L 11 AS 150/12 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1336/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 150/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.02.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig sind im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes insbesondere höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller (ASt) leidet an Diabetes mellitus und Neurodermitis. Bis einschließlich März 2010 berücksichtigte der Antragsgegner (Ag) einen Mehrbedarf für Ernährung iHv 25,56 EUR. Die Unterkunftskosten des ASt betragen monatlich 474 EUR (358 EUR Rohmiete, 101 EUR kalte Nebenkosten und 15 EUR Kaltwasser), für Heizkosten inklusive Warmwasserzubereitung muss er nach eigenen Angaben monatlich 89 EUR als Abschlag zahlen. Hinsichtlich der Unterkunftskosten wies der Ag mit Schreiben vom 26.10.2010 und am 09.11.2010 darauf hin, diese lägen über der Mietobergrenze von 356 EUR und würden in tatsächlicher Höhe nur noch für sechs Monate übernommen. Im Hinblick auf vom ASt nachgewiesene Umzugsbemühungen berücksichtige der Ag bis einschließlich September 2011 die tatsächlichen Mietkosten (Bescheid vom 24.03.2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.04.2011 und 12.05.2011).

Mit Bescheid vom 28.09.2011 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2011) bewilligte der Ag für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.03.2012 Alg II iHv monatlich 789,26 EUR (364 EUR Regelbedarf und 425,46 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung). Über die dagegen vom ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) eingelegte Klage (Az: S 6 AS 1381/11) ist bislang nicht entschieden.

Bereits am 06.10.2011 hat der ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die von ihm erwarteten Leistungen iHv monatlich 987,72 EUR seien nicht in voller Höhe bewilligt und ausgezahlt worden. Der Regelbedarf sei zu niedrig angesetzt und die Kosten für Unterkunft und Heizung seien in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Ihm seien Leistungen für einen besonderen Bedarf im Hinblick auf die Neurodermitis und die Diabetes-Erkrankung sowie nicht vollständig vom Regelsatz gedeckte Aufwendungen für Mobilität, Wohnen, Strom und Gesundheitspflege zu gewähren. Die ihm vorenthaltenen Beträge seien nach Rechtskraft der endgültigen Entscheidung zu verzinsen.

Mit Beschluss vom 07.02.2012 hat das SG den Ag verpflichtet, vorläufig für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.03.2012 monatlich 393,80 EUR für die Kosten der Unterkunft und 89 EUR für die Kosten der Heizung bei der Leistungsgewährung zugrunde zu legen sowie ab dem 01.01.2012 einen Regelbedarf von 374 EUR zu gewähren. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Die Neuregelung der existenzsichernden Leistungen entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings seien ab 01.01.2012 monatlich 374 EUR für den Regelbedarf zu berücksichtigen. Bezüglich der Unterkunftskosten fehle es an einem schlüssigen Konzept zur Ermittlung der Mietobergrenzen iSd Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Es ergebe sich somit ein Anspruch in Höhe des durch einen Zuschlages (ca. 10 %) maßvoll erhöhten Tabellenwertes aus § 12 Wohngeldgesetz. Hieraus folge vorliegend ein Betrag von 393,80 EUR. Der Abschlag von 89 EUR für die Fernwärme sei in voller Höhe zu berücksichtigen, da mangels technischer Einrichtungen keine nachvollziehbaren, getrennten Werte für Heiz- und Warmwasserkosten ermittelt werden könnten. Leistungen für besondere Bedarfe stünden dem ASt nicht zu, da diese mit dem Ansatz im Regelbedarf als abgegolten gelten. Anfallende Mehrkosten seien durch Einsparungen in anderen Lebensbereichen zu decken. Bei den Kosten für Medikamente, Fahrtkosten zu Behandlungen etc sei zudem auf Ansprüche gegen die Krankenkasse zu verweisen. Das Vorliegen eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändigere Ernährung aufgrund einer Erkrankung an Diabetes mellitus und Neurodermitis sei derzeit noch ungeklärt. Der ASt habe sich bereit erklärt, ein vom Ag in Auftrag gegebenes Gutachten abzuwarten, weshalb insofern ein Anordnungsgrund fehle. Über Zinsansprüche sei noch nicht zu entscheiden, da Zinsen erst ab Rechtskraft der endgültigen Entscheidung gefordert würden.

