Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 1645/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 55/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. März 2011 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Erstattung der Kosten für eine Hyperthermie-Behandlung vom 3. Mai 2010 bis zum 15. Oktober 2010 in Höhe von 4.166,50 EUR.
Die Klägerin ist die Witwe des am XXXXX 1955 geborenen und am XXXXX 2010 während des Klagverfahrens verstorbenen Heiner Tiedemann, der bei der Beklagten versichert war. Sie führt das noch von ihrem verstorbenen Ehemann (im Folgenden: Versicherter) eingeleitete gerichtliche Verfahren als seine Rechtsnachfolgerin weiter.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2010, bei der Beklagten eingegangen am 4. Mai 2010, beantragte der Versicherte gemeinsam Dr. B. eine einzelfallbezogene Behandlungskostenübernahme für eine Hyperthermie-Behandlung und eine dendritische Zell-Immuntherapie durch Dr. B ... Bei dem Versicherten bestünden ein inoperables Tumorrezidiv eines Harnblasenkarzinoms und ein Tumorprogress an der Wirbelsäule. Eine chemotherapeutische Standardtherapie gebe es nicht mehr. Die beantragten Therapieverfahren böten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine nicht ganz weit entfernte Aussicht auf spürbare Linderung der Symptomatik bzw. Besserung des Tumorgeschehens. Der Antrag enthielt den Zusatz: "Wegen der Dringlichkeit bei wachsendem Metastasenrezidiv muss leider schon vor Ihrer Stellungnahme zu diesem Antrag mit der Therapie begonnen werden."
Der Facharzt für Radiologie und Strahlentherapie Dr. B., der den Antrag gemeinsam mit dem Versicherten stellte, ist als nicht zur vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassener Arzt privatärztlich tätig. Er betreibt in H. eine Privatpraxis für individuelle Krebstherapie und -diagnostik im Onkologikum H. (I.- H. D. B.). Zudem forscht er auf dem Gebiet der Hyperthermie und unternimmt auch Therapiestudien. So ergibt sich aus dem von ihm im Verwaltungsverfahren der Beklagten vorgelegten Programm des Hyperthermie-Symposiums der D. e. V., dass er auf diesem am 11. September 2010 zum Thema "Kombination von Strahlentherapie, low-dose-Chemotherapie und Elektrohyperthermie – Timing und Dosierung; Vorstellung des Designs von 2 geplanten Studien" vortrug. Die vorliegend beim Versicherten durch den Behandler angewandte Elektrohyperthermie-Behandlung besteht aus einer gezielten milden Tumorgewebsüberwärmung und aus dem Aufbau von elektrischen bzw. elektromagnetischen Feldern (vgl. auch Darstellung im Internetauftritt www. o ...de).
Ausweislich der Arztrechnungen des Dr. B. erfolgten die einzelnen Tiefenhyperthermie-Applikationen zwischen dem 3. Mai 2010 und 15. Oktober 2010 durch Einsatz der lokoregionalen Tiefenhyperthermie in Verbindung mit inkludierender lokaler Radiokurzwellenstrahlung zum Aufbau elektrischer Felder im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule bzw. des Kreuzbeins bei einem ossär metastasierten Harnblasenkarzinom unter simultaner Lowdose-Chemotherapie mit Mitomycin C und Gemzar.
Die neben der für die Hyperthermie-Behandlung auch für eine dendritische Zell-Immuntherapie mit dem Schreiben vom 3. Mai 2010 noch beantragte einzelfallbezogene Kostenübernahme ist vorliegend nicht streitbefangen, weil diese Behandlung nicht mehr durchgeführt worden ist.
Durch Bescheid vom 4. Mai 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe die neue Behandlungsmethode der Hyperthermie-Verfahren bereits bewertet und, weil für keine der überprüften onkologischen Indikationen nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Nutzen, die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Methoden – nachgewiesen seien, die Aufnahme der Hyperthermie in den Katalog der anerkannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden abgelehnt. Die beantragte Hyperthermie-Behandlung sei daher keine Vertragsleistung und es könne der beantragten Kostenübernahme nicht entsprochen werden.
Gegen diesen eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthaltenden Bescheid erhob der Versicherte gemeinsam mit Dr. B. am 17. Juni 2010 Widerspruch und trug unter anderem vor, es seien die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet worden.
