Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 P 1006/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3854/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. August 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Pflegegeld ab 26. März 2008.
Die am 2005 geborene Klägerin ist familienversichertes Mitglied der Beklagten. Sie leidet an einem Diabetes mellitus Typ I (Erstdiagnose Dezember 2007), einer Stoffwechselerkrankung mit Insulinmangel sowie einer Störung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels. Seit 19. Dezember 2007 ist ein Grad der Behinderung von 50 sowie der Nachteilsausgleich "H" festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 26. März 2008 Leistungen der Pflegeversicherung (Geldleistung). Ärztin Dr. W., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), schätzte in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 7. April 2008 den täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf 0 Minuten und den hauswirtschaftlichen Bedarf auf 60 Minuten. Die Messungen des Blutzuckers und Injektionen seien therapeutische Maßnahmen und nicht im grundpflegerischen Bereich angesiedelt. Die Beklagte lehnte es ab, Leistungen aus der Pflegeversicherung zu zahlen (Bescheid vom 17. April 2008).
Die Klägerin erhob Widerspruch und bezifferte den durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf der Grundpflege mit 2,15 Stunden. Pflegefachkraft B., MDK, schätzte in ihrem Gutachten vom 18. September 2008 nach einem Hausbesuch am 15. September 2008 den täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf vier Minuten (einmal täglich Übernahme des Windelwechsels nach dem Wasserlassen) und den hauswirtschaftlichen Hilfebedarf auf 60 Minuten. Die Klägerin sei mental und körperlich altersentsprechend entwickelt. Sie sei in der Lage, eigenständig zu essen und zu trinken. Sie könne handelsübliche Kost zu sich nehmen. Die Nahrungsaufnahme diene jedoch nicht der Ernährung des Körpers, sondern der Regulation des Blutzuckerspiegels, was im Sinne einer behandlungspflegerischen, nicht berücksichtigungsfähigen Maßnahme zu werten sei. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2009). Er verwies auf die eingeholten Gutachten des MDK und führte weiter aus, die im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme und einteilung erforderlichen Hilfestellungen, hierzu gehörten auch das Messen des Blutzuckers und die Gabe von Insulin, könnten bei der Feststellung von Hilfebedürftigkeit keine Berücksichtigung finden, da sie der Behandlungspflege zugeordnet würden. Bei der Nahrungsaufnahme könne zeitliche Berücksichtigung allein die letzte Maßnahme vor der Nahrungsaufnahme, beispielsweise das Zerkleinern in mundgerechte Bissen oder das Heraustrennen von Knochen und Gräten, finden. Die Zubereitung von Diäten, einschließlich des anhand der Diätvorschriften vorzunehmenden Bemessens und Zuteilens der zubereiteten Nahrung sei im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung zu berücksichtigen, für die ein Mehrbedarf von 60 Minuten anerkannt sei.
Die Klägerin erhob am 30. März 2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung trug sie - wie teilweise bereits mit ihrem Widerspruch - vor, das Gutachten der Beklagten ordne im Gegensatz zur Begründung des Widerspruchsbescheids die Nahrungsaufnahme nicht der hauswirtschaftlichen Versorgung, sondern der Behandlungspflege zu. Aufgrund der Erkrankung sei es erforderlich, dass sie mindestens fünf Mahlzeiten, insbesondere mit ausreichend Kohlenhydraten entsprechend des ermittelten Insulinwerts, täglich zu sich nehme. Nach Messen des Blutzuckers müsse entsprechend des jeweiligen Blutzuckerwerts eine Mahlzeit verabreicht werden, erforderlichenfalls auch nachts. Dabei sei eine genaue Überwachung und gegebenenfalls auch ein lange dauerndes Zureden (mindestens 30 Minuten) erforderlich. Sie sei aufgrund ihres Alters noch nicht zum Messen des Blutzuckers, zu den Berechnungen der Insulinmengen und zu den Injektionen in der Lage. Die permanente Überwachung und Aufforderung, die Mahlzeiten auch aufzuessen, führe zu einem auch gegenüber Gleichaltrigen stark erhöhten Pflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme. Die Überwachung der Nahrungsaufnahme könne nicht dem Bereich Behandlungspflege zugeordnet werden. Wenn ein Kind, das die Auswirkungen einer falschen Ernährung nicht beurteilen könne, krankheitsbedingt häufig zum Essen angehalten werden müsse, zähle diese Maßnahme der Pflegeperson als notwendiger Hilfebedarf bei der Aufnahme der Nahrung. Es ergebe sich insgesamt ein Hilfebedarf im Bereich der Ernährung von täglich 2,5 Stunden. Ein gesundes Kind habe allenfalls für die Aufnahme der Nahrung bis zum dritten Lebensjahr und für die mundgerechte Zubereitung bis zum siebten Lebensjahr noch Hilfebedarf. Die Klägerin legte ein von ihrem Vater geführtes "Pflegetagebuch" für die Monate Februar bis Mai 2010 vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen. Der geltend gemachte Zeitaufwand erscheine überhöht.
Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Z.-N. gab an (Auskunft vom 9. Oktober 2009), der Gesundheitszustand der Klägerin sei stabil, die Blutzuckerwerte aber sehr schwankend, was für eine instabile Stoffwechsellage spreche. Die Eltern der Klägerin müssten mehrmals die Blutzuckerwerte messen (vier- bis sechsmal täglich, manchmal auch nachts), Insulin spritzen (vier- bis fünfmal täglich), Urin kontrollieren (ein- bis zweimal wöchentlich) sowie bei jeder Mahlzeit alle Essensprodukte abwiegen und die Broteinheiten zur Anpassung der Insulindosis berechnen. Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. K., Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums H., berichtete in ihrer Auskunft vom 30. Oktober 2009 über die seit Dezember 2007 zunächst in ca. vier- bis sechswöchentlichen, ab Sommer 2008 in ca. drei monatlichen Abständen erfolgten Behandlungen der Klägerin. Der körperliche Untersuchungsbefund sei zuletzt bis auf leicht pathologisch verhärtete Spritzstellen in den Beinen regelrecht gewesen. In der am 5. Mai 2009 durchgeführten Jahresuntersuchung habe sich kein Anhalt für das Vorliegen Diabetes-assoziierter Erkrankungen oder diabetischer Folgeerkrankung ergeben. Bei der Klägerin müsse vier- bis sechsmal täglich der Blutzucker bestimmt (Mehraufwand pro Messung ca. fünf Minuten) und ca. drei- bis viermal täglich Insulin gespritzt werden (Zeitaufwand pro Insulingabe etwa zehn bis 15 Minuten). Wie jedes vierjährige Kind bedürfe die Klägerin der mundgerechten Zubereitung der Speisen, wobei der Zubereitungs- und Vorbereitungsaufwand wegen der in den Speisen enthaltenen Kohlenhydratmengen und deren Abwiegen etwas erhöht sei (geschätzter Mehraufwand fünf bis 15 Minuten). In einer von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 7. Juli 2010 ergänzte Dr. K., dass dieser Mehraufwand sich auf die Berechnung, die Zubereitung und das Abwiegen des Essens beziehe.
