Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
91
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 13629/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
t:
Die Klage wird abgewiesen.
Tatbestand:
Die 1964 geborene Klägerin zu 1) und der 1948 geborene Kläger zu 2) bilden mit ihren 1987 und 1988 geborenen Kindern, den Klägern zu 3) und 4), eine Bedarfsgemeinschaft. In den verbundenen Verfahren streiten die Beteiligten um die Höhe der für ein isoliert gebliebenes Widerspruchsverfahren vom Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten.
Mit gesonderten Bescheiden vom 25. November 2009 hob der Beklagte seine Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum Juni bis einschließlich Oktober 2009 für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft teilweise auf und forderte die Erstattung des in diesen Monaten zu viel gezahlten überzahlten Arbeitslosengelds (Alg) II. Grund für die Aufhebung war die Berücksichtigung höheren Erwerbseinkommens der Klägerin zu 1) im Rahmen der Bedarfsberechnung sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Der Beklagte stützte die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.
Mit ebenfalls gesonderten Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Dezember 2009 legten die Kläger jeweils Widerspruch gegen den sie betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. November 2009 ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Die ohne Begründung eingereichten Widersprüche erhielten vom Beklagten die Geschäftszeichen W ...2/10 bis W ...5/10.
Der Beklagte half den Widersprüchen ab und erklärte jeweils, er werde die notwendigen Auslagen der Widerspruchsführer erstatten.
Mit gesonderten Schreiben vom 3. Juli 2010 (KR .../10 bis .../10) legte die Verfahrensbevollmächtigte der Kläger Rechnung für jeden der eingereichten Widersprüche und beantragte die Festsetzung von Kosten in Höhe von jeweils 357,00 EUR.
Mit gesonderten Kostenfestsetzungsbescheiden vom 8. Dezember 2010 setzte der Beklagte die Kosten im Widerspruchsverfahren auf jeweils 85,68 EUR wie folgt fest: Rahmengebühr gem. Nr. 2400 VV-RVG: 60,00 EUR + Telekommunikationspauschale: 12,00 EUR + 19% Umsatzsteuer.
Mit gesonderten Schreiben vom 6. Januar 2011 legte die Verfahrensbevollmächtigte der Kläger jeweils Widerspruch gegen die einzelnen Kostenfestsetzungsbescheide ein, die der Beklagte mit gesonderten Widerspruchsbescheiden vom 18. April 2011 (W 1/11, W 2/11, W 3/11, W 4/11) als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass es sich hinsichtlich Umfang und Schwierigkeit um weit unterdurchschnittliche Fälle gehandelt habe. Ferner habe es sich bei den gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. November 2009 gerichteten Widerspruchsverfahren W 2/10 bis 5/10 um eine Angelegenheit im Sinne des Vergütungsrechts gehandelt, die zusammen zu veranschlagen gewesen sei.
Mit ihren am 20. Mai 2011 beim Sozialgericht eingegangenen, gesondert erhobenen Klagen verfolgen die Kläger ihr Begehren unter Reduzierung der beantragten Kostenfestsetzung auf 309,40 EUR je Widerspruch weiter.
Die Kammer hat die ursprünglich bei drei weiteren Kammern des Sozialgerichts anhängigen Verfahren mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zum hiesigen Verfahren verbunden. In der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich zur Erstattung von insgesamt 566,44 EUR als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in den – zusammen-gefassten – Widerspruchsverfahren W 2/10 bis W 5/10 notwendige Aufwendungen verpflichtet. Er hat ferner die Kostentragungslast im vorliegenden Verfahren zu 1/5 (20%) anerkannt. Die Kläger haben das Teil-Anerkenntnis angenommen.
Sie beantragen nunmehr,
die Kostenfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2011 (W 1/11, W 2/11, W 3/11, W 4/11) teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen – abzüglich der in der mündlichen Verhandlung anerkannten Summe – jeweils 309,40 EUR als notwendige Kosten für die Widerspruchsverfahren W 2/10 bis W 5/10 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Leistungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorlag und Gegenstand der Beratung war.
