L 7 SO 1546/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 974/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1546/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. März 2012 (Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 173 Sätze 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide (juris)).

Vorliegend ist bereits ein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches auf die begehrte Schuldenübernahme nicht gegeben. Das SG hat zutreffend angenommen, dass das Begehren des Antragstellers nicht auf § 36 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) gestützt werden kann. Danach können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Der gesetzliche Wortlaut ist zwar nicht auf Schulden aus dem Mietvertrag beschränkt. Der Zweck der gesetzlichen Regelung (Prävention der Wohnungslosigkeit durch Schuldenübernahme) ist jedoch bereits in der 1. Alternative der Norm ("Sicherung der Unterkunft") ausdrücklich niedergelegt. Es ist erforderlich, dass die Übernahme der Schulden Bezug zur Sicherung der Unterkunft (oder einer den Verlust der Wohnung vergleichbaren Notlage (2. Alt.)) aufweist. § 36 SGB XII ist keine im Ermessen des Sozialhilfeträgers stehende allgemeine Schuldenübernahmegeneralklausel (Berlit in LPK-SGB XII, 9. Aufl., § 36 Rdnr. 6). Die Schulden, deren Übernahme der Antragsteller vorliegend begehrt, stehen nicht in einem solchen Zusammenhang mit der Unterkunft oder deren Sicherung. Vielmehr handelt es sich um Forderungen der Landesoberkasse Baden-Württemberg, die nach seinen eigenen Angaben aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen "zivilrechtlicher Rechtsmitteleinsätze zur Abwehr von Obdachlosigkeit" resultierten. Damit macht der Antragsteller aber selbst nicht geltend, dass allein der Bestand der Schulden - etwa wegen der Berechtigung des Vermieters zur Kündigung des Mietvertrages - den Bestand der Unterkunft gefährdete. Die Verbindlichkeiten gründen nicht im gegenwärtigen Mietverhältnis noch resultieren sie aus der Deckung solcher Schulden (vgl. zur Deckung von Mietschulden durch private Darlehen Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 22 Nr. 41). Der Antragsteller führt lediglich an, ohne Schuldenübernahme drohe ihm die Zwangsvollstreckung und damit die Pfändung seines Kontos, was zur Folge habe, dass die Überweisung seiner Miete nicht mehr ausreichend sichergestellt sei; dies führe in letzter Konsequenz zum Verlust der Unterkunft. Dabei handelt es sich aber allenfalls um rein tatsächliche Folgewirkungen einer Zwangsvollstreckung ohne direkten Bezug zu Schulden aus oder im Zusammenhang mit der Unterkunft. Ein solches allgemeines Schuldnerrisiko unterfällt nicht dem Schutzzweck des § 36 SGB XII.

Des Weiteren fehlt es an der Rechtfertigung für die begehrte Schuldenübernahme. Gerechtfertigt ist die Schuldenübernahme grundsätzlich dann, wenn eine Notlage besteht, die der Betroffene nicht aus eigener Kraft beseitigen kann und die für seine weitere Existenz bedrohlich sein kann. Es ist stets zu prüfen, ob sich der Betroffene nicht selbst helfen kann, wobei die Hilfsmöglichkeiten geeignet und im Einzelfall zumutbar sein müssen. Ist dies der Fall, ist eine Schuldenübernahme nicht gerechtfertigt (Link in juris-PK SGB XII, § 36 Rdnr. 33 m.w.N.). Zur Verhinderung der vom Antragsteller angeführten Einbußen im soziokulturellen Existenzminimum, wozu auch eine angemessene Unterkunft zählt, durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hat der Gesetzgeber den zivilprozessualen Vollstreckungsschutz geschaffen. Dem Antragsteller ist es auch nach Überzeugung des Senats möglich und zumutbar, die insoweit gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zu nutzen. Auf die ausführliche und zutreffende Darstellung des SG im angefochtenen Beschluss wird daher nach eigener Prüfung Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Der Verweis des Antragstellers auf eine bei ihm bestehende psychische Störung ist nicht geeignet, Zweifel hieran zu wecken. Vielmehr zeigt u.a. das vorliegende Verfahren, dass er durchaus in der Lage ist, seine Rechte und Ansprüche alleine zielgerichtet und unter Beachtung erforderlicher Formalien geltend zu machen. Auf das Vorbringen in der Beschwerde, eine vom SG angesprochene direkte Überweisung der laufenden Leistungen an den Vermieter scheitere bereits an der zu geringen Höhe der lediglich aufstockenden Sozialhilfeleistungen, kommt es daher nicht mehr an.

Aus denselben Gründen fehlt es auch an einer vergleichbaren Notlage i.S.d. § 36 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB XII. Aufgrund der Möglichkeiten des zivilprozessualen Pfändungsschutzes droht bei einer Zwangsvollstreckung gerade nicht der Verlust von zum Lebensunterhalt notwendigen finanziellen Mitteln, Möbel, Hausrat, Kleidung oder Unterkunft (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 7. November 2007 - L 3 B 490/07 SO-ER - (juris)).

Schließlich sind auch die Voraussetzungen des § 73 Satz 1 SGB XII nicht erfüllt. Danach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Zweck dieser Regelung ist es, die Möglichkeiten der Hilfeleistungen weiterzuentwickeln und an zukünftige Entwicklungen anzupassen (vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. § 73 Rdnr. 1 m.w.N.). Sonstige Lebenslagen liegen nur vor, wenn sich die Hilfesituation thematisch keinem Tatbestand der in § 8 SGB XII genannten Hilfen zuordnen lässt (BSG SozR 4-3500 § 28 Nr. 6: atypische Lebens¬lagen, die nicht bereits durch andere Vorschriften erfasst sind). Allerdings soll mit der Vorschrift unbenannten Notlagen von einigem Gewicht begegnet werden. Daher kann § 73 SGB XII nicht so verstanden werden, dass schon bei Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der im SGB XII benannten Hilfen die Hilfeleistung nach § 73 SGB XII zu erbringen ist (Senatsurteil vom 14. April 2011 - L 7 SO 850/10 -; Grube, a.a.O., Rdnr. 4). Vielmehr soll vermieden werden, dass ein den Grundrechtsbereich tangierender Bedarf ungedeckt bleibt, weil er sich den Kataloghilfen des § 8 SGB XII nicht zuordnen lässt. Die Übernahme von Schulden ist jedoch in § 36 SGB XII ausdrücklich als Hilfe vorgesehen. Sie wird lediglich an einschränkende, hier aus den genannten Gründen nicht erfüllte Voraussetzungen geknüpft. Damit ist der Anwendungsbereich des § 73 SGB XII nicht eröffnet. Darüber hinaus fehlt es auch hier wegen der Möglichkeiten des zivilprozessualen Pfändungsschutzes an der erforderlichen Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel in Form der Schuldenübernahme.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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