Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 U 48/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 98/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 20. August 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 werden aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rente des Klägers wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse künftig nach einer niedrigeren Minderung der Erwerbsfähigkeit zu zahlen ist.
Bei dem im J. 1936 geborenen Kläger wurde erstmals unter dem 16. Juli 1990 durch die Fachärztin für Innere Krankheiten S. der Verdacht auf eine Bronchialkrebserkrankung des rechten Lungenunterlappens als Berufskrankheit nach Nr. 92 der Berufskrankheitenliste der DDR gemeldet. Zuvor hatte der Kläger sich im Juni 1990 einer Pneumonektomie des rechten Lungenunterlappens unterzogen.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich Beklagte) holte eine Beurteilung des Arztes für Arbeitsmedizin Dr. F. vom 27. Dezember 1991 ein. In einem Vordruck für eine arbeitsmedizinische Stellungnahme zum Vorliegen einer BK 92 trug der Arzt den Beginn der Berufskrankheit mit dem Monat April 1990 ein. Die Höhe der MdE mit 100 % war als Vordruckbestandteil vorgegeben. In der gleichen Beurteilung hatte der Referent für Strahlenschutz R. die Belastung mit ionisierenden Strahlen mit 350 WLM eingeschätzt. Obwohl ausdrücklich vermerkt war, dass den vorliegenden Unterlagen Angaben über ein eventuelles Ableben des Versicherten nicht zu entnehmen seien, füllte Dr. F. den Vordruckteil für einen Nachuntersuchungstermin nicht aus.
Bereits aufgrund einer Untersuchung vom 10. August 1990 hatten die Internisten Dipl.-Med. B. und MR Dr. S. für die Kreisstelle für ärztliches Begutachtungswesen ein Invaliditätsgutachten erstattet, das die Beklagte im Mai 1992 anforderte. Als aktuelle Beschwerdeäußerung ist wiedergegeben, der Patient klage vor allem über Luftnot bei geringster körperlicher Belastung sowie ein Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Als aktueller klinischer Befund wird eine diskrete periphere Zyanose bei sonst fehlenden kardialen Dekompensationszeichen, eine reizlose rechtsseitige Thorakotomienarbe, ein Herz ohne physiologischen Befund bei einem Blutdruck von 130/90 beschrieben. Die Leistungsbreite sei so eingeschränkt, dass eine berufliche Rehabilitation nicht mehr in Frage komme.
Unter dem 18. August 1992 gab die Gewerbeärztin MR Dr. F. vom Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt eine gewerbeärztliche Stellungnahme ab, in der sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 100 % ab April 1990 einschätzte und eine Nachuntersuchung ausdrücklich für nicht erforderlich erachtete.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1992 erkannte die Beklagte beim Kläger eine Beeinträchtigung der Atem- und Kreislauffunktion infolge Einwirkung ionisierender Strahlen als Berufskrankheit nach Nr. 92 der Berufskrankheitenliste der DDR bzw. Nr. 2402 der Anlage I zur Berufskrankheiten-Verordnung an. Den Rentenanspruch des Klägers stellte sie mit Wirkung vom 1. August 1990 nach einem Körperschaden von 100 v. H. fest.
Unter dem 25. Februar 1993 füllte die Ärztin für Arbeitsmedizin MR Dr. M. nach einem Hausbesuch einen Fragebogen zur Prüfung der Hilflosigkeit des Klägers aus. Danach war er lediglich beim Treppensteigen insoweit beeinträchtigt, als dieses langsam und mit Pausen beschrieben wurde. Bei der Erledigung seiner gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens sei der Kläger insoweit eingeschränkt, als er nicht mehr schwer heben und tragen könne und alle Tätigkeiten etwas langsamer durchführen müsse. Hilfeleistungen benötige er nicht. Eine Behandlung erfolge ausschließlich noch wegen eines Zustandes nach Herzinfarkt. Der Lungenbefund werde halbjährlich in der Universitätsklinik H. kontrolliert.
Im Frühjahr 2004 eröffnete die Beklagte ein Überprüfungsverfahren zur Feststellung einer Änderung in den Erkrankungsfolgen. In einem Bericht vom 13. April 2004 teilte MR Dr. S. mit, der Kläger leide unter Luftnot und thorakalen Beschwerden bei körperlicher Belastung. Die Leistungsbreite liege bei etwa 50 Watt und drei Minuten. Beigefügt war ein Röntgenbefund der Internistin Dr. G. vom 30. April 2001, wonach eine vollständige Verschattung der rechten Thoraxseite nach Pneumonektomie vorlag. Das Mediastinum sei insgesamt nach rechts verzogen. Die linke Lunge sei unauffällig. Ein Hinweis auf Filiae (Metastasen) liege nicht vor.
