S 6 KR 1389/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 1389/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten. 3. Der Streitwert wird auf 782,74 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Behandlung eines Versicherten der Beklagten in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär erfolgt und entsprechend zu vergüten ist.

Die Klägerin nahm in einem von ihr betriebenen Krankenhaus den bei der Beklagten krankenversicherten Herrn J.K. (geb. XXXXX1940, i.F.: Patient) am 01.08.2005 um 08.52 Uhr auf. Zugrunde lag eine Verordnung der behandelnden Internistin, die als Diagnosen Schlafapnoe, Atmungsstörung und Einschlafneigung nannte. Der Patient wurde einer orientierenden Aufnahmeuntersuchung unterzogen und füllte insbesondere einen Fragebogen zur Schlafapnoe-Diagnostik aus; weitere Befunde hatten bereits vorgelegen. Zwischen 21.49 Uhr und 5.29 Uhr wurde eine Polysomnografie durchgeführt. Diagnostiziert wurden ein Zustand nach Hirninsult im Mai 2005, Bluthochdruck, eine koronare Herzkrankheit und eine leichte schlafbezogene Atmungsstörung mit Einschlafneigung. Ein Schlafapnoesyndrom wurde ausgeschlossen. Die Entlassung erfolgte am 02.08.2005.

Die Beklagte schaltete noch vor Erhalt einer Rechnung im August 2005 den MDK ein, der in seinem Gutachten vom 28.07.2006 zu dem Ergebnis kam, die Untersuchung habe auch ambulant durchgeführt werden können. Die mit Rechnung vom 22.10.2006 geforderte Vergütung i.H.v. 790,62 Euro zahlte die Beklagte zunächst, "verrechnete" jedoch den Betrag später wieder.

Am 21.12.2009 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie führt aus, von der Möglichkeit einer ambulanten kardiorespiratorischen Polysomnografie könne keine Rede sein, da eine solche Untersuchung nur durchgeführt werden könne, während der Patient schläft. Ambulant schlafen sei allerdings ein Widerspruch in sich.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 782,74 Euro nebst 5 Prozent Zinsen seit dem 07.06.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt unter Berufung auf ein weiteres Gutachten des MDK vom 10.05.2010 aus, die kardiorespiratorische Polysomnografie habe ohne Weiteres auch ambulant durchgeführt werden können, wie es von verschiedenen niedergelassenen Ärzten angeboten werde. Wesentliche über die Polysomnografie hinausgehende Untersuchungen oder Behandlungen, die einen stationären Aufenthalt erforderlich gemacht hätten, seien nicht erkennbar.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte sowie die beigezogene Krankenakte der Klägerin verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klage ist statthaft als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz, SGG); sie ist nicht fristgebunden und eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung einer stationären Behandlung (dazu A) oder einer vorstationären Behandlung (dazu B). Ein Anspruch auf Vergütung der Behandlung als nicht-stationäre ist nicht fällig, da ihn die Klägerin bislang nicht beziffert hat.

A.) Eine stationäre Behandlung hat nicht vorgelegen.

I.) Es kann dahinstehen, ob aus der Tatsache, dass dieselbe Untersuchung auch ambulant hätte durchgeführt werden können (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung, SGB V) bereits eine Ausschluss der Qualifizierung dieser Behandlung als stationär folgt oder ob es "nur" an der Erforderlichkeit der stationären Behandlung fehlt. Beides hat dieselbe Rechtsfolge, nämlich den Ausschluss eines Vergütungsanspruchs (§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch des versicherten Patienten sowie weiter i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen, Krankenhausentgeltgesetz, KHEntgG).

II.) Polysomnografien müssen nicht unter vollstationären Bedingungen in einem Krankenhaus durchgeführt werden (so bereits SG Dortmund, Urteil vom 13.06.2002, S 13 (8) KR 295/01).

1.) Jedenfalls seit dem Jahr 2004 sind Polysomnografien auch in zugelassenen Schlaflaboren ambulant möglich (ausführlich hierzu und zum Folgenden SG Braunschweig, Urteil vom 07.09.2010, S 40 KR 532/07, insoweit bestätigt durch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.07.2011, L 1 KR 501/10). Als Gründe für eine vollstationäre Polysomnografie kommen nach der "Arbeitshilfe schlafbezogene Atmungsstörungen" der sozialmedizinischen Expertengruppe "Versorgungsstrukturen" des MDK vom September 2006 im Regelfall nur eine schwere psychische Erkrankung, eine bekannte, medikamentös unzureichend eingestellte Epilepsie und ein bekannter erhöhter Pflegebedarf in Betracht.

2.) Das Gericht kann offenlassen, inwieweit es derlei Arbeitshilfen Bindungswirkung beimisst. Jedenfalls ist aus der gesamten beigezogenen Krankenakte nichts erkennbar, was für die Notwendigkeit einer (allgemein für eine stationäre Krankenhausbehandlung typischen) intensiven, aktiven und fortdauernden ärztliche Betreuung oder aber der Pflege mit Hilfe von jederzeit verfügbarem Pflege, Funktions- und medizinisch-technischem Personal (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2007, B 3 KR 17/06 R, SozR 4-2500 § 39 Nr. 8) spricht. Gründe hierfür sind weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere spricht nichts dafür, dass die Auswirkungen des Hirninsults im Mai 2005 dergleichen erforderlich gemacht hätten.