Dagegen hat der ASt Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er begehre Unterkunftskosten iHv 438 EUR, einen Fernwärmeabschlag iHv 89 EUR, einen Frischwasserzuschlag iHv 15 EUR, Leistungen für besondere Bedarfe, die Stattgabe seiner im Widerspruch gestellten Anträge, Zinsen iHv 150 EUR und den zusätzlichen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung iHv 76,69 EUR monatlich rückwirkend zum 01.10.2010. Der Kaltmietzins von 358 EUR sei unter Berücksichtigung des Nürnberger Mietspiegels angemessen. Eine Unterkunftsalternative sei nicht vorhanden. Die Frischwasserkosten von 15 EUR seien extra zu übernehmen. Die Berechnung der neuen Regelsätze sei unzutreffend. Man habe eine unzutreffenden Anteil der Bevölkerung zur Ermittlung herangezogen und die Teuerungsrate nicht hinreichend mit einbezogen. Die EVS 2008 berücksichtige an verschiedenen Stellen nur einen geringeren Anteil der Ausgaben als die EVS 2003. Ihm sei zudem "ein kostenloser Anwalt" abgelehnt worden und der Dolmetscher habe kein Wort übersetzen können.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Eine Verpflichtung des Ag zur Gewährung von weiteren, über die vom SG zugesprochenen Leistungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kommt nicht in Betracht. Insofern hat das SG den Antrag des ASt im Übrigen zu Recht abgelehnt.

Zutreffend hat das SG darauf verwiesen, dass Streitgegenstand - im Hinblick auf das zugehörige Hauptsacheverfahren den Bescheid vom 28.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2011 betreffend - der Leistungszeitraum vom 01.10.2011 bis 31.03.2012 ist (vgl dazu Beschluss des Senats vom 25.05.2011 – L 11 AS 328/11 B ER).

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist § 86b Abs 2 Satz 2 SGG.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl,
Rn 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl, § 86b Rn 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Sofern der ASt mit seiner Beschwerde weitere Leistungen für die Vergangenheit begehrt, fehlt es bereits am Anordnungsgrund.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist aber der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn. 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - juris). Beides ist vorliegend nicht der Fall, denn der ASt hat nichts zu einer existenzbedrohenden Notlage darlegt, die es durch eine umgehende Nachzahlung von Leistungen zu beseitigen gilt und die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte.

Auch im Hinblick laufende Leistungen (bis 31.03.2012) fehlt es an einem Anordnungsgrund bzw Anordnungsanspruch.

Für die geltend gemachten Leistungen für besondere Bedarfe fehlt es an einem Anordnungsgrund. Die vom ASt genannten Bedarfe werden vom Regelbedarf umfasst und gelten somit als abgegolten. Das SG hat dies zutreffend ausgeführt. Diesbezüglich wird von einer weiteren Begründung abgesehen und auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen, § 142 Abs 2 Satz 3 SGG. Anhaltspunkte für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf iSv § 21 Abs 6 SGB II gibt es nicht.

Ebenso ist ein Mehrbedarf im Hinblick auf die Diabetes- und die Neurodermitis-Erkrankung nicht glaubhaft gemacht. Zwar werden ärztlicherseits entsprechende Erkrankungen bestätigt, es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte, in welcher Höhe hierbei höhere Kosten entstehen sollen. Konkretes wird vom ASt nicht vorgetragen. Im Übrigen hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (DV) in seinen "Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" vom 01.10.2008 die geänderten diätetischen Grundlagen des "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner nachvollzogen (Empfehlungen 2008, S 15f) und für eine Vielzahl von Krankheiten eine Vollkost als diätetisch ausreichend angesehen. Demnach ist in der Regel für Erkrankungen wie u.a. Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit - Typ II und Typ I, konventionell und intensiviert konventionell behandelt) ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen und die im Regelsatz enthaltene Vollkost ausreichend (vgl dazu auch Urteil des Senats vom 16.10.2008 - L 11 AS 337/06). Anhaltspunkte für eine Abweichung von diesem Regelfall sind vorliegend weder erkennbar noch vorgetragen. Im Übrigen hat sich der Antragsgegner zu einer weitergehenden Prüfung, ob unter medizinischen Aspekten ein Mehrbedarf besteht, bereit erklärt. Ein Ergebnis liegt offenbar noch nicht vor.