Entscheidungsgründe:
Die gegen die Kostenfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2011 (W ...1/11, W ... 2/11, W ...3/11, W ... 4/11) gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) der Kläger ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Soweit die Kläger das Teil-Anerkenntnis des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 angenommen haben, ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt, § 101 Abs. 2 SGG.
Die Klage ist unbegründet, soweit die Kammer nach der Teil-Erledigung durch das angenommene Teil-Anerkenntnis noch über sie zu entscheiden hatte. Die angegriffenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Kläger daher nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erstattung ihrer in den Widerspruchsverfahren W ... 2/10 bis ...5/10 angefallenen Rechtsverfolgungsaufwendungen, soweit diese den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 26. März 2012 anerkannten Betrag übersteigen.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dass den Klägern die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach erstattet werden, hat der Beklagte bindend entschieden, indem er seine Abhilfe in den Widerspruchsverfahren W ...2/10 bis ...5/10 mit der Erklärung verbunden hat, er werde die im Vorverfahren entstandenen notwendigen Rechtsverfolgungsaufwendungen der Kläger auf Antrag erstatten. Den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen hat er vorliegend gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X mit seinen angegriffenen Kostenfestsetzungsbescheiden vom 8. Dezember 2010 bestimmt.
Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten – wie der Beklagte hier anerkannt hat – notwendig war. Gebühren und Auslagen im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren. Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sind grundsätzlich auch die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten, hier den Klägern, in Rechnung stellt. Diese Vergütung bemisst sich nach den Vorschriften des RVG sowie nach dem VV-RVG der Anlage 1 zum RVG (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). Vorliegend umfasst der Vergütungsanspruch der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger nach der Auffassung der Kammer – neben der Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG und der Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG – eine Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr von 240,00 EUR, die um drei Mehrvertretungstatbestände gemäß Nr. 1008 VV-RVG von je 30% zu erhöhen ist.
Rechtsgrundlage der Geschäftsgebühr ist Nr. 2400 VV-RVG in Verbindung mit § 14 RVG. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV-RVG fällt in sozialrechtlichen Angelegenheiten an, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (Vorbemerkung 2.4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VV-RVG). Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz – wie hier, vgl. § 183 Satz 1 SGG – nicht anzuwenden ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs. 2 RVG). Gemäß Nr. 2400 VV-RVG umfasst die Geschäftsgebühr einen Betragsrahmen von 40,00 EUR bis 520,00 EUR. Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR kann aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog. Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.
Die Beteiligten gehen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass die Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger in den Vorverfahren W ...2/10 bis ...5/10 eine Festsetzung der Betragsrahmengebühr in Höhe der Schwellengebühr von 240,00 EUR zulässt, weil sowohl Umfang als auch Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich einzuschätzen sind. Der Beklagte hat seine diesbezüglich an verschiedener Stelle im Klageverfahren vorgebrachten Zweifel in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Unter- oder Überschreiten der Schwellengebühr rechtfertigen würden. Die Bedeutung der Angelegenheit war zwar für die Kläger, die für ihren Lebensunterhalt (ergänzend) auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, überdurchschnittlich, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse hingegen waren – gemessen am Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung – unterdurchschnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko oder weitere in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht ausdrücklich aufgeführte Kriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen (vgl. hierzu Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 14 RVG Rn. 20), sind nicht zu erkennen.
Nach Überzeugung der Kammer hat der Beklagte die von der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger getroffene Bestimmung der angefallenen Gebühren zumindest insoweit, als mehr als eine Schwellengebühr nebst dem (dreifachen) Erhöhungstatbestand für eine Mehrvertretung geltend gemacht wurde, zu Recht nicht anerkannt.