Im Auftrag des SG erstattete Internist B. das Gutachten vom 19. Juni 2010 aufgrund einer Befragung und Untersuchung der Klägerin in ihrer häuslichen Umgebung. Er nannte als Diagnosen einen Diabetes mellitus Typ I und schätzte den Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 19 Minuten (Darm-/Blasenentleerung fünf Minuten, Aufnahme der Nahrung 14 Minuten). Zusätzlich müsse die hauswirtschaftliche Versorgung komplett von den Eltern übernommen werden. Diese gestalte sich wegen des Berechnens der Kohlenhydrate und des Abwiegens der Nahrungsmittel im Rahmen der Diät wegen des Diabetes aufwändiger als bei gesunden Kindern. Wegen nächtlichen Einnässens werde über Nacht eine Windel angelegt und morgens wieder entfernt (Zeitaufwand zwei Minuten). Drei- bis viermal wöchentlich müsse die Windel nachts wegen Einnässens gewechselt werden (Zeitaufwand fünf Minuten, entsprechend drei Minuten im täglichen Durchschnitt). Der Zeitaufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten sei bei Kindern mit und ohne Diabeteserkrankung gleich. Am Begutachtungstermin habe sich die Nahrungsaufnahme völlig unproblematisch gestaltet. Die Klägerin habe während der gesamten Mahlzeit (Mittagessen) nicht zum Essen aufgefordert werden müssen. Die Eltern hätten insoweit darauf hingewiesen, dass zum einen die Mittagsmahlzeit generell weniger problematisch sei als das Frühstück und das Abendessen sowie zum anderen, dass es sich an diesem Tag um das Lieblingsgericht der Klägerin gehandelt habe. Die von den Eltern geschilderte Situation mit der Notwendigkeit häufiger Aufforderungen zum Weiteressen dürfte am ehesten im Sinne einer Trotzreaktion der Klägerin gegen die ständigen Aufforderungen zu verstehen sein, was auch vom Vater der Klägerin im Gespräch so gesehen worden sei. Hierfür spreche auch, dass die Einnahme der morgendlichen Zwischenmahlzeit und die "Obstrunde" im Kindergarten nach Angaben der Eltern ohne ständiges Drängen erfolgten. Da die Hauptmahlzeiten von der Familie gemeinsam oder zumindest in Anwesenheit eines Elternteils eingenommen würden und für die Dauer einer Mahlzeit eines Erwachsenen etwa 20 Minuten zu veranschlagen seien, sei davon auszugehen, dass in dieser Zeit keine spezielle zeitliche und örtliche Bindung der Pflegeperson erforderlich sei, da diese sowieso am Tisch zugegen sei und ihre eigene Mahlzeiten einnehme. Auch wenn in dieser Zeit gehäufte Aufforderungen zum Weiteressen erforderlich seien, addierten diese sich im Laufe einer Mahlzeit auf einen Zeitraum von nur wenigen Minuten. Auch wenn die Klägerin nach Ablauf des gemeinsamen Teils der Mahlzeit noch fünf bis zehn Minuten benötige, um die Nahrungsaufnahme zu beenden, sei für diese Zeit eine zeitliche Bindung der Pflegeperson nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weil sie anderen Verrichtungen nachgehen könne, solange sie sich dabei nicht aus dem Zimmer entferne. Bei großzügiger Betrachtungsweise könne ein Hilfebedarf von maximal fünf bis zehn Minuten pro Hauptmahlzeit und zusätzlich zwei bis drei Minuten für die Zwischenmahlzeit am Nachmittag angenommen werden, mithin 25 Minuten pro Tag. Der hiervon abzuziehende Hilfebedarf eines gesunden 4,5-jährigen Kindes betrage nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI - (Begutachtungs-Richtlinien) 15 Minuten, so dass ein Mehraufwand von zehn Minuten verbleibe. Hinzu komme dass die Klägerin ein- bis zweimal wöchentlich nachts Unterzuckerungen bekomme und dann Traubenzucker, Saft oder feste Nahrung erhalte. Nach den Angaben des Vaters der Klägerin dauere dies etwa 20 Minuten, was vier Minuten im täglichen Durchschnitt entspreche.
Des Weiteren erstattete auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Kinderärztin und Kinder-Diabetologin Dr. Kl. das Gutachten vom 24. November 2010. Sie nannte als Diagnosen einen Diabetes mellitus Typ I sowie eine genetisch determinierte, endokrine Stoffwechselerkrankung mit absolutem Insulinmangel, einhergehend mit einer Störung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels. Der zeitliche Aufwand für die Pflegetätigkeit bei einem Kleinkind mit Diabetes mellitus Typ I und instabilem Blutzuckerverlauf betrage mindestens 210 Minuten täglich und werde je nach aktueller Situation deutlich überschritten. Die Klägerin habe bedingt durch den Diabetes im Vergleich zu altersgleichen Kindern einen komplett anderen Tagesablauf. Eine permanente Betreuung der Klägerin sei aufgrund der instabilen Stoffwechsellage unabdingbar. Wegen der Erkrankung sei die Klägerin auch in besonderem Maße für Viruserkrankungen anfällig. Es komme aufgrund des Diabetes durch Hyperglykämien und psychische Belastungen im Durchschnitt bis zu einem dreimaligen Windelwechsel in der Nacht mit einem Zeitaufwand von ca. fünf bis sieben Minuten (Zeitaufwand für das Wechseln der Windeln ca. 15 Minuten). Wegen des nächtlichen Einnässens müsse nachts das Bett neu bezogen und die Klägerin umgezogen werden (Zeitaufwand etwa 20 Minuten). Wegen des erhöhten Dursts bei hohen Blutzuckerwerten müsse der Klägerin nachts Wasser zum Trinken gegeben und sie müsse beruhigt werden (Zeitaufwand etwa zehn Minuten). Die Klägerin putze, bedingt durch die Einnahme von Zwischenmahlzeiten, in der Regel sechsmal täglich unter Aufsicht die Zähne, was einem Mehranfall von dreimal entspreche (Zeitaufwand hierfür ca. 15 Minuten). Ca. sieben Minuten werde vor jeder Mahlzeit für das Messen des Blutzuckers und das Injizieren des Insulin benötigt (Zeitaufwand täglich ca. 35 Minuten). Die Motivation für Mittag- und Abendessen betrage je 20 Minuten, für das Frühstück und die beiden Zwischenmahlzeiten je zehn Minuten, insgesamt 70 Minuten. Nach den Aufzeichnungen der "Pflegetagebücher" trete an jedem Tag mindestens eine Unterzuckerung auf, so dass es lebensnotwendig sei, dass die Klägerin Kohlenhydrate einnehme (Zeitaufwand für diese nicht geplante Mahlzeit zehn Minuten). Da bei der um 24.00 Uhr durchgeführten Messung der Blutzucker meist unter 120 mg/dl liege, müsse die Klägerin aus dem Tiefschlaf geweckt, ihr kohlenhydrathaltige Kost gegeben und sie zu dieser zusätzlichen Mahlzeit motiviert werden (Zeitaufwand zehn Minuten). Die Mobilität der Klägerin sei deutlich unter diejenige von stoffwechselgesunden Kindern reduziert. Es müsse eine engmaschige Beaufsichtigung durch die Eltern gewährleistet sein. Eine einfache Alltagsaktivität erfordere eine intensive Vorbereitung durch die Eltern, wie Vorbereiten einer kleinen Mahlzeit sowie das Mitnehmen kohlenhydrathaltiger Getränke, Blutzuckermessgerät, Insulin und Urinteststreifen. Für das Messen des Blutzuckers und die Injektion von Insulin während der Aktivität könne ein zeitlicher Aufwand von ca. 15 Minuten, für das Vorbereiten, die Motivation und das Verabreichen der Nahrung von ca. 30 Minuten gerechnet werden.