Der im Widerspruchsverfahren von der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung kam in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 15. Juli 2010 nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Es sei von einer palliativen Situation auszugehen, denn es bestehe bei dem Versicherten eine Erkrankung mit infauster Prognose und sehr begrenzter Überlebenserwartung. Standardtherapieverfahren außer best supportive care bzw. schmerztherapeutischer Bestrahlung seien nicht mehr medizinisch sinnvoll möglich. Der therapeutische Effekt der Hyperthermie sei durch wissenschaftliche Studien nicht belegt. Auch wenn eine gewisse Wirksamkeit der beantragten Behandlung, zumindest bei bestimmten Tumoren, nicht ausgeschlossen werden könne, sei hier eine tatsächliche Verlängerung des Überlebens des Versicherten bzw. eine Verbesserung seines Allgemeinbefindens aus sozialmedizinischer Sicht rein spekulativ.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 2010 unter Mitteilung des Ergebnisses des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ihre ablehnende Entscheidung und der Versicherte mit Schreiben vom 18. August 2010 gemeinsam mit Dr. B. den Widerspruch aufrechterhalten hatte, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2010 den Widerspruch zurück. Der Versicherte könne die begehrte Behandlung nicht beanspruchen. Es handele sich nicht um eine Vertragsleistung. Vielmehr habe der Gemeinsame Bundesausschuss die neuen Behandlungsmethoden der Hyperthermie-Verfahren bereits bewertet und sie den Methoden zugeordnet, die nicht zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürften. Anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn hier bestünden nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung mit der schmerztherapeutischen Bestrahlung und best supportive care noch Behandlungsalternativen.
Mit seiner am 12. November 2010 erhobenen Klage hat der Versicherte und sodann die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin die Kostenerstattung für die im Zeitpunkt der Klag-erhebung bereits beendete Hyperthermie-Behandlung bei Dr. B. begehrt. Alle drei im sog. Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts formulierten Voraussetzungen für einen Anspruch lägen bezogen auf die Elektrohyperthermie-Behandlung vor. Insbesondere hätten keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden mehr zur Verfügung gestanden.
Die Beklagte hat sich auf ihren Widerspruchsbescheid und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung bezogen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. März 2011 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, Anspruchsgrundlage könne nur § 13 Abs. 3 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sein. Aber zum einen habe es sich nicht um eine unaufschiebbare Behandlung im Sinne der ersten Alternative dieser Vorschrift gehandelt, denn bereits bei der Entlassung des Versicherten aus stationärer Behandlung am 5. März 2010 sei keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Tumorerkrankung mehr erkennbar gewesen. Zum anderen sei auch die zweite Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V schon deshalb nicht gegeben, weil dem Versicherten die Kosten nicht erst durch die Ablehnung der Beklagten durch Bescheid vom 4. Mai 2010 entstanden seien, sondern durch die bereits zuvor am 3. Mai 2010 auf sein eigenes Kostenrisiko von ihm begonnene Behandlung. Im Übrigen aber würde auch unabhängig von der Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kein Anspruch bestehen, weil die Hyperthermie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss durch Beschluss vom 18. Januar 2005 in den Katalog der nicht anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufgenommen worden und diese Behandlung deshalb aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht bei grundrechtsorientierter Auslegung nach Maßgabe des sog. Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts, weil der Gemeinsame Bundesausschuss nach nicht zu beanstandender Prüfung zu einer negativen Bewertung gelangt sei.
Gegen den am 7. April 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 2. Mai 2011 Berufung eingelegt. Mit dieser trägt sie unter anderem vor, die Behandlung sei unaufschiebbar gewesen, denn schulmedizinische Behandlungsmethoden seien zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr gegeben gewesen. Die Therapie des Dr. B. fülle insoweit eine Lücke. Ihre Effizienz sei in der Fachliteratur anerkannt. Sie habe die Aussicht auf eine spürbare Linderung der Krankheit geboten und sei dies auch hier der Fall gewesen.
Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. März 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Hyperthermie-Behandlung des Versicherten Heiner Tiedemann Kosten in Höhe von 4.166,50 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihren Widerspruchsbescheid und ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Durch Beschluss vom 6. September 2011 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss vom 6. September 2011 die Berufung dem Berichterstatter übertragen hat, der nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Der Beschluss ist den Beteiligten am 12. September 2011 bzw. am 15. September 2011 zugestellt worden.
Der Senat konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung auch entscheiden, obwohl der Bevollmächtigte der Klägerin am Tag der Verhandlung kurz vor deren Beginn gegenüber der Geschäftsstelle des Gerichts telefonisch mitgeteilt hat, dass er wegen eines akuten Hexenschusses nicht zum Verhandlungstermin erscheinen könne, und auch nach einer angemessenen Wartezeit von 15 Minuten und erneutem Aufruf der Sache für die Klägerin, die von dem Termin ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens benachrichtigt worden war, niemand erschien. Denn die Klägerin und ihr Bevollmächtigter waren mit der ordnungsgemäßen Terminsmitteilung und Ladung jeweils darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann sowie die Entscheidung nach Lage der Akten ergehen kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 SGG).