Im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft ist der Anordnungsanspruch als offen anzusehen. Der Ag hat bereits die tatsächlichen Nebenkosten von monatlich 101 EUR und die Frischwasserkosten iHv 15 EUR berücksichtigt. Ursprünglich hatte er jedoch bei der Rohmiete nur 240 EUR angesetzt. Unter Berücksichtigung der vom Ag nicht mit einer Beschwerde angegriffenen Verpflichtung durch das SG zur Erhöhung der Unterkunftskosten auf 393,80 EUR monatlich ergibt sich noch eine ungedeckte tatsächliche Miete iHv 80,20 EUR (358 EUR - 277,80 EUR). Allerdings konnte das SG nicht auf die Tabellenwerte zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) mit einem 10%-igen Sicherheitszuschlag für die Bestimmung der angemessenen Miete abstellen. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, jedoch erst dann möglich, wenn nachvollziehbar dargelegt wird, warum ein schlüssiges Konzept auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse und Daten nicht entwickelt werden kann (vgl dazu BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Terminsmitteilung; allgemein dazu: Urteil des Senats vom 20.12.2011 - L 11 AS 608/09). Demgegenüber steht aber auch nicht zur Überzeugung des Senats mit hinreichender Sicherheit fest, dass es tatsächlich - wie vom ASt behauptet - keine angemessene Unterkunft mit einem Mietpreis von bis zu 393,80 EUR inklusive der kalten Nebenkosten im sozialen Umfeld des ASt geben soll. Da insofern vom SG im Rahmen des Hauptsacheverfahrens noch umfassende Ermittlungen zur angemessenen Miethöhe (unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG zu einem Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten) und der Verfügbarkeit von diesbezüglichen Wohnungen für den ASt anzustellen sind, muss von offenen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ausgegangen werden.

Allerdings dürfte es vorliegend an einem Anordnungsgrund fehlen. Vorliegend läuft der streitgegenständliche Zeitraum nur bis einschließlich 31.03.2012. Die Akten und die Stellungnahme des Ag gingen hier bei Gericht erst am 06.03.2012 ein. Der Senat war insofern gehindert, vor diesem Zeitpunkt zu entscheiden. Am 06.03.2012 dürfte jedoch die Miete vom ASt an seinen Vermieter für März 2012 bereits entrichtet worden sein. Mithin würde es sich bezüglich der Unterkunftskosten alleine um Leistungen für die Vergangenheit handeln, für die - wie oben bereits dargelegt - keine Eilbedürftigkeit angenommen werden kann. Dies kann aber dahinstehen, da eine weitergehende Verpflichtung des Ag jedenfalls am Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache scheitert. Im Rahmen eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist es gerechtfertigt, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, einen Abschlag bei der begehrten Leistung je nach Einzelfall bis zu einer Höhe von 30 vom Hundert des Regelbedarfes vorzunehmen (vgl dazu bereits Beschluss des Senats vom 18.04.2007 - L 11 B 878/06 AS ER; generell zur Zulässigkeit eines Abschlags: BVerfG, Breith 2005, 803). Damit ist die Grenze des Unerlässlichen noch gewahrt (vgl. dazu Conradis in: LPK-SGB II, 2. Auflage, § 43 Rn 16). Auch lässt das Gesetz in bestimmten Fällen Aufrechnungen im Umfange von bis 30 vom Hundert des Regelsatzes in einem zeitlichen Umfang von bis zu drei Jahren zu (§ 43 Abs 2 und 4 SGB II). Vorliegend liegt die Differenz der tatsächlichen zur - nach dem Beschluss des SG - berücksichtigten Miete im Bereich von ca. 20% des Regelbedarfes. Ein Abschlag in diesem Umfang ist vorliegend angezeigt. Die Nichtverfügbarkeit einer Unterkunft für eine Person im Bereich der Stadt A-Stadt mit einer Miete von 393,80 EUR inklusive der kalten Nebenkosten, das Vorliegen von Mietrückständen oder das Drohen einer Kündigung sind weder offensichtlich noch vom ASt hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Die Übernahme des vom ASt begehrten Heizkostenabschlages iHv monatlich 89 EUR hat das SG bereits in seinem Beschluss berücksichtigt und insofern den Ag zur vorläufigen Übernahme dieser Kosten in tatsächlicher Höhe verpflichtet.