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei fraglich, ob Arzt B. als Internist Erfahrung auf dem Gebiet der Kinderheilkunde besitze. Die Essenssituation im Kindergarten sei ebenfalls problematisch. Da es von großer Bedeutung sei, dass eine bestimmte Form der Zufuhr von Kohlenhydraten zuverlässig gewährleistet sei, könnten ihre Eltern nicht darauf vertrauen, dass sie (die Klägerin) die wichtigen Nahrungsmittel zu sich nehme. Das Gutachten der Dr. Kl. setze sich außerordentlich umfangreich mit ihrem Gesundheitszustand und ihrem Pflegebedarf auseinander. Die Beklagte vertrat die Auffassung, das Gutachten der Dr. Kl. stehe weder in Einklang mit den Begutachtungs-Richtlinien noch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, was die Zuordnung der Messung des Blutzucker und der Injektion von Insulin zum Grundpflegebedarf betreffe.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. August 2011 ab. Zur Begründung nahm es zunächst Bezug auf die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 17. April 2008 und im Widerspruchsbescheid vom 2. März 2009 und führte weiter aus, auch nach dem Gutachten des Arztes B. bestehe kein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Er habe ausführlich und nachvollziehbar dargestellt, dass lediglich von einem tagesdurchschnittlichen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 19 Minuten auszugehen sei. Er bewege sich auch im Rahmen der durch die Begutachtung des MDK getroffenen Feststellungen, insbesondere dass sowohl Selbstpflege- als auch Mobilitätsressourcen in nennenswertem Umfang vorhanden seien, kein bzw. lediglich vereinzelter Mehraufwand im Vergleich zu einem gesunden Kind vorliege und dementsprechend nur einzelne Verrichtungen tatsächlich entsprechend der maßgebenden Begutachtungs-Richtlinien berücksichtigungsfähig seien. Er sei als Facharzt für Innere Medizin aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage, die Pflegebedürftigkeit gerade auch vor dem Hintergrund eventuell vorhandener Demonstrationstendenzen festzustellen und zu würdigen. Er habe trotz der unproblematischen Nahrungsaufnahme während der Gutachtenssituation aufgrund der Angaben der Eltern der Klägerin unter Berücksichtigung der Begutachtungs-Richtlinien nachvollziehbar einen Pflegeaufwand abgeleitet. Dem Gutachten der Dr. Kl. könne die Kammer sich nicht anschließen. Dr. Kl. berücksichtige bei ihrer Einschätzung des Pflegeaufwandes an keiner Stelle explizit die Begutachtungs-Richtlinien oder setze sich mit diesen kritisch auseinander. Auch aus den eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften ergebe sich kein anderes Ergebnis.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 15. August 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat Klägerin am 7. September 2011 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie erfülle zumindest die Voraussetzungen der Pflegestufe I. Im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind weise sie einen erheblichen zusätzlichen Hilfebedarf auf, weil aufgrund der außergewöhnlich schwer einstellbaren Diabeteserkrankung regelmäßig im Durchschnitt etwa sechsmal täglich, manchmal auch nachts der Blutzucker gemessen werden und sie im Durchschnitt fünfmal täglich eine Insulinspritze erhalten müsse. Diese Erkrankung führe zu einem erhöhten Hilfebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme. Bei gesunden Kindern, die im Bereich der Ernährung auch die Unterstützung durch die Eltern benötigten, könnten die hierfür erforderlichen Hilfen üblicherweise im Rahmen einer gemeinsamen Mahlzeit mit der Familie erbracht werden. Dies sei bei ihr nicht der Fall. Dies habe die Sachverständige Dr. Kl. in ihrem Gutachten ausführlich dargestellt. Darüber hinaus komme es bei ihr täglich zu Unterzuckerungen, die es erforderten, eine sofortige Kohlenhydrateinheit zu verabreichen. Die Sachverständige Dr. Kl. habe deutlich gemacht, dass bei ihr (der Klägerin), wie bei allen Kindern, die an Diabetes mellitus erkrankt seien, die Nahrungsaufnahme dadurch erschwert werde, dass exakte Vorgaben zumindest hinsichtlich der aufzunehmenden Kohlenhydratmenge zu beachten seien. Auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 29. März 1999 - B 3 P 12/98 R -, in juris) sei anerkannt, dass die aus einer Krankheit herrührende Notwendigkeit, ein diesbezüglich noch nicht ausreichend einsichtsfähiges Kind zur Aufnahme notwendiger Nahrung anzuhalten, einen auf die Verrichtung der Nahrungsaufnahme bezogenen und damit im Bereich der Grundpflege zu berücksichtigenden Hilfebedarf begründen könne. Die Sachverständige Dr. Kl. habe weiter ausführlich und überzeugend dargelegt, dass auch im Bereich der Körperpflege ein erhöhter Pflegebedarf gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. August 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 26. März 2008 Pflegegeld mindestens nach der Pflegestufe I zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie hat ab 26. März 2008 keinen Anspruch auf Pflegegeld, weil bereits die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht gegeben sind.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der niedrigsten - Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf "an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, in juris). Bei Kindern ist nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nur der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Damit wird klargestellt, dass der natürliche, altersentsprechende Pflegebedarf von Kindern, der jeweils vom Lebensalter der Betroffenen abhängt (vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 13/98 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 11), unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 9).