Die Beklagte holte ein Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie Dr. J. vom 27. August 2004 ein. Die Gutachterin gelangte zu dem Ergebnis, die Berufskrankheitsfolgen zögen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit i. H. v. 70 v. H. nach sich. Der Kläger teile eine Belastungsluftnot mit sowie gelegentlich auftretende Beschwerden im Bereich der Thorakotomiennarbe rechts. Der Verlust der Lunge führe zu typischen lungenfunktionsanalytischen Veränderungen durch Überblähung der verbliebenen Restlunge mit Störung des Gasaustausches. Es bestehe außerdem eine mäßiggradige Atemwegsobstruktion, die durch bronchodilatatorisch wirksame Maßnahmen gebessert werden könne. Anhaltspunkte für ein Rezidiv der Tumorerkrankung hätten sich nicht ergeben und seien nach der langen Zeitspanne auch nicht mehr zu erwarten. Da nach nunmehr über zehnjährigem Verlauf Gesichtspunkte der Heilungsbewährung nicht mehr zum Tragen kämen, sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr aufgrund der durch die Berufskrankheitsfolgen bedingten Einschränkungen abzuschätzen. Die Vitalkapazität sei auf 1,75 Liter und der Atemstoß deutlich auf 1,1 Liter erniedrigt. Der totale Atemwegswiderstand sei mittelgradig erhöht. Die Belastungsuntersuchung habe auf der 50-Watt-Stufe wegen Luftnot abgebrochen werden müssen. Der Kläger berichte über Luftnot bei leichter Belastung mit einer Belastungsgrenze beim Treppensteigen im Bereich der dritten Etage. Weiterhin leide er unter gelegentlichen Brustkorbschmerzen. Fahrrad könne er auf ebener Strecke langsam über etwa fünf bis sechs Kilometer fahren. Unter Husten und Auswurf leide er nur in geringem Maße.
Mit Schreiben vom 14. September 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Herabsetzung der Rente an. Als wesentliche Besserung beschrieb sie: "Bei dem bei Ihnen als Berufskrankheit anerkannten Bronchialkarzinom besteht seit 14 Jahren nach erfolgter Operation Rezidivfreiheit. Aus diesem Grund war jetzt eine Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit anhand der aktuell vorliegenden Erkrankungsfolgen vorzunehmen. Es besteht eine typische lungenfunktionsanalytische Veränderung durch Überblähung der verbliebenen Restlunge mit Störung des Gasaustausches sowie eine mäßiggradige Atemwegsobstruktion". Das Schreiben wurde dem Kläger am 15. September 2004 zugestellt.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 legte die Beklagte die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 1. November 2004 mit 70 Prozent neu fest und bemaß die Zahlung dementsprechend neu. Die Begründung formulierte sie wie im Anhörungsschreiben und ergänzte, sie stütze sich auf das Gutachten von Dr. J ...
Gegen den Bescheid legte der Kläger noch im gleichen Monat Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte u. a. aus, durch das Gutachten von Dr. J. sei festgestellt worden, dass in der Tumorerkrankung eine Heilungsbewährung eingetreten sei.
Mit der noch im gleichen Monat beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, das im Bescheid angeführte Krankheitsbild entspräche nicht seinem tatsächlichen Gesundheitszustand.
Die Beklagte hat erläutert, bei einer MdE-Zuerkennung von 100 v. H. bei einer Tumorerkrankung bestehe regelmäßig die Möglichkeit eines erneuten Erkrankungsausbruches. Dies sei zu berücksichtigen und zu würdigen. Bei relativ gefährlichen und zu Rezidiven neigenden Tumorerkrankungen bestehe eine deutliche psychische Spannungssituation bei den Versicherten durch die Angstzustände vor einem erneuten Erkrankungsausbruch. Bei einem rezidivfreien Zeitraum von mehr als fünf Jahren könne mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine erneute Krebserkrankung nicht mehr auftreten werde. Die psychische Anspannungssituation baue sich weitestgehend ab. Für die Zukunft sei das Ausmaß der verbliebenen MdE festzustellen aufgrund der noch verbliebenen Lungenfunktionseinschränkungen.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des S.-R.-Klinikums II vom 20. Dezember 2005 eingeholt, wegen dessen Inhalt auf Bl. 21 - 24 d. A. Bezug genommen wird.
Das Gericht hat weiterhin gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie Prof. Dr. Dr. S. vom 6. Dezember 2006 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 54 - 76 d. A. verwiesen wird. Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, eine Besserung sei beim Kläger nicht nachweisbar. Ein Nachweis sei auch objektiv nicht führbar, da in dem Invaliditätsgutachten vom 10. August 1990 keinerlei pulmologische Befunde enthalten gewesen seien, sondern lediglich auf einen Operationsbericht vom 29. Juni 1990 hingewiesen worden wäre. Demgegenüber liege eine Verschlechterung vor, weil nach einem Infarkt aus dem Jahre 2005 die kardiale und pulmonale Situation verschlechtert seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage bis zur Gegenwart 100 v. H ...
