Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 4365/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3271/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1950 geborenen Kläger wurde vom Landratsamt R. - Versorgungsamt - (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 15.10.2007 der Grad der Behinderung (GdB) mit 80 neu sowie das Merkzeichen "G" weiterhin festgestellt.
Am 20.12.2007 beantragte der Kläger beim LRA die Erhöhung des GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (Berichte der O. Klinik vom 01.08.2007, 25.10.2007, 03.04.2008, 13.03.2008 und 10.04.2008, Befundbericht Dr. B. - ohne Datum -). Das LRA holte die gutachtliche Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes von Dr. H. vom 06.05.2008 ein. Mit Bescheid vom 19.05.2008 lehnte das LRA den Antrag des Klägers auf Neufeststellung des GdB sowie auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab.
Gegen den Bescheid vom 19.05.2008 legte der Kläger am 27.05.2008 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lägen vor. Das LRA holte den Befundschein von Dr. Wa. vom 10.10.2008 ein, der unter Vorlage eines Berichts des Universitätsklinikums T. vom 29.04.2008 mitteilte, beim Kläger bestehe sicherlich eine schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Hüft- und Kniegelenke, jedoch sei nach den Angaben der Kliniken therapeutisches Nordic-Walking möglich. Das LRA holte die weitere gutachtliche Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes von Dr. G. vom 04.11.2008 ein, in der wegen eines chronischen Schmerzsyndroms und einer Depression (Teil-GdB 50), Hüftgelenksendoprothesen beidseits, einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und beider Sprunggelenke (Teil-GdB 40), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Osteoporose und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), Ohrgeräusche beidseitig (Teil-GdB 10) und einer Polyarthrose, Fingerpolyarthrose (Teil-GdB 10) der Gesamt-GdB weiterhin mit 80 vorgeschlagen sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verneinte wurden. Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 20.11.2008 wurde der gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichtete Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lasse sich nicht begründen.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.12.2008 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG), mit dem Ziel, ihm das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Er berief sich zur Begründung auf die vom Beklagten zuerkannten Behinderungen. Weiter machte er Erstickungsanfälle und eine Herzerkrankung geltend. Der Kläger legte medizinische Befundunterlagen vor, zuletzt den Entlassungsbericht der O. Klinik vom 18.05.2011.
Das SG zog (auf Antrag des Klägers) die Gerichtsakte im Rentenrechtsstreit des Klägers - S 2 R 2798/08 - bei und nahm daraus Kopien zur Gerichtsakte (Bl. 26 bis 97).
Das SG hörte Dr. M. , den Arzt für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. Mo. und Professor Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. M. teilte in ihrer Stellungnahme vom 12.03.2010 unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen den Behandlungsverlauf, die bestehenden Gesundheitsstörungen und die erhobenen Befunde mit. Der Kläger sei nicht dem vom SG genannten Personenkreis gleichzustellen. Eine Gehstrecke von über 100 m sei dem Kläger zumutbar; nach den Angaben der Kliniken sei therapeutisches Walking möglich. Dr. Mo. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.02.2010 die Diagnosen und den Behandlungsverlauf mit, ohne sich zur Gehfähigkeit des Klägers zu äußern. Professor Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 21.06.2010 den Behandlungsverlauf, die Gesundheitsstörungen und die erhobenen Befunde mit. Der Kläger sei dem vom SG genannten Personenkreis nicht gleichzustellen. Nach Aktenlage gebe es keine greifbare Ursache, warum dem Kläger eine Gehstrecke von über 100 m nicht zumutbar sein sollte.
Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Gö. vom 26.05.2009 der Klage entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.06.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger gehöre nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Er sei diesem Personenkreis nach den medizinischen Befundunterlagen auch nicht gleichzustellen.
Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 22.07.2011 (beim SG) Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, er sei dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen. Sein behandelnder Arzt Dr. Ma. habe ihm erklärt, dass er nach dem seit 01.01.2011 geltenden Gleichstellungsgesetz die Erlaubnis, auf Behindertenparkplätzen zu parken, erhalten müsse. Er könne nur kürzeste Strecken unter enormen Schmerzen gehen. Er habe im Mai 2010 einen Herzinfarkt erlitten. Deshalb seien ihm 3 Stents eingesetzt worden. Der Kläger hat den Herzkatheter-Bericht der Kreiskliniken R. vom 22.06.2010 und den vorläufigen Entlassungsbericht vom 23.06.2010 sowie den Bericht der O. Klinik vom 04.11.2011 über eine stationäre Behandlung vom 17.10.2011 bis 16.11.2011 vorgelegt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" seit dem 20. Dezember 2007 festzustellen und den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2008 aufzuheben, soweit er entgegensteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat (auf Antrag des Klägers) den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ma. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. Ma. hat in seiner Stellungnahme vom 20.12.2011 die Diagnosen und Befunde mitgeteilt. Eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit/Gehfähigkeit auf neurologischem Gebiet habe nicht festgestellt werden können. Ebenso nicht, dass sich der Kläger praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeuges an nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten (zahlreichen) ärztlichen Unterlagen und der vom SG und Senat durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.Sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen.
Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht für den Senat fest, dass der Kläger dem genannten Personenkreis nicht gleichgestellt werden kann.
Dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und den vom SG und vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. M. vom 12.03.2010 und Professor Dr. W. vom 21.06.2010 an das SG sowie Dr. Ma. vom 20.12.2011 an den Senat nicht zu entnehmen. Dies wird im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Die Gehfähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats auch nicht auf das Schwerste so weit eingeschränkt, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann.
Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für den Nachteilsausgleich "aG" reichen irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R). Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, a.a.O.).
Den vorliegenden Befundunterlagen und den Angaben der im Verlaufe des Verfahrens als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte lassen sich die für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geforderte große körperliche Anstrengung beim Gehen nicht entnehmen. Das Gangbild des Klägers wird in zu den Akten gelangten ärztlichen Berichten als verlangsamt beschrieben, wobei es dem Kläger möglich ist, Gangvaria beidseits zu demonstrieren (Bericht des Universitätsklinikums T. vom 16.06.2008, Stellungnahme Professor Dr. W. vom 21.06.2010). Die (neurologische) Gang- und Koordinationsprüfung ergibt einen regelgerechten Befund (Stellungnahme Dr. Ma. vom 20.12.2011). Auch sonst besteht beim Kläger kein auffälliger neurologischer Befund (Berichte der O. Klinik vom 18.05.2011 und 17.06.2010, Stellungnahme Dr. Ma. vom 20.12.2011). Relevante Bewegungseinschränkungen der unteren Extremitäten (Hüft-, Knie- und Sprunggelenke) liegen beim Kläger nicht vor (Bericht des Universitätsklinikums T. vom 10.06.2008 und Stellungnahme Professor Dr. W. vom 21.06.2010). Diese beschriebene Gehbeeinträchtigung des Klägers mag die Zuerkennung des Merkzeichens "G" durch den Beklagten rechtfertigen. Eine außergewöhnliche, das Merkzeichen "aG" rechtfertigende, Gehbeeinträchtigung des Klägers kann damit aber nicht begründet werden, worauf auch Dr. Gö. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.05.2009 überzeugend hingewiesen hat. Auch sonst findet sich in den zahlreich zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen kein Hinweis dafür, dass beim Kläger Behinderungen vorliegen, die das Vorliegen einer in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit nachvollziehbar macht. Dem entspricht auch die Ansicht von Dr. M. , Professor Dr. W. und Dr. Ma. in ihren schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen, die in Beantwortung der Beweisfragen - im Ergebnis - übereinstimmend das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung beim Klägers verneint haben.
Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten medizinischen Befundunterlagen rechtfertigen keine andere, ihm günstigere Bewertung. So werden in dem Bericht der O. Klinik vom 04.11.2011 relevante funktionelle Bewegungseinschränkungen der unteren Extremitäten des Klägers (weiterhin) nicht beschrieben. Soweit der Kläger einen im Mai 2010 erlittenen Herzinfarkt mit notwendiger Stent-Implantation geltend macht, wird im Bericht der O. Klinik vom 17.06.2010 lediglich der dringende Verdacht auf eine KHK (ab 100 Watt Belastung) diagnostiziert. Nach dem Herzkatheter-Bericht des Klinikums am S. vom 22.06.2010 erfolgte an diesem Tag eine Rekanalisation/PTCA mit 3-facher Stent-Implantation einer verengten Kranzarterie jeweils auf 0 %. Dass beim Kläger wegen einer koronaren Herzerkrankung eine außergewöhnliche Gehbehinderung besteht, ist bei dieser Befundlage nicht greifbar und kann auch den sonst zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen nicht entnommen werden. Vor der Rekanalisation mit 3-facher Stent-Implantation war nach dem Entlassungsbericht vom 17.06.2010 eine pektanginöse Beschwerdesymptomatik erst bei einer Ergometerbelastungsstufe von 100 Watt aufgetreten (Herzkatheterbericht vom 22.06.2010, Entlassungsbericht Klinikum am S. vom 17.06.2010), was allenfalls Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung begründet (vgl. VG B 9.1.1) und somit eine Einschränkung für normales Gehen nicht beinhaltet. Eine relevante Beeinträchtigung des Gehvermögens wegen einer koronaren Herzerkrankung hat der Kläger im Übrigen auch nicht substantiiert dargetan. Entsprechendes gilt für vom Kläger geltend gemachte Erstickungsanfälle, die auch nicht ärztlich dokumentiert sind.
Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch die vom SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen geklärt. Neue Gesichtspunkte, die Anlass für weitere Ermittlungen geben, hat der Kläger im Verlauf des Berufungsverfahrens nicht aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1950 geborenen Kläger wurde vom Landratsamt R. - Versorgungsamt - (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 15.10.2007 der Grad der Behinderung (GdB) mit 80 neu sowie das Merkzeichen "G" weiterhin festgestellt.
Am 20.12.2007 beantragte der Kläger beim LRA die Erhöhung des GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (Berichte der O. Klinik vom 01.08.2007, 25.10.2007, 03.04.2008, 13.03.2008 und 10.04.2008, Befundbericht Dr. B. - ohne Datum -). Das LRA holte die gutachtliche Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes von Dr. H. vom 06.05.2008 ein. Mit Bescheid vom 19.05.2008 lehnte das LRA den Antrag des Klägers auf Neufeststellung des GdB sowie auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab.
Gegen den Bescheid vom 19.05.2008 legte der Kläger am 27.05.2008 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lägen vor. Das LRA holte den Befundschein von Dr. Wa. vom 10.10.2008 ein, der unter Vorlage eines Berichts des Universitätsklinikums T. vom 29.04.2008 mitteilte, beim Kläger bestehe sicherlich eine schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Hüft- und Kniegelenke, jedoch sei nach den Angaben der Kliniken therapeutisches Nordic-Walking möglich. Das LRA holte die weitere gutachtliche Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes von Dr. G. vom 04.11.2008 ein, in der wegen eines chronischen Schmerzsyndroms und einer Depression (Teil-GdB 50), Hüftgelenksendoprothesen beidseits, einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und beider Sprunggelenke (Teil-GdB 40), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Osteoporose und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), Ohrgeräusche beidseitig (Teil-GdB 10) und einer Polyarthrose, Fingerpolyarthrose (Teil-GdB 10) der Gesamt-GdB weiterhin mit 80 vorgeschlagen sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verneinte wurden. Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 20.11.2008 wurde der gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichtete Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lasse sich nicht begründen.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.12.2008 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG), mit dem Ziel, ihm das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Er berief sich zur Begründung auf die vom Beklagten zuerkannten Behinderungen. Weiter machte er Erstickungsanfälle und eine Herzerkrankung geltend. Der Kläger legte medizinische Befundunterlagen vor, zuletzt den Entlassungsbericht der O. Klinik vom 18.05.2011.
Das SG zog (auf Antrag des Klägers) die Gerichtsakte im Rentenrechtsstreit des Klägers - S 2 R 2798/08 - bei und nahm daraus Kopien zur Gerichtsakte (Bl. 26 bis 97).
Das SG hörte Dr. M. , den Arzt für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. Mo. und Professor Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. M. teilte in ihrer Stellungnahme vom 12.03.2010 unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen den Behandlungsverlauf, die bestehenden Gesundheitsstörungen und die erhobenen Befunde mit. Der Kläger sei nicht dem vom SG genannten Personenkreis gleichzustellen. Eine Gehstrecke von über 100 m sei dem Kläger zumutbar; nach den Angaben der Kliniken sei therapeutisches Walking möglich. Dr. Mo. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.02.2010 die Diagnosen und den Behandlungsverlauf mit, ohne sich zur Gehfähigkeit des Klägers zu äußern. Professor Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 21.06.2010 den Behandlungsverlauf, die Gesundheitsstörungen und die erhobenen Befunde mit. Der Kläger sei dem vom SG genannten Personenkreis nicht gleichzustellen. Nach Aktenlage gebe es keine greifbare Ursache, warum dem Kläger eine Gehstrecke von über 100 m nicht zumutbar sein sollte.
Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Gö. vom 26.05.2009 der Klage entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.06.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger gehöre nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Er sei diesem Personenkreis nach den medizinischen Befundunterlagen auch nicht gleichzustellen.
Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 22.07.2011 (beim SG) Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, er sei dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen. Sein behandelnder Arzt Dr. Ma. habe ihm erklärt, dass er nach dem seit 01.01.2011 geltenden Gleichstellungsgesetz die Erlaubnis, auf Behindertenparkplätzen zu parken, erhalten müsse. Er könne nur kürzeste Strecken unter enormen Schmerzen gehen. Er habe im Mai 2010 einen Herzinfarkt erlitten. Deshalb seien ihm 3 Stents eingesetzt worden. Der Kläger hat den Herzkatheter-Bericht der Kreiskliniken R. vom 22.06.2010 und den vorläufigen Entlassungsbericht vom 23.06.2010 sowie den Bericht der O. Klinik vom 04.11.2011 über eine stationäre Behandlung vom 17.10.2011 bis 16.11.2011 vorgelegt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" seit dem 20. Dezember 2007 festzustellen und den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2008 aufzuheben, soweit er entgegensteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat (auf Antrag des Klägers) den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ma. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. Ma. hat in seiner Stellungnahme vom 20.12.2011 die Diagnosen und Befunde mitgeteilt. Eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit/Gehfähigkeit auf neurologischem Gebiet habe nicht festgestellt werden können. Ebenso nicht, dass sich der Kläger praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeuges an nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten (zahlreichen) ärztlichen Unterlagen und der vom SG und Senat durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.Sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen.
Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht für den Senat fest, dass der Kläger dem genannten Personenkreis nicht gleichgestellt werden kann.
Dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und den vom SG und vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. M. vom 12.03.2010 und Professor Dr. W. vom 21.06.2010 an das SG sowie Dr. Ma. vom 20.12.2011 an den Senat nicht zu entnehmen. Dies wird im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Die Gehfähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats auch nicht auf das Schwerste so weit eingeschränkt, dass er sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann.
Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der Rechtsprechung des BSG dann gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für den Nachteilsausgleich "aG" reichen irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R). Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, a.a.O.).
Den vorliegenden Befundunterlagen und den Angaben der im Verlaufe des Verfahrens als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte lassen sich die für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geforderte große körperliche Anstrengung beim Gehen nicht entnehmen. Das Gangbild des Klägers wird in zu den Akten gelangten ärztlichen Berichten als verlangsamt beschrieben, wobei es dem Kläger möglich ist, Gangvaria beidseits zu demonstrieren (Bericht des Universitätsklinikums T. vom 16.06.2008, Stellungnahme Professor Dr. W. vom 21.06.2010). Die (neurologische) Gang- und Koordinationsprüfung ergibt einen regelgerechten Befund (Stellungnahme Dr. Ma. vom 20.12.2011). Auch sonst besteht beim Kläger kein auffälliger neurologischer Befund (Berichte der O. Klinik vom 18.05.2011 und 17.06.2010, Stellungnahme Dr. Ma. vom 20.12.2011). Relevante Bewegungseinschränkungen der unteren Extremitäten (Hüft-, Knie- und Sprunggelenke) liegen beim Kläger nicht vor (Bericht des Universitätsklinikums T. vom 10.06.2008 und Stellungnahme Professor Dr. W. vom 21.06.2010). Diese beschriebene Gehbeeinträchtigung des Klägers mag die Zuerkennung des Merkzeichens "G" durch den Beklagten rechtfertigen. Eine außergewöhnliche, das Merkzeichen "aG" rechtfertigende, Gehbeeinträchtigung des Klägers kann damit aber nicht begründet werden, worauf auch Dr. Gö. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.05.2009 überzeugend hingewiesen hat. Auch sonst findet sich in den zahlreich zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen kein Hinweis dafür, dass beim Kläger Behinderungen vorliegen, die das Vorliegen einer in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit nachvollziehbar macht. Dem entspricht auch die Ansicht von Dr. M. , Professor Dr. W. und Dr. Ma. in ihren schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen, die in Beantwortung der Beweisfragen - im Ergebnis - übereinstimmend das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung beim Klägers verneint haben.
Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten medizinischen Befundunterlagen rechtfertigen keine andere, ihm günstigere Bewertung. So werden in dem Bericht der O. Klinik vom 04.11.2011 relevante funktionelle Bewegungseinschränkungen der unteren Extremitäten des Klägers (weiterhin) nicht beschrieben. Soweit der Kläger einen im Mai 2010 erlittenen Herzinfarkt mit notwendiger Stent-Implantation geltend macht, wird im Bericht der O. Klinik vom 17.06.2010 lediglich der dringende Verdacht auf eine KHK (ab 100 Watt Belastung) diagnostiziert. Nach dem Herzkatheter-Bericht des Klinikums am S. vom 22.06.2010 erfolgte an diesem Tag eine Rekanalisation/PTCA mit 3-facher Stent-Implantation einer verengten Kranzarterie jeweils auf 0 %. Dass beim Kläger wegen einer koronaren Herzerkrankung eine außergewöhnliche Gehbehinderung besteht, ist bei dieser Befundlage nicht greifbar und kann auch den sonst zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen nicht entnommen werden. Vor der Rekanalisation mit 3-facher Stent-Implantation war nach dem Entlassungsbericht vom 17.06.2010 eine pektanginöse Beschwerdesymptomatik erst bei einer Ergometerbelastungsstufe von 100 Watt aufgetreten (Herzkatheterbericht vom 22.06.2010, Entlassungsbericht Klinikum am S. vom 17.06.2010), was allenfalls Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung begründet (vgl. VG B 9.1.1) und somit eine Einschränkung für normales Gehen nicht beinhaltet. Eine relevante Beeinträchtigung des Gehvermögens wegen einer koronaren Herzerkrankung hat der Kläger im Übrigen auch nicht substantiiert dargetan. Entsprechendes gilt für vom Kläger geltend gemachte Erstickungsanfälle, die auch nicht ärztlich dokumentiert sind.
Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch die vom SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen geklärt. Neue Gesichtspunkte, die Anlass für weitere Ermittlungen geben, hat der Kläger im Verlauf des Berufungsverfahrens nicht aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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