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung. Auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Sozialgerichts zur Reichweite des Anspruchs auf Behandlungsleistungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Die Berufung gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung – um den es im Zeitpunkt der Klagerhebung aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits beendeten hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung allein noch ging – nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht weiter reicht als der zugrunde liegende Sachleistungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dieser aber fand vorliegend seine Begrenzung durch § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung – wie hier die Hyperthermie-Behandlung – zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat unter anderem (siehe Nr. 1) über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zulasten der Krankenkasse erbrachte Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; vgl. Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 135 Rn. 9, 96, 98, Stand August 2010).
Der Gemeinsame Bundesausschuss aber hat auf der Grundlage eines umfangreichen und beanstandungsfreien Bewertungsverfahrens (ausführlich dokumentiert im Internetauftritt unter www.g-ba.de) durch Beschluss vom 18. Januar 2005, in Kraft getreten am 15. Mai 2005 (BAnz. 2005 Nr. 90, S. 7485), die Anlage B ("Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden") seiner Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dahin geändert, dass er ihr unter Nr. 42 anfügte "Hyperthermie (u. a. Ganzkörperhyperthermie, Regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie)" (heute: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung, Anlage II: Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen, Nr. 42). Zu den in die Überprüfung einbezogenen onkologischen Indikationen gehörten dabei auch maligne Blasentumoren und Prostatakarzinom und erfasste die Überprüfung die vertragsärztliche Versorgung insgesamt, also sowohl kurative wie palliative Formen der ärztlichen Behandlung. Eine Elektrohyperthermie gehörte und gehört insoweit somit grundsätzlich nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt vorliegend ein anderes Ergebnis nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Auch eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungsvorschriften des SGB V nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts (6.12.2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 – "Nikolausbeschluss") führt hier nicht zum geltend gemachten Anspruch. Dafür müssten alle drei Voraussetzungen für eine Leistungsausweitung auf grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbare Behandlungsmethoden vorliegen: Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegen, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, und es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die begehrte Leistung bestehen (vgl. dazu Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 135 Rn. 102, Stand August 2010; vgl. auch § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, mit der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in das Gesetz integriert wurde).
Zwar lag bei dem Versicherten eine notstandsähnliche Erkrankungssituation im Sinne dieser Rechtsprechung vor. Aus den Unterlagen zu seiner Krankheits- und Behandlungsgeschichte ergibt sich, dass nach der stationären Behandlung vom 1. März 2010 bis 5. März 2010 in der A. Klinik S. (H.) aufgrund der konsumierenden Grunderkrankungen und mit ihnen verbundenen chronischen Schmerzen – Blasenresektion und Anlage Neoblase bei Harnblasenkarzinom, Prostatakarzinom, rezidivierende Wirbelsäule-Metastasen – nur mehr eine schmerztherapeutische und palliative Behandlung in Frage kam. Doch hält die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für diese Erkrankungssituation mit palliativen Behandlungsformen – hier zutreffend vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit best supportive care und schmerztherapeutischer Bestrahlung benannt – allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsleistungen vor. Diese standen in seinem konkreten Fall auch dem Versicherten zur Verfügung. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sie aufgrund spezifischer Umstände seines Einzelfalls bei ihm nicht zur Anwendung hätten kommen oder unzumutbar gewesen wären. Zudem unterzog sich der Versicherte im Anschluss an den stationären Aufenthalt in S. ausweislich des Berichts des M. Klinikums in B1 vom 17. November 2010 auch mehreren verschiedenen palliativ ausgerichteten Behandlungen. Denn neben der hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung bei Dr. B. in H. vom 3. Mai 2010 bis 15. Oktober 2010 sind dort eine systemische Chemotherapie mit Gemcitabine von April 2010 bis Juli 2010, eine Therapie mit dem Arzneimittel Tarveca und Hyperthermie bei Prof. G. an der Universität G1 von September 2010 bis Oktober 2010 und die stationäre Behandlung mit palliativer Intention im M. Klinikum in B1 selbst vom 1. November 2010 bis 18. November 2010 dokumentiert. Eine kurative Behandlung war auch während dieses letzten Klinikaufenthalts nicht mehr möglich und wurde der Versicherte auf die Palliativstation zurückverlegt.
Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende ("schulmedizinische") Behandlungsleistungen mit kurativer Intention haben also in der Tat nicht mehr zur Verfügung gestanden. Doch lag dies daran, dass bereits eine palliative Situation vorlag. Dafür, dass außer der Hyperthermie-Behandlung durch Dr. B. keine andere anerkannte Behandlungsalternative mit palliativer Intention mehr in Betracht kam, ist aber nichts ersichtlich. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich kein Argument für die Annahme, warum die hier streitbefangene Behandlung als palliativ ausgerichtete Schmerzbehandlung, um die es bei dem Versicherten im Behandlungszeitpunkt allein noch gehen konnte, der Standardbehandlung der bestmöglich unterstützenden Pflege (best supportive care) und der Strahlentherapie zur Schmerzlinderung etwas hinzufügen hätte können, was diese von vornherein nicht zu leisten vermocht hätten. Auch die parallel oder nachfolgend zu der hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung des Versicherten durchgeführten Behandlungen – unter anderem Chemotherapie mit Gemcitabine und medikamentöse Therapie mit Tarveca – zeigen zur Überzeugung des Senats, dass die hier begehrte Behandlung eben nicht die einzige und letzte noch denkbare war.
Nur hinzu kommt, dass selbst dann, wenn schulmedizinische Behandlungsmethoden mit palliativer Intention nicht mehr gegeben gewesen sein sollten, dies allein noch nicht den Weg zu nicht anerkannten Behandlungsmethoden öffnet. Vielmehr müssen auch diese zumindest eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder – wie hier – auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten. Dabei ist vorliegend in Rechnung zu stellen, dass die Anforderungen an die Erfolgschancen der streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung deshalb besonders hoch sind, weil der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem Überprüfungsverfahren im Rahmen des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Behandlungsmethode der Elektrohyperthermie bereits durch Beschluss vom 18. Januar 2005 ausdrücklich nicht als Behandlungsmethode anerkannt und so vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen hat.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, anerkannt, dass für eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung regelmäßig kein Raum mehr ist, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nach nicht zu beanstandender Prüfung zu einer negativen Methodenbewertung gelangt ist (BSG 7.11.2006 – B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Zwar ist es auch dann nicht schlechterdings ausgeschlossen, im Einzelfall durch die Formulierung eines grundrechtsunmittelbaren Leistungsanspruchs auf eine spezielle Behandlungsmethode eine entgegenstehende normative Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses außer Anwendung zu lassen (vgl. BVerfG 29.11.2007 – 1 BvR 2496/07, SozR 4-2500 § 27 Nr. 17; BVerfG 19.3.2009 – 1 BvR 316/09, NZS 2009, 376; vgl. auch LSG Hamburg 13.12.2011 – L 1 KR 149/11 B ER, nicht veröffentlicht). Doch bedürfte es hierfür konkreter Anhaltspunkte, dass und warum in der vorliegenden Konstellation gleichwohl einen Leistungsanspruch begründende Erfolgschancen selbst bei Annahme fehlender schulmedizinischer Behandlungsalternativen bestehen sollten. Auch daran aber fehlt es hier. Indizien oder gar Evidenzen dafür, dass nur durch die streitbefangene Hyperthermie-Behandlung in der konkreten Lage des Versicherten positive Wirkungen auf den Krankheitsverlauf erzielt worden sind oder zumindest hätten erzielt werden können, sind nicht ersichtlich.
Letztlich ging es in der medizinisch hoffnungslosen Lage des Versicherten für diesen und auch für die Klägerin mit der Hyperthermie-Behandlung durch Dr. B. um einen weiteren, nicht aber um den einzigen oder letzten Strohhalm. Diesen konnte der Versicherte aus nachvollziehbaren Gründen zwar ergreifen, muss diesen aber nicht deshalb die Beklagte bezahlen. Denn auch wenn in hoffnungsloser Lage eine kurative Behandlung nicht mehr hilft, es vielmehr um eine palliative Behandlung für ein begleitetes Sterben in Würde geht, weitet dies noch nicht den durch Gesetz und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses konturierten Leistungsanspruch zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn und weil wie hier andere anerkannte und auch zumutbare palliative Behandlungsalternativen bestanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Anlass hierfür bestand auch nicht mit Blick auf die Frage, ob vorliegend für das Berufungsverfahren § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG Anwendung findet. Denn insoweit geht es allein um die Kostenentscheidung und ist diese Frage zudem bereits Gegenstand eines Klärungsprozesses beim Bundessozialgericht (vgl. BSG 8.11.2011 – B 1 KR 6/11 R, juris).