III.) An alledem ändert auch der Umstand nichts, dass "ambulant" - worauf auch das BSG hinweist (a.a.O., juris, Rn. 19) - etymologisch auf "ambulans", das Partizip Präsens aktiv des lateinischen Verbums "ambulare" (umhergehen) zurückgeht (Georges, ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 8. Aufl., 1913, Artikel "ambulare"). In der medizinischen und erst recht in der juristischen Fachterminologie hat sich das Wort - ebenso wie der von statio "Stehen, Stand, Aufenthaltsort" (Georges, a.a.O., Artikel "statio") abgeleitete Gegenbegriff "stationär" - weit von dieser Wurzel entfernt. Die von einem Krankenhaus betriebenen Ambulanzen heißen nicht deswegen so, weil die Patienten dort umherspazieren (lat. perambulare), sondern weil Ambulanz ursprünglich die Bezeichnung für ein bewegliches Feldlazarett war (Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., 1999, Artikel "ambulant"). Dass der entsprechende Ausdruck in anderen Sprachen (z.B. englisch "ambulance") sogar Rettungs- oder Krankenwagen bezeichnet, lässt die Entfernung von der Wortwurzel mehr als augenfällig erscheinen.

IV.) Ebenso wenig gibt es Hinweise darauf, dass der Patient wegen anderer Untersuchungen oder Behandlungen einer stationären Aufnahme bedurft hätte. Neben der eigentlichen Polysomnografie hat er sich lediglich einer allgemeinen Aufnahmeuntersuchung unterzogen und zwei Fragebögen ausgefüllt (einen vor und einen nach der Behandlung).

B.) Es hat auch keine vorstationäre Behandlung vorgelegen.

I.) Nach § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V kann das Krankenhaus bei Verordnung von Krankenhausbehandlung Versicherte in medizinisch geeigneten Fällen ohne Unterkunft und Verpflegung behandeln, um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären oder die vollstationäre Krankenhausbehandlung vorzubereiten (vorstationäre Behandlung). Die Vergütung durch die Krankenkasse erfolgt nach Maßgabe von § 115a Abs. 3 SGB V.

II.) Eine vorstationäre Behandlung in diesem Sinne hat jedoch nicht vorgelegen.

1.) Für eine Aufnahme zur Vorbereitung einer vollstationären Behandlung ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich.

2.) Die Abklärung einer möglichen vollstationären Krankenhausbehandlung in Gestalt der Polysomnografie konnte gerade im vorliegenden Fall gleichsam auf den ersten Blick vorgenommen werden. Insoweit war lediglich zu prüfen, ob die Indikation einer ausnahmsweise stationären Polysomnografie vorlag oder ob weitere Untersuchungen neben der Polysomnografie erforderlich waren, die stationär hätten durchgeführt werden müssen. Anhaltspunkte hierfür lagen auch aus der ex-ante-Perspektive zum Aufnahmezeitpunkt nicht vor, zumal sich die Leistung der Klägerin vor Beginn der eigentlichen Polysomnografie darauf beschränkte, einen vom Kläger ausgefüllten Fragebogen auszuwerten.

3.) Schließlich erscheint es dem Gericht auch nicht angezeigt, eine ihrer Art nach ambulante Polysomnografie deswegen als vorstationär aufzufassen, weil die Voraussetzungen einer stationären Behandlung nicht vorgelegen haben. Aus § 115a Abs. 1 SGB V ergibt sich, dass nicht schon jede vermeintlich stationäre Behandlung, die sich im Nachhinein als nicht stationär erweist, automatisch als vorstationär anzusehen wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Polysomnografie selbst die Voraussetzungen aus § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfüllt hätte. Der alleinige Umstand, dass das Ergebnis der Polysomnografie möglicherweise die Notwendigkeit einer späteren stationären Untersuchung hätte aufzeigen können, reicht nach Auffassung der Kammer nicht aus. Vielmehr muss ein zeitlicher und funktioneller Bezug zu einer stationären Behandlung, deren Notwendigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Raum steht, gegeben sein. Andernfalls stünde des Krankenhäusern offen, jedwede ambulante Behandlung als vorstationär abzurechnen.

III.) Auch aus dem Vertrag Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 19.12.2002 ergibt sich nichts anderes. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 des Vertrages wird bei der Erstuntersuchung geklärt, ob und in welcher Form die Krankenhausbehandlung notwendig ist. Wird hierbei festgestellt, dass keine Krankenhausbehandlung erforderlich ist, bestimmt § 4 Abs. 5 Satz 2 Buchstabe b Satz 1 des Vertrages, dass "ein Fall nach § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V (vorstationäre Behandlung) vorliegt." Auch hieraus ergibt sich nach Auffassung der Kammer allerdings nicht, dass jedwede Befassung eines Krankenhausarztes bereits als Erstuntersuchung in diesem Sinne aufzufassen ist (so bereits Urteil der Kammer vom 22.08.2011, S 6 KR 287/11). Die Frage nach der Indikation einer vollstationären Polysomnografie war auf den ersten Blick zu klären und die Frage nach einer möglichen späteren stationären Behandlung stand nicht im erforderlichen funktionellen Zusammenhang.

C.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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