Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
208
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 208 KR 299/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 242/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. Oktober 2009. Der Kläger ist bei der Beklagten als Student freiwillig versichert. Die Beklagte richtet sich bei der Bemessung der Beiträge für freiwillig versicherte Mitglieder nach den Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) vom 27. Oktober 2008 (im Folgenden: BVSzGs). § 6 Abs. 1, 2, 4 und 5 BVSzGs enthalten die folgenden Regelungen: § 6 Nachweis der beitragspflichtigen Einnahmen (1) Die Krankenkasse hat zur Feststellung der Beitragspflicht vom Mitglied einen aktuellen Nachweis über die beitragspflichtigen Einnahmen, die nicht durch Dritte gemeldet werden, zu verlangen. (2) Zur Feststellung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, hat die Krankenkasse die beitragspflichtigen Einnahmen regelmäßig zu überprüfen. Die Überprüfung ist spätestens nach 12 Monaten seit der letzten Feststellung oder Überprüfung einzuleiten. Die Krankenkasse kann die Überprüfung für einzelne Personengruppen stichtagsbezogen durchführen; dabei können Mitglieder, deren Beitragspflicht innerhalb der letzten 18 Monate erstmals festgestellt wurde, ausgenommen werden. Von einer Überprüfung kann für die Dauer von längstens 24 Monaten seit der letzten Feststellung oder Überprüfung abgesehen werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass keine Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind, eingetreten sind. (4) Mitglieder haben die für die Beitragsbemessung erforderlichen Nachweise auf Verlangen vorzulegen und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, unverzüglich mitzuteilen. Nachgewiesene Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind, werden vom Zeitpunkt der Änderung an wirksam. (5) Sofern und solange Nachweise auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorgelegt werden, sind für die weitere Beitragsbemessung für den Kalendertag beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 1/30 der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Änderungen der Beitragsbemessung nach Satz 1 aufgrund eines später vorgelegten Nachweises sind erst zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen, wenn der Nachweis nach Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe der Beitragsfestsetzung nach Satz 1 der Krankenkasse vorgelegt wird. In der ersten Hälfte des Jahre 2009 forderte die Beklagte vom Kläger aktuelle Nachweise über dessen beitragspflichtige Einnahmen. Nachdem er Kläger auf das Schreiben vom 20. Juni 2009, in welchem er erneut an die angeforderten Angaben erinnert wurden, nicht reagierte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2009 die Beiträge nach der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze i.H.v. 3.675,00 Euro auf einen monatlichen Betrag von 628,43 Euro ab 1. Mai 2009 fest. Sie wies zudem darauf hin, dass eine rückwirkende Beitragskorrektur möglich sei, sofern der Kläger die angeforderten Unterlagen binnen eines Monat bei der Beklagten einreiche. Bei einer späteren Übersendung der Unterlagen könne die Korrektur nur noch für die Zukunft, d.h. ab Beginn des Folgemonats erfolgen. Am 1. Oktober 2009 übermittelte der Kläger die angeforderten Unterlagen. Daraus ergab sich, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Beiträge des Klägers anhand der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage festzusetzen sind. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2009 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass die monatlichen Beiträge ab dem 1. November 2009 anhand der Mindestbemessungsgrenze i.H.v. 840,00 Euro mit 138,60 Euro festgesetzt würden. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 legte der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Juli 2009 ein. Er begründete den Widerspruch damit, dass die Regelung des § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V, wonach eine Abänderung erst in dem der Vorlage des Nachweises folgenden Monats berücksichtigt werden könne, für die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung finde. Dies ergebe ich aus der Tatsache, dass der Bescheid mangels Rechtsbehelfsbelehrung nicht bestandskräftig geworden sei. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 11.03.2009 (Az. B 12 KR 30/07 R) trägt der Kläger weiter vor, dass der maßgebliche Zeitpunkt die Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren sei, was selbst dann gelte, wenn der Versicherte trotz Fristsetzung keine Unterlagen vorgelegt habe und dies erst im Widerspruchsverfahren nachhole. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Höherstufung erst zum 1. August 2008 erfolge, da der Bescheid erst im Juli 2009 erlassen worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies insbesondere auf § 6 Abs. 5 BVSzGs, wonach die eingereichten Nachweise erst im Folgemonat zu berücksichtigen seien. Das vom Kläger zitierte Urteil des BSG finde auf die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung. Mit Schreiben vom 4. Februar 2011, eingegangen bei Gericht am 8. Februar 2011, hat der Kläger vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die Beklagte sein nicht berechtigt gewesen, die Beiträge des Klägers für den umstrittenen Zeitraum anhand der Beitragsbemessungsgrenze festzulegen. Er verweist wieder auf das Urteil des BSG vom 11.03.2009 (Az. B 12 KR 30/07 R) und trägt vor, dass die vor Erlass des Widerspruchsbescheides eingereichten Unterlagen rückwirkend zu berücksichtigen gewesen seien. Der Kläger beantragt, den Beitragsbescheid vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2011 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sie sich auf Ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass § 6 Abs. 5 BVSzGs entgegen der Auffassung des Klägers Anwendung finde. Die vom Kläger vorgenommene Auslegung, § 6 Abs. 5 BVSzGs betreffe nur bestandskräftige Bescheide, würde dem Sinn und Zweck der Regelung – nämlich der umgehenden Vorlage von Einkommensnachweisen – zuwiderlaufen. Die Auffassung des Klägers führe dazu, dass die Vorschrift durch Widerspruchserhebung vollständig ausgehebelt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und auch Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist begründet. Der Bescheid vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar hatte sich die Beklagte bei Erlass der Bescheide an die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVSzGs) gehalten. § 6 Abs. 5 BVSzGs kann jedoch nicht als Grundlage für die Festsetzung der Beiträge des Klägers nach der Beitragsbemessungsgrenze herangezogen werden. Dabei kann die u.a. vom SG München vertretene Auffassung, dass die BVSzGs insgesamt mangels wirksamer rechtlicher Grundlage unwirksam sind (vgl. SG München, Urteil v. 02.03.2010, Az. S 19 KR 873/09, zit. nach juris), vorliegend dahinstehen. Nach Auffassung der Kammer enthält § 240 Sozialgesetzbuch Fünft (SGB V) keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die in § 6 Abs. 5 BVSzGs getroffenen umfassenden Regelungen zum Nachweis der beitragspflichtigen Einnahmen (vgl. auch Peters, in: Kasseler Kommentar, § 240, Stand 2011, Rn. 48). Dies ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten. Nach § 240 Abs. 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. § 6 Abs. 5 S. 1 BVSzGs enthält im Kern jedoch eine Sanktion des Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht des Versicherten. Sofern die geforderten Nachweise nicht vorgelegt werden, werden für den Versicherten die Höchtsbeiträge festgesetzt. Diese Regelung ist nach Auffassung der Kammer nicht mehr Gegenstand einer Beitragsbemessung. § 240 Abs. 1 SGB V gestattet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bemessung der Beiträge bzw. die Beitragsbemessungsgrundlagen (vgl. Bernsdorff, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), juris Praxiskommentar, SGB V, § 240 Rn. 7) zu regeln. Verfahrensregelungen hinsichtlich der Verstöße gegen Mitwirkungspflichten sind davon jedoch nicht erfasst. Sofern ein Versicherter die von der Krankenkasse angeforderten Unterlagen nicht einreicht, stellt dies einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten des Versicherten dar (§ 206 Abs. 1 SGB V). Die Folgen, die sich aus dem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht ergeben, sind im SGB V schon geregelt. Nach § 206 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse, sofern ihr durch die Verletzung der Mitwirkungspflichten zusätzliche Aufwendungen entstehen, von dem Versicherten Erstattung verlangen. Zudem stellt die Verletzung einer Pflicht nach § 206 Abs. 1 SGB V eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 307 Abs. 1 Nr. 2,3 SGB V), die nach § 307 Abs. 2 SGB V mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Neben der Frage, ob die Regelung in § 6 Abs. 5 BVSzGs als Bestandteil der Beitragsbemessung angesehen werden kann, ist nicht ersichtlich, dass § 240 SGB V auch bezüglich der Sachverhalte eine Ermächtigung darstellen kann, die schon im SGB