Tatbestand:
Im Streit ist die Erstattung der Kosten für eine Hyperthermie-Behandlung vom 3. Mai 2010 bis zum 15. Oktober 2010 in Höhe von 4.166,50 EUR.
Die Klägerin ist die Witwe des am XXXXX 1955 geborenen und am XXXXX 2010 während des Klagverfahrens verstorbenen Heiner Tiedemann, der bei der Beklagten versichert war. Sie führt das noch von ihrem verstorbenen Ehemann (im Folgenden: Versicherter) eingeleitete gerichtliche Verfahren als seine Rechtsnachfolgerin weiter.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2010, bei der Beklagten eingegangen am 4. Mai 2010, beantragte der Versicherte gemeinsam Dr. B. eine einzelfallbezogene Behandlungskostenübernahme für eine Hyperthermie-Behandlung und eine dendritische Zell-Immuntherapie durch Dr. B ... Bei dem Versicherten bestünden ein inoperables Tumorrezidiv eines Harnblasenkarzinoms und ein Tumorprogress an der Wirbelsäule. Eine chemotherapeutische Standardtherapie gebe es nicht mehr. Die beantragten Therapieverfahren böten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine nicht ganz weit entfernte Aussicht auf spürbare Linderung der Symptomatik bzw. Besserung des Tumorgeschehens. Der Antrag enthielt den Zusatz: "Wegen der Dringlichkeit bei wachsendem Metastasenrezidiv muss leider schon vor Ihrer Stellungnahme zu diesem Antrag mit der Therapie begonnen werden."
Der Facharzt für Radiologie und Strahlentherapie Dr. B., der den Antrag gemeinsam mit dem Versicherten stellte, ist als nicht zur vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassener Arzt privatärztlich tätig. Er betreibt in H. eine Privatpraxis für individuelle Krebstherapie und -diagnostik im Onkologikum H. (I.- H. D. B.). Zudem forscht er auf dem Gebiet der Hyperthermie und unternimmt auch Therapiestudien. So ergibt sich aus dem von ihm im Verwaltungsverfahren der Beklagten vorgelegten Programm des Hyperthermie-Symposiums der D. e. V., dass er auf diesem am 11. September 2010 zum Thema "Kombination von Strahlentherapie, low-dose-Chemotherapie und Elektrohyperthermie – Timing und Dosierung; Vorstellung des Designs von 2 geplanten Studien" vortrug. Die vorliegend beim Versicherten durch den Behandler angewandte Elektrohyperthermie-Behandlung besteht aus einer gezielten milden Tumorgewebsüberwärmung und aus dem Aufbau von elektrischen bzw. elektromagnetischen Feldern (vgl. auch Darstellung im Internetauftritt www. o ...de).
Ausweislich der Arztrechnungen des Dr. B. erfolgten die einzelnen Tiefenhyperthermie-Applikationen zwischen dem 3. Mai 2010 und 15. Oktober 2010 durch Einsatz der lokoregionalen Tiefenhyperthermie in Verbindung mit inkludierender lokaler Radiokurzwellenstrahlung zum Aufbau elektrischer Felder im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule bzw. des Kreuzbeins bei einem ossär metastasierten Harnblasenkarzinom unter simultaner Lowdose-Chemotherapie mit Mitomycin C und Gemzar.
Die neben der für die Hyperthermie-Behandlung auch für eine dendritische Zell-Immuntherapie mit dem Schreiben vom 3. Mai 2010 noch beantragte einzelfallbezogene Kostenübernahme ist vorliegend nicht streitbefangen, weil diese Behandlung nicht mehr durchgeführt worden ist.
Durch Bescheid vom 4. Mai 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe die neue Behandlungsmethode der Hyperthermie-Verfahren bereits bewertet und, weil für keine der überprüften onkologischen Indikationen nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Nutzen, die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Methoden – nachgewiesen seien, die Aufnahme der Hyperthermie in den Katalog der anerkannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden abgelehnt. Die beantragte Hyperthermie-Behandlung sei daher keine Vertragsleistung und es könne der beantragten Kostenübernahme nicht entsprochen werden.
Gegen diesen eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthaltenden Bescheid erhob der Versicherte gemeinsam mit Dr. B. am 17. Juni 2010 Widerspruch und trug unter anderem vor, es seien die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet worden.