Die von der Rechtsanwältin mit den Rechnungsschreiben vom 3. Juli 2010 getroffene Bestimmung, nach der jeweils eine Schwellengebühr für jedes der Widerspruchsverfahren W 2/10 bis 5/10 zu erstatten wäre, ist unbillig (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Die Verfahrensweise, anstelle eines gemeinsamen Widerspruchs gegen alle vier die Kläger betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 25. November 2009 vier gesonderte Widerspruchsverfahren zu betreiben, verstößt gegen das standesrechtliche Gebot und die mandatsvertragliche Pflicht einer wirtschaftlichen und kostensparenden Verfahrensführung, wie sie auch für das Gerichtsverfahren anerkannt ist. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung der mit Kostensachen befassten Kammern des Sozialgerichts Berlin, dass der erstattungspflichtige Gegner im Prozess nicht verpflichtet ist, auf Kosten des Steuerzahlers Kosten zu tragen, die bei Beachtung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Prozessführung nicht entstanden wären (vgl. nur SG Berlin, Beschl. v. 24. Februar 2010 – S 164 SF 1396/09 E – juris; Beschl. v. 27. Juli 2010 – S 164 SF 1536/09 E – dokumentiert bei www.sozialgerichtsbarkeit.de). Gebühren, die erst dadurch entstehen, dass Streitgegenstände in gesonderten Verfahren statt gehäuft geltend gemacht werden, sind daher nicht zu erstatten, wenn dies nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entspricht. Zweckentsprechender Rechtsverfolgung entspricht ein derartiges Vorgehen nur, wenn es notwendig ist. Vernünftige Gründe, die die von der Klägerbevollmächtigten gewählte Verfahrensgestaltung einer Widerspruchseinlegung gegen alle vier Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. November 2009 statt eines gemeinsamen Widerspruchs als notwendig erscheinen ließen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden lag dieselbe streitige Sach- und Rechtsfrage zugrunde. Die Prüfung der Leistungsberechtigung der Kläger im Zeitraum Juni bis Oktober 2009 konnte schon aufgrund der nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung) erforderlichen Bedarfsanteils-berechnung nur für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Kläger gemeinsam erfolgen. Zur inhaltlichen Prüfung der Aufhebungsentscheidungen des Beklagten wäre mithin sinnvollerweise nur eine Klage zu erheben gewesen. Nichts anderes kann für die einer Klage vorausgehende Widerspruchseinlegung gelten. Dies folgt nach der Auffassung der Kammer bereits aus § 3 Abs. 2 RVG. Da die Regelungen des RVG generell auf die Vergütung im Vorverfahren anzuwenden sind, muss dies auch für die ihnen entnommenen Rechtssätze gelten.
Die Gegenstände der vier genannten Widerspruchsverfahren stellen überdies dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG dar. Eine Angelegenheit im Sinne des Vergütungsrechts ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht. Eine Angelegenheit im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das dem RVG zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammenzufassen. Die genannten Voraussetzungen für eine einheitliche Angelegenheit sind vorliegend erfüllt, weil den am selben Tag ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden derselbe rechtliche und tatsächliche Grund – Anrechnung eines höheren Einkommens der Klägerin zu 1) im Zeitraum Juni bis Oktober 2009 – zugrunde lag. Die Bevollmächtigte der Kläger fertigte am selben Tag wörtlich gleichlautende und inhaltlich identische Widerspruchsschreiben, die sich nur im Hinblick auf den jeweiligen Bescheidadressaten unterschieden.
Der Einwand der Klägerbevollmächtigten, ein Abrücken von ihrer Klageposition würde einen Verstoß gegen Standesrecht darstellen, verfängt nicht. Zu den Prinzipien des Kostenrechts gehört – wie ausgeführt – auch der tragenden Grundsatz der Verfahrensverbilligung, wie er in den §§ 91 ff., 788 ZPO, § 46 RVG zum Ausdruck kommt. Diesen Grundsatz kann nach § 11 Abs. 5 RVG zunächst der Mandant seinem Anwalt entgegenhalten. Die durch unsachgemäße Behandlung des Auftrags entstandenen überflüssigen Anwaltsgebühren sind eine Schlechterfüllung des erteilten Auftrags zum Nachteil des Mandanten und brauchen von diesem nicht erstattet zu werden. In gleicher Weise kann auch die unterlegene Partei – hier der Beklagte – der obsiegenden Partei – den Klägern – gegenüber im Kostenfestsetzungsverfahren den Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht einwenden (vgl. nur SG Berlin, Beschl. v. 27. Januar 2011 – S 127 SF 9411/10 E – juris Rn. 9).