Mit Urteil vom 20. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, in den Folgen der anerkannten Berufskrankheit des Klägers sei eine wesentliche Besserung in der Art eingetreten, dass mit einem Rezidiv oder einer Fernabsiedlung des Bronchialkarzinoms durch Zeitablauf nicht mehr zu rechnen und somit die typischerweise bestehende psychische Anspannung entfallen sei. Insoweit handele es sich um eine Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Eine andere Besserung lasse sich nicht nachweisen, weil das Gutachten von Dr. S. vom 17. September 1990 keine Befunde enthalte und daher schon ein Vergleichsmaßstab fehle. Der Gedanke der Heilungsbewährung sei im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anzuwenden, sofern sich eine lebensbedrohende, zu Rezidiven neigende Erkrankung über die reinen Funktionseinschränkungen des betroffenen Organs auf das Erwerbsleben auswirke. Anders als im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht berechtige aber der bloße Ablauf einer bestimmten rezidivfreien Zeit nicht automatisch zur Rentenherabsetzung. Hier sei die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ursprünglich gemessen am Verlust des rechten Lungenlappens zu hoch gewesen, so dass offensichtlich die typischen Gesichtspunkte der Heilungsbewährung wie Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit und Anspannung in die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit eingeflossen seien. Dies gelte schon deshalb, weil Bronchialkarzinome häufig sehr schnell tödlich verliefen und bis zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 2004 bei Krebserkrankungen in der Regel für fünf Jahre eine Basisminderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. empfohlen worden sei. Dieser Risikozuschlag müsse entzogen werden, wenn er vor der Änderung der Rechtsprechung im Jahre 2004 zuerkannt worden sei.
Dass die Beklagte die Einbeziehung der psychischen Belastungssituation in die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in ihrem Rentenbescheid vom 3. Dezember 1992 nicht ausdrücklich klargestellt habe, sei aus der Sicht des Gerichts unschädlich. Dabei hätte es sich ggf. nur um eine Begründung der Verwaltungsentscheidung gehandelt, die ohnehin nicht in Bestandskraft erwachsen wäre.
Auch sei eine Besserung in der Anpassung und Gewöhnung an die Entfernung des rechten Lungenlappens zu sehen. Der Kläger habe noch am 17. September 1990 Luftnot bei geringsten körperlichen Belastungen angegeben, die sich nach dem Gutachten von Dr. J. zumindest geringfügig gebessert habe.
Der Heilungsbewährung sei hier eine Senkung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zuzuordnen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 3. Dezember 1992 sei bei Krebserkrankungen von einer Basisminderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. ausgegangen worden, die sich auf die Heilungsbewährung bezogen habe. Zum Zeitpunkt der Rentenherabsetzung habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bei 70 v. H. gelegen, wie sich schlüssig aus dem Gutachten von Dr. J. ergebe. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 80 v. H. setzte hingegen schon eine ausgeprägte Atemnot in Ruhe mit schwer eingeschränkter Atemmechanik voraus, die beim Kläger nicht gegeben seien. Dem Vorschlag von Prof. Dr. Dr. S. in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 könne das Gericht nicht folgen. Der Sachverständige habe nicht zwischen den Folgen der Berufskrankheit und den weiteren Erkrankungen des Klägers, insbesondere der schon 1985 aufgetretenen Herzerkrankung, unterschieden.
Gegen das ihm am 30. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger schon vor der Zustellung Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, das Sozialgericht habe sich medizinische Kenntnisse angemaßt, indem es dem Gutachten von Dr. J. gefolgt sei und am Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. die fehlende Trennung zwischen berufs- und nicht berufsbedingten Krankheitssymptomen beanstandet habe. Dr. J. habe mehrere seiner Äußerungen zu seinen Ungunsten falsch wiedergegeben. Wegen des Vorbringens des Klägers im Einzelnen wird auf Bl. 132 - 139, 146 - 169 und 194 d. A. Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 20. August 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an dem Urteil des Sozialgerichts und ihrer Entscheidung auch gegen den Hinweis des Berichterstatters fest, eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Bescheiderlass vom 3. Dezember 1992 lasse sich nach den tatsächlichen Verhältnissen und der damaligen unzulänglichen Befunddokumentation nicht feststellen.
Das Gericht hat von der Universitätsklinik H. die Berichte über die stationäre Behandlung und die Nachuntersuchungen aus den Jahren 1990 bis 1995 beigezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 173 - 183 d. A. verwiesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 6. Juni 2011 – die Beklagte und 21. Juni 2011 – der Kläger – zugestimmt.
Bei der Entscheidungsfindung hat die Akte der Beklagten – Az.: – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil er rechtswidrig ist. § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ermächtigte die Beklagte nicht zur Aufhebung des Bescheides vom 3. Dezember 1992, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die dem Erlass dieses Bescheides zu Grunde gelegen haben, nicht feststellbar ist. Dies geht zu Lasten der Beklagten, die aus einer solchen Änderung für sich eine Ermächtigung herleiten will.
Eine Änderung der Krankheitssymptome und daraus abzuleitenden Funktionsbeeinträchtigungen durch die Berufskrankheit des Klägers ist zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 3. Dezember 1992 und dem Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides nicht ersichtlich. Nach den Untersuchungsergebnissen von Dr. J. lagen Befunde vor, die eine Belastungsluftnot sowie gelegentlich auftretende Beschwerden im Bereich der Thorakotomiennarbe rechts untermauerten. Dem stehen die Befunde der in den frühen 90er-Jahren durchgeführten Nachuntersuchungen gegenüber, wonach beim Kläger am 10. April 1992 klinisch kein krankhafter Befund zu erheben war und er subjektiv Wohlbefinden äußerte. Als Ergebnis der Nachuntersuchung vom 13. November 1992 wird dem Kläger ausdrücklich auch objektives Wohlbefinden bestätigt. Danach ist nicht erkennbar, dass die damaligen Befunde nach den durch sie bedingten Funktionsbeeinträchtigungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 v. H. herbeiführten. Ebenso wenig ist aus den von Dr. J. 2004 erhobenen Befunden eine Besserung abzuleiten. Unmaßgeblich ist, dass aus dem Gutachten vom August 1990 noch eine schlechtere Lungenfunktion hervorgehen mag. Denn es kann jedenfalls keine Aufhebung wegen wesentlicher Änderung rechtfertigen, wenn die Beklagte schon bei Bescheiderlass davon ausgehen muss, dass dieses Gutachten die Verhältnisse nicht mehr zutreffend beschreibt. Dies war aber der Fall, weil das Gutachten nur zwei Monate nach durchgeführter Akutbehandlung eingeholt worden war und seither mehr als zwei Jahre vergangen waren. Entsprechend den vorstehenden Erwägungen sind auch weder Dr. J. noch die Beklagte noch das Sozialgericht von einer tatsächlichen Änderung der Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen.