Im Hinblick auf den Regelbedarf hat das SG zutreffend den Ag verpflichtet, insofern ab 01.01.2012 einen Betrag von 374 EUR zu berücksichtigen. An der Verfassungsmäßigkeit der Neuberechnung der Regelbedarfe bestehen nach Ansicht des Senats keine durchgreifenden Zweifel. Dabei hat sich der Gesetzgeber an die Vorgaben der Urteile des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) gehalten (vgl dazu die Begründung des Regelbedarfs- und Ermittlungsgesetzes in BT-Drucks. 17/3404, S 42 ff). Eine materielle Kontrolle des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (vgl Beschluss des Senats vom 12.10.2011 - L 11 AS 686/11 B PKH). Der vom Gesetzgeber festgelegte Regelbedarf von monatlich 374 EUR kann zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums eines Alleinstehenden nicht als evident unzureichend angesehen werden. Die Festlegung des Regelbedarfes mittels des Statistikmodells ist vom BVerfG ebenso wenig beanstandet worden wie die Tatsache, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben nicht vollständig, sondern als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz (oder auch gar nicht) in die Bemessung der Regelleistung einfließen. Die Entscheidung, Ausgaben für bestimmte Dinge, wie zB für Alkohol nicht zu berücksichtigen, ist rein politischer Art und in verfassungsrechtlicher Hinsicht vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt (vgl Beschluss des Senats aaO mit Verweis auf BayLSG, Beschluss vom 10.08.2011 - L 16 AS 305/11 NZB - NZS 2011, 916). Einzelne Punkte der Ermittlung des neuen Regelbedarfs werden politisch unterschiedlich bewertet. Dies darf aber nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die getroffene Regelung verfassungswidrig ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 05.07.2011 - L 7 AS 334/11 B PKH). Auch die neue Wahl der Referenzgruppe durch den Gesetzgeber ist nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber konnte dabei davon ausgehen, dass die Wahl der untersten 15% bei den Einpersonenhaushalten die Gruppe der Bezieher von geringen Einkommen möglichst breit erfasst und statistisch zuverlässige Daten erlangt werden (vgl dazu im Einzelnen BayLSG, Urteil vom 10.08.2011, aaO). In jedem Fall ist aber mangels evidenter Verfassungswidrigkeit davon auszugehen, dass der notwendige Lebensunterhalt mit einem Regelbedarf von 374 EUR monatlich gedeckt werden kann. Ein Anordnungsgrund im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes kann insofern schon gar nicht erkannt werden.

Bezüglich des Verweises des ASt auf seine (übrigen) Anträge im Widerspruchsverfahren ist festzustellen, dass das SG - es hat im Hinblick auf die Äußerungen des ASt im Erörterungstermin den Antrag dahingehend ausgelegt, dass zusammengefasst ein höheres Alg II begehrt wird - hierüber nicht entschieden hat. Sie sind damit auch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Da eine Einbeziehung auch weder prozessökonomisch erscheint, noch der Ag sich entsprechend eingelassen hat, war diesbezüglich nicht zu befinden. Im Übrigen wäre auch mangels konkretem Vortrag zu einer möglichen Rechtsbeeinträchtigung, für die es einer Regelung im einstweiligen Rechtsschutz bedarf, in Bezug auf die vorgebrachten Zweifel der Rechtmäßigkeit einer Verordnungsermächtigung bei Unterkunftskosten, dem Zwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung, von Arbeitsgelegenheiten und der sofortigen Vollziehbarkeit zumindest kein Anordnungsgrund erkennbar.

Im Hinblick auf die begehrten Zinsen iHv 150 EUR fehlt es jedenfalls schon am Anordnungsgrund, da in keinster Weise eine Eilbedürftigkeit diesbezüglich erkennbar ist und dem ASt ein Abwarten eines etwaigen Hauptsacheverfahrens zumutbar ist.

Soweit der ASt darauf verweist, es sei ihm kein "kostenloser Anwalt" gewährt worden, ist festzustellen, dass ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes beim SG nicht gestellt worden ist. Dass es im Hinblick auf die Dolmetschertätigkeit im Rahmen des Erörterungstermins beim SG Probleme gegeben haben könnte, ist nicht ersichtlich. Der Niederschrift über die Sitzung ist kein entsprechender Hinweis zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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