Tatbestand:
Die 1964 geborene Klägerin zu 1) und der 1948 geborene Kläger zu 2) bilden mit ihren 1987 und 1988 geborenen Kindern, den Klägern zu 3) und 4), eine Bedarfsgemeinschaft. In den verbundenen Verfahren streiten die Beteiligten um die Höhe der für ein isoliert gebliebenes Widerspruchsverfahren vom Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten.
Mit gesonderten Bescheiden vom 25. November 2009 hob der Beklagte seine Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum Juni bis einschließlich Oktober 2009 für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft teilweise auf und forderte die Erstattung des in diesen Monaten zu viel gezahlten überzahlten Arbeitslosengelds (Alg) II. Grund für die Aufhebung war die Berücksichtigung höheren Erwerbseinkommens der Klägerin zu 1) im Rahmen der Bedarfsberechnung sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Der Beklagte stützte die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.
Mit ebenfalls gesonderten Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Dezember 2009 legten die Kläger jeweils Widerspruch gegen den sie betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. November 2009 ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Die ohne Begründung eingereichten Widersprüche erhielten vom Beklagten die Geschäftszeichen W ...2/10 bis W ...5/10.
Der Beklagte half den Widersprüchen ab und erklärte jeweils, er werde die notwendigen Auslagen der Widerspruchsführer erstatten.
Mit gesonderten Schreiben vom 3. Juli 2010 (KR .../10 bis .../10) legte die Verfahrensbevollmächtigte der Kläger Rechnung für jeden der eingereichten Widersprüche und beantragte die Festsetzung von Kosten in Höhe von jeweils 357,00 EUR.
Mit gesonderten Kostenfestsetzungsbescheiden vom 8. Dezember 2010 setzte der Beklagte die Kosten im Widerspruchsverfahren auf jeweils 85,68 EUR wie folgt fest: Rahmengebühr gem. Nr. 2400 VV-RVG: 60,00 EUR + Telekommunikationspauschale: 12,00 EUR + 19% Umsatzsteuer.
Mit gesonderten Schreiben vom 6. Januar 2011 legte die Verfahrensbevollmächtigte der Kläger jeweils Widerspruch gegen die einzelnen Kostenfestsetzungsbescheide ein, die der Beklagte mit gesonderten Widerspruchsbescheiden vom 18. April 2011 (W 1/11, W 2/11, W 3/11, W 4/11) als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass es sich hinsichtlich Umfang und Schwierigkeit um weit unterdurchschnittliche Fälle gehandelt habe. Ferner habe es sich bei den gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. November 2009 gerichteten Widerspruchsverfahren W 2/10 bis 5/10 um eine Angelegenheit im Sinne des Vergütungsrechts gehandelt, die zusammen zu veranschlagen gewesen sei.
Mit ihren am 20. Mai 2011 beim Sozialgericht eingegangenen, gesondert erhobenen Klagen verfolgen die Kläger ihr Begehren unter Reduzierung der beantragten Kostenfestsetzung auf 309,40 EUR je Widerspruch weiter.
Die Kammer hat die ursprünglich bei drei weiteren Kammern des Sozialgerichts anhängigen Verfahren mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zum hiesigen Verfahren verbunden. In der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich zur Erstattung von insgesamt 566,44 EUR als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in den – zusammen-gefassten – Widerspruchsverfahren W 2/10 bis W 5/10 notwendige Aufwendungen verpflichtet. Er hat ferner die Kostentragungslast im vorliegenden Verfahren zu 1/5 (20%) anerkannt. Die Kläger haben das Teil-Anerkenntnis angenommen.
Sie beantragen nunmehr,
die Kostenfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2011 (W 1/11, W 2/11, W 3/11, W 4/11) teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen – abzüglich der in der mündlichen Verhandlung anerkannten Summe – jeweils 309,40 EUR als notwendige Kosten für die Widerspruchsverfahren W 2/10 bis W 5/10 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Leistungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorlag und Gegenstand der Beratung war.