V ausführlich und einheitlich geregelt sind. Der Gestaltungsfreiheit des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hinsichtlich der Beitragsbemessung wird zudem durch die inhaltlichen Vorgaben des § 240 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 2 bis 4 SGB V Grenzen gezogen. § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V gibt diesbezüglich Folgendes vor: "Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt." Die Regelung des § 6 Abs. 5 BVSzGs sieht jedoch eine Beitragserhöhung vor, die unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds erfolgt und ihren Grund allein in dem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht hat. Dies ist vor dem Hintergrund des § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V jedoch nicht von der Ermächtigung des § 240 Abs. 1 SGB V umfasst. Die erst spätere "Geltung" von Nachweisen nach § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V wurde vom Gesetzgeber in § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V nur für selbstständige freiwillige Versicherte vorgesehen. Es ist zum einen nicht davon auszugehen, dass die gesetzlich festgelegte Geltung dieser Vorschrift allein für Selbstständige durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Rahmen des § 240 Abs. 1 SGB V auch für die weiteren freiwilligen Mitglieder ausgedehnt werden kann. § 6 Abs. 5 S. 2 SGB V sieht aber genau eine solche Regelung für die weiteren freiwilligen Mitglieder vor. Zum anderen bedeutet die in § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V festgelegte Anknüpfung der Beitragsbemessung an die tatsächliche Einnahmesituation des freiwilligen Mitgliedes, dass außerhalb des § 240 Abs. 4 SGB V eine bestimmte wirtschaftliche (Mindest-) Leistungsfähigkeit nicht unterstellt werden darf. "Mit dieser allgemeinen Handlungsanleitung wird dem Satzungsgeber gestattet und aufgetragen, die Einzelheiten der Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder - ausgerichtet an der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Mitglieds - in der Satzung näher zu regeln. Hierbei kann die Krankenkasse etwa Bestimmungen darüber treffen, welche Einnahmearten zu berücksichtigen sind, inwieweit Betriebsausgaben oder Abschreibungen sich beitragsmindernd auswirken, wie Steuervergünstigungen zu behandeln sind und inwieweit Verlustausgleiche zugelassen werden (vgl zum früheren Recht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 57, 240 = SozR 2200 § 180 Nr 20; BSG SozR 2200 § 180 Nr 16; BSG USK 8860). Dagegen gestattet die Vorschrift keine Fiktion tatsächlich nicht erzielter Einnahmen; denn die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds wird durch seine tatsächlichen und nicht durch fiktive Einnahmen bestimmt. Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt, wonach nicht automatisch ohne Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestimmte Einnahmen zum Lebensunterhalt unterstellt werden können" (vgl. BSG, Urteil v. 15.09.1992, Az. 12 RK 51/91, zit. nach juris). Anders als im Rahmen der Beitragsbemessung für Selbstständige, bei denen zunächst bis zur Vorlage entsprechender Nachweise der Beitrag anhand der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt wird (§ 240 Abs. 4 S. 2 SGB V), ist für die Beitragsbemessung der weiteren freiwilligen Versicherten deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgebend. Diese vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Ausgangspunkte werden jedoch durch die Schaffung einer Regelung, die der des § 240 Abs. 4 S.6 SGB V letztlich gleich ist, teilweise unterlaufen. Da vor diesem Hintergrund für die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem verspäteten Einreichen der Nachweise für die Beitragshöhe im Zeitraum von 1. August 2009 bis zum 31. Oktober 2009 nicht auf die gegen § 240 SGB V verstoßende Regelung des § 6 Abs. 5 BVSzGs zurückgegriffen werden kann, bleiben nur die Vorschriften des § 240 SGB V. Diese sehen aber im Fall des verspäteten Nachweises für die weiteren – nicht selbständigen – freiwilligen Versicherten keine Ermächtigung der Beklagten dahingehend vor, die Beiträge bis zur Vorlage der Nachweise anhand der Beitragsbemessungsgrenze festzulegen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung gegen dieses Urteil ist nach § 143 SGG statthaft und bedarf nicht der Zulassung durch das Gericht gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Differenz zwischen dem von der Beklagten festgesetzten und dem rechtmäßigen Beitrag ergibt einen Betrag, der die 750,00 EUR