Auch der von allen Genannten hervorgehobene Gesichtspunkt der Heilungsbewährung vermag aber keine wesentliche Änderung zu begründen. Es lässt sich schon nicht erkennen, dass der Gesichtspunkt einer globalen Höherbewertung für eine Übergangszeit als Phase der Heilungsbewährung die Entscheidung der Beklagten vom 3. Dezember 1992 bestimmt hat. Diese hat sich bei der Entscheidung nach Aktenlage allein auf die Stellungnahmen von Dr. F. und Dr. F. gestützt, die die Minderung der Erwerbsfähigkeit vorbehaltlos mit 100 v. H. eingeschätzt haben. Mag man gerade in der damit verbundenen pauschalen Herangehensweise noch einen Hinweis darauf sehen, dass sie dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung Rechnung tragen wollten, spricht dagegen aber entscheidend der von beiden Ärzten unterlassene Vorschlag einer Nachuntersuchung, die Dr. F. sogar ausdrücklich für nicht erforderlich hält. Dies spricht eher für ihre Vorstellung, der mit der Krebserkrankung verbundene Verlust eines Lungenflügels rechtfertige aus sich heraus ihre Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Darüber hinaus kommt eine allein auf den Zeitablauf abstellende Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtlich nicht in Betracht. Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen Ersteinschätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Allerdings ist eine schon bestehende Rückfallgefahr, die bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit mindert, bei der Bemessung der gegenwärtigen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen (BSG, Urt. v. 15.12.66 – 2 RU 29/65 – SGb 1967, 539, 541). Dies gilt auch für andere Gesichtspunkte, z. B. das Vorliegen einer Dauertherapie, ein Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den ggf. reduzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen, soziale Anpassungsprobleme usw., die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, und ist bei der Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beachten. Für all solche Gesichtspunkte fehlte bei Erlass des Bescheides vom 3. Dezember 1992 aber jeder konkrete Hinweis. Eine erwerbsmindernde psychische Belastung durch die Krebserkrankung ist nie erhoben worden; eine Dauertherapie war ausweislich der nur halbjährlichen Kontrolluntersuchungen mit der Angabe von Wohlbefinden nicht erforderlich; Schmerzen waren nicht Gegenstand von Beschwerdeäußerungen des Klägers und eine damals noch bestehende Notwendigkeit einer Gewöhnung oder Anpassung geht aus dem Bericht zur Hilfebedürftigkeit vom Februar 1993 nicht hervor. Dass der Inhalt des Berichts bereits den Zustand bei Bescheiderlass zwei Monate vorher wiedergibt, lässt sich dem Umstand entnehmen, dass die Kontrolluntersuchungen vom 13. November 1992 und 14. Mai 1993 zum gleichen Ergebnis des subjektiven und objektiven Wohlbefindens gelangten. Dies ist ein ausreichender Hinweis darauf, dass in dem Zeitraum dazwischen die Leistungsfähigkeit gleich war, zumal auch jeder Hinweis in den Berichten auf einen damals noch schwankenden Verlauf fehlt.
Ebenso wie jedoch das allgemeine Rückfallrisiko eine pauschale Erhöhung nicht zu begründen vermag, sondern dies nur besondere Aspekte der Genesungszeit können, führt auch der bloße Ablauf einer bestimmten rückfallfreien Zeit in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht automatisch zu einer Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (alles Vorstehende zur Heilungsbewährung durch Zeitablauf BSG, Urt. v. 22.6.2004 – B 2 U 14/03 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Es bedarf vielmehr einer Besserung der zuvor der Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw. besonderen Gesichtspunkte, die die Erwerbsfähigkeit beeinflussen, wie sie hier gerade nicht nachweisbar ist. Inwieweit in der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für die höhere Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund typischer, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesichtspunkte in der Genesungszeit bei rückfallträchtigen Erkrankungen als auch für die Herabsetzung und dabei zu berücksichtigende Zeiten gewisse Pauschalierungen möglich und angezeigt sind, ist eine Tatsachenfrage. Sie stellte sich aber nur, wenn erkennbar wäre, dass die Beklagte oder die hinzugezogenen Ärzte bei der Erstfestsetzung überhaupt von solchen Gesichtspunkten ausgegangen sind, die einer sachlichen Prüfung auf ihre Berechtigung als Inhalt dieser Tatsachenfrage zugänglich wären. Dies ist – wie dargelegt – nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rente des Klägers wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse künftig nach einer niedrigeren Minderung der Erwerbsfähigkeit zu zahlen ist.