Der im Widerspruchsverfahren von der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung kam in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 15. Juli 2010 nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Es sei von einer palliativen Situation auszugehen, denn es bestehe bei dem Versicherten eine Erkrankung mit infauster Prognose und sehr begrenzter Überlebenserwartung. Standardtherapieverfahren außer best supportive care bzw. schmerztherapeutischer Bestrahlung seien nicht mehr medizinisch sinnvoll möglich. Der therapeutische Effekt der Hyperthermie sei durch wissenschaftliche Studien nicht belegt. Auch wenn eine gewisse Wirksamkeit der beantragten Behandlung, zumindest bei bestimmten Tumoren, nicht ausgeschlossen werden könne, sei hier eine tatsächliche Verlängerung des Überlebens des Versicherten bzw. eine Verbesserung seines Allgemeinbefindens aus sozialmedizinischer Sicht rein spekulativ.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 2010 unter Mitteilung des Ergebnisses des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ihre ablehnende Entscheidung und der Versicherte mit Schreiben vom 18. August 2010 gemeinsam mit Dr. B. den Widerspruch aufrechterhalten hatte, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2010 den Widerspruch zurück. Der Versicherte könne die begehrte Behandlung nicht beanspruchen. Es handele sich nicht um eine Vertragsleistung. Vielmehr habe der Gemeinsame Bundesausschuss die neuen Behandlungsmethoden der Hyperthermie-Verfahren bereits bewertet und sie den Methoden zugeordnet, die nicht zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürften. Anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn hier bestünden nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung mit der schmerztherapeutischen Bestrahlung und best supportive care noch Behandlungsalternativen.
Mit seiner am 12. November 2010 erhobenen Klage hat der Versicherte und sodann die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin die Kostenerstattung für die im Zeitpunkt der Klag-erhebung bereits beendete Hyperthermie-Behandlung bei Dr. B. begehrt. Alle drei im sog. Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts formulierten Voraussetzungen für einen Anspruch lägen bezogen auf die Elektrohyperthermie-Behandlung vor. Insbesondere hätten keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden mehr zur Verfügung gestanden.
Die Beklagte hat sich auf ihren Widerspruchsbescheid und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung bezogen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. März 2011 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, Anspruchsgrundlage könne nur § 13 Abs. 3 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sein. Aber zum einen habe es sich nicht um eine unaufschiebbare Behandlung im Sinne der ersten Alternative dieser Vorschrift gehandelt, denn bereits bei der Entlassung des Versicherten aus stationärer Behandlung am 5. März 2010 sei keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Tumorerkrankung mehr erkennbar gewesen. Zum anderen sei auch die zweite Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V schon deshalb nicht gegeben, weil dem Versicherten die Kosten nicht erst durch die Ablehnung der Beklagten durch Bescheid vom 4. Mai 2010 entstanden seien, sondern durch die bereits zuvor am 3. Mai 2010 auf sein eigenes Kostenrisiko von ihm begonnene Behandlung. Im Übrigen aber würde auch unabhängig von der Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kein Anspruch bestehen, weil die Hyperthermie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss durch Beschluss vom 18. Januar 2005 in den Katalog der nicht anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufgenommen worden und diese Behandlung deshalb aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht bei grundrechtsorientierter Auslegung nach Maßgabe des sog. Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts, weil der Gemeinsame Bundesausschuss nach nicht zu beanstandender Prüfung zu einer negativen Bewertung gelangt sei.
Gegen den am 7. April 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 2. Mai 2011 Berufung eingelegt. Mit dieser trägt sie unter anderem vor, die Behandlung sei unaufschiebbar gewesen, denn schulmedizinische Behandlungsmethoden seien zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr gegeben gewesen. Die Therapie des Dr. B. fülle insoweit eine Lücke. Ihre Effizienz sei in der Fachliteratur anerkannt. Sie habe die Aussicht auf eine spürbare Linderung der Krankheit geboten und sei dies auch hier der Fall gewesen.
Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. März 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Hyperthermie-Behandlung des Versicherten Heiner Tiedemann Kosten in Höhe von 4.166,50 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihren Widerspruchsbescheid und ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Durch Beschluss vom 6. September 2011 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss vom 6. September 2011 die Berufung dem Berichterstatter übertragen hat, der nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Der Beschluss ist den Beteiligten am 12. September 2011 bzw. am 15. September 2011 zugestellt worden.
Der Senat konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung auch entscheiden, obwohl der Bevollmächtigte der Klägerin am Tag der Verhandlung kurz vor deren Beginn gegenüber der Geschäftsstelle des Gerichts telefonisch mitgeteilt hat, dass er wegen eines akuten Hexenschusses nicht zum Verhandlungstermin erscheinen könne, und auch nach einer angemessenen Wartezeit von 15 Minuten und erneutem Aufruf der Sache für die Klägerin, die von dem Termin ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens benachrichtigt worden war, niemand erschien. Denn die Klägerin und ihr Bevollmächtigter waren mit der ordnungsgemäßen Terminsmitteilung und Ladung jeweils darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann sowie die Entscheidung nach Lage der Akten ergehen kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 SGG).