des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG übersteigt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. Oktober 2009. Der Kläger ist bei der Beklagten als Student freiwillig versichert. Die Beklagte richtet sich bei der Bemessung der Beiträge für freiwillig versicherte Mitglieder nach den Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) vom 27. Oktober 2008 (im Folgenden: BVSzGs). § 6 Abs. 1, 2, 4 und 5 BVSzGs enthalten die folgenden Regelungen: § 6 Nachweis der beitragspflichtigen Einnahmen (1) Die Krankenkasse hat zur Feststellung der Beitragspflicht vom Mitglied einen aktuellen Nachweis über die beitragspflichtigen Einnahmen, die nicht durch Dritte gemeldet werden, zu verlangen. (2) Zur Feststellung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, hat die Krankenkasse die beitragspflichtigen Einnahmen regelmäßig zu überprüfen. Die Überprüfung ist spätestens nach 12 Monaten seit der letzten Feststellung oder Überprüfung einzuleiten. Die Krankenkasse kann die Überprüfung für einzelne Personengruppen stichtagsbezogen durchführen; dabei können Mitglieder, deren Beitragspflicht innerhalb der letzten 18 Monate erstmals festgestellt wurde, ausgenommen werden. Von einer Überprüfung kann für die Dauer von längstens 24 Monaten seit der letzten Feststellung oder Überprüfung abgesehen werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass keine Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind, eingetreten sind. (4) Mitglieder haben die für die Beitragsbemessung erforderlichen Nachweise auf Verlangen vorzulegen und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, unverzüglich mitzuteilen. Nachgewiesene Änderungen in den Verhältnissen, die für die Beitragsbemessung erheblich sind, werden vom Zeitpunkt der Änderung an wirksam. (5) Sofern und solange Nachweise auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorgelegt werden, sind für die weitere Beitragsbemessung für den Kalendertag beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 1/30 der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Änderungen der Beitragsbemessung nach Satz 1 aufgrund eines später vorgelegten Nachweises sind erst zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen, wenn der Nachweis nach Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe der Beitragsfestsetzung nach Satz 1 der Krankenkasse vorgelegt wird. In der ersten Hälfte des Jahre 2009 forderte die Beklagte vom Kläger aktuelle Nachweise über dessen beitragspflichtige Einnahmen. Nachdem er Kläger auf das Schreiben vom 20. Juni 2009, in welchem er erneut an die angeforderten Angaben erinnert wurden, nicht reagierte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2009 die Beiträge nach der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze i.H.v. 3.675,00 Euro auf einen monatlichen Betrag von 628,43 Euro ab 1. Mai 2009 fest. Sie wies zudem darauf hin, dass eine rückwirkende Beitragskorrektur möglich sei, sofern der Kläger die angeforderten Unterlagen binnen eines Monat bei der Beklagten einreiche. Bei einer späteren Übersendung der Unterlagen könne die Korrektur nur noch für die Zukunft, d.h. ab Beginn des Folgemonats erfolgen. Am 1. Oktober 2009 übermittelte der Kläger die angeforderten Unterlagen. Daraus ergab sich, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Beiträge des Klägers anhand der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage festzusetzen sind. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2009 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass die monatlichen Beiträge ab dem 1. November 2009 anhand der Mindestbemessungsgrenze i.H.v. 840,00 Euro mit 138,60 Euro festgesetzt würden. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 legte der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Juli 2009 ein. Er begründete den Widerspruch damit, dass die Regelung des § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V, wonach eine Abänderung erst in dem der Vorlage des Nachweises folgenden Monats berücksichtigt werden könne, für die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung finde. Dies ergebe ich aus der Tatsache, dass der Bescheid mangels Rechtsbehelfsbelehrung nicht bestandskräftig geworden sei. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 11.03.2009 (Az. B 12 KR 30/07 R) trägt der Kläger weiter vor, dass der maßgebliche Zeitpunkt die Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren sei, was selbst dann gelte, wenn der Versicherte trotz Fristsetzung keine Unterlagen vorgelegt habe und dies erst im Widerspruchsverfahren nachhole. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Höherstufung erst zum 1. August 2008 erfolge, da der Bescheid erst im Juli 2009 erlassen worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies insbesondere auf § 6 Abs. 5 BVSzGs, wonach die eingereichten Nachweise erst im Folgemonat zu berücksichtigen seien. Das vom Kläger zitierte Urteil des BSG finde auf die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung. Mit Schreiben vom 4. Februar 2011, eingegangen bei Gericht am 8. Februar 2011, hat der Kläger vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die Beklagte sein nicht berechtigt gewesen, die Beiträge des Klägers für den umstrittenen Zeitraum anhand der Beitragsbemessungsgrenze festzulegen. Er verweist wieder auf das Urteil des BSG vom 11.03.2009 (Az. B 12 KR 30/07 R) und trägt vor, dass die vor Erlass des Widerspruchsbescheides eingereichten Unterlagen rückwirkend zu berücksichtigen gewesen seien. Der Kläger beantragt, den Beitragsbescheid vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2011 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sie sich auf Ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass § 6 Abs. 5 BVSzGs entgegen der Auffassung des Klägers Anwendung finde. Die vom Kläger vorgenommene Auslegung, § 6 Abs. 5 BVSzGs betreffe nur bestandskräftige Bescheide, würde dem Sinn und Zweck der Regelung – nämlich der umgehenden Vorlage von Einkommensnachweisen – zuwiderlaufen. Die Auffassung des Klägers führe dazu, dass die Vorschrift durch Widerspruchserhebung vollständig ausgehebelt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und auch Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist begründet. Der Bescheid vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar hatte sich die Beklagte bei Erlass der Bescheide an die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVSzGs) gehalten. § 6 Abs. 5 BVSzGs kann jedoch nicht als Grundlage für die Festsetzung der Beiträge des Klägers nach der Beitragsbemessungsgrenze herangezogen werden. Dabei kann die u.a. vom SG München vertretene Auffassung, dass die BVSzGs insgesamt mangels wirksamer rechtlicher Grundlage unwirksam sind (vgl. SG München, Urteil v. 02.03.2010, Az. S 19 KR 873/09, zit. nach juris), vorliegend dahinstehen. Nach Auffassung der Kammer enthält § 240 Sozialgesetzbuch Fünft (SGB V) keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die in § 6 Abs. 5 BVSzGs getroffenen umfassenden Regelungen zum Nachweis der beitragspflichtigen Einnahmen (vgl. auch Peters, in: Kasseler Kommentar, § 240, Stand 2011, Rn. 48). Dies ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten. Nach § 240 Abs. 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. § 6 Abs. 5 S. 1 BVSzGs enthält im Kern jedoch eine Sanktion des Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht des Versicherten. Sofern die geforderten Nachweise nicht vorgelegt werden, werden für den Versicherten die Höchtsbeiträge festgesetzt. Diese Regelung ist nach Auffassung der Kammer nicht mehr Gegenstand einer Beitragsbemessung. § 240 Abs. 1 SGB V gestattet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bemessung der Beiträge bzw. die Beitragsbemessungsgrundlagen (vgl. Bernsdorff, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), juris Praxiskommentar, SGB V, § 240 Rn. 7) zu regeln. Verfahrensregelungen hinsichtlich der Verstöße gegen Mitwirkungspflichten sind davon jedoch nicht erfasst. Sofern ein Versicherter die von der Krankenkasse angeforderten Unterlagen nicht einreicht, stellt dies einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten des Versicherten dar (§ 206 Abs. 1 SGB V). Die Folgen, die sich aus dem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht ergeben, sind im SGB V schon geregelt. Nach § 206 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse, sofern ihr durch die Verletzung der Mitwirkungspflichten zusätzliche Aufwendungen entstehen, von dem Versicherten Erstattung verlangen. Zudem stellt die Verletzung einer Pflicht nach § 206 Abs. 1 SGB V eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 307 Abs. 1 Nr. 2,3 SGB V), die nach § 307 Abs. 2 SGB V mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Neben der Frage, ob die Regelung in § 6 Abs. 5 BVSzGs als Bestandteil der Beitragsbemessung angesehen werden kann, ist nicht ersichtlich, dass § 240 SGB V auch bezüglich der Sachverhalte eine Ermächtigung darstellen kann, die schon im SGB V ausführlich und einheitlich geregelt sind. Der Gestaltungsfreiheit des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hinsichtlich