkere Ausprägung der dissoziativen Störungen und der Panikstörung. Aufgrund einer erhöhten psychischen Reaktionsbereitschaft für dissoziative Zustände sei es bei einer zunehmenden psychomentalen Belastung nicht auszuschließen, dass vermehrt dissoziative Zustände aufträten und zu erhöhten Ausfallzeiten im Beruf führten. Soweit sie hierbei allerdings zur Begründung u.a. auf "kumulative Traumatisierungen" hinweist, ist dies für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit zunächst ohne Relevanz, da hieraus keine Erkenntnisse über die tatsächlichen Auswirkungen im Alltag abgeleitet werden können. Im Übrigen hat auch Dr. Hu. eine mehrfache Traumatisierung (plötzlicher Unfalltod des Vaters, Erleben des Erdbebens in der Türkei) nicht in Frage gestellt, wie sie insbesondere in ihrer ergänzenden Stellungnahme deutlich gemacht hat; lediglich die Eheprobleme bewertet sie nachvollziehbar nicht als eigentliches Trauma. Des Weiteren hat diese Gutachterin überzeugend darauf hingewiesen, dass bislang nur wenige wirklich schwerwiegende dissoziative Zustände beschrieben worden sind, nämlich während der Behandlung im PZN 2005 und der Rehabilitation in der Klinik G. 2006. In der Anamnese traten solche Zustände im normalen Alltagsleben nicht zu Tage; vielmehr wurden eher Angst- und Panikzustände mit Pseudohalluzinationen beschrieben. Die im Gutachten von Dr. H.-P. wiedergegebenen eigen- und fremdanamnestischen Angaben bleiben vor allem in der zeitlichen Zuordnung und Frequenz völlig unkonkret. Nach Auffassung des Senats hat sich Dr. H.-P. bei ihrer Leistungsbeurteilung nicht ausreichend mit den Auswirkungen des von Dr. Hu. beschriebenen, aber durchaus auch bei der Untersuchung von Dr. H.-P. anklingenden sekundären Krankheitsgewinns auf das Auftreten und die Darstellung der dissoziativen Zustände und der Panikattacken auseinandergesetzt. Dr. Hu. hatte anschaulich dargelegt, dass diese die Aufmerksamkeit und Fürsorge des Ehemannes auf die Klägerin lenken; bei Dr. H.-P. hatte diese selbst angegeben, dass sie nach der Rückkehr aus der Rehabilitation von der Familie "wie eine Königin" behandelt worden sei.

Hingegen hat sich Dr. Hu. ausführlich und eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die Klägerin die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen durch zumutbare Willensanspannung überwinden kann. Wenn auch Persönlichkeitsstörungen grundsätzlich wegen tief verwurzelter Verhaltensmuster schwer therapeutisch zu beeinflussen sind und sich bei der Klägerin deutliche Chronifizierungstendenzen zeigen, weist die Gutachterin jedoch im konkreten Fall anschaulich darauf hin, dass eine konsequente psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung gerade nicht durchgeführt wird. Vor allem aber konnten gerade keine Schwierigkeiten in der allgemeinen Lebensführung festgestellt werden. Die Klägerin ist in der Lage, ihren Alltag zu strukturieren, Freizeitaktivitäten und Außenkontakte wahrzunehmen. Gerade diese an der konkreten Gestaltung des Alltags ausgerichtete Betrachtung ist im Gegensatz zu den allgemein gehaltenen und eher theoretischen Erwägungen von Dr. H.-P. überzeugend. Die Erhebungen haben deutlich gemacht, dass die Klägerin über Bewältigungsstrategien verfügt. So hat sie bei Dr. Hu. angegeben, bei aufkommenden Panikzuständen Ablenkung durch Handarbeiten oder die Gesellschaft anderer zu suchen. Des Weiteren trägt sie nach den Angaben bei Dr. H.-P. ihr Mobiltelefon mit vorprogrammiertem Hilferuf bei sich. Angesichts des beschriebenen Umfanges der Gestaltungsfähigkeit im Alltag vermag der Senat daher die Leistungsbeurteilung von Dr. H.-P. nicht nachzuvollziehen. Wie Dr. Hu. zutreffend angemerkt hat, ist deren Annahme vermehrter dissoziativer Zustände bei zunehmender psychomentaler Belastung rein spekulativ. Vielmehr genügen die von Dr. Hu. dargelegten qualitativen Einschränkungen, um eine zu große Belastung der Klägerin zu vermeiden. Diese tragen der eingeschränkten Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, der erhöhten Irritierbarkeit und dem verminderten Stressbewältigungsvermögens ausreichend Rechnung. Aus denselben Erwägungen sind die Einschätzungen der zwischenzeitlich behandelnden Diplom-Psychologin Z. und des Allgemeinmediziners W. in ihren Stellungnahmen als sachverständige Zeugen insoweit nicht überzeugend. Durch die psychiatrischen Gesundheitsstörungen sind daher ausgeschlossen Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten und unter Einwirkung von Dämpfen, Gasen oder Staub, unter erhöhtem Zeitdruck mit erhöhter Stressbelastung und mit erhöhter Verantwortung, insbesondere Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit sowie mit Publikumsverkehr.

Die bei der Klägerin bestehenden körperlichen Gesundheitsstörungen rechtfertigen ebenfalls keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht. Zwar diagnostiziert Dr. We. im orthopädischen Fachgutachten eine Schulterfunktionsstörung rechts, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom sowie eine Kniefunktionsstörung; diese Gesundheitsstörungen sind jedoch alle leichterer Ausprägung. Dies wird durch die von Dr. We. erhobenen, weitgehend unauffälligen Befunde anschaulich belegt. Soweit bei der Untersuchung Einschränkungen insbesondere der Beweglichkeit der Schulter demonstriert wurden, ist zu beachten, dass diese in unbeobachteten Momenten nicht in diesem Maße auftraten. So hat die Klägerin beim Besteigen der Untersuchungsliege und der Einnahme der Bauchlage den rechten Arm deutlich über 90° abgespreizt, ohne erkennbare Bewegungseinschränkung oder verlangsamten Bewegungsablauf. Bei der gezielten Funktionsprüfung wurde die aktive Beweglichkeit rechts hingegen eingeschränkt demonstriert. Auch dabei fiel jedoch nach Darstellung des Sachverständigen auf, dass das Schulterblatt nicht frühzeitig mit hochging, wie es bei einer erheblichen Schultersteife zu erwarten gewesen wäre. Bei den passiven Bewegungsprüfungen spannte die Klägerin grundsätzlich dagegen. Während sie bei der Prüfung des Schürzengriffs eine weitgehende Einschränkung demonstrierte, erreichte sie beim spontanen Zeigen ihrer Rückenbeschwerden im Schürzengriff die untere Lendenwirbelsäule. Die überdurchschnittlich gute und seitengleich ausgeprägte Muskulatur an beiden Schultern und Oberarmen spricht nach überzeugender Darstellung des Gutachters gegen eine anhaltende Schonung oder Minderbelastung des rechten Armes. Gleiches gilt für die eindeutige Schwielenbildung an beiden Händen. Es kann daher allenfalls von einer leichten Funktionseinschränkung ausgegangen werden. Gleiches gilt für das Lendenwirbelsäulensyndrom und die Kniestörung bei freier Beweglichkeit ohne neurologische Ausfallerscheinungen und freiem Gangbild. Ausgeschlossen sind daher nach überzeugender Einschätzung des Sachverständigen Arbeiten mit überwiegendem oder ständigem Armvorhalt oder über Kopf rechts, überwiegend in Wirbelsäulenzwangshaltungen und Bücken, mit Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, häufig im Knien oder in der tiefen Hocke sowie solche mit sehr häufigem Treppensteigen. Bei Beachtung dieser Ausschlüsse ist die Klägerin nach Überzeugung des Senats jedoch zeitlich in ihrer Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt.

Die abweichende Einschätzung des Chirurgen N. ist durch das Fachgutachten und die dortige umfassende Befunderhebung einschließlich der Ermittlung der aufgezeigten Widersprüche im Verhalten der Klägerin überholt und widerlegt. Bei Dr. H. fanden in den letzten vier Jahren vor Anfrage nur drei einmalige Kontakte statt, so dass ihm keine definitive Beurteilung des Leistungsbildes möglich war; weitergehende Einschränkungen hat er jedoch ohnehin nicht beschrieben.

Aus dem von Dr. Hu. diagnostizierten Carpaltunnelsyndrom rechts ergeben sich keine weiteren Einschränkungen des Leistungsvermögens. Zunächst ist diese Gesundheitsstörung gut behandelbar, so dass eine anhaltende Leistungsminderung hieraus nicht entsteht, wie Dr. Hu. überzeugend dargelegt hat. Des Weiteren haben sich bei der Untersuchung durch Dr. We. keine Funktionsbeeinträchtigungen seitens der rechten Hand ergeben: Die Handgelenks- und Fingerbeweglichkeit war frei; verschiedene Gegenstände unterschiedlicher Form, Größe und Gewichts konnten jeweils sicher gehalten werden (z.B. Flasche, Tasse, Lineal, Röntgenaufnahmen und Papierunterlagen). Der Allgemeinmediziner W. hat im März 2008 und wieder im Januar 2009 die Diagnose einer koronaren Herzkrankheit gestellt. Dies steht in Widerspruch mit dem von ihm selbst vorgelegten kardiologischen Facharztbericht des Medizinischen Versorgungszentrums Wiesloch vom 5. April 2008, in dem eine hämodynamisch relevante koronare Herzkrankheit ausdrücklich ausgeschlossen wird. Der behandelnde Allgemeinmediziner kam jedoch selbst zu der Einschätzung, die Klägerin sei körperlich in der Lage, eine leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ist bei der im Bericht vom 5. April 2008 beschriebenen unauffälligen Ergometrie bei einer Belastung bis 125 Watt mit global guter linksventrikulärer Pumpfunktion gut nachvollziehbar. Aufgrund des Diabetes sollte die Möglichkeit für Pausen bestehen, um gegebenenfalls bei körperlicher Anstrengung den Blutzucker kontrollieren bzw. etwas essen zu können. Weitere Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ergeben sich nach überzeugender Darstellung des behandelnden Arztes hieraus sowie aus dem schwer einstellbaren Hypertonus nicht. Die von ihm unter diesen Gesichtspunkten beschriebenen weiteren qualitativen Einschränkungen gehen nicht über die von Dr. We. angegebenen hinaus.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht somit zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich eine körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten. Das Heben und Tragen von Lasten ist schon definitionsgemäß von leichten Tätigkeiten nicht umfasst. Ausgeschlossen sind Arbeiten mit überwiegendem oder ständigem Armvorhalt oder über Kopf rechts, überwiegend in Wirbelsäulenzwangshaltungen und Bücken, häufig im Knien oder in der tiefen Hocke sowie solche mit sehr häufigem Treppensteigen. Gleiches gilt für Arbeiten unter Einwirkung von Dämpfen, Gasen oder Staub, unter erhöhtem Zeitdruck mit erhöhter Stressbelastung und mit erhöhter Verantwortung, insbesondere Akkord-, Fließ- band-, Schicht- und Nachtarbeit sowie mit Publikumsverkehr.

Diese Einschränkungen sind entgegen der Auffassung der Klägerin weder ihrer Art nach noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden hierbei als Fallgruppen Einschränkungen genannt aufgrund schwerer spezifischer Leistungsbehinderung wie z. B. Einarmigkeit bei gleichzeitiger Einäugigkeit (SozR 2200 § 1246 Nr. 30), die Notwendigkeit von zwei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von je 15 Minuten (SozR 2200 § 1246 Nr. 136) oder von drei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von zehn Minuten je Arbeitstag (BSG, Urteil vom 20. August 1997 - 13 RJ 39/96 - (juris)), Einschränkungen bei Arm- und Handbewegungen, Erforderlichkeit eines halbstündigen Wechsels vom Sitzen zum Gehen (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8) oder Einschränkungen aufgrund regelmäßig einmal in der Woche auftretender Fieberschübe (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist dagegen insbesondere nicht erforderlich im Falle des Ausschlusses von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder ständiges Sitzen erfordern, in Nässe oder Kälte oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, besondere Fingerfertigkeiten erfordern oder mit besonderen Unfallgefahren verbunden sind, bei Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst, an laufenden Maschinen, bei Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen stellen, sowie bei Ausschluss von Tätigkeiten, die häufiges Bücken erfordern (vgl. zu allem BSG Großer Senat SozR 3–2600 § 44 Nr. 8 m.w.N.; vgl. weiter Bayerisches LSG, Urteil vom 27. Januar 2010 - L 13 R 300/09 - (juris)). Bei den bei der Klägerin zu beachtenden qualitativen Einschränkungen liegt danach noch keine derartige Einengung der noch zumutbaren Tätigkeiten vor, dass - vergleichbar mit den oben dargelegten Fallgruppen - die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestanden hätte. Auch die von Allgemeinmediziner W. aufgrund des Diabetes mellitus als erforderlich angesehenen Pausen führen zu keinem anderen Ergebnis. Diese seien notwendig, um gegebenenfalls bei körperlicher Anstrengung den Blutzucker kontrollieren und etwas essen zu können. Nach § 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) stehen der Klägerin Pausen von einer halben Stunde zu, die nach §§ 4 und 7 ArbZG auch in kleinere Zeitabschnitte aufgeteilt werden können. Unter Berücksichtigung der Pausenmöglichkeiten nach dem ArbZG sieht der Senat daher keine Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen (vgl. a. Senatsurteil vom 15. August 2008 - L 7 R 954/07 -). Einer konkreten Benennung eines noch zumutbaren Tätigkeitsfeldes bedarf es daher nicht.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht voll (im Übrigen auch nicht teilweise) erwerbsgemindert i.S.d. § 43 SGB VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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