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung. Auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Sozialgerichts zur Reichweite des Anspruchs auf Behandlungsleistungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Die Berufung gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung – um den es im Zeitpunkt der Klagerhebung aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits beendeten hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung allein noch ging – nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht weiter reicht als der zugrunde liegende Sachleistungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Dieser aber fand vorliegend seine Begrenzung durch § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung – wie hier die Hyperthermie-Behandlung – zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat unter anderem (siehe Nr. 1) über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zulasten der Krankenkasse erbrachte Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; vgl. Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 135 Rn. 9, 96, 98, Stand August 2010).
Der Gemeinsame Bundesausschuss aber hat auf der Grundlage eines umfangreichen und beanstandungsfreien Bewertungsverfahrens (ausführlich dokumentiert im Internetauftritt unter www.g-ba.de) durch Beschluss vom 18. Januar 2005, in Kraft getreten am 15. Mai 2005 (BAnz. 2005 Nr. 90, S. 7485), die Anlage B ("Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden") seiner Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dahin geändert, dass er ihr unter Nr. 42 anfügte "Hyperthermie (u. a. Ganzkörperhyperthermie, Regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie)" (heute: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung, Anlage II: Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen, Nr. 42). Zu den in die Überprüfung einbezogenen onkologischen Indikationen gehörten dabei auch maligne Blasentumoren und Prostatakarzinom und erfasste die Überprüfung die vertragsärztliche Versorgung insgesamt, also sowohl kurative wie palliative Formen der ärztlichen Behandlung. Eine Elektrohyperthermie gehörte und gehört insoweit somit grundsätzlich nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt vorliegend ein anderes Ergebnis nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Auch eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungsvorschriften des SGB V nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts (6.12.2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 – "Nikolausbeschluss") führt hier nicht zum geltend gemachten Anspruch. Dafür müssten alle drei Voraussetzungen für eine Leistungsausweitung auf grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbare Behandlungsmethoden vorliegen: Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegen, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, und es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die begehrte Leistung bestehen (vgl. dazu Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 135 Rn. 102, Stand August 2010; vgl. auch § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, mit der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in das Gesetz integriert wurde).
Zwar lag bei dem Versicherten eine notstandsähnliche Erkrankungssituation im Sinne dieser Rechtsprechung vor. Aus den Unterlagen zu seiner Krankheits- und Behandlungsgeschichte ergibt sich, dass nach der stationären Behandlung vom 1. März 2010 bis 5. März 2010 in der A. Klinik S. (H.) aufgrund der konsumierenden Grunderkrankungen und mit ihnen verbundenen chronischen Schmerzen – Blasenresektion und Anlage Neoblase bei Harnblasenkarzinom, Prostatakarzinom, rezidivierende Wirbelsäule-Metastasen – nur mehr eine schmerztherapeutische und palliative Behandlung in Frage kam. Doch hält die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für diese Erkrankungssituation mit palliativen Behandlungsformen – hier zutreffend vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit best supportive care und schmerztherapeutischer Bestrahlung benannt – allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsleistungen vor. Diese standen in seinem konkreten Fall auch dem Versicherten zur Verfügung. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sie aufgrund spezifischer Umstände seines Einzelfalls bei ihm nicht zur Anwendung hätten kommen oder unzumutbar gewesen wären. Zudem unterzog sich der Versicherte im Anschluss an den stationären Aufenthalt in S. ausweislich des Berichts des M. Klinikums in B1 vom 17. November 2010 auch mehreren verschiedenen palliativ ausgerichteten Behandlungen. Denn neben der hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung bei Dr. B. in H. vom 3. Mai 2010 bis 15. Oktober 2010 sind dort eine systemische Chemotherapie mit Gemcitabine von April 2010 bis Juli 2010, eine Therapie mit dem Arzneimittel Tarveca und Hyperthermie bei Prof. G. an der Universität G1 von September 2010 bis Oktober 2010 und die stationäre Behandlung mit palliativer Intention im M. Klinikum in B1 selbst vom 1. November 2010 bis 18. November 2010 dokumentiert. Eine kurative Behandlung war auch während dieses letzten Klinikaufenthalts nicht mehr möglich und wurde der Versicherte auf die Palliativstation zurückverlegt.
Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende ("schulmedizinische") Behandlungsleistungen mit kurativer Intention haben also in der Tat nicht mehr zur Verfügung gestanden. Doch lag dies daran, dass bereits eine palliative Situation vorlag. Dafür, dass außer der Hyperthermie-Behandlung durch Dr. B. keine andere anerkannte Behandlungsalternative mit palliativer Intention mehr in Betracht kam, ist aber nichts ersichtlich. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich kein Argument für die Annahme, warum die hier streitbefangene Behandlung als palliativ ausgerichtete Schmerzbehandlung, um die es bei dem Versicherten im Behandlungszeitpunkt allein noch gehen konnte, der Standardbehandlung der bestmöglich unterstützenden Pflege (best supportive care) und der Strahlentherapie zur Schmerzlinderung etwas hinzufügen hätte können, was diese von vornherein nicht zu leisten vermocht hätten. Auch die parallel oder nachfolgend zu der hier streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung des Versicherten durchgeführten Behandlungen – unter anderem Chemotherapie mit Gemcitabine und medikamentöse Therapie mit Tarveca – zeigen zur Überzeugung des Senats, dass die hier begehrte Behandlung eben nicht die einzige und letzte noch denkbare war.
Nur hinzu kommt, dass selbst dann, wenn schulmedizinische Behandlungsmethoden mit palliativer Intention nicht mehr gegeben gewesen sein sollten, dies allein noch nicht den Weg zu nicht anerkannten Behandlungsmethoden öffnet. Vielmehr müssen auch diese zumindest eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder – wie hier – auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten. Dabei ist vorliegend in Rechnung zu stellen, dass die Anforderungen an die Erfolgschancen der streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung deshalb besonders hoch sind, weil der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem Überprüfungsverfahren im Rahmen des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Behandlungsmethode der Elektrohyperthermie bereits durch Beschluss vom 18. Januar 2005 ausdrücklich nicht als Behandlungsmethode anerkannt und so vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen hat.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, anerkannt, dass für eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung regelmäßig kein Raum mehr ist, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nach nicht zu beanstandender Prüfung zu einer negativen Methodenbewertung gelangt ist (BSG 7.11.2006 – B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Zwar ist es auch dann nicht schlechterdings ausgeschlossen, im Einzelfall durch die Formulierung eines grundrechtsunmittelbaren Leistungsanspruchs auf eine spezielle Behandlungsmethode eine entgegenstehende normative Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses außer Anwendung zu lassen (vgl. BVerfG 29.11.2007 – 1 BvR 2496/07, SozR 4-2500 § 27 Nr. 17; BVerfG 19.3.2009 – 1 BvR 316/09, NZS 2009, 376; vgl. auch LSG Hamburg 13.12.2011 – L 1 KR 149/11 B ER, nicht veröffentlicht). Doch bedürfte es hierfür konkreter Anhaltspunkte, dass und warum in der vorliegenden Konstellation gleichwohl einen Leistungsanspruch begründende Erfolgschancen selbst bei Annahme fehlender schulmedizinischer Behandlungsalternativen bestehen sollten. Auch daran aber fehlt es hier. Indizien oder gar Evidenzen dafür, dass nur durch die streitbefangene Hyperthermie-Behandlung in der konkreten Lage des Versicherten positive Wirkungen auf den Krankheitsverlauf erzielt worden sind oder zumindest hätten erzielt werden können, sind nicht ersichtlich.
Letztlich ging es in der medizinisch hoffnungslosen Lage des Versicherten für diesen und auch für die Klägerin mit der Hyperthermie-Behandlung durch Dr. B. um einen weiteren, nicht aber um den einzigen oder letzten Strohhalm. Diesen konnte der Versicherte aus nachvollziehbaren Gründen zwar ergreifen, muss diesen aber nicht deshalb die Beklagte bezahlen. Denn auch wenn in hoffnungsloser Lage eine kurative Behandlung nicht mehr hilft, es vielmehr um eine palliative Behandlung für ein begleitetes Sterben in Würde geht, weitet dies noch nicht den durch Gesetz und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses konturierten Leistungsanspruch zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn und weil wie hier andere anerkannte und auch zumutbare palliative Behandlungsalternativen bestanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Anlass hierfür bestand auch nicht mit Blick auf die Frage, ob vorliegend für das Berufungsverfahren § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG Anwendung findet. Denn insoweit geht es allein um die Kostenentscheidung und ist diese Frage zudem bereits Gegenstand eines Klärungsprozesses beim Bundessozialgericht (vgl. BSG 8.11.2011 – B 1 KR 6/11 R, juris).
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