Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 5365/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5312/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das Landratsamt B.-H. - Versorgungsamt - (VA) mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.12.2007 einen GdB von 30 seit 19.01.2007 fest. Danach lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten (Teil-GdB 20), Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 20). Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2008 zurückgewiesen.
Am 06.07.2009 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und legte medizinische Unterlagen vor. Das VA holte Befundberichte des HNO-Arztes Dr. G. M. vom 14.07.2009 sowie der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. K. vom 20.07.2009 ein. Nach Auswertung dieser Arztberichte lehnte das VA mit Bescheid vom 11.08.2009 den Antrag des Klägers auf Neufeststellung des GdB ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die der letzten maßgeblichen Feststellung zugrunde gelegen hätten, sei nicht nachgewiesen. Als weitere Funktionsbeeinträchtigung liege eine Refluxkrankheit der Speiseröhre - operativ behandelt - vor, die den GdB jedoch nicht erhöhe. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Prostatavergrößerung, Divertikulose" bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderung im Sinne des SGB Neuntes Buch (SGB IX) dar.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte die Beiziehung ärztlicher Unterlagen von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen. Nach Abschluss ihrer Ermittlungen teilte die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft - Bezirksverwaltung H. - der Beklagten mit, mit Bescheid vom 12.08.2010 habe sie festgestellt, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 oder 2110 der Berufskrankheiten-Liste (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) bestehe. Die Beklagte zog das Gutachten des Orthopäden K. B., E., vom 12.06.2010 von der BG Verkehr bei.
Die Auswertung durch den Ärztlichen Dienst (Stellungnahme von Dr. M. vom 07.09.2010) ergab, dass die Funktionsbeeinträchtigungen "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten" mit 30 einzuschätzen sei, weshalb der GdB unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen "Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen - Teil-GdB 20 - und Refluxkrankheit der Speiseröhre operiert - Teil-GdB 10 - mit 40 zu beurteilen sei.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 15.09.2010 wurde der GdB mit 40 seit 06.07.2009 festgestellt. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 zurückgewiesen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 erhob der Kläger am 20.10.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) und machte geltend, sein Gesundheitszustand habe sich drastisch verschlechtert und er sei erwerbsunfähig geworden. Eine weitere Operation durch Versteifung einiger Wirbel sei wegen des damit verbundenen Risikos abgelehnt worden. Am 26.10.2010 teilte der Kläger dem SG mit, er sei nach G. umgezogen und seine neue Anschrift ab 29.10.2010 laute B. in G ... Das Land N. trat anstelle des bisherigen Beklagten in den Rechtsstreit ein.
Das SG hörte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-D. als sachverständige Zeugin an (Arztbericht vom 31.01.2011).
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, im Vordergrund der Behinderungen des Klägers stehe das Wirbelsäulenleiden. Hierbei handele es sich um einen Wirbelsäulenschaden in 1 Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule, wobei schwere funktionellen Auswirkungen vorlägen, die vom Beklagten zu Recht mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden seien. Das Vorbringen des Klägers, er habe behinderungsbedingt seinen Beruf als Kraftfahrer aufgeben müssen, könne bei der Feststellung des GdB nicht berücksichtigt werden, da der GdB ohne Rücksicht auf einen bestimmten Beruf festgestellt werde. Die Hörstörung mit Ohrgeräuschen rechtfertige keinen höheren Teil-GdB als 20. Dies ergebe sich aus den zuletzt aktenkundig gewordenen audiometrischen Untersuchungsergebnissen des HNO-Arztes Dr. M. vom 29.01.2005. Hinsichtlich der Refluxkrankheit liege als zeitlich letzter Befund der von Dr. K. vorgelegte Befundbericht des L.krankenhauses (Dr. S./Dr. W.) vom 11.10.2010 vor. Hier sei von einer leichten Refluxösophagitis und einer leichten Gastritis ohne Ulcerationen oder sonstige Komplikationen die Rede. Ein derartiger Befund rechtfertige einen Teil-GdB von 10. Insgesamt sei der GdB mit 40 zutreffend festgestellt worden.