Bei dem im J. 1936 geborenen Kläger wurde erstmals unter dem 16. Juli 1990 durch die Fachärztin für Innere Krankheiten S. der Verdacht auf eine Bronchialkrebserkrankung des rechten Lungenunterlappens als Berufskrankheit nach Nr. 92 der Berufskrankheitenliste der DDR gemeldet. Zuvor hatte der Kläger sich im Juni 1990 einer Pneumonektomie des rechten Lungenunterlappens unterzogen.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich Beklagte) holte eine Beurteilung des Arztes für Arbeitsmedizin Dr. F. vom 27. Dezember 1991 ein. In einem Vordruck für eine arbeitsmedizinische Stellungnahme zum Vorliegen einer BK 92 trug der Arzt den Beginn der Berufskrankheit mit dem Monat April 1990 ein. Die Höhe der MdE mit 100 % war als Vordruckbestandteil vorgegeben. In der gleichen Beurteilung hatte der Referent für Strahlenschutz R. die Belastung mit ionisierenden Strahlen mit 350 WLM eingeschätzt. Obwohl ausdrücklich vermerkt war, dass den vorliegenden Unterlagen Angaben über ein eventuelles Ableben des Versicherten nicht zu entnehmen seien, füllte Dr. F. den Vordruckteil für einen Nachuntersuchungstermin nicht aus.
Bereits aufgrund einer Untersuchung vom 10. August 1990 hatten die Internisten Dipl.-Med. B. und MR Dr. S. für die Kreisstelle für ärztliches Begutachtungswesen ein Invaliditätsgutachten erstattet, das die Beklagte im Mai 1992 anforderte. Als aktuelle Beschwerdeäußerung ist wiedergegeben, der Patient klage vor allem über Luftnot bei geringster körperlicher Belastung sowie ein Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Als aktueller klinischer Befund wird eine diskrete periphere Zyanose bei sonst fehlenden kardialen Dekompensationszeichen, eine reizlose rechtsseitige Thorakotomienarbe, ein Herz ohne physiologischen Befund bei einem Blutdruck von 130/90 beschrieben. Die Leistungsbreite sei so eingeschränkt, dass eine berufliche Rehabilitation nicht mehr in Frage komme.
Unter dem 18. August 1992 gab die Gewerbeärztin MR Dr. F. vom Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt eine gewerbeärztliche Stellungnahme ab, in der sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 100 % ab April 1990 einschätzte und eine Nachuntersuchung ausdrücklich für nicht erforderlich erachtete.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1992 erkannte die Beklagte beim Kläger eine Beeinträchtigung der Atem- und Kreislauffunktion infolge Einwirkung ionisierender Strahlen als Berufskrankheit nach Nr. 92 der Berufskrankheitenliste der DDR bzw. Nr. 2402 der Anlage I zur Berufskrankheiten-Verordnung an. Den Rentenanspruch des Klägers stellte sie mit Wirkung vom 1. August 1990 nach einem Körperschaden von 100 v. H. fest.
Unter dem 25. Februar 1993 füllte die Ärztin für Arbeitsmedizin MR Dr. M. nach einem Hausbesuch einen Fragebogen zur Prüfung der Hilflosigkeit des Klägers aus. Danach war er lediglich beim Treppensteigen insoweit beeinträchtigt, als dieses langsam und mit Pausen beschrieben wurde. Bei der Erledigung seiner gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens sei der Kläger insoweit eingeschränkt, als er nicht mehr schwer heben und tragen könne und alle Tätigkeiten etwas langsamer durchführen müsse. Hilfeleistungen benötige er nicht. Eine Behandlung erfolge ausschließlich noch wegen eines Zustandes nach Herzinfarkt. Der Lungenbefund werde halbjährlich in der Universitätsklinik H. kontrolliert.
Im Frühjahr 2004 eröffnete die Beklagte ein Überprüfungsverfahren zur Feststellung einer Änderung in den Erkrankungsfolgen. In einem Bericht vom 13. April 2004 teilte MR Dr. S. mit, der Kläger leide unter Luftnot und thorakalen Beschwerden bei körperlicher Belastung. Die Leistungsbreite liege bei etwa 50 Watt und drei Minuten. Beigefügt war ein Röntgenbefund der Internistin Dr. G. vom 30. April 2001, wonach eine vollständige Verschattung der rechten Thoraxseite nach Pneumonektomie vorlag. Das Mediastinum sei insgesamt nach rechts verzogen. Die linke Lunge sei unauffällig. Ein Hinweis auf Filiae (Metastasen) liege nicht vor.