Die Klägerin leidet seit Dezember 2007 an einem Diabetes mellitus Typ I. Wegen dieser Erkrankung wurde und wird bei den nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R und B 3 P 5/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nrn. 2 und 3; Urteil vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5; Urteil vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R -SozR 3-3300 § 15 Nr. 7; Urteil vom 28. Juni 2001 - B 3 P 12/00 R -, in juris) berücksichtigungsfähigen Verrichtungen der Grundpflege, die abschließend (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 8) und von der Hauswirtschaft zu unterscheiden sind, ab 26. März 2008 ein Hilfebedarf von mindestens 46 Minuten täglich nicht erreicht. Dies hat das SG zutreffend entschieden. Das SG ist insbesondere zu Recht dem Gutachten des Sachverständigen B. gefolgt, nicht jedoch dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Kl ... Der tägliche Hilfebedarf beträgt allenfalls die vom Sachverständigen B. festgestellten 19 Minuten.
Bei an Diabetes erkrankten Versicherten, insbesondere Kindern, ist zu unterscheiden zwischen Grundpflege und nicht berücksichtigungsfähiger Behandlungspflege einerseits sowie zwischen Grundpflege und Hauswirtschaft andererseits, insbesondere beim Bereich der Ernährung. Die gesamte Vorbereitung der Nahrungsaufnahme (Einkaufen, Kochen, Vor- und Zubereiten der Bestandteile der Mahlzeiten, Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens und der Zusammenstellung der Speisen zur Herstellung der erforderlichen Diät) gehört nicht zur Grundpflege (Bereich der Ernährung), sondern zum Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Zur Hauswirtschaft gehört auch als Abschluss des "Kochens" das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw. der Nahrungsbestandteile. Letzteres rechnet auch nicht zum mundgerechten Zubereiten der Nahrung im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI, bei dem es nur darum geht, dass die zubereitete Nahrung so aufbereitet wird, dass der Pflegebedürftige sie greifen, zum Mund führen, zerkauen und schlucken kann (BSG, Urteile vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R - a.a.O. und 28. Juni 2001 - B 3 P 12/00 R - a.a.O.). Daran ändert sich nichts, dass bei der Klägerin im Hinblick auf ihre Diabetes-Erkrankung, im Gegensatz zu gesunden Kindern, neben drei Hauptmahlzeiten und einer Zwischenmahlzeit noch weitere Mahlzeiten erforderlich sind.
Nach dem Vortrag der Klägerin und den hiermit übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen B. fehlt es bei ihr an der notwendigen Einsicht, die entsprechend der vor der jeweiligen Mahlzeit gegebenen Insulindosis notwendige Menge an Nahrungsmitteln, insbesondere Kohlenhydraten, aufzunehmen, weshalb entsprechende Aufforderung und Motivation durch die Pflegeperson erforderlich ist. Allein für die Überwachung der Aufnahme der erforderlichen Nahrungsmenge sowie der Anleitung und Aufforderung während der täglichen Mahlzeiten ergibt sich kein Zeitaufwand für die Aufnahme der Nahrung von mehr als 45 Minuten täglich, auch wenn man, zumindest bei einem Kind, einen zur Grundpflege zählenden Hilfebedarf bei der Aufnahme der Nahrung mit der Erwägung bejaht, dass bei einem Kind ein Hilfebedarf bestehe, wenn es zum Essen angehalten werden müsse, weil bei ihm die Einsichtsfähigkeit dafür fehle, dass es aus Gesundheitsgründen notwendig sei, Widerwillen erregende Speisen oder Speisen in großen Mengen - über den Appetit hinaus - einzunehmen (BSG, Urteil vom 29. März 1999 - B 3 P 12/98 R -, in juris). Eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme ist nur als berücksichtigungsfähige Hilfe einzustufen, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001 - B 3 P 4/01 B - in juris; Urteil vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 1; s.a. D 4.0/II Begutachtungs-Richtlinien). Vielmehr geht der Senat davon aus, dass es bei der Klägerin, wie auch bei gleichaltrigen Kindern, die nicht an Diabetes mellitus leiden, um die Beaufsichtigung geht, ob sie die Nahrung im vorgesehenen Maße aufnimmt. Der Senat vermag - dem Sachverständigen B. folgend - deshalb nicht festzustellen, dass hier die Eltern insbesondere bei den jeweiligen gemeinsamen Mahlzeiten der Familie durch die Überwachung der Nahrungsaufnahme in solchem Umfang zeitlich und örtlich eingebunden sind, dass sie anderweitigen Tätigkeiten nicht nachgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 5/97 R - a.a.O.). Der Sachverständige B. hat darüber hinaus für die Aufforderung zum Weiteressen einen gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind erhöhten Zeitaufwand von zehn Minuten berücksichtigt. Eine zeitliche und örtliche Einbindung der Pflegeperson könnte, was auch der Sachverständige B. angenommen hat, allenfalls für die Überwachung der ein- bis zweimal wöchentlich, zuletzt im Schriftsatz vom 24. April 2012 dreimal wöchentlich behauptet, erforderlichen Mahlzeit während der Nacht beim Auftreten von Unterzuckerungen angenommen werden, woraus sich ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag jedoch nicht ergibt. Der Sachverständige B. hat auf der Grundlage der vom Vater der Klägerin gemachten Angaben (Dauer jeweils 20 Minuten) insoweit einen täglichen Zeitaufwand von durchschnittlich vier Minuten geschätzt. Dem entspricht der zuletzt im Schriftsatz vom 24. April 2012 angegebene Zeitaufwand von dreimal wöchentlich mindestens zehn Minuten (30 Minuten wöchentlich: 7 = 4,3 Minuten täglich). Die Sachverständige Dr. Kl. schätzte hierfür einen täglichen Zeitaufwand von zehn Minuten, der im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin überhöht ist.
Bei Diabetikern, auch soweit es sich um Kinder handelt, rechnen schließlich auch Blutzuckertests (einschließlich der Führung eines Blutzucker-Tagebuchs) sowie das Spritzen von Insulin, sowohl als Basisinsulin als auch als Korrekturinsulin, zu den Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen auch bei der Klägerin kein unmittelbarer Zusammenhang mit der "Aufnahme der Nahrung" im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI besteht (BSG, Urteile vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R - a.a.O. und 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - a.a.O.).
Dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Kl. kann der Senat ebenso wie das SG nicht folgen, weil die Sachverständige zahlreiche der zuvor genannten Tätigkeiten bei der Schätzung des täglichen Hilfebedarfs in der Grundpflege berücksichtigt hat, obwohl diese aus den genannten Gründen nicht berücksichtigungsfähig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Pflegegeld ab 26. März 2008.
