Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 2670/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft in der Landeshauptstadt Dresden
I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum Februar bis Juni 2011 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt monatlich 361,85 EUR und für Juli 2011 in Höhe von insgesamt 370,88 EUR zu gewähren.
II. Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 18. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu ½.
V. Die Berufung wird zugelassen, soweit die Kammer der Klage stattgegeben hat.
Tatbestand:
Die Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011. Der am 1961 geborene Kläger ist arbeitslos und beantragte bei dem Beklagten am 25. Januar 2005 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Laut Mietvertrag vom 19. März 1996 bewohnt er eine 46,74 m² große 2-Raum-Wohnung. Mit Schreiben vom 13. Januar 2006 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung der Kosten der Unterkunft auf. Die Bruttokaltmiete betrug bis 30. Juni 2011 308,85 EUR und ab 1. Juli 2011 317,88 EUR jeweils zuzüglich Heizkosten in Höhe von monatlich 53 EUR. Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 20. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 2011 für die Monate Februar bis Juli 2011 monatlich 667,70 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus der Regelleistung in Höhe von 359 EUR und Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 308,70 EUR zusammen. Auf den hiergegen am 2. Februar 2011 erhobenen Widerspruch erließ der Beklagte am 26. März 2011 einen Änderungsbescheid, mit dem er monatlich 672,70 EUR gewährte und dabei den Regelbedarf auf 364 EUR monatlich anpasste. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 18. April 2011 gewährte der Beklagte monatlich 673 EUR. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2011 zurück. Der Kläger hat am 26. Mai 2011 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, er sei schwerbehindert mit einem GdB in Höhe von 50 und dem Merkzeichen "G". Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei ihm seit 2007 bewilligt worden. Er leide am "Mallory-Weiss-Syndrom" und habe 2006 einen lebensbedrohlichen Durchbruch erlitten. Ferner bestehe eine Fettstoffwechselstörung und Bluthochdruck. Das Gericht solle hierzu ein Sachverständigengutachten einholen. Anspruch auf Kosten der Unterkunft habe er im Rahmen einer Härtefallprüfung.
Der Kläger beantragt:
I. Der Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 wird insoweit abgeändert und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger im Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 einen Mehrbedarf für kostaufwändige Ernährung wegen Krankheit in Höhe von 36 EUR monatlich zu bewilligen.
II. Der Beklagte wird zudem verpflichtet, über ihren Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 hinaus im Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 die Kosten der Unterkunft des Klägers in Höhe von 361,85 EUR monatlich, ab Juli 2011 in Höhe von 370,88 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen darauf, die Empfehlung, die Lebensgewohnheiten umzustellen begründe keinen Mehrbedarf.
Am 8. Februar 2012 hat der Beklagte folgendes Teilanerkenntnis abgegeben:
1. Der Beklagte legt der Berechnung der Leistungen zur Sicherung für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 276 EUR zuzüglich 53 EUR Heizkosten zugrunde.
2. Der Beklagte erklärt sich dem Grunde nach zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 4/10 bereit. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen und im Übrigen die Klage weitergeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akten S 20 AS 885/10 ER, S 20 AS 889/10, S 20 AS 1502/10, S 20 AS 6184/10, S 20 AS 8258/10 und S 20 AS 5458/11 sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist – soweit sie nicht gemäß § 101 Abs. 2 SGG durch angenommenes Teilanerkenntnis erledigt ist – teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und vom 18. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er ihm diesen Anspruch versagt. Ein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung steht dem Kläger hingegen nicht zu. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger erfüllt alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Er hat nur Anspruch auf Leistungen, soweit er hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Höhe des Anspruches auf Arbeitslosengeld II bemisst sich nach § 19 SGB II. Der Bedarf des Klägers ergibt sich zum einen aus dem ihm gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zustehenden Regelbedarf in Höhe von 364 EUR. Zum anderen gehört dazu der dem Kläger gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehende Bedarf für Unterkunft und Heizung. Einen Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II hat der Kläger hingegen nicht. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers betrugen 308,85 EUR bis 30. Juni 2011 und 317,88 EUR ab 1. Juli 2011 zuzüglich 53 EUR Heizkostenvorauszahlung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung der Aufwendungen für die Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum vorlagen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie unangemessen hoch gewesen wären. Zur Feststellung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft hat der Beklagte nach der Rechtsprechung des BSG in mehreren Schritten vorzugehen (Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R): In einem ersten Schritt ist die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Sodann ist in einem dritten Schritt nach der "Produkttheorie" zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. Hierbei ist der ermittelte Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards mit der dem Hilfeempfänger zugestandenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren und so die angemessene Miete festzustellen. Die Berechnung des Beklagten, die dem Teilanerkenntnis vom 8. Februar 2012 zu Grunde liegt, weicht bereits im ersten Schritt von den Vorgaben des BSG ab. Im Freistaat Sachsen ist hinsichtlich der angemessenen Wohnungsgröße auf die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom 27. Juni 2005 (SächsABl. vom 28. Juli 2005 – VwV Ersatzwohnraumförderung) zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 70/08 R; Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 86/09 R). Nach Ziffer IV.4 Satz 1 Buchstabe a dieser Vorschrift ist für eine Person von einer Wohnflächenobergrenze von mindestens 50 m² auszugehen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 2. November 2011 – S 10 AS 4150/10; Urteil vom 20. Juni 2010 – S 40 AS 390/09). Folgt man dem Urteil des BSG vom 19. Februar 2009 (B 4 AS 30/08 R), ließe sich sogar eine Obergrenze von 60 m² für einen Ein-Personen-Haushalt in Sachsen begründen (Ziffer IV.4 Satz 1 Buchstabe b VwV Ersatzwohnraumförderung). Unbeachtlich ist die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Regelung der Wohnflächenhöchstgrenzen zu § 18 SächsAGSGB vom 7. Juni 2010 (VwV Wohnflächenhöchstgrenzen). Es ist bereits keine Zuständigkeit des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz ersichtlich. Auch die Rechtsgrundlage, auf der diese Verwaltungsvorschrift ergangen ist, lässt sich ihr nicht entnehmen. Die zitierte Vorschrift (§ 18 SächsAGSGB – "Sonderlastenausgleich") kommt als Rechtsgrundlage offensichtlich nicht in Betracht. Zuständig für die vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz vorgenommene Rechtssetzung wäre vielmehr gemäß § 27 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (a. F.) das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gewesen. Soweit das Bundessozialgericht mangels auf Grundlage von § 27 SGB II a. F. erlassener Bestimmung auf Werte zurückgreift, die die Länder auf Grund des § 10 WoFG festgesetzt haben (vgl. Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R), war das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz auch zum Erlass dieser Vorschrift nicht befugt. Dass die VwV Ersatzwohnraumförderung zum 31. Dezember 2009 außer Kraft getreten ist, führt mangels anderweitiger Anhaltspunkte für die Bestimmung der Wohnflächenobergrenze nicht dazu, dass diese ab 1. Januar 2010 niedriger anzusetzen wäre. Bereits eine Multiplikation der in Sachsen im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls angemessenen Wohnfläche von 50 m² mit dem vom Beklagten im Teilanerkenntnis vom 8. Februar 2012 als angemessen angesehenen Preis von 6,13 EUR/m² (276 EUR/45 m²) ergibt eine angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 306,67 EUR. Die Aufwendungen für die Unterkunft des Klägers lagen zwar mit 308,85 EUR bis 30. Juni 2011 leicht oberhalb dieser Beträge. Die geringfügige Überschreitung um 2,18 EUR pro Monat rechtfertigte das Verlangen eines Umzuges jedoch nicht. Da keine anderweitigen Kostensenkungsmöglichkeiten ersichtlich sind, ist für eine Kappung der Aufwendungen für die Unterkunft selbst bei der für den Kläger ungünstigsten Auslegung von Ziffer IV.4 Satz 1 VwV Ersatzwohnraumförderung keine Grundlage gegeben. Ab 1. Juli 2011 überstiegen die Aufwendungen für die Unterkunft mit 317,88 EUR zwar den o. a. Betrag um 11,21 EUR. Im Hinblick auf § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II konnte der Beklagte allerdings nicht bereits zum 1. Juli 2011 den Bedarf für Unterkunft kürzen. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die geringfügige Überschreitung der oben ermittelten Obergrenze eine Kappung rechtfertigen könnte, ergäbe sich nichts anderes. Denn der vom Beklagten als angemessen angesehene Quadratmeterpreis beruht nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. im Einzelnen: SG Dresden, Urteil vom 28. Februar 2012 – S 29 AS 7524/10 m. w. N.). Der dann nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R) angezeigte Rückgriff auf die Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG ergibt einen Wert von 330 EUR, den die Bruttokaltmiete des Klägers bereits ohne "maßvolle Erhöhung" nicht überschreitet. Den Bedarf für Heizung hat der Beklagte nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, da verschwenderisches Heizverhalten nicht ersichtlich ist. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II steht dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu. Nach dieser Vorschrift erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Unerheblich ist, dass der Beklagte dem Kläger in früheren Bewilligungszeiträumen einen solchen Mehrbedarf bewilligt hat. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R). Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger nicht gegeben. Nach den bei den Akten befindlichen ausführlichen ärztlichen Stellungnahmen ist dem Kläger eine grundlegende Lebensumstellung empfohlen worden. An diese Empfehlung hat er sich offenbar vorbildlich gehalten. Empfohlen wurde ihm ausweislich der Stellungnahme des Krankenhauses vom 4. April 2011 eine "mediterrane Diät". Hierbei handelt es sich nach der Überzeugung der Kammer um eine besondere Form der gesunden Vollkost. Die Ernährung mit einer sogenannten "Vollkost" unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt. Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, a. a. O.). Da bereits keine ärztliche Anordnung einer besonders kostenaufwändigen Ernährung vorliegt, waren weitergehende Ermittlungen entbehrlich. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Einzubeziehen war in die einheitliche Kostenentscheidung das (Teil-) Kostengrundanerkenntnis des Beklagten vom 8. Februar 2012. Die Berufung, die der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes für beide Parteien weniger 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), war zuzulassen, soweit die Kammer der Klage stattgegeben hat, da die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Bei dem Sozialgericht Dresden ist eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen die Kürzung der Aufwendungen für Unterkunft durch den Beklagten im Streit steht. Soweit die Klage abgewiesen wurde, handelt es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
II. Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 18. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu ½.
V. Die Berufung wird zugelassen, soweit die Kammer der Klage stattgegeben hat.
Tatbestand:
Die Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011. Der am 1961 geborene Kläger ist arbeitslos und beantragte bei dem Beklagten am 25. Januar 2005 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Laut Mietvertrag vom 19. März 1996 bewohnt er eine 46,74 m² große 2-Raum-Wohnung. Mit Schreiben vom 13. Januar 2006 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung der Kosten der Unterkunft auf. Die Bruttokaltmiete betrug bis 30. Juni 2011 308,85 EUR und ab 1. Juli 2011 317,88 EUR jeweils zuzüglich Heizkosten in Höhe von monatlich 53 EUR. Auf den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom 20. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 2011 für die Monate Februar bis Juli 2011 monatlich 667,70 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus der Regelleistung in Höhe von 359 EUR und Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 308,70 EUR zusammen. Auf den hiergegen am 2. Februar 2011 erhobenen Widerspruch erließ der Beklagte am 26. März 2011 einen Änderungsbescheid, mit dem er monatlich 672,70 EUR gewährte und dabei den Regelbedarf auf 364 EUR monatlich anpasste. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 18. April 2011 gewährte der Beklagte monatlich 673 EUR. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2011 zurück. Der Kläger hat am 26. Mai 2011 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, er sei schwerbehindert mit einem GdB in Höhe von 50 und dem Merkzeichen "G". Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei ihm seit 2007 bewilligt worden. Er leide am "Mallory-Weiss-Syndrom" und habe 2006 einen lebensbedrohlichen Durchbruch erlitten. Ferner bestehe eine Fettstoffwechselstörung und Bluthochdruck. Das Gericht solle hierzu ein Sachverständigengutachten einholen. Anspruch auf Kosten der Unterkunft habe er im Rahmen einer Härtefallprüfung.