der Beitragsbemessung wird zudem durch die inhaltlichen Vorgaben des § 240 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 2 bis 4 SGB V Grenzen gezogen. § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V gibt diesbezüglich Folgendes vor: "Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt." Die Regelung des § 6 Abs. 5 BVSzGs sieht jedoch eine Beitragserhöhung vor, die unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds erfolgt und ihren Grund allein in dem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht hat. Dies ist vor dem Hintergrund des § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V jedoch nicht von der Ermächtigung des § 240 Abs. 1 SGB V umfasst. Die erst spätere "Geltung" von Nachweisen nach § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V wurde vom Gesetzgeber in § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V nur für selbstständige freiwillige Versicherte vorgesehen. Es ist zum einen nicht davon auszugehen, dass die gesetzlich festgelegte Geltung dieser Vorschrift allein für Selbstständige durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Rahmen des § 240 Abs. 1 SGB V auch für die weiteren freiwilligen Mitglieder ausgedehnt werden kann. § 6 Abs. 5 S. 2 SGB V sieht aber genau eine solche Regelung für die weiteren freiwilligen Mitglieder vor. Zum anderen bedeutet die in § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V festgelegte Anknüpfung der Beitragsbemessung an die tatsächliche Einnahmesituation des freiwilligen Mitgliedes, dass außerhalb des § 240 Abs. 4 SGB V eine bestimmte wirtschaftliche (Mindest-) Leistungsfähigkeit nicht unterstellt werden darf. "Mit dieser allgemeinen Handlungsanleitung wird dem Satzungsgeber gestattet und aufgetragen, die Einzelheiten der Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder - ausgerichtet an der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Mitglieds - in der Satzung näher zu regeln. Hierbei kann die Krankenkasse etwa Bestimmungen darüber treffen, welche Einnahmearten zu berücksichtigen sind, inwieweit Betriebsausgaben oder Abschreibungen sich beitragsmindernd auswirken, wie Steuervergünstigungen zu behandeln sind und inwieweit Verlustausgleiche zugelassen werden (vgl zum früheren Recht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 57, 240 = SozR 2200 § 180 Nr 20; BSG SozR 2200 § 180 Nr 16; BSG USK 8860). Dagegen gestattet die Vorschrift keine Fiktion tatsächlich nicht erzielter Einnahmen; denn die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds wird durch seine tatsächlichen und nicht durch fiktive Einnahmen bestimmt. Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt, wonach nicht automatisch ohne Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestimmte Einnahmen zum Lebensunterhalt unterstellt werden können" (vgl. BSG, Urteil v. 15.09.1992, Az. 12 RK 51/91, zit. nach juris). Anders als im Rahmen der Beitragsbemessung für Selbstständige, bei denen zunächst bis zur Vorlage entsprechender Nachweise der Beitrag anhand der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt wird (§ 240 Abs. 4 S. 2 SGB V), ist für die Beitragsbemessung der weiteren freiwilligen Versicherten deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgebend. Diese vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Ausgangspunkte werden jedoch durch die Schaffung einer Regelung, die der des § 240 Abs. 4 S.6 SGB V letztlich gleich ist, teilweise unterlaufen. Da vor diesem Hintergrund für die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem verspäteten Einreichen der Nachweise für die Beitragshöhe im Zeitraum von 1. August 2009 bis zum 31. Oktober 2009 nicht auf die gegen § 240 SGB V verstoßende Regelung des § 6 Abs. 5 BVSzGs zurückgegriffen werden kann, bleiben nur die Vorschriften des § 240 SGB V. Diese sehen aber im Fall des verspäteten Nachweises für die weiteren – nicht selbständigen – freiwilligen Versicherten keine Ermächtigung der Beklagten dahingehend vor, die Beiträge bis zur Vorlage der Nachweise anhand der Beitragsbemessungsgrenze festzulegen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung gegen dieses Urteil ist nach § 143 SGG statthaft und bedarf nicht der Zulassung durch das Gericht gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Differenz zwischen dem von der Beklagten festgesetzten und dem rechtmäßigen Beitrag ergibt einen Betrag, der die 750,00 EUR des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG übersteigt.
Rechtskraft
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