Die am 2005 geborene Klägerin ist familienversichertes Mitglied der Beklagten. Sie leidet an einem Diabetes mellitus Typ I (Erstdiagnose Dezember 2007), einer Stoffwechselerkrankung mit Insulinmangel sowie einer Störung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels. Seit 19. Dezember 2007 ist ein Grad der Behinderung von 50 sowie der Nachteilsausgleich "H" festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 26. März 2008 Leistungen der Pflegeversicherung (Geldleistung). Ärztin Dr. W., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), schätzte in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 7. April 2008 den täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf 0 Minuten und den hauswirtschaftlichen Bedarf auf 60 Minuten. Die Messungen des Blutzuckers und Injektionen seien therapeutische Maßnahmen und nicht im grundpflegerischen Bereich angesiedelt. Die Beklagte lehnte es ab, Leistungen aus der Pflegeversicherung zu zahlen (Bescheid vom 17. April 2008).
Die Klägerin erhob Widerspruch und bezifferte den durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf der Grundpflege mit 2,15 Stunden. Pflegefachkraft B., MDK, schätzte in ihrem Gutachten vom 18. September 2008 nach einem Hausbesuch am 15. September 2008 den täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf vier Minuten (einmal täglich Übernahme des Windelwechsels nach dem Wasserlassen) und den hauswirtschaftlichen Hilfebedarf auf 60 Minuten. Die Klägerin sei mental und körperlich altersentsprechend entwickelt. Sie sei in der Lage, eigenständig zu essen und zu trinken. Sie könne handelsübliche Kost zu sich nehmen. Die Nahrungsaufnahme diene jedoch nicht der Ernährung des Körpers, sondern der Regulation des Blutzuckerspiegels, was im Sinne einer behandlungspflegerischen, nicht berücksichtigungsfähigen Maßnahme zu werten sei. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2009). Er verwies auf die eingeholten Gutachten des MDK und führte weiter aus, die im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme und einteilung erforderlichen Hilfestellungen, hierzu gehörten auch das Messen des Blutzuckers und die Gabe von Insulin, könnten bei der Feststellung von Hilfebedürftigkeit keine Berücksichtigung finden, da sie der Behandlungspflege zugeordnet würden. Bei der Nahrungsaufnahme könne zeitliche Berücksichtigung allein die letzte Maßnahme vor der Nahrungsaufnahme, beispielsweise das Zerkleinern in mundgerechte Bissen oder das Heraustrennen von Knochen und Gräten, finden. Die Zubereitung von Diäten, einschließlich des anhand der Diätvorschriften vorzunehmenden Bemessens und Zuteilens der zubereiteten Nahrung sei im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung zu berücksichtigen, für die ein Mehrbedarf von 60 Minuten anerkannt sei.
Die Klägerin erhob am 30. März 2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung trug sie - wie teilweise bereits mit ihrem Widerspruch - vor, das Gutachten der Beklagten ordne im Gegensatz zur Begründung des Widerspruchsbescheids die Nahrungsaufnahme nicht der hauswirtschaftlichen Versorgung, sondern der Behandlungspflege zu. Aufgrund der Erkrankung sei es erforderlich, dass sie mindestens fünf Mahlzeiten, insbesondere mit ausreichend Kohlenhydraten entsprechend des ermittelten Insulinwerts, täglich zu sich nehme. Nach Messen des Blutzuckers müsse entsprechend des jeweiligen Blutzuckerwerts eine Mahlzeit verabreicht werden, erforderlichenfalls auch nachts. Dabei sei eine genaue Überwachung und gegebenenfalls auch ein lange dauerndes Zureden (mindestens 30 Minuten) erforderlich. Sie sei aufgrund ihres Alters noch nicht zum Messen des Blutzuckers, zu den Berechnungen der Insulinmengen und zu den Injektionen in der Lage. Die permanente Überwachung und Aufforderung, die Mahlzeiten auch aufzuessen, führe zu einem auch gegenüber Gleichaltrigen stark erhöhten Pflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme. Die Überwachung der Nahrungsaufnahme könne nicht dem Bereich Behandlungspflege zugeordnet werden. Wenn ein Kind, das die Auswirkungen einer falschen Ernährung nicht beurteilen könne, krankheitsbedingt häufig zum Essen angehalten werden müsse, zähle diese Maßnahme der Pflegeperson als notwendiger Hilfebedarf bei der Aufnahme der Nahrung. Es ergebe sich insgesamt ein Hilfebedarf im Bereich der Ernährung von täglich 2,5 Stunden. Ein gesundes Kind habe allenfalls für die Aufnahme der Nahrung bis zum dritten Lebensjahr und für die mundgerechte Zubereitung bis zum siebten Lebensjahr noch Hilfebedarf. Die Klägerin legte ein von ihrem Vater geführtes "Pflegetagebuch" für die Monate Februar bis Mai 2010 vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen. Der geltend gemachte Zeitaufwand erscheine überhöht.
Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Z.-N. gab an (Auskunft vom 9. Oktober 2009), der Gesundheitszustand der Klägerin sei stabil, die Blutzuckerwerte aber sehr schwankend, was für eine instabile Stoffwechsellage spreche. Die Eltern der Klägerin müssten mehrmals die Blutzuckerwerte messen (vier- bis sechsmal täglich, manchmal auch nachts), Insulin spritzen (vier- bis fünfmal täglich), Urin kontrollieren (ein- bis zweimal wöchentlich) sowie bei jeder Mahlzeit alle Essensprodukte abwiegen und die Broteinheiten zur Anpassung der Insulindosis berechnen. Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. K., Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums H., berichtete in ihrer Auskunft vom 30. Oktober 2009 über die seit Dezember 2007 zunächst in ca. vier- bis sechswöchentlichen, ab Sommer 2008 in ca. drei monatlichen Abständen erfolgten Behandlungen der Klägerin. Der körperliche Untersuchungsbefund sei zuletzt bis auf leicht pathologisch verhärtete Spritzstellen in den Beinen regelrecht gewesen. In der am 5. Mai 2009 durchgeführten Jahresuntersuchung habe sich kein Anhalt für das Vorliegen Diabetes-assoziierter Erkrankungen oder diabetischer Folgeerkrankung ergeben. Bei der Klägerin müsse vier- bis sechsmal täglich der Blutzucker bestimmt (Mehraufwand pro Messung ca. fünf Minuten) und ca. drei- bis viermal täglich Insulin gespritzt werden (Zeitaufwand pro Insulingabe etwa zehn bis 15 Minuten). Wie jedes vierjährige Kind bedürfe die Klägerin der mundgerechten Zubereitung der Speisen, wobei der Zubereitungs- und Vorbereitungsaufwand wegen der in den Speisen enthaltenen Kohlenhydratmengen und deren Abwiegen etwas erhöht sei (geschätzter Mehraufwand fünf bis 15 Minuten). In einer von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 7. Juli 2010 ergänzte Dr. K., dass dieser Mehraufwand sich auf die Berechnung, die Zubereitung und das Abwiegen des Essens beziehe.
Im Auftrag des SG erstattete Internist B. das Gutachten vom 19. Juni 2010 aufgrund einer Befragung und Untersuchung der Klägerin in ihrer häuslichen Umgebung. Er nannte als Diagnosen einen Diabetes mellitus Typ I und schätzte den Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 19 Minuten (Darm-/Blasenentleerung fünf Minuten, Aufnahme der Nahrung 14 Minuten). Zusätzlich müsse die hauswirtschaftliche Versorgung komplett von den Eltern übernommen werden. Diese gestalte sich wegen des Berechnens der Kohlenhydrate und des Abwiegens der Nahrungsmittel im Rahmen der Diät wegen des Diabetes aufwändiger als bei gesunden Kindern. Wegen nächtlichen Einnässens werde über Nacht eine Windel angelegt und morgens wieder entfernt (Zeitaufwand zwei Minuten). Drei- bis viermal wöchentlich müsse die Windel nachts wegen Einnässens gewechselt werden (Zeitaufwand fünf Minuten, entsprechend drei Minuten im täglichen Durchschnitt). Der Zeitaufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten sei bei Kindern mit und ohne Diabeteserkrankung gleich. Am Begutachtungstermin habe sich die Nahrungsaufnahme völlig unproblematisch gestaltet. Die Klägerin habe während der gesamten Mahlzeit (Mittagessen) nicht zum Essen aufgefordert werden müssen. Die Eltern hätten insoweit darauf hingewiesen, dass zum einen die Mittagsmahlzeit generell weniger problematisch sei als das Frühstück und das Abendessen sowie zum anderen, dass es sich an diesem Tag um das Lieblingsgericht der Klägerin gehandelt habe. Die von den Eltern geschilderte Situation mit der Notwendigkeit häufiger Aufforderungen zum Weiteressen dürfte am ehesten im Sinne einer Trotzreaktion der Klägerin gegen die ständigen Aufforderungen zu verstehen sein, was auch vom Vater der Klägerin im Gespräch so gesehen worden sei. Hierfür spreche auch, dass die Einnahme der morgendlichen Zwischenmahlzeit und die "Obstrunde" im Kindergarten nach Angaben der Eltern ohne ständiges Drängen erfolgten. Da die Hauptmahlzeiten von der Familie gemeinsam oder zumindest in Anwesenheit eines Elternteils eingenommen würden und für die Dauer einer Mahlzeit eines Erwachsenen etwa 20 Minuten zu veranschlagen seien, sei davon auszugehen, dass in dieser Zeit keine spezielle zeitliche und örtliche Bindung der Pflegeperson erforderlich sei, da diese sowieso am Tisch zugegen sei und ihre eigene Mahlzeiten einnehme. Auch wenn in dieser Zeit gehäufte Aufforderungen zum Weiteressen erforderlich seien, addierten diese sich im Laufe einer Mahlzeit auf einen Zeitraum von nur wenigen Minuten. Auch wenn die Klägerin nach Ablauf des gemeinsamen Teils der Mahlzeit noch fünf bis zehn Minuten benötige, um die Nahrungsaufnahme zu beenden, sei für diese Zeit eine zeitliche Bindung der Pflegeperson nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weil sie anderen Verrichtungen nachgehen könne, solange sie sich dabei nicht aus dem Zimmer entferne. Bei großzügiger Betrachtungsweise könne ein Hilfebedarf von maximal fünf bis zehn Minuten pro Hauptmahlzeit und zusätzlich zwei bis drei Minuten für die Zwischenmahlzeit am Nachmittag angenommen werden, mithin 25 Minuten pro Tag. Der hiervon abzuziehende Hilfebedarf eines gesunden 4,5-jährigen Kindes betrage nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI - (Begutachtungs-Richtlinien) 15 Minuten, so dass ein Mehraufwand von zehn Minuten verbleibe. Hinzu komme dass die Klägerin ein- bis zweimal wöchentlich nachts Unterzuckerungen bekomme und dann Traubenzucker, Saft oder feste Nahrung erhalte. Nach den Angaben des Vaters der Klägerin dauere dies etwa 20 Minuten, was vier Minuten im täglichen Durchschnitt entspreche.
Des Weiteren erstattete auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Kinderärztin und Kinder-Diabetologin Dr. Kl. das Gutachten vom 24. November 2010. Sie nannte als Diagnosen einen Diabetes mellitus Typ I sowie eine genetisch determinierte, endokrine Stoffwechselerkrankung mit absolutem Insulinmangel, einhergehend mit einer Störung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels. Der zeitliche Aufwand für die Pflegetätigkeit bei einem Kleinkind mit Diabetes mellitus Typ I und instabilem Blutzuckerverlauf betrage mindestens 210 Minuten täglich und werde je nach aktueller Situation deutlich überschritten. Die Klägerin habe bedingt durch den Diabetes im Vergleich zu altersgleichen Kindern einen komplett anderen Tagesablauf. Eine permanente Betreuung der Klägerin sei aufgrund der instabilen Stoffwechsellage unabdingbar. Wegen der Erkrankung sei die Klägerin auch in besonderem Maße für Viruserkrankungen anfällig. Es komme aufgrund des Diabetes durch Hyperglykämien und psychische Belastungen im Durchschnitt bis zu einem dreimaligen Windelwechsel in der Nacht mit einem Zeitaufwand von ca. fünf bis sieben Minuten (Zeitaufwand für das Wechseln der Windeln ca. 15 Minuten). Wegen des nächtlichen Einnässens müsse nachts das Bett neu bezogen und die Klägerin umgezogen werden (Zeitaufwand etwa 20 Minuten). Wegen des erhöhten Dursts bei hohen Blutzuckerwerten müsse der Klägerin nachts Wasser zum Trinken gegeben und sie müsse beruhigt werden (Zeitaufwand etwa zehn Minuten). Die Klägerin putze, bedingt durch die Einnahme von Zwischenmahlzeiten, in der Regel sechsmal täglich unter Aufsicht die Zähne, was einem Mehranfall von dreimal entspreche (Zeitaufwand hierfür ca. 15 Minuten). Ca. sieben Minuten werde vor jeder Mahlzeit für das Messen des Blutzuckers und das Injizieren des Insulin benötigt (Zeitaufwand täglich ca. 35 Minuten). Die Motivation für Mittag- und Abendessen betrage je 20 Minuten, für das Frühstück und die beiden Zwischenmahlzeiten je zehn Minuten, insgesamt 70 Minuten. Nach den Aufzeichnungen der "Pflegetagebücher" trete an jedem Tag mindestens eine Unterzuckerung auf, so dass es lebensnotwendig sei, dass die Klägerin Kohlenhydrate einnehme (Zeitaufwand für diese nicht geplante Mahlzeit zehn Minuten). Da bei der um 24.00 Uhr durchgeführten Messung der Blutzucker meist unter 120 mg/dl liege, müsse die Klägerin aus dem Tiefschlaf geweckt, ihr kohlenhydrathaltige Kost gegeben und sie zu dieser zusätzlichen Mahlzeit motiviert werden (Zeitaufwand zehn Minuten). Die Mobilität der Klägerin sei deutlich unter diejenige von stoffwechselgesunden Kindern reduziert. Es müsse eine engmaschige Beaufsichtigung durch die Eltern gewährleistet sein. Eine einfache Alltagsaktivität erfordere eine intensive Vorbereitung durch die Eltern, wie Vorbereiten einer kleinen Mahlzeit sowie das Mitnehmen kohlenhydrathaltiger Getränke, Blutzuckermessgerät, Insulin und Urinteststreifen. Für das Messen des Blutzuckers und die Injektion von Insulin während der Aktivität könne ein zeitlicher Aufwand von ca. 15 Minuten, für das Vorbereiten, die Motivation und das Verabreichen der Nahrung von ca. 30 Minuten gerechnet werden.