Der Kläger beantragt:
I. Der Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 wird insoweit abgeändert und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger im Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 einen Mehrbedarf für kostaufwändige Ernährung wegen Krankheit in Höhe von 36 EUR monatlich zu bewilligen.
II. Der Beklagte wird zudem verpflichtet, über ihren Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 hinaus im Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 die Kosten der Unterkunft des Klägers in Höhe von 361,85 EUR monatlich, ab Juli 2011 in Höhe von 370,88 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen darauf, die Empfehlung, die Lebensgewohnheiten umzustellen begründe keinen Mehrbedarf.
Am 8. Februar 2012 hat der Beklagte folgendes Teilanerkenntnis abgegeben:
1. Der Beklagte legt der Berechnung der Leistungen zur Sicherung für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 276 EUR zuzüglich 53 EUR Heizkosten zugrunde.
2. Der Beklagte erklärt sich dem Grunde nach zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 4/10 bereit. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen und im Übrigen die Klage weitergeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akten S 20 AS 885/10 ER, S 20 AS 889/10, S 20 AS 1502/10, S 20 AS 6184/10, S 20 AS 8258/10 und S 20 AS 5458/11 sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist – soweit sie nicht gemäß § 101 Abs. 2 SGG durch angenommenes Teilanerkenntnis erledigt ist – teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und vom 18. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er ihm diesen Anspruch versagt. Ein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung steht dem Kläger hingegen nicht zu. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger erfüllt alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Er hat nur Anspruch auf Leistungen, soweit er hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Höhe des Anspruches auf Arbeitslosengeld II bemisst sich nach § 19 SGB II. Der Bedarf des Klägers ergibt sich zum einen aus dem ihm gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zustehenden Regelbedarf in Höhe von 364 EUR. Zum anderen gehört dazu der dem Kläger gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehende Bedarf für Unterkunft und Heizung. Einen Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II hat der Kläger hingegen nicht. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers betrugen 308,85 EUR bis 30. Juni 2011 und 317,88 EUR ab 1. Juli 2011 zuzüglich 53 EUR Heizkostenvorauszahlung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung der Aufwendungen für die Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum vorlagen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie unangemessen hoch gewesen wären. Zur Feststellung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft hat der Beklagte nach der Rechtsprechung des BSG in mehreren Schritten vorzugehen (Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R): In einem ersten Schritt ist die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Sodann ist in einem dritten Schritt nach der "Produkttheorie" zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. Hierbei ist der ermittelte Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards mit der dem Hilfeempfänger zugestandenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren und so die angemessene Miete festzustellen. Die Berechnung des Beklagten, die dem Teilanerkenntnis vom 8. Februar 2012 zu Grunde liegt, weicht bereits im ersten Schritt von den Vorgaben des BSG ab. Im Freistaat Sachsen ist hinsichtlich der angemessenen Wohnungsgröße auf die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom 27. Juni 2005 (SächsABl. vom 28. Juli 2005 – VwV Ersatzwohnraumförderung) zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 70/08 R; Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 86/09 R). Nach Ziffer IV.4 Satz 1 Buchstabe a dieser Vorschrift ist für eine Person von einer Wohnflächenobergrenze von mindestens 50 m² auszugehen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 2. November 2011 – S 10 AS 4150/10; Urteil vom 20. Juni 2010 – S 40 AS 390/09). Folgt man dem Urteil des BSG vom 19. Februar 2009 (B 4 AS 30/08 R), ließe sich sogar eine Obergrenze von 60 m² für einen Ein-Personen-Haushalt in Sachsen begründen (Ziffer IV.4 Satz 1 Buchstabe b VwV Ersatzwohnraumförderung). Unbeachtlich ist die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Regelung der Wohnflächenhöchstgrenzen zu § 18 SächsAGSGB vom 7. Juni 2010 (VwV Wohnflächenhöchstgrenzen). Es ist bereits keine Zuständigkeit des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz ersichtlich. Auch die Rechtsgrundlage, auf der diese Verwaltungsvorschrift ergangen ist, lässt sich ihr nicht entnehmen. Die zitierte Vorschrift (§ 18 SächsAGSGB – "Sonderlastenausgleich") kommt als Rechtsgrundlage offensichtlich nicht in Betracht. Zuständig für die vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz vorgenommene Rechtssetzung wäre vielmehr gemäß § 27 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (a. F.) das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gewesen. Soweit das Bundessozialgericht mangels auf Grundlage von § 27 SGB II a. F. erlassener Bestimmung auf Werte zurückgreift, die die Länder auf Grund des § 10 WoFG festgesetzt haben (vgl. Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R), war das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz auch zum Erlass dieser Vorschrift nicht befugt. Dass die VwV Ersatzwohnraumförderung zum 31. Dezember 2009 außer Kraft getreten ist, führt mangels anderweitiger Anhaltspunkte für die Bestimmung der Wohnflächenobergrenze nicht dazu, dass diese ab 1. Januar 2010 niedriger anzusetzen wäre. Bereits eine Multiplikation der in Sachsen im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls angemessenen Wohnfläche von 50 m² mit dem vom Beklagten im Teilanerkenntnis vom 8. Februar 2012 als angemessen angesehenen Preis von 6,13 EUR/m² (276 EUR/45 m²) ergibt eine angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 306,67 EUR. Die Aufwendungen für die Unterkunft des Klägers lagen zwar mit 308,85 EUR bis 30. Juni 2011 leicht oberhalb dieser Beträge. Die geringfügige Überschreitung um 2,18 EUR pro Monat rechtfertigte das Verlangen eines Umzuges jedoch nicht. Da keine anderweitigen Kostensenkungsmöglichkeiten ersichtlich sind, ist für eine Kappung der Aufwendungen für die Unterkunft selbst bei der für den Kläger ungünstigsten Auslegung von Ziffer IV.4 Satz 1 VwV Ersatzwohnraumförderung keine Grundlage gegeben. Ab 1. Juli 2011 überstiegen die Aufwendungen für die Unterkunft mit 317,88 EUR zwar den o. a. Betrag um 11,21 EUR. Im Hinblick auf § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II konnte der Beklagte allerdings nicht bereits zum 1. Juli 2011 den Bedarf für Unterkunft kürzen. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die geringfügige Überschreitung der oben ermittelten Obergrenze eine Kappung rechtfertigen könnte, ergäbe sich nichts anderes. Denn der vom Beklagten als angemessen angesehene Quadratmeterpreis beruht nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. im Einzelnen: SG Dresden, Urteil vom 28. Februar 2012 – S 29 AS 7524/10 m. w. N.). Der dann nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R) angezeigte Rückgriff auf die Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG ergibt einen Wert von 330 EUR, den die Bruttokaltmiete des Klägers bereits ohne "maßvolle Erhöhung" nicht überschreitet. Den Bedarf für Heizung hat der Beklagte nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, da verschwenderisches Heizverhalten nicht ersichtlich ist. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II steht dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu. Nach dieser Vorschrift erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Unerheblich ist, dass der Beklagte dem Kläger in früheren Bewilligungszeiträumen einen solchen Mehrbedarf bewilligt hat. Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R). Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger nicht gegeben. Nach den bei den Akten befindlichen ausführlichen ärztlichen Stellungnahmen ist dem Kläger eine grundlegende Lebensumstellung empfohlen worden. An diese Empfehlung hat er sich offenbar vorbildlich gehalten. Empfohlen wurde ihm ausweislich der Stellungnahme des Krankenhauses vom 4. April 2011 eine "mediterrane Diät". Hierbei handelt es sich nach der Überzeugung der Kammer um eine besondere Form der gesunden Vollkost. Die Ernährung mit einer sogenannten "Vollkost" unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt. Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, a. a. O.). Da bereits keine ärztliche Anordnung einer besonders kostenaufwändigen Ernährung vorliegt, waren weitergehende Ermittlungen entbehrlich. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Einzubeziehen war in die einheitliche Kostenentscheidung das (Teil-) Kostengrundanerkenntnis des Beklagten vom 8. Februar 2012. Die Berufung, die der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes für beide Parteien weniger 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), war zuzulassen, soweit die Kammer der Klage stattgegeben hat, da die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Bei dem Sozialgericht Dresden ist eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen die Kürzung der Aufwendungen für Unterkunft durch den Beklagten im Streit steht. Soweit die Klage abgewiesen wurde, handelt es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
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