Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 U 83/06
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 8/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Schulter als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101 (Erkrankungen der Sehnenscheide oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen bzw. nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen sind.
Der 1961 geborene Kläger war von 1980 bis 2004 als Verputzer tätig und hat in dieser Tätigkeit schwere Lasten von mehr als 50 kg auf der Schulter bewegt sowie beim Abziehen und Glätten von Wänden und Decken Putzmaterial mit hohem Kraftaufwand und Lastgewicht auch über Kopf bewegt. Spätestens seit 2005 leidet der Kläger unter den Folgen einer Rotatorenmanschettenruptur links mit Impingementsymptomatik bei Bursitis subacromialis und deltoidea.
Am 22. Juni 2005 erfolgte eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch die behandelnde Allgemeinärztin des Klägers, Dr. M ... Die Beklagte führte daraufhin medizinische und arbeitstechnische Ermittlungen durch und holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. H. ein, der ausführte, ein Zusammenhang der erlittenen Rotatorenmanschettenruptur mit der angeschuldigten Tätigkeit sei nicht auszuschließen, jedoch gebe es keine neuen Erkenntnisse zur Rotatorenmanschettenruptur. Die BK 2101 erfasse diesen Sachverhalt nicht, da der Sehnenansatz nicht betroffen sei.
Mit Bescheid vom 24. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit und einer Wie-Berufskrankheit ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2006).
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Hamburg zunächst auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Dr. S. als medizinischen Sachverständigen gehört. Dr. S. hat sein Gutachten unter Mithilfe von Prof. Dr. N. erstellt und am 12. Oktober 2008 mit diesem gemeinsam ausgeführt, bei dem Kläger bestehe unstreitig eine Rotatorenmanschettenruptur in Form einer Supraspinatussehnen-Ruptur an beiden Schultergelenken. Hierbei handele es sich um eine Erkrankung der passiven Überträger der Muskelkraft und ihrer Gleitgewebe und damit um eine Erkrankung im Sinne der BK 2101. Die Supraspinatussehne setze kurz unterhalb des Oberarmkopfes an und ziehe sich über den Oberarmkopf und unter dem Schulterdach her. Der Schleimbeutel schütze die Sehne und die Rotatorenmanschette, insofern sei die Supraspinatussehne eine typische Sehne mit Sehnengleitgewebe. Allerdings umgebe das Gleitgewebe die Sehne nicht wie eine Sehnenscheide, sondern liege auf der Sehne und schütze sie gegen den knöchernen Druck des darüber liegenden Schulterdaches. Für Überkopfarbeiten müsse der Oberarm seitwärts bewegt werden. Durch diese Seitwärtsbewegung verenge sich der Durchgang zwischen Oberarmkopf und Schulterdach. Es entstehe also eine Druckbelastung für die Bursa und die darunter liegende Sehne bzw. den Sehnenansatz. Der Kläger habe aufgrund eines Unfalls als Kind den rechten Arm nicht voll einsetzen können. Dieser sei deutlich weniger betroffen als der wesentlich stärker belastete linke Arm, was für die Belastung als Ursache der Degeneration spreche. Zudem seien bei dem Kläger in verhältnismäßig jungem Alter die Veränderungen aufgetreten, bei gleichzeitig sehr hoher Belastung durch Überkopfarbeit. Die Erkrankung sei unter die BK 2101 zu subsumieren. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v.H ...
Das Sozialgericht hat daraufhin von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten des Chirurