Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 281/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 605/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 51/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der NZB
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.05.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger beanspruchen die Erstattung und weitere Übernahme der Kosten einer "Tomatis-Therapie" (Klang-Therapie) in U, Belgien.
Die am 00.00.1996 geborenen Kläger, gesetzlich vertreten durch beide Eltern, sind bei der Beklagten über ihren Vater familienversichert. Die Mutter der Kläger legte der Beklagten eine Bescheinigung des "Atlantis"-Zentrums für Lern- und Entwicklungsprobleme in U (Belgien) vor, wonach dort vom 26.06. - 07.07.2006 eine erste zwölftägige Phase einer "Tomatis-Therapie" bei den Klägern durchgeführt werden solle. Eine ärztliche Verordnung oder Empfehlung liegt nicht vor. Der Kostenvoranschlag ist von dem Leiter des Instituts, einem "diplomierten Tomatis-Therapeuten", unterschrieben. Die Übernahme der Kosten für diese Therapie lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2006 ab. Die "Tomatis-Therapie" gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe sich noch nicht mit ihr befasst.
Die Mutter der Kläger legte unter dem 07.06.2006 Widerspruch ein. Sie gab an, sie setze sich unermüdlich für die Entwicklung ihrer frühgeborenen Zwillinge ein. Sie habe die Kinder bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten gefördert. Bei gut durchschnittlicher Entwicklung ergäben sich aber im Bereich der Rechtschreibung und beim Erwerb einer Fremdsprache Probleme, die sie durch die "Tomatis-Therapie" bessern zu können glaube. Außerdem fürchte sie bei Nichtbehandlung einen Rückfall in Sprachstörungen und Depressionen. Nach einem am 20.02.2006 in U durchgeführten ersten Hörtest plane sie eine Klangtherapie nach Tomatis, deren Kosten sich auf ca. 2.400 EUR für die ersten 12 und ca. 900 EUR für die ersten weiteren Therapiephasen belaufe. Die Therapie beginne am 26.06.2006.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (zwei Bescheide vom 07.11.2006). Bei der beantragten Leistung "Klangtherapie nach Tomatis" handele es sich um ein unkonventionelles Heilmittel, für das der GBA noch keine Empfehlung ausgesprochen habe, so dass Kosten nicht übernommen werden dürften.
Gegen diese Widerspruchsbescheide haben die Kläger, vertreten durch ihre Mutter, unter dem 24.11.2006 vom Sozialgericht Münster verbundene Klagen erhoben. Sie haben ausgeführt, dass bei ihnen erhebliche Entwicklungsverzögerungen, Krankheitsanfälligkeit und Motorikdefizite nach einer Frühgeburt in der 34. Schwangerschaftswoche vorlägen. Die Kläger beziehen sich auf zwei Arztberichte der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie in N vom 14.11.2006, in denen bei Lukas eine juvenile Dysphonie, eingeschränkte phonologische Bewusstheit sowie eine Lesestörung und Rechtschreibschwäche, bei Rene eine eingeschränkte phonologische Bewusstheit, Rechtschreibschwäche und periphere Normakusis (normales Hörvermögen) festgestellt wurden. Zur Unterstützung des Rechtschreiberwerbs sowie zur Verbesserung der phonologischen Bewusstheit wurden jeweils ein kurzfristiges Training der phonologischen Diskriminationsleistungen im Rahmen einer logopädischen Therapie empfohlen wird. Die Kläger haben die Auffassung vertreten, in Anbetracht der bei ihnen bestehenden Beeinträchtigungen sei die beantragte Tomatis-Therapie dringend zu befürworten und mangels anderweitiger Therapiemöglichkeiten allein verfügbar, um eine Besserung der verbliebenen Entwicklungsdefizite insbesondere im Bereich der Rechtschreibung sowie beim Erwerb einer Fremdsprache zu erzielen. Die Beklagte könne sich nicht einfach auf den Leistungskatalog der GKV berufen und habe zumindest alternative Behandlungsangebote zu unterbreiten. Soweit die Beklagte - wie geschehen - auf Logopädie verweise, behandele diese lediglich die Auswirkungen der Entwicklungsstörung, während die Tomatis-Therapie bereits bei der Wahrnehmung der Kinder ansetze.
Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29.04.2006 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2006 zu verurteilen, die Kosten der seit 2006 durchgeführten "Tomatis-Therapie" zu erstatten und die weiteren Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der GBA mitgeteilt, die Tomatis-Therapie sei bisher nicht überprüft worden, es liege auch kein Antrag zur Aufnahme der Therapie in die Versorgung vor (Auskunft vom 19.09.2008). Eine Überprüfung sei nicht aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen unterblieben, denn der GBA sei erst dann verpflichtet, sich mit der Überprüfung einer neuen Therapie zu befassen, wenn wissenschaftlich begründete Aussagen zur Wirksamkeit getroffen werden können. Dieser Auskunft war eine gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Audio- und Neurootologen, der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde und Halschirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie beigefügt, wonach das Hörtraining nach Tomatis auf theoretischen Vorstellungen beruhe, die nicht nachvollziehbar und wissenschaftlich nicht haltbar seien. Studien zur Evaluation fehlten. Eine Empfehlung könne nicht ausgesprochen werden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.05.2010 abgewiesen, weil es an einer Empfehlung der Tomatis-Therapie durch den GBA fehle. Darin liege auch kein Systemmangel, weil weder die Überprüfung der Methode beim GBA beantragt worden sei, noch ausreichende wissenschaftliche Studien vorlägen, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte für eine wissenschaftlich gesicherte und in Fachkreisen übereinstimmende Anwendungsbefürwortung dieser Methode ergäben.
Gegen das am 21.10.2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der zunächst (nur) durch ihre Mutter vertretenen Kläger vom 16.11.2010. Auf Anregung des Senats ist der ebenfalls sorgeberechtigte Vater der Kläger dem Verfahren beigetreten und hat die bisherige Verfahrensführung durch seine Ehefrau genehmigt. Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger ergänzend vor, dass die Tomatis-Therapie in anderen EU-Mitgliedstaaten vollständig anerkannt sei und - wenn auch nicht immer als Leistung der Krankenkasse - gefördert werde, dass aber die Bundesrepublik Deutschland sich weigere, diese Therapie ebenfalls anzuerkennen und die daraus entstandenen Behandlungskosten zu Lasten der Krankenkasse zu übernehmen. Für die Zeit von Juni 2006 bis Dezember 2010 weisen die Kläger durch Vorlage entsprechender Belege Behandlungskosten in Höhe von 6.430,40 EUR nach, außerdem Unterbringungskosten in Höhe von 4.830 EUR. Daneben seien ihnen Fahrtkosten in Höhe von 3.519 EUR entstanden. Für eine 22. und 23. Therapiephase im Sommer und Winter 2011 machen sie weitere - belegte - Therapiekosten in Höhe von 590 EUR, Unterbringungskosten von 380 EUR und Fahrtkosten in Höhe von 612 EUR geltend.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.05.2010 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2006 zu verurteilen, die seit 2006 aufgelaufenen Behandlungskosten in Höhe von 16.381,40 EUR für die durchgeführte Tomatis-Therapie zu erstatten und die weiteren Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Es liegt insbesondere kein Fall unzureichender Vertretung der Kläger (mehr) vor (vgl. zur Unzulässigkeit von Rechtsmitteln mangels ordnungsgemäßer Vertretung von beteiligten Minderjährigen bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern: BSG, Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 54/08 R, Rn. 19ff, BSGE 104, 48). Nachdem der gemeinsam mit der Mutter sorgeberechtigte Vater der Kläger die vorherige alleinige und insoweit vollmachtlose Verfahrensführung durch deren Mutter genehmigt hat und in das Verfahren eingetreten ist, sind die Kläger ordnungsgemäß vertreten (vgl. BSG aaO, Rn. 21).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht haben die Beklagte und das Sozialgericht einen Anspruch der Kläger auf Erstattung bzw. Übernahme der für die Durchführung der "Tomatis-Therapie" aufgewendeten Kosten verneint. Bei ambulanten Auslandsbehandlungen stehen den Versicherten nur die Leistungen zu, auf die sie auch im Inland Anspruch haben (dazu 1.). Die Tomatis-Therapie gehört nicht zum Leistungsumfang der GKV (dazu 2.). Ein Anspruch auf Erstattung oder Übernahme der Kosten ergibt sich auch nicht aus sekundärem EU-Recht (dazu 3.). Reise- und Unterkunftskosten stehen den Klägern in Ermangelung eines Hauptleistungsanspruchs nicht zu (4.).
1. Der Anspruch auf Leistungen der in Deutschland wohnhaften, bei der Beklagten familienversicherten Kläger auf Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) ruht, soweit nicht anderweitig gesetzlich geregelt, gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, solange sie sich im Ausland aufhalten. Dies trifft auf die Kläger zu, denn sie sind zur ambulanten Behandlung jeweils in den EU-Mitgliedstaat Belgien gereist und beabsichtigen, dies auch weiter zu tun. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer u.a. in einem anderen EU-Mitgliedstaat anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung (so sinngemäß alle Fassungen des § 13 Abs. 4 SGB V seit der ab 01.01.2004 geltenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes). Es dürfen dabei nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (§ 13 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse (KK) bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (§ 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V setzt einen konkreten primären Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten voraus (BSG, Urteil vom 30.06.2009, B 1 KR 19/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 21). Das wird im Wortlaut des Satzes 1 durch die Formulierung "anstelle" verdeutlicht.
Die Abhängigkeit vom primären Sachleistungsanspruch bedeutet, dass dessen sachlich-rechtliche und sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt gewesen sein müssen. Art und Umfang der zustehenden Leistung bleiben unverändert, nur der Beschaffungsweg ändert sich (vgl. Brandts in Kasseler Kommentar, § 13 SGB V, Rn 117). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen. Der danach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch setzt daher - wie der Erstattungsanspruch bei im Inland in Anspruch genommenen Leistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V - voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Maßgeblich für den Versicherungsschutz ist also insoweit der Leistungsumfang der deutschen GKV.
2. Von diesem Leistungsumfang ist die von den Klägern durchgeführte Tomatis-Therapie nicht umfasst, so dass offen bleiben kann, ob die genannten weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 4 SGB V erfüllt sind. Hinsichtlich der Therapiekosten unterstellt der Senat zu Gunsten der Kläger, dass es sich bei der Tomatis-Therapie um Krankenbehandlung handelt, obwohl nach dem Sachvortrag der Kläger nichts darauf hindeutet, dass die therapeutischen Leistungen durch einen Arzt erbracht oder verordnet wurden (vgl. z.B. Bayerisches LSG, Urteil vom 23.03.2006, L 4 KR 279/04: Lese- und Rechtsschreibschwäche keine Krankheit bei nicht erforderlicher ärztlicher Behandlung; zur Abgrenzung vgl. BSG, Urteil vom 03.09.2003, B 1 KR 34/01 R, Rn. 15, SozR 4-2500 § 18 Nr. 1). Zum Leistungsanspruch der Versicherten gehört Krankenbehandlung (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V), wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung, insbesondere auch die hier allein in Betracht kommenden Ansprüche auf ärztliche Behandlung und auf Versorgung mit Heilmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 SGB V), umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Gemäß §§ 135 Abs. 1 Satz 1, 138 SGB V ist diese Voraussetzung nur dann erfüllt, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, Nr. 6 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat.
Gemessen daran ist die Tomatis-Therapie kein Leistungsgegenstand der GKV, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um ärztliche Behandlung oder um ein Heilmittel handelt. Denn sie ist im Sinne des Krankenversicherungsrechts eine "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethode bzw. ein "neues" Heilmittel, für die bzw. für das es an der notwendigen positiven Empfehlung des GBA fehlt. Als Methode der ärztlichen Behandlung oder als Heilmittel wäre die Tomatis-Therapie "neu", weil sie bisher nicht oder nicht in dieser Form Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung und weder als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten noch nach der Heilmittelrichtlinie verordnungsfähig ist (BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, USK 2005-77; Joussen in: BeckOK SGB V § 138, Stand 01.12.2011; Koch in: juris-PK SGB V, Stand 01.08.2007, § 138 Rn. 11). An der deshalb nach § 135 bzw § 138 SGB V notwendigen Anerkennung durch den GBA fehlt es bisher. Auch zeitlich nach der vom Sozialgericht beigezogenen Auskunft des GBA hat dieser bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Klangtherapie nach Tomatis nicht positiv empfohlen (www.g-ba.de).
Hierin liegt kein sog. Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise trotz fehlender Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode bestehen, wenn dieser Mangel auf einem Versagen des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein Systemversagen kann etwa vorliegen, wenn ein Anerkennungsverfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Grundsätzlich zählen nämlich auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der GKV. Soweit sie sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen, dürfen sie dem Versicherten nicht vorenthalten werden. Das präventive Verbot in § 135 SGB V dient allein dem Zwecke der Qualitätssicherung. Nur soweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluss ungeprüfter und nicht anerkannter Behandlungsmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Deshalb muss gewährleistet sein, dass bei Vorlage der für die Beurteilung der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer neuen Methode benötigten Unterlagen in vertretbarer Zeit eine Entscheidung über deren Anerkennung erreicht werden kann. Weder haben aber bisher dem GBA ein Prüfantrag oder prüfbare Unterlagen vorgelegen, noch liegen Forschungsergebnisse zur Tomatis-Methode vor, die eine Befassung des GBA mit dieser Therapie nahelegen. Es ist deshalb auszuschließen, dass der GBA aus sachfremden Gesichtspunkten bisher keine positive Aussage zur Tomatis-Therapie getroffen hat.
In der Beschränkung auf den Leistungsanspruch nach dem Recht der deutschen inländischen GKV liegt auch keine europarechtlich verbotene Diskriminierung der Kläger. Sollte es sich - wie die Kläger vortragen - bei der Tomatis-Therapie in anderen EU-Mitgliedstaaten tatsächlich um eine Leistung der GKV handeln, läge in der Versagung der Leistung durch eine deutsche Krankenkasse dennoch keine verbotene Beschränkung der Kläger in der Freiheit der Auswahl von Leistungsanbietern auch in anderen EU-Mitgliedstaaten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die insoweit allein in Betracht kommende sog. passive Leistungserbringerfreiheit (als Ausprägung der Dienstleistungsfreiheit, Art 49, 50 EG-Vertrag = Art. 56, 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, vgl. dazu näher BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, Rn. 30, USK 2005-77 mit Nachweisen der EuGH-Rechtsprechung). Denn die Kläger dürfen im Inland wie im Ausland gleichermaßen keine Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht zum Leistungsangebot der deutschen GKV gehören. Werden - wie hier - vom Leistungsträger bei Inlands- und Auslandsbehandlungen die gleichen Leistungskriterien angelegt, ist es ohne Belang, ob in anderen EU-Mitgliedstaaten weitergehende Leistungen gewährt werden (vgl. BSG, Beschluss vom 10.04.2006, B 1 KR 47/05 B, juris).
3. Ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der Behandlungskosten lässt sich auch nicht auf Vorschriften des EU-Sekundärrechts, insbesondere nicht der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) bzw. der sie ablösenden, am 20.05.2004 in Kraft getretenen und seit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr 987/2009) am 01.10.2010 anwendbaren (Art 97 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 iVm Art 91 VO (EG) Nr. 883/2004) Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit stützen. Auch insoweit gilt, dass die in Anspruch genommene Behandlung Leistungsgegenstand der deutschen GKV sein muss, was vorliegend nicht der Fall ist. Bei einer - wie hier - gezielten Anreise ins Ausland zum Zwecke der Inanspruchnahme medizinischer Behandlung haben nach Art. 22 Abs. 1 c) i VO 1408/71 Arbeitnehmer, welche die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen [ ] erfüllen und die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine ihrem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen, die sie für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften erhalten, als ob sie bei ihm versichert wären. Die in Art. 22 Abs. 1 Buchst c) i VO 1408/71 vorgenommene Begrenzung des Anspruchs auf eine "angemessene" Behandlung bewirkt in Zusammenschau mit der Genehmigungspflicht den Ausschluss solcher Behandlungen, die, wenn sie in Deutschland zur Verfügung stehen oder stünden, dort nicht dem Leistungssystem der GKV unterfielen (Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, § 13 Rn 41). So liegt der Fall hier, da die Tomatis-Therapie von einem solchen Leistungsausschluss erfasst ist.
Art. 20 VO (EG) 883/2004 trifft im Wesentlichen dieselbe Regelung: Danach muss, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen (Abs. 1). Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann (Abs. 2 Satz 2). Da die Tomatis-Therapie nicht Teil der Leistungen ist, die die GKV im Inland zu gewähren hätte, können die Kläger sie sich demnach auch nicht zu Lasten der Beklagten in Belgien beschaffen.
4. Eine Erstattung der mit der Inanspruchnahme der ambulanten Behandlung in Belgien verbundenen Reise- und Unterkunftskosten kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese nicht, wie es § 60 Abs. 1 SGB V aber voraussetzt, im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig geworden sind. Der Anspruch auf Reisekosten besteht als unselbständige akzessorische Nebenleistung (vgl. Höfler, Kasseler Kommentar, § 60 SGB V, Rn. 2) nur, wenn - anders als hier - eine Leistung der GKV in Anspruch genommen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Kläger beanspruchen die Erstattung und weitere Übernahme der Kosten einer "Tomatis-Therapie" (Klang-Therapie) in U, Belgien.
Die am 00.00.1996 geborenen Kläger, gesetzlich vertreten durch beide Eltern, sind bei der Beklagten über ihren Vater familienversichert. Die Mutter der Kläger legte der Beklagten eine Bescheinigung des "Atlantis"-Zentrums für Lern- und Entwicklungsprobleme in U (Belgien) vor, wonach dort vom 26.06. - 07.07.2006 eine erste zwölftägige Phase einer "Tomatis-Therapie" bei den Klägern durchgeführt werden solle. Eine ärztliche Verordnung oder Empfehlung liegt nicht vor. Der Kostenvoranschlag ist von dem Leiter des Instituts, einem "diplomierten Tomatis-Therapeuten", unterschrieben. Die Übernahme der Kosten für diese Therapie lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2006 ab. Die "Tomatis-Therapie" gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe sich noch nicht mit ihr befasst.
Die Mutter der Kläger legte unter dem 07.06.2006 Widerspruch ein. Sie gab an, sie setze sich unermüdlich für die Entwicklung ihrer frühgeborenen Zwillinge ein. Sie habe die Kinder bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten gefördert. Bei gut durchschnittlicher Entwicklung ergäben sich aber im Bereich der Rechtschreibung und beim Erwerb einer Fremdsprache Probleme, die sie durch die "Tomatis-Therapie" bessern zu können glaube. Außerdem fürchte sie bei Nichtbehandlung einen Rückfall in Sprachstörungen und Depressionen. Nach einem am 20.02.2006 in U durchgeführten ersten Hörtest plane sie eine Klangtherapie nach Tomatis, deren Kosten sich auf ca. 2.400 EUR für die ersten 12 und ca. 900 EUR für die ersten weiteren Therapiephasen belaufe. Die Therapie beginne am 26.06.2006.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (zwei Bescheide vom 07.11.2006). Bei der beantragten Leistung "Klangtherapie nach Tomatis" handele es sich um ein unkonventionelles Heilmittel, für das der GBA noch keine Empfehlung ausgesprochen habe, so dass Kosten nicht übernommen werden dürften.
Gegen diese Widerspruchsbescheide haben die Kläger, vertreten durch ihre Mutter, unter dem 24.11.2006 vom Sozialgericht Münster verbundene Klagen erhoben. Sie haben ausgeführt, dass bei ihnen erhebliche Entwicklungsverzögerungen, Krankheitsanfälligkeit und Motorikdefizite nach einer Frühgeburt in der 34. Schwangerschaftswoche vorlägen. Die Kläger beziehen sich auf zwei Arztberichte der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie in N vom 14.11.2006, in denen bei Lukas eine juvenile Dysphonie, eingeschränkte phonologische Bewusstheit sowie eine Lesestörung und Rechtschreibschwäche, bei Rene eine eingeschränkte phonologische Bewusstheit, Rechtschreibschwäche und periphere Normakusis (normales Hörvermögen) festgestellt wurden. Zur Unterstützung des Rechtschreiberwerbs sowie zur Verbesserung der phonologischen Bewusstheit wurden jeweils ein kurzfristiges Training der phonologischen Diskriminationsleistungen im Rahmen einer logopädischen Therapie empfohlen wird. Die Kläger haben die Auffassung vertreten, in Anbetracht der bei ihnen bestehenden Beeinträchtigungen sei die beantragte Tomatis-Therapie dringend zu befürworten und mangels anderweitiger Therapiemöglichkeiten allein verfügbar, um eine Besserung der verbliebenen Entwicklungsdefizite insbesondere im Bereich der Rechtschreibung sowie beim Erwerb einer Fremdsprache zu erzielen. Die Beklagte könne sich nicht einfach auf den Leistungskatalog der GKV berufen und habe zumindest alternative Behandlungsangebote zu unterbreiten. Soweit die Beklagte - wie geschehen - auf Logopädie verweise, behandele diese lediglich die Auswirkungen der Entwicklungsstörung, während die Tomatis-Therapie bereits bei der Wahrnehmung der Kinder ansetze.
Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29.04.2006 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2006 zu verurteilen, die Kosten der seit 2006 durchgeführten "Tomatis-Therapie" zu erstatten und die weiteren Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der GBA mitgeteilt, die Tomatis-Therapie sei bisher nicht überprüft worden, es liege auch kein Antrag zur Aufnahme der Therapie in die Versorgung vor (Auskunft vom 19.09.2008). Eine Überprüfung sei nicht aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen unterblieben, denn der GBA sei erst dann verpflichtet, sich mit der Überprüfung einer neuen Therapie zu befassen, wenn wissenschaftlich begründete Aussagen zur Wirksamkeit getroffen werden können. Dieser Auskunft war eine gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Audio- und Neurootologen, der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde und Halschirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie beigefügt, wonach das Hörtraining nach Tomatis auf theoretischen Vorstellungen beruhe, die nicht nachvollziehbar und wissenschaftlich nicht haltbar seien. Studien zur Evaluation fehlten. Eine Empfehlung könne nicht ausgesprochen werden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.05.2010 abgewiesen, weil es an einer Empfehlung der Tomatis-Therapie durch den GBA fehle. Darin liege auch kein Systemmangel, weil weder die Überprüfung der Methode beim GBA beantragt worden sei, noch ausreichende wissenschaftliche Studien vorlägen, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte für eine wissenschaftlich gesicherte und in Fachkreisen übereinstimmende Anwendungsbefürwortung dieser Methode ergäben.
Gegen das am 21.10.2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der zunächst (nur) durch ihre Mutter vertretenen Kläger vom 16.11.2010. Auf Anregung des Senats ist der ebenfalls sorgeberechtigte Vater der Kläger dem Verfahren beigetreten und hat die bisherige Verfahrensführung durch seine Ehefrau genehmigt. Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger ergänzend vor, dass die Tomatis-Therapie in anderen EU-Mitgliedstaaten vollständig anerkannt sei und - wenn auch nicht immer als Leistung der Krankenkasse - gefördert werde, dass aber die Bundesrepublik Deutschland sich weigere, diese Therapie ebenfalls anzuerkennen und die daraus entstandenen Behandlungskosten zu Lasten der Krankenkasse zu übernehmen. Für die Zeit von Juni 2006 bis Dezember 2010 weisen die Kläger durch Vorlage entsprechender Belege Behandlungskosten in Höhe von 6.430,40 EUR nach, außerdem Unterbringungskosten in Höhe von 4.830 EUR. Daneben seien ihnen Fahrtkosten in Höhe von 3.519 EUR entstanden. Für eine 22. und 23. Therapiephase im Sommer und Winter 2011 machen sie weitere - belegte - Therapiekosten in Höhe von 590 EUR, Unterbringungskosten von 380 EUR und Fahrtkosten in Höhe von 612 EUR geltend.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.05.2010 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2006 zu verurteilen, die seit 2006 aufgelaufenen Behandlungskosten in Höhe von 16.381,40 EUR für die durchgeführte Tomatis-Therapie zu erstatten und die weiteren Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Es liegt insbesondere kein Fall unzureichender Vertretung der Kläger (mehr) vor (vgl. zur Unzulässigkeit von Rechtsmitteln mangels ordnungsgemäßer Vertretung von beteiligten Minderjährigen bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern: BSG, Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 54/08 R, Rn. 19ff, BSGE 104, 48). Nachdem der gemeinsam mit der Mutter sorgeberechtigte Vater der Kläger die vorherige alleinige und insoweit vollmachtlose Verfahrensführung durch deren Mutter genehmigt hat und in das Verfahren eingetreten ist, sind die Kläger ordnungsgemäß vertreten (vgl. BSG aaO, Rn. 21).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht haben die Beklagte und das Sozialgericht einen Anspruch der Kläger auf Erstattung bzw. Übernahme der für die Durchführung der "Tomatis-Therapie" aufgewendeten Kosten verneint. Bei ambulanten Auslandsbehandlungen stehen den Versicherten nur die Leistungen zu, auf die sie auch im Inland Anspruch haben (dazu 1.). Die Tomatis-Therapie gehört nicht zum Leistungsumfang der GKV (dazu 2.). Ein Anspruch auf Erstattung oder Übernahme der Kosten ergibt sich auch nicht aus sekundärem EU-Recht (dazu 3.). Reise- und Unterkunftskosten stehen den Klägern in Ermangelung eines Hauptleistungsanspruchs nicht zu (4.).
1. Der Anspruch auf Leistungen der in Deutschland wohnhaften, bei der Beklagten familienversicherten Kläger auf Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) ruht, soweit nicht anderweitig gesetzlich geregelt, gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, solange sie sich im Ausland aufhalten. Dies trifft auf die Kläger zu, denn sie sind zur ambulanten Behandlung jeweils in den EU-Mitgliedstaat Belgien gereist und beabsichtigen, dies auch weiter zu tun. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer u.a. in einem anderen EU-Mitgliedstaat anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung (so sinngemäß alle Fassungen des § 13 Abs. 4 SGB V seit der ab 01.01.2004 geltenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes). Es dürfen dabei nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (§ 13 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse (KK) bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (§ 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V setzt einen konkreten primären Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten voraus (BSG, Urteil vom 30.06.2009, B 1 KR 19/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 21). Das wird im Wortlaut des Satzes 1 durch die Formulierung "anstelle" verdeutlicht.
Die Abhängigkeit vom primären Sachleistungsanspruch bedeutet, dass dessen sachlich-rechtliche und sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt gewesen sein müssen. Art und Umfang der zustehenden Leistung bleiben unverändert, nur der Beschaffungsweg ändert sich (vgl. Brandts in Kasseler Kommentar, § 13 SGB V, Rn 117). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen. Der danach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch setzt daher - wie der Erstattungsanspruch bei im Inland in Anspruch genommenen Leistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V - voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Maßgeblich für den Versicherungsschutz ist also insoweit der Leistungsumfang der deutschen GKV.
2. Von diesem Leistungsumfang ist die von den Klägern durchgeführte Tomatis-Therapie nicht umfasst, so dass offen bleiben kann, ob die genannten weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 4 SGB V erfüllt sind. Hinsichtlich der Therapiekosten unterstellt der Senat zu Gunsten der Kläger, dass es sich bei der Tomatis-Therapie um Krankenbehandlung handelt, obwohl nach dem Sachvortrag der Kläger nichts darauf hindeutet, dass die therapeutischen Leistungen durch einen Arzt erbracht oder verordnet wurden (vgl. z.B. Bayerisches LSG, Urteil vom 23.03.2006, L 4 KR 279/04: Lese- und Rechtsschreibschwäche keine Krankheit bei nicht erforderlicher ärztlicher Behandlung; zur Abgrenzung vgl. BSG, Urteil vom 03.09.2003, B 1 KR 34/01 R, Rn. 15, SozR 4-2500 § 18 Nr. 1). Zum Leistungsanspruch der Versicherten gehört Krankenbehandlung (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V), wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung, insbesondere auch die hier allein in Betracht kommenden Ansprüche auf ärztliche Behandlung und auf Versorgung mit Heilmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 SGB V), umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Gemäß §§ 135 Abs. 1 Satz 1, 138 SGB V ist diese Voraussetzung nur dann erfüllt, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, Nr. 6 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat.
Gemessen daran ist die Tomatis-Therapie kein Leistungsgegenstand der GKV, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um ärztliche Behandlung oder um ein Heilmittel handelt. Denn sie ist im Sinne des Krankenversicherungsrechts eine "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethode bzw. ein "neues" Heilmittel, für die bzw. für das es an der notwendigen positiven Empfehlung des GBA fehlt. Als Methode der ärztlichen Behandlung oder als Heilmittel wäre die Tomatis-Therapie "neu", weil sie bisher nicht oder nicht in dieser Form Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung und weder als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten noch nach der Heilmittelrichtlinie verordnungsfähig ist (BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, USK 2005-77; Joussen in: BeckOK SGB V § 138, Stand 01.12.2011; Koch in: juris-PK SGB V, Stand 01.08.2007, § 138 Rn. 11). An der deshalb nach § 135 bzw § 138 SGB V notwendigen Anerkennung durch den GBA fehlt es bisher. Auch zeitlich nach der vom Sozialgericht beigezogenen Auskunft des GBA hat dieser bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Klangtherapie nach Tomatis nicht positiv empfohlen (www.g-ba.de).
Hierin liegt kein sog. Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise trotz fehlender Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode bestehen, wenn dieser Mangel auf einem Versagen des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein Systemversagen kann etwa vorliegen, wenn ein Anerkennungsverfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Grundsätzlich zählen nämlich auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der GKV. Soweit sie sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen, dürfen sie dem Versicherten nicht vorenthalten werden. Das präventive Verbot in § 135 SGB V dient allein dem Zwecke der Qualitätssicherung. Nur soweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluss ungeprüfter und nicht anerkannter Behandlungsmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Deshalb muss gewährleistet sein, dass bei Vorlage der für die Beurteilung der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer neuen Methode benötigten Unterlagen in vertretbarer Zeit eine Entscheidung über deren Anerkennung erreicht werden kann. Weder haben aber bisher dem GBA ein Prüfantrag oder prüfbare Unterlagen vorgelegen, noch liegen Forschungsergebnisse zur Tomatis-Methode vor, die eine Befassung des GBA mit dieser Therapie nahelegen. Es ist deshalb auszuschließen, dass der GBA aus sachfremden Gesichtspunkten bisher keine positive Aussage zur Tomatis-Therapie getroffen hat.
In der Beschränkung auf den Leistungsanspruch nach dem Recht der deutschen inländischen GKV liegt auch keine europarechtlich verbotene Diskriminierung der Kläger. Sollte es sich - wie die Kläger vortragen - bei der Tomatis-Therapie in anderen EU-Mitgliedstaaten tatsächlich um eine Leistung der GKV handeln, läge in der Versagung der Leistung durch eine deutsche Krankenkasse dennoch keine verbotene Beschränkung der Kläger in der Freiheit der Auswahl von Leistungsanbietern auch in anderen EU-Mitgliedstaaten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die insoweit allein in Betracht kommende sog. passive Leistungserbringerfreiheit (als Ausprägung der Dienstleistungsfreiheit, Art 49, 50 EG-Vertrag = Art. 56, 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, vgl. dazu näher BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, Rn. 30, USK 2005-77 mit Nachweisen der EuGH-Rechtsprechung). Denn die Kläger dürfen im Inland wie im Ausland gleichermaßen keine Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht zum Leistungsangebot der deutschen GKV gehören. Werden - wie hier - vom Leistungsträger bei Inlands- und Auslandsbehandlungen die gleichen Leistungskriterien angelegt, ist es ohne Belang, ob in anderen EU-Mitgliedstaaten weitergehende Leistungen gewährt werden (vgl. BSG, Beschluss vom 10.04.2006, B 1 KR 47/05 B, juris).
3. Ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der Behandlungskosten lässt sich auch nicht auf Vorschriften des EU-Sekundärrechts, insbesondere nicht der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) bzw. der sie ablösenden, am 20.05.2004 in Kraft getretenen und seit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr 987/2009) am 01.10.2010 anwendbaren (Art 97 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 iVm Art 91 VO (EG) Nr. 883/2004) Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit stützen. Auch insoweit gilt, dass die in Anspruch genommene Behandlung Leistungsgegenstand der deutschen GKV sein muss, was vorliegend nicht der Fall ist. Bei einer - wie hier - gezielten Anreise ins Ausland zum Zwecke der Inanspruchnahme medizinischer Behandlung haben nach Art. 22 Abs. 1 c) i VO 1408/71 Arbeitnehmer, welche die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen [ ] erfüllen und die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine ihrem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen, die sie für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften erhalten, als ob sie bei ihm versichert wären. Die in Art. 22 Abs. 1 Buchst c) i VO 1408/71 vorgenommene Begrenzung des Anspruchs auf eine "angemessene" Behandlung bewirkt in Zusammenschau mit der Genehmigungspflicht den Ausschluss solcher Behandlungen, die, wenn sie in Deutschland zur Verfügung stehen oder stünden, dort nicht dem Leistungssystem der GKV unterfielen (Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, § 13 Rn 41). So liegt der Fall hier, da die Tomatis-Therapie von einem solchen Leistungsausschluss erfasst ist.
Art. 20 VO (EG) 883/2004 trifft im Wesentlichen dieselbe Regelung: Danach muss, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen (Abs. 1). Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann (Abs. 2 Satz 2). Da die Tomatis-Therapie nicht Teil der Leistungen ist, die die GKV im Inland zu gewähren hätte, können die Kläger sie sich demnach auch nicht zu Lasten der Beklagten in Belgien beschaffen.
4. Eine Erstattung der mit der Inanspruchnahme der ambulanten Behandlung in Belgien verbundenen Reise- und Unterkunftskosten kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese nicht, wie es § 60 Abs. 1 SGB V aber voraussetzt, im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig geworden sind. Der Anspruch auf Reisekosten besteht als unselbständige akzessorische Nebenleistung (vgl. Höfler, Kasseler Kommentar, § 60 SGB V, Rn. 2) nur, wenn - anders als hier - eine Leistung der GKV in Anspruch genommen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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