Die Beklagte holte ein Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie Dr. J. vom 27. August 2004 ein. Die Gutachterin gelangte zu dem Ergebnis, die Berufskrankheitsfolgen zögen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit i. H. v. 70 v. H. nach sich. Der Kläger teile eine Belastungsluftnot mit sowie gelegentlich auftretende Beschwerden im Bereich der Thorakotomiennarbe rechts. Der Verlust der Lunge führe zu typischen lungenfunktionsanalytischen Veränderungen durch Überblähung der verbliebenen Restlunge mit Störung des Gasaustausches. Es bestehe außerdem eine mäßiggradige Atemwegsobstruktion, die durch bronchodilatatorisch wirksame Maßnahmen gebessert werden könne. Anhaltspunkte für ein Rezidiv der Tumorerkrankung hätten sich nicht ergeben und seien nach der langen Zeitspanne auch nicht mehr zu erwarten. Da nach nunmehr über zehnjährigem Verlauf Gesichtspunkte der Heilungsbewährung nicht mehr zum Tragen kämen, sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr aufgrund der durch die Berufskrankheitsfolgen bedingten Einschränkungen abzuschätzen. Die Vitalkapazität sei auf 1,75 Liter und der Atemstoß deutlich auf 1,1 Liter erniedrigt. Der totale Atemwegswiderstand sei mittelgradig erhöht. Die Belastungsuntersuchung habe auf der 50-Watt-Stufe wegen Luftnot abgebrochen werden müssen. Der Kläger berichte über Luftnot bei leichter Belastung mit einer Belastungsgrenze beim Treppensteigen im Bereich der dritten Etage. Weiterhin leide er unter gelegentlichen Brustkorbschmerzen. Fahrrad könne er auf ebener Strecke langsam über etwa fünf bis sechs Kilometer fahren. Unter Husten und Auswurf leide er nur in geringem Maße.
Mit Schreiben vom 14. September 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Herabsetzung der Rente an. Als wesentliche Besserung beschrieb sie: "Bei dem bei Ihnen als Berufskrankheit anerkannten Bronchialkarzinom besteht seit 14 Jahren nach erfolgter Operation Rezidivfreiheit. Aus diesem Grund war jetzt eine Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit anhand der aktuell vorliegenden Erkrankungsfolgen vorzunehmen. Es besteht eine typische lungenfunktionsanalytische Veränderung durch Überblähung der verbliebenen Restlunge mit Störung des Gasaustausches sowie eine mäßiggradige Atemwegsobstruktion". Das Schreiben wurde dem Kläger am 15. September 2004 zugestellt.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 legte die Beklagte die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 1. November 2004 mit 70 Prozent neu fest und bemaß die Zahlung dementsprechend neu. Die Begründung formulierte sie wie im Anhörungsschreiben und ergänzte, sie stütze sich auf das Gutachten von Dr. J ...
Gegen den Bescheid legte der Kläger noch im gleichen Monat Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte u. a. aus, durch das Gutachten von Dr. J. sei festgestellt worden, dass in der Tumorerkrankung eine Heilungsbewährung eingetreten sei.
Mit der noch im gleichen Monat beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, das im Bescheid angeführte Krankheitsbild entspräche nicht seinem tatsächlichen Gesundheitszustand.
Die Beklagte hat erläutert, bei einer MdE-Zuerkennung von 100 v. H. bei einer Tumorerkrankung bestehe regelmäßig die Möglichkeit eines erneuten Erkrankungsausbruches. Dies sei zu berücksichtigen und zu würdigen. Bei relativ gefährlichen und zu Rezidiven neigenden Tumorerkrankungen bestehe eine deutliche psychische Spannungssituation bei den Versicherten durch die Angstzustände vor einem erneuten Erkrankungsausbruch. Bei einem rezidivfreien Zeitraum von mehr als fünf Jahren könne mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine erneute Krebserkrankung nicht mehr auftreten werde. Die psychische Anspannungssituation baue sich weitestgehend ab. Für die Zukunft sei das Ausmaß der verbliebenen MdE festzustellen aufgrund der noch verbliebenen Lungenfunktionseinschränkungen.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des S.-R.-Klinikums II vom 20. Dezember 2005 eingeholt, wegen dessen Inhalt auf Bl. 21 - 24 d. A. Bezug genommen wird.
Das Gericht hat weiterhin gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie Prof. Dr. Dr. S. vom 6. Dezember 2006 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 54 - 76 d. A. verwiesen wird. Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, eine Besserung sei beim Kläger nicht nachweisbar. Ein Nachweis sei auch objektiv nicht führbar, da in dem Invaliditätsgutachten vom 10. August 1990 keinerlei pulmologische Befunde enthalten gewesen seien, sondern lediglich auf einen Operationsbericht vom 29. Juni 1990 hingewiesen worden wäre. Demgegenüber liege eine Verschlechterung vor, weil nach einem Infarkt aus dem Jahre 2005 die kardiale und pulmonale Situation verschlechtert seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage bis zur Gegenwart 100 v. H ...