Entscheidungsgründe:
Die gegen die Kostenfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2011 (W ...1/11, W ... 2/11, W ...3/11, W ... 4/11) gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) der Kläger ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Soweit die Kläger das Teil-Anerkenntnis des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 angenommen haben, ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt, § 101 Abs. 2 SGG.
Die Klage ist unbegründet, soweit die Kammer nach der Teil-Erledigung durch das angenommene Teil-Anerkenntnis noch über sie zu entscheiden hatte. Die angegriffenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Kläger daher nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erstattung ihrer in den Widerspruchsverfahren W ... 2/10 bis ...5/10 angefallenen Rechtsverfolgungsaufwendungen, soweit diese den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 26. März 2012 anerkannten Betrag übersteigen.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dass den Klägern die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach erstattet werden, hat der Beklagte bindend entschieden, indem er seine Abhilfe in den Widerspruchsverfahren W ...2/10 bis ...5/10 mit der Erklärung verbunden hat, er werde die im Vorverfahren entstandenen notwendigen Rechtsverfolgungsaufwendungen der Kläger auf Antrag erstatten. Den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen hat er vorliegend gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X mit seinen angegriffenen Kostenfestsetzungsbescheiden vom 8. Dezember 2010 bestimmt.
Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten – wie der Beklagte hier anerkannt hat – notwendig war. Gebühren und Auslagen im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren. Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sind grundsätzlich auch die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten, hier den Klägern, in Rechnung stellt. Diese Vergütung bemisst sich nach den Vorschriften des RVG sowie nach dem VV-RVG der Anlage 1 zum RVG (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). Vorliegend umfasst der Vergütungsanspruch der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger nach der Auffassung der Kammer – neben der Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG und der Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG – eine Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr von 240,00 EUR, die um drei Mehrvertretungstatbestände gemäß Nr. 1008 VV-RVG von je 30% zu erhöhen ist.
Rechtsgrundlage der Geschäftsgebühr ist Nr. 2400 VV-RVG in Verbindung mit § 14 RVG. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV-RVG fällt in sozialrechtlichen Angelegenheiten an, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (Vorbemerkung 2.4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VV-RVG). Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz – wie hier, vgl. § 183 Satz 1 SGG – nicht anzuwenden ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs. 2 RVG). Gemäß Nr. 2400 VV-RVG umfasst die Geschäftsgebühr einen Betragsrahmen von 40,00 EUR bis 520,00 EUR. Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR kann aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog. Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.
Die Beteiligten gehen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass die Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger in den Vorverfahren W ...2/10 bis ...5/10 eine Festsetzung der Betragsrahmengebühr in Höhe der Schwellengebühr von 240,00 EUR zulässt, weil sowohl Umfang als auch Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich einzuschätzen sind. Der Beklagte hat seine diesbezüglich an verschiedener Stelle im Klageverfahren vorgebrachten Zweifel in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2012 ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Unter- oder Überschreiten der Schwellengebühr rechtfertigen würden. Die Bedeutung der Angelegenheit war zwar für die Kläger, die für ihren Lebensunterhalt (ergänzend) auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, überdurchschnittlich, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse hingegen waren – gemessen am Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung – unterdurchschnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko oder weitere in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht ausdrücklich aufgeführte Kriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen (vgl. hierzu Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 14 RVG Rn. 20), sind nicht zu erkennen.
Nach Überzeugung der Kammer hat der Beklagte die von der Verfahrensbevollmächtigten der Kläger getroffene Bestimmung der angefallenen Gebühren zumindest insoweit, als mehr als eine Schwellengebühr nebst dem (dreifachen) Erhöhungstatbestand für eine Mehrvertretung geltend gemacht wurde, zu Recht nicht anerkannt.