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei fraglich, ob Arzt B. als Internist Erfahrung auf dem Gebiet der Kinderheilkunde besitze. Die Essenssituation im Kindergarten sei ebenfalls problematisch. Da es von großer Bedeutung sei, dass eine bestimmte Form der Zufuhr von Kohlenhydraten zuverlässig gewährleistet sei, könnten ihre Eltern nicht darauf vertrauen, dass sie (die Klägerin) die wichtigen Nahrungsmittel zu sich nehme. Das Gutachten der Dr. Kl. setze sich außerordentlich umfangreich mit ihrem Gesundheitszustand und ihrem Pflegebedarf auseinander. Die Beklagte vertrat die Auffassung, das Gutachten der Dr. Kl. stehe weder in Einklang mit den Begutachtungs-Richtlinien noch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, was die Zuordnung der Messung des Blutzucker und der Injektion von Insulin zum Grundpflegebedarf betreffe.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. August 2011 ab. Zur Begründung nahm es zunächst Bezug auf die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 17. April 2008 und im Widerspruchsbescheid vom 2. März 2009 und führte weiter aus, auch nach dem Gutachten des Arztes B. bestehe kein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Er habe ausführlich und nachvollziehbar dargestellt, dass lediglich von einem tagesdurchschnittlichen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 19 Minuten auszugehen sei. Er bewege sich auch im Rahmen der durch die Begutachtung des MDK getroffenen Feststellungen, insbesondere dass sowohl Selbstpflege- als auch Mobilitätsressourcen in nennenswertem Umfang vorhanden seien, kein bzw. lediglich vereinzelter Mehraufwand im Vergleich zu einem gesunden Kind vorliege und dementsprechend nur einzelne Verrichtungen tatsächlich entsprechend der maßgebenden Begutachtungs-Richtlinien berücksichtigungsfähig seien. Er sei als Facharzt für Innere Medizin aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage, die Pflegebedürftigkeit gerade auch vor dem Hintergrund eventuell vorhandener Demonstrationstendenzen festzustellen und zu würdigen. Er habe trotz der unproblematischen Nahrungsaufnahme während der Gutachtenssituation aufgrund der Angaben der Eltern der Klägerin unter Berücksichtigung der Begutachtungs-Richtlinien nachvollziehbar einen Pflegeaufwand abgeleitet. Dem Gutachten der Dr. Kl. könne die Kammer sich nicht anschließen. Dr. Kl. berücksichtige bei ihrer Einschätzung des Pflegeaufwandes an keiner Stelle explizit die Begutachtungs-Richtlinien oder setze sich mit diesen kritisch auseinander. Auch aus den eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften ergebe sich kein anderes Ergebnis.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 15. August 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat Klägerin am 7. September 2011 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie erfülle zumindest die Voraussetzungen der Pflegestufe I. Im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind weise sie einen erheblichen zusätzlichen Hilfebedarf auf, weil aufgrund der außergewöhnlich schwer einstellbaren Diabeteserkrankung regelmäßig im Durchschnitt etwa sechsmal täglich, manchmal auch nachts der Blutzucker gemessen werden und sie im Durchschnitt fünfmal täglich eine Insulinspritze erhalten müsse. Diese Erkrankung führe zu einem erhöhten Hilfebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme. Bei gesunden Kindern, die im Bereich der Ernährung auch die Unterstützung durch die Eltern benötigten, könnten die hierfür erforderlichen Hilfen üblicherweise im Rahmen einer gemeinsamen Mahlzeit mit der Familie erbracht werden. Dies sei bei ihr nicht der Fall. Dies habe die Sachverständige Dr. Kl. in ihrem Gutachten ausführlich dargestellt. Darüber hinaus komme es bei ihr täglich zu Unterzuckerungen, die es erforderten, eine sofortige Kohlenhydrateinheit zu verabreichen. Die Sachverständige Dr. Kl. habe deutlich gemacht, dass bei ihr (der Klägerin), wie bei allen Kindern, die an Diabetes mellitus erkrankt seien, die Nahrungsaufnahme dadurch erschwert werde, dass exakte Vorgaben zumindest hinsichtlich der aufzunehmenden Kohlenhydratmenge zu beachten seien. Auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 29. März 1999 - B 3 P 12/98 R -, in juris) sei anerkannt, dass die aus einer Krankheit herrührende Notwendigkeit, ein diesbezüglich noch nicht ausreichend einsichtsfähiges Kind zur Aufnahme notwendiger Nahrung anzuhalten, einen auf die Verrichtung der Nahrungsaufnahme bezogenen und damit im Bereich der Grundpflege zu berücksichtigenden Hilfebedarf begründen könne. Die Sachverständige Dr. Kl. habe weiter ausführlich und überzeugend dargelegt, dass auch im Bereich der Körperpflege ein erhöhter Pflegebedarf gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. August 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 26. März 2008 Pflegegeld mindestens nach der Pflegestufe I zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Die Klägerin begehrt Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie hat ab 26. März 2008 keinen Anspruch auf Pflegegeld, weil bereits die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht gegeben sind.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der niedrigsten - Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf "an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, in juris). Bei Kindern ist nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nur der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Damit wird klargestellt, dass der natürliche, altersentsprechende Pflegebedarf von Kindern, der jeweils vom Lebensalter der Betroffenen abhängt (vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 13/98 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 11), unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 9).
Die Klägerin leidet seit Dezember 2007 an einem Diabetes mellitus Typ I. Wegen dieser Erkrankung wurde und wird bei den nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R und B 3 P 5/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nrn. 2 und 3; Urteil vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5; Urteil vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R -SozR 3-3300 § 15 Nr. 7; Urteil vom 28. Juni 2001 - B 3 P 12/00 R -, in juris) berücksichtigungsfähigen Verrichtungen der Grundpflege, die abschließend (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 8) und von der Hauswirtschaft zu unterscheiden sind, ab 26. März 2008 ein Hilfebedarf von mindestens 46 Minuten täglich nicht erreicht. Dies hat das SG zutreffend entschieden. Das SG ist insbesondere zu Recht dem Gutachten des Sachverständigen B. gefolgt, nicht jedoch dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Kl ... Der tägliche Hilfebedarf beträgt allenfalls die vom Sachverständigen B. festgestellten 19 Minuten.
Bei an Diabetes erkrankten Versicherten, insbesondere Kindern, ist zu unterscheiden zwischen Grundpflege und nicht berücksichtigungsfähiger Behandlungspflege einerseits sowie zwischen Grundpflege und Hauswirtschaft andererseits, insbesondere beim Bereich der Ernährung. Die gesamte Vorbereitung der Nahrungsaufnahme (Einkaufen, Kochen, Vor- und Zubereiten der Bestandteile der Mahlzeiten, Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens und der Zusammenstellung der Speisen zur Herstellung der erforderlichen Diät) gehört nicht zur Grundpflege (Bereich der Ernährung), sondern zum Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Zur Hauswirtschaft gehört auch als Abschluss des "Kochens" das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw. der Nahrungsbestandteile. Letzteres rechnet auch nicht zum mundgerechten Zubereiten der Nahrung im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI, bei dem es nur darum geht, dass die zubereitete Nahrung so aufbereitet wird, dass der Pflegebedürftige sie greifen, zum Mund führen, zerkauen und schlucken kann (BSG, Urteile vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R - a.a.O. und 28. Juni 2001 - B 3 P 12/00 R - a.a.O.). Daran ändert sich nichts, dass bei der Klägerin im Hinblick auf ihre Diabetes-Erkrankung, im Gegensatz zu gesunden Kindern, neben drei Hauptmahlzeiten und einer Zwischenmahlzeit noch weitere Mahlzeiten erforderlich sind.
Nach dem Vortrag der Klägerin und den hiermit übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen B. fehlt es bei ihr an der notwendigen Einsicht, die entsprechend der vor der jeweiligen Mahlzeit gegebenen Insulindosis notwendige Menge an Nahrungsmitteln, insbesondere Kohlenhydraten, aufzunehmen, weshalb entsprechende Aufforderung und Motivation durch die Pflegeperson erforderlich ist. Allein für die Überwachung der Aufnahme der erforderlichen Nahrungsmenge sowie der Anleitung und Aufforderung während der täglichen Mahlzeiten ergibt sich kein Zeitaufwand für die Aufnahme der Nahrung von mehr als 45 Minuten täglich, auch wenn man, zumindest bei einem Kind, einen zur Grundpflege zählenden Hilfebedarf bei der Aufnahme der Nahrung mit der Erwägung bejaht, dass bei einem Kind ein Hilfebedarf bestehe, wenn es zum Essen angehalten werden müsse, weil bei ihm die Einsichtsfähigkeit dafür fehle, dass es aus Gesundheitsgründen notwendig sei, Widerwillen erregende Speisen oder Speisen in großen Mengen - über den Appetit hinaus - einzunehmen (BSG, Urteil vom 29. März 1999 - B 3 P 12/98 R -, in juris). Eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme ist nur als berücksichtigungsfähige Hilfe einzustufen, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001 - B 3 P 4/01 B - in juris; Urteil vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 1; s.a. D 4.0/II Begutachtungs-Richtlinien). Vielmehr geht der Senat davon aus, dass es bei der Klägerin, wie auch bei gleichaltrigen Kindern, die nicht an Diabetes mellitus leiden, um die Beaufsichtigung geht, ob sie die Nahrung im vorgesehenen Maße aufnimmt. Der Senat vermag - dem Sachverständigen B. folgend - deshalb nicht festzustellen, dass hier die Eltern insbesondere bei den jeweiligen gemeinsamen Mahlzeiten der Familie durch die Überwachung der Nahrungsaufnahme in solchem Umfang zeitlich und örtlich eingebunden sind, dass sie anderweitigen Tätigkeiten nicht nachgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 5/97 R - a.a.O.). Der Sachverständige B. hat darüber hinaus für die Aufforderung zum Weiteressen einen gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind erhöhten Zeitaufwand von zehn Minuten berücksichtigt. Eine zeitliche und örtliche Einbindung der Pflegeperson könnte, was auch der Sachverständige B. angenommen hat, allenfalls für die Überwachung der ein- bis zweimal wöchentlich, zuletzt im Schriftsatz vom 24. April 2012 dreimal wöchentlich behauptet, erforderlichen Mahlzeit während der Nacht beim Auftreten von Unterzuckerungen angenommen werden, woraus sich ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag jedoch nicht ergibt. Der Sachverständige B. hat auf der Grundlage der vom Vater der Klägerin gemachten Angaben (Dauer jeweils 20 Minuten) insoweit einen täglichen Zeitaufwand von durchschnittlich vier Minuten geschätzt. Dem entspricht der zuletzt im Schriftsatz vom 24. April 2012 angegebene Zeitaufwand von dreimal wöchentlich mindestens zehn Minuten (30 Minuten wöchentlich: 7 = 4,3 Minuten täglich). Die Sachverständige Dr. Kl. schätzte hierfür einen täglichen Zeitaufwand von zehn Minuten, der im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin überhöht ist.
Bei Diabetikern, auch soweit es sich um Kinder handelt, rechnen schließlich auch Blutzuckertests (einschließlich der Führung eines Blutzucker-Tagebuchs) sowie das Spritzen von Insulin, sowohl als Basisinsulin als auch als Korrekturinsulin, zu den Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen auch bei der Klägerin kein unmittelbarer Zusammenhang mit der "Aufnahme der Nahrung" im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI besteht (BSG, Urteile vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R - a.a.O. und 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - a.a.O.).
Dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Kl. kann der Senat ebenso wie das SG nicht folgen, weil die Sachverständige zahlreiche der zuvor genannten Tätigkeiten bei der Schätzung des täglichen Hilfebedarfs in der Grundpflege berücksichtigt hat, obwohl diese aus den genannten Gründen nicht berücksichtigungsfähig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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