Mit Urteil vom 20. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, in den Folgen der anerkannten Berufskrankheit des Klägers sei eine wesentliche Besserung in der Art eingetreten, dass mit einem Rezidiv oder einer Fernabsiedlung des Bronchialkarzinoms durch Zeitablauf nicht mehr zu rechnen und somit die typischerweise bestehende psychische Anspannung entfallen sei. Insoweit handele es sich um eine Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Eine andere Besserung lasse sich nicht nachweisen, weil das Gutachten von Dr. S. vom 17. September 1990 keine Befunde enthalte und daher schon ein Vergleichsmaßstab fehle. Der Gedanke der Heilungsbewährung sei im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anzuwenden, sofern sich eine lebensbedrohende, zu Rezidiven neigende Erkrankung über die reinen Funktionseinschränkungen des betroffenen Organs auf das Erwerbsleben auswirke. Anders als im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht berechtige aber der bloße Ablauf einer bestimmten rezidivfreien Zeit nicht automatisch zur Rentenherabsetzung. Hier sei die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ursprünglich gemessen am Verlust des rechten Lungenlappens zu hoch gewesen, so dass offensichtlich die typischen Gesichtspunkte der Heilungsbewährung wie Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit und Anspannung in die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit eingeflossen seien. Dies gelte schon deshalb, weil Bronchialkarzinome häufig sehr schnell tödlich verliefen und bis zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 2004 bei Krebserkrankungen in der Regel für fünf Jahre eine Basisminderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. empfohlen worden sei. Dieser Risikozuschlag müsse entzogen werden, wenn er vor der Änderung der Rechtsprechung im Jahre 2004 zuerkannt worden sei.
Dass die Beklagte die Einbeziehung der psychischen Belastungssituation in die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in ihrem Rentenbescheid vom 3. Dezember 1992 nicht ausdrücklich klargestellt habe, sei aus der Sicht des Gerichts unschädlich. Dabei hätte es sich ggf. nur um eine Begründung der Verwaltungsentscheidung gehandelt, die ohnehin nicht in Bestandskraft erwachsen wäre.
Auch sei eine Besserung in der Anpassung und Gewöhnung an die Entfernung des rechten Lungenlappens zu sehen. Der Kläger habe noch am 17. September 1990 Luftnot bei geringsten körperlichen Belastungen angegeben, die sich nach dem Gutachten von Dr. J. zumindest geringfügig gebessert habe.
Der Heilungsbewährung sei hier eine Senkung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zuzuordnen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 3. Dezember 1992 sei bei Krebserkrankungen von einer Basisminderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. ausgegangen worden, die sich auf die Heilungsbewährung bezogen habe. Zum Zeitpunkt der Rentenherabsetzung habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bei 70 v. H. gelegen, wie sich schlüssig aus dem Gutachten von Dr. J. ergebe. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 80 v. H. setzte hingegen schon eine ausgeprägte Atemnot in Ruhe mit schwer eingeschränkter Atemmechanik voraus, die beim Kläger nicht gegeben seien. Dem Vorschlag von Prof. Dr. Dr. S. in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2006 könne das Gericht nicht folgen. Der Sachverständige habe nicht zwischen den Folgen der Berufskrankheit und den weiteren Erkrankungen des Klägers, insbesondere der schon 1985 aufgetretenen Herzerkrankung, unterschieden.
Gegen das ihm am 30. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger schon vor der Zustellung Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, das Sozialgericht habe sich medizinische Kenntnisse angemaßt, indem es dem Gutachten von Dr. J. gefolgt sei und am Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. die fehlende Trennung zwischen berufs- und nicht berufsbedingten Krankheitssymptomen beanstandet habe. Dr. J. habe mehrere seiner Äußerungen zu seinen Ungunsten falsch wiedergegeben. Wegen des Vorbringens des Klägers im Einzelnen wird auf Bl. 132 - 139, 146 - 169 und 194 d. A. Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 20. August 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an dem Urteil des Sozialgerichts und ihrer Entscheidung auch gegen den Hinweis des Berichterstatters fest, eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Bescheiderlass vom 3. Dezember 1992 lasse sich nach den tatsächlichen Verhältnissen und der damaligen unzulänglichen Befunddokumentation nicht feststellen.
Das Gericht hat von der Universitätsklinik H. die Berichte über die stationäre Behandlung und die Nachuntersuchungen aus den Jahren 1990 bis 1995 beigezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 173 - 183 d. A. verwiesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 6. Juni 2011 – die Beklagte und 21. Juni 2011 – der Kläger – zugestimmt.
Bei der Entscheidungsfindung hat die Akte der Beklagten – Az.: – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil er rechtswidrig ist. § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ermächtigte die Beklagte nicht zur Aufhebung des Bescheides vom 3. Dezember 1992, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die dem Erlass dieses Bescheides zu Grunde gelegen haben, nicht feststellbar ist. Dies geht zu Lasten der Beklagten, die aus einer solchen Änderung für sich eine Ermächtigung herleiten will.
Eine Änderung der Krankheitssymptome und daraus abzuleitenden Funktionsbeeinträchtigungen durch die Berufskrankheit des Klägers ist zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 3. Dezember 1992 und dem Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides nicht ersichtlich. Nach den Untersuchungsergebnissen von Dr. J. lagen Befunde vor, die eine Belastungsluftnot sowie gelegentlich auftretende Beschwerden im Bereich der Thorakotomiennarbe rechts untermauerten. Dem stehen die Befunde der in den frühen 90er-Jahren durchgeführten Nachuntersuchungen gegenüber, wonach beim Kläger am 10. April 1992 klinisch kein krankhafter Befund zu erheben war und er subjektiv Wohlbefinden äußerte. Als Ergebnis der Nachuntersuchung vom 13. November 1992 wird dem Kläger ausdrücklich auch objektives Wohlbefinden bestätigt. Danach ist nicht erkennbar, dass die damaligen Befunde nach den durch sie bedingten Funktionsbeeinträchtigungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 v. H. herbeiführten. Ebenso wenig ist aus den von Dr. J. 2004 erhobenen Befunden eine Besserung abzuleiten. Unmaßgeblich ist, dass aus dem Gutachten vom August 1990 noch eine schlechtere Lungenfunktion hervorgehen mag. Denn es kann jedenfalls keine Aufhebung wegen wesentlicher Änderung rechtfertigen, wenn die Beklagte schon bei Bescheiderlass davon ausgehen muss, dass dieses Gutachten die Verhältnisse nicht mehr zutreffend beschreibt. Dies war aber der Fall, weil das Gutachten nur zwei Monate nach durchgeführter Akutbehandlung eingeholt worden war und seither mehr als zwei Jahre vergangen waren. Entsprechend den vorstehenden Erwägungen sind auch weder Dr. J. noch die Beklagte noch das Sozialgericht von einer tatsächlichen Änderung der Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen.