Die von der Rechtsanwältin mit den Rechnungsschreiben vom 3. Juli 2010 getroffene Bestimmung, nach der jeweils eine Schwellengebühr für jedes der Widerspruchsverfahren W 2/10 bis 5/10 zu erstatten wäre, ist unbillig (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Die Verfahrensweise, anstelle eines gemeinsamen Widerspruchs gegen alle vier die Kläger betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 25. November 2009 vier gesonderte Widerspruchsverfahren zu betreiben, verstößt gegen das standesrechtliche Gebot und die mandatsvertragliche Pflicht einer wirtschaftlichen und kostensparenden Verfahrensführung, wie sie auch für das Gerichtsverfahren anerkannt ist. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung der mit Kostensachen befassten Kammern des Sozialgerichts Berlin, dass der erstattungspflichtige Gegner im Prozess nicht verpflichtet ist, auf Kosten des Steuerzahlers Kosten zu tragen, die bei Beachtung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Prozessführung nicht entstanden wären (vgl. nur SG Berlin, Beschl. v. 24. Februar 2010 – S 164 SF 1396/09 E – juris; Beschl. v. 27. Juli 2010 – S 164 SF 1536/09 E – dokumentiert bei www.sozialgerichtsbarkeit.de). Gebühren, die erst dadurch entstehen, dass Streitgegenstände in gesonderten Verfahren statt gehäuft geltend gemacht werden, sind daher nicht zu erstatten, wenn dies nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entspricht. Zweckentsprechender Rechtsverfolgung entspricht ein derartiges Vorgehen nur, wenn es notwendig ist. Vernünftige Gründe, die die von der Klägerbevollmächtigten gewählte Verfahrensgestaltung einer Widerspruchseinlegung gegen alle vier Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 25. November 2009 statt eines gemeinsamen Widerspruchs als notwendig erscheinen ließen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden lag dieselbe streitige Sach- und Rechtsfrage zugrunde. Die Prüfung der Leistungsberechtigung der Kläger im Zeitraum Juni bis Oktober 2009 konnte schon aufgrund der nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung) erforderlichen Bedarfsanteils-berechnung nur für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Kläger gemeinsam erfolgen. Zur inhaltlichen Prüfung der Aufhebungsentscheidungen des Beklagten wäre mithin sinnvollerweise nur eine Klage zu erheben gewesen. Nichts anderes kann für die einer Klage vorausgehende Widerspruchseinlegung gelten. Dies folgt nach der Auffassung der Kammer bereits aus § 3 Abs. 2 RVG. Da die Regelungen des RVG generell auf die Vergütung im Vorverfahren anzuwenden sind, muss dies auch für die ihnen entnommenen Rechtssätze gelten.
Die Gegenstände der vier genannten Widerspruchsverfahren stellen überdies dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG dar. Eine Angelegenheit im Sinne des Vergütungsrechts ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht. Eine Angelegenheit im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das dem RVG zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammenzufassen. Die genannten Voraussetzungen für eine einheitliche Angelegenheit sind vorliegend erfüllt, weil den am selben Tag ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden derselbe rechtliche und tatsächliche Grund – Anrechnung eines höheren Einkommens der Klägerin zu 1) im Zeitraum Juni bis Oktober 2009 – zugrunde lag. Die Bevollmächtigte der Kläger fertigte am selben Tag wörtlich gleichlautende und inhaltlich identische Widerspruchsschreiben, die sich nur im Hinblick auf den jeweiligen Bescheidadressaten unterschieden.
Der Einwand der Klägerbevollmächtigten, ein Abrücken von ihrer Klageposition würde einen Verstoß gegen Standesrecht darstellen, verfängt nicht. Zu den Prinzipien des Kostenrechts gehört – wie ausgeführt – auch der tragenden Grundsatz der Verfahrensverbilligung, wie er in den §§ 91 ff., 788 ZPO, § 46 RVG zum Ausdruck kommt. Diesen Grundsatz kann nach § 11 Abs. 5 RVG zunächst der Mandant seinem Anwalt entgegenhalten. Die durch unsachgemäße Behandlung des Auftrags entstandenen überflüssigen Anwaltsgebühren sind eine Schlechterfüllung des erteilten Auftrags zum Nachteil des Mandanten und brauchen von diesem nicht erstattet zu werden. In gleicher Weise kann auch die unterlegene Partei – hier der Beklagte – der obsiegenden Partei – den Klägern – gegenüber im Kostenfestsetzungsverfahren den Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht einwenden (vgl. nur SG Berlin, Beschl. v. 27. Januar 2011 – S 127 SF 9411/10 E – juris Rn. 9).
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