Gegen den - dem Kläger gegen Zustellungsurkunde am 16.11.2011 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger mit dem beim SG am 24.11.2011 eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, ihm werde angelastet, keinen Arzt wegen seiner Bandscheibenprobleme in seiner neuen Niederlassung aufgesucht zu haben. Das sei richtig, aber er werde auch keinen Arzt bei seinem gegenwärtigen Befinden konsultieren. Es sei alles getan, was man habe tun können, eine weitere Operation sei auf sein Verlangen hin bis zum Eintritt in die Regelaltersrente abgelehnt worden. Hinsichtlich seines Hörvermögens höre er links so gut wie nichts, rechts sei es etwas besser. Wegen des Tinnitus sei er zur Kur gewesen, um zu lernen, damit umzugehen. Weitere Ärzte brauche er deswegen nicht aufzusuchen. Wegen der Speiseröhrenerkrankung sehe das anders aus, hier bleibe er in Behandlung. Er nehme Medikamente ein und müsse spätestens alle drei Jahre zur Spiegelung. Mittlerweile habe er den Chirurgen Dr. B. aufgesucht, der ihm mitgeteilt habe, eine weitere Operation durch Versteifen mittels Metallschiene sei unumgänglich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10. November 2011 aufzuheben sowie die Bescheide vom 11. August 2009 und vom 15. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen höheren Grad der Behinderung als 40 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Auf Antrag des Klägers ist Facharzt für Chirurgie B. als sachverständiger Zeuge angehört worden. Mit Schreiben vom 26.01.2012 hat er berichtet, der Kläger sei wegen Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Einschlafgefühl beider Beine am 15.12.2011 in seine Behandlung getreten. Der Kläger sei vor mehreren Jahren an einem Bandscheibenvorfall operativ versorgt worden. Bei der Untersuchung hätten sich beim Bestreichen der Haut keine auffälligen sensiblen Störungen gezeigt. Die grobe Kraft der unteren Extremitäten sei seitengleich ungemindert gewesen. Beide Beine hätten gestreckt kraftvoll von der Unterlage abgehoben werden können. Eine Fußheber-/Fußsenkerschwäche habe sich nicht gefunden. Der Beckenbereich habe keinerlei Druckschmerzen gezeigt. Im Lendenwirbelsäulenbereich habe sich eine reizlose langstreckige Narbe nach Operation eines Bandscheibenvorfalls gezeigt. Es sei eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule veranlasst worden, ein wieder aufgetretener Bandscheibenvorfall habe diese Untersuchung jedoch nicht ergeben. Der schriftlichen Aussage ist der radiologische Befundbericht des Dr. M. vom 09.01.2012 beigefügt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB‘s als 40.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass nun insoweit die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).
Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers mit einem GdB von 40 angemessen bewertet sind. Der Senat kommt nach Würdigung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen zu demselben Ergebnis und nimmt zur Begründung seiner Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Die Anhörung des Facharztes für Chirurgie C. B. durch den Senat hat ergeben, dass dieser die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden nicht hat bestätigen können. Aus seinem Bericht vom 26.01.2012 ist zu entnehmen, dass sich beim Bestreichen der Haut des Klägers keine auffälligen sensiblen Störungen gezeigt haben, dass die Kraft der unteren Extremitäten seitengleich ungemindert gewesen ist, dass beide Beine gestreckt kraftvoll von der Unterlage abgehoben werden können und dass sich eine Fußheber-/Fußsenkerschwäche nicht gezeigt habe. Auch die von ihm veranlasste Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule hat keinen zusätzlichen Befund ergeben. Es lag kein Prolapsrezidiv vor, kein Wirbelgleiten und auch keine Spinalstenose in den operierten Segmenten. Auch ein wurzelkomprimierender Prozess konnte nicht nachgewiesen werden. Unter Berücksichtigung dieser Befunde erscheint die Funktionsbeeinträchtigung "degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten" mit einem Teil-GdB von 30 als großzügig bemessen.
Soweit der Kläger mit Schreiben vom 19.02.2012 vorgebracht hat, die neuen Untersuchungen würden erst anlaufen und er habe Behandlungstermine am 15.03.2012 und am 20.03.2012, ist zu beachten, dass die noch zu erwartenden Ergebnisse der vom Kläger neu begonnenen Behandlungen im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden können. Zum einen liegen von den Behandlungen im März 2012 keine Befunde vor - solche wurden auch bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht eingereicht - und zum anderen bleiben die neu begonnenen Behandlungen abzuwarten, ob sich nach Abschluss der Behandlungen eine Änderung der Befundlage (Besserung oder Verschlechterung) ergeben wird. Sollte sich in der Zukunft herausstellen, dass nach den im März 2012 begonnenen Behandlungen beim Kläger eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten ist, die unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 1 SGB IX länger als sechs Monate andauert und es sich hierbei somit nicht um eine nur vorübergehende Verschlimmerung handelt, so ist es dem Kläger unbenommen, dann einen dementsprechenden Verschlimmerungsantrag zu stellen. § 2 Abs. 1 SGB IX sieht nämlich vor, dass Funktionsbeeinträchtigungen dann zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht nur vorübergehender Art sind, sondern länger als sechs Monate anhalten. Bei dieser Ausgangslage hat sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst gesehen.
Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das Landratsamt B.-H. - Versorgungsamt - (VA) mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.12.2007 einen GdB von 30 seit 19.01.2007 fest. Danach lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten (Teil-GdB 20), Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 20). Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2008 zurückgewiesen.
Am 06.07.2009 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und legte medizinische Unterlagen vor. Das VA holte Befundberichte des HNO-Arztes Dr. G. M. vom 14.07.2009 sowie der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. K. vom 20.07.2009 ein. Nach Auswertung dieser Arztberichte lehnte das VA mit Bescheid vom 11.08.2009 den Antrag des Klägers auf Neufeststellung des GdB ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die der letzten maßgeblichen Feststellung zugrunde gelegen hätten, sei nicht nachgewiesen. Als weitere Funktionsbeeinträchtigung liege eine Refluxkrankheit der Speiseröhre - operativ behandelt - vor, die den GdB jedoch nicht erhöhe. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Prostatavergrößerung, Divertikulose" bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderung im Sinne des SGB Neuntes Buch (SGB IX) dar.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte die Beiziehung ärztlicher Unterlagen von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen. Nach Abschluss ihrer Ermittlungen teilte die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft - Bezirksverwaltung H. - der Beklagten mit, mit Bescheid vom 12.08.2010 habe sie festgestellt, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 oder 2110 der Berufskrankheiten-Liste (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) bestehe. Die Beklagte zog das Gutachten des Orthopäden K. B., E., vom 12.06.2010 von der BG Verkehr bei.
Die Auswertung durch den Ärztlichen Dienst (Stellungnahme von Dr. M. vom 07.09.2010) ergab, dass die Funktionsbeeinträchtigungen "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten" mit 30 einzuschätzen sei, weshalb der GdB unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen "Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen - Teil-GdB 20 - und Refluxkrankheit der Speiseröhre operiert - Teil-GdB 10 - mit 40 zu beurteilen sei.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 15.09.2010 wurde der GdB mit 40 seit 06.07.2009 festgestellt. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 zurückgewiesen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 erhob der Kläger am 20.10.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) und machte geltend, sein Gesundheitszustand habe sich drastisch verschlechtert und er sei erwerbsunfähig geworden. Eine weitere Operation durch Versteifung einiger Wirbel sei wegen des damit verbundenen Risikos abgelehnt worden. Am 26.10.2010 teilte der Kläger dem SG mit, er sei nach G. umgezogen und seine neue Anschrift ab 29.10.2010 laute B. in G ... Das Land N. trat anstelle des bisherigen Beklagten in den Rechtsstreit ein.
Das SG hörte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-D. als sachverständige Zeugin an (Arztbericht vom 31.01.2011).
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, im Vordergrund der Behinderungen des Klägers stehe das Wirbelsäulenleiden. Hierbei handele es sich um einen Wirbelsäulenschaden in 1 Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule, wobei schwere funktionellen Auswirkungen vorlägen, die vom Beklagten zu Recht mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden seien. Das Vorbringen des Klägers, er habe behinderungsbedingt seinen Beruf als Kraftfahrer aufgeben müssen, könne bei der Feststellung des GdB nicht berücksichtigt werden, da der GdB ohne Rücksicht auf einen bestimmten Beruf festgestellt werde. Die Hörstörung mit Ohrgeräuschen rechtfertige keinen höheren Teil-GdB als 20. Dies ergebe sich aus den zuletzt aktenkundig gewordenen audiometrischen Untersuchungsergebnissen des HNO-Arztes Dr. M. vom 29.01.2005. Hinsichtlich der Refluxkrankheit liege als zeitlich letzter Befund der von Dr. K. vorgelegte Befundbericht des L.krankenhauses (Dr. S./Dr. W.) vom 11.10.2010 vor. Hier sei von einer leichten Refluxösophagitis und einer leichten Gastritis ohne Ulcerationen oder sonstige Komplikationen die Rede. Ein derartiger Befund rechtfertige einen Teil-GdB von 10. Insgesamt sei der GdB mit 40 zutreffend festgestellt worden.