Auch der von allen Genannten hervorgehobene Gesichtspunkt der Heilungsbewährung vermag aber keine wesentliche Änderung zu begründen. Es lässt sich schon nicht erkennen, dass der Gesichtspunkt einer globalen Höherbewertung für eine Übergangszeit als Phase der Heilungsbewährung die Entscheidung der Beklagten vom 3. Dezember 1992 bestimmt hat. Diese hat sich bei der Entscheidung nach Aktenlage allein auf die Stellungnahmen von Dr. F. und Dr. F. gestützt, die die Minderung der Erwerbsfähigkeit vorbehaltlos mit 100 v. H. eingeschätzt haben. Mag man gerade in der damit verbundenen pauschalen Herangehensweise noch einen Hinweis darauf sehen, dass sie dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung Rechnung tragen wollten, spricht dagegen aber entscheidend der von beiden Ärzten unterlassene Vorschlag einer Nachuntersuchung, die Dr. F. sogar ausdrücklich für nicht erforderlich hält. Dies spricht eher für ihre Vorstellung, der mit der Krebserkrankung verbundene Verlust eines Lungenflügels rechtfertige aus sich heraus ihre Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Darüber hinaus kommt eine allein auf den Zeitablauf abstellende Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtlich nicht in Betracht. Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen Ersteinschätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Allerdings ist eine schon bestehende Rückfallgefahr, die bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit mindert, bei der Bemessung der gegenwärtigen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen (BSG, Urt. v. 15.12.66 – 2 RU 29/65 – SGb 1967, 539, 541). Dies gilt auch für andere Gesichtspunkte, z. B. das Vorliegen einer Dauertherapie, ein Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den ggf. reduzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen, soziale Anpassungsprobleme usw., die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, und ist bei der Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beachten. Für all solche Gesichtspunkte fehlte bei Erlass des Bescheides vom 3. Dezember 1992 aber jeder konkrete Hinweis. Eine erwerbsmindernde psychische Belastung durch die Krebserkrankung ist nie erhoben worden; eine Dauertherapie war ausweislich der nur halbjährlichen Kontrolluntersuchungen mit der Angabe von Wohlbefinden nicht erforderlich; Schmerzen waren nicht Gegenstand von Beschwerdeäußerungen des Klägers und eine damals noch bestehende Notwendigkeit einer Gewöhnung oder Anpassung geht aus dem Bericht zur Hilfebedürftigkeit vom Februar 1993 nicht hervor. Dass der Inhalt des Berichts bereits den Zustand bei Bescheiderlass zwei Monate vorher wiedergibt, lässt sich dem Umstand entnehmen, dass die Kontrolluntersuchungen vom 13. November 1992 und 14. Mai 1993 zum gleichen Ergebnis des subjektiven und objektiven Wohlbefindens gelangten. Dies ist ein ausreichender Hinweis darauf, dass in dem Zeitraum dazwischen die Leistungsfähigkeit gleich war, zumal auch jeder Hinweis in den Berichten auf einen damals noch schwankenden Verlauf fehlt.
Ebenso wie jedoch das allgemeine Rückfallrisiko eine pauschale Erhöhung nicht zu begründen vermag, sondern dies nur besondere Aspekte der Genesungszeit können, führt auch der bloße Ablauf einer bestimmten rückfallfreien Zeit in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht automatisch zu einer Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (alles Vorstehende zur Heilungsbewährung durch Zeitablauf BSG, Urt. v. 22.6.2004 – B 2 U 14/03 R – SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Es bedarf vielmehr einer Besserung der zuvor der Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw. besonderen Gesichtspunkte, die die Erwerbsfähigkeit beeinflussen, wie sie hier gerade nicht nachweisbar ist. Inwieweit in der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für die höhere Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund typischer, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesichtspunkte in der Genesungszeit bei rückfallträchtigen Erkrankungen als auch für die Herabsetzung und dabei zu berücksichtigende Zeiten gewisse Pauschalierungen möglich und angezeigt sind, ist eine Tatsachenfrage. Sie stellte sich aber nur, wenn erkennbar wäre, dass die Beklagte oder die hinzugezogenen Ärzte bei der Erstfestsetzung überhaupt von solchen Gesichtspunkten ausgegangen sind, die einer sachlichen Prüfung auf ihre Berechtigung als Inhalt dieser Tatsachenfrage zugänglich wären. Dies ist – wie dargelegt – nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor.
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