Gegen den - dem Kläger gegen Zustellungsurkunde am 16.11.2011 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger mit dem beim SG am 24.11.2011 eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, ihm werde angelastet, keinen Arzt wegen seiner Bandscheibenprobleme in seiner neuen Niederlassung aufgesucht zu haben. Das sei richtig, aber er werde auch keinen Arzt bei seinem gegenwärtigen Befinden konsultieren. Es sei alles getan, was man habe tun können, eine weitere Operation sei auf sein Verlangen hin bis zum Eintritt in die Regelaltersrente abgelehnt worden. Hinsichtlich seines Hörvermögens höre er links so gut wie nichts, rechts sei es etwas besser. Wegen des Tinnitus sei er zur Kur gewesen, um zu lernen, damit umzugehen. Weitere Ärzte brauche er deswegen nicht aufzusuchen. Wegen der Speiseröhrenerkrankung sehe das anders aus, hier bleibe er in Behandlung. Er nehme Medikamente ein und müsse spätestens alle drei Jahre zur Spiegelung. Mittlerweile habe er den Chirurgen Dr. B. aufgesucht, der ihm mitgeteilt habe, eine weitere Operation durch Versteifen mittels Metallschiene sei unumgänglich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10. November 2011 aufzuheben sowie die Bescheide vom 11. August 2009 und vom 15. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen höheren Grad der Behinderung als 40 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Auf Antrag des Klägers ist Facharzt für Chirurgie B. als sachverständiger Zeuge angehört worden. Mit Schreiben vom 26.01.2012 hat er berichtet, der Kläger sei wegen Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Einschlafgefühl beider Beine am 15.12.2011 in seine Behandlung getreten. Der Kläger sei vor mehreren Jahren an einem Bandscheibenvorfall operativ versorgt worden. Bei der Untersuchung hätten sich beim Bestreichen der Haut keine auffälligen sensiblen Störungen gezeigt. Die grobe Kraft der unteren Extremitäten sei seitengleich ungemindert gewesen. Beide Beine hätten gestreckt kraftvoll von der Unterlage abgehoben werden können. Eine Fußheber-/Fußsenkerschwäche habe sich nicht gefunden. Der Beckenbereich habe keinerlei Druckschmerzen gezeigt. Im Lendenwirbelsäulenbereich habe sich eine reizlose langstreckige Narbe nach Operation eines Bandscheibenvorfalls gezeigt. Es sei eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule veranlasst worden, ein wieder aufgetretener Bandscheibenvorfall habe diese Untersuchung jedoch nicht ergeben. Der schriftlichen Aussage ist der radiologische Befundbericht des Dr. M. vom 09.01.2012 beigefügt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB‘s als 40.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass nun insoweit die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).
Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers mit einem GdB von 40 angemessen bewertet sind. Der Senat kommt nach Würdigung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen zu demselben Ergebnis und nimmt zur Begründung seiner Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Die Anhörung des Facharztes für Chirurgie C. B. durch den Senat hat ergeben, dass dieser die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden nicht hat bestätigen können. Aus seinem Bericht vom 26.01.2012 ist zu entnehmen, dass sich beim Bestreichen der Haut des Klägers keine auffälligen sensiblen Störungen gezeigt haben, dass die Kraft der unteren Extremitäten seitengleich ungemindert gewesen ist, dass beide Beine gestreckt kraftvoll von der Unterlage abgehoben werden können und dass sich eine Fußheber-/Fußsenkerschwäche nicht gezeigt habe. Auch die von ihm veranlasste Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule hat keinen zusätzlichen Befund ergeben. Es lag kein Prolapsrezidiv vor, kein Wirbelgleiten und auch keine Spinalstenose in den operierten Segmenten. Auch ein wurzelkomprimierender Prozess konnte nicht nachgewiesen werden. Unter Berücksichtigung dieser Befunde erscheint die Funktionsbeeinträchtigung "degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten" mit einem Teil-GdB von 30 als großzügig bemessen.
Soweit der Kläger mit Schreiben vom 19.02.2012 vorgebracht hat, die neuen Untersuchungen würden erst anlaufen und er habe Behandlungstermine am 15.03.2012 und am 20.03.2012, ist zu beachten, dass die noch zu erwartenden Ergebnisse der vom Kläger neu begonnenen Behandlungen im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden können. Zum einen liegen von den Behandlungen im März 2012 keine Befunde vor - solche wurden auch bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht eingereicht - und zum anderen bleiben die neu begonnenen Behandlungen abzuwarten, ob sich nach Abschluss der Behandlungen eine Änderung der Befundlage (Besserung oder Verschlechterung) ergeben wird. Sollte sich in der Zukunft herausstellen, dass nach den im März 2012 begonnenen Behandlungen beim Kläger eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten ist, die unter Berücksichtigung von § 2 Abs. 1 SGB IX länger als sechs Monate andauert und es sich hierbei somit nicht um eine nur vorübergehende Verschlimmerung handelt, so ist es dem Kläger unbenommen, dann einen dementsprechenden Verschlimmerungsantrag zu stellen. § 2 Abs. 1 SGB IX sieht nämlich vor, dass Funktionsbeeinträchtigungen dann zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht nur vorübergehender Art sind, sondern länger als sechs Monate anhalten. Bei dieser Ausgangslage hat sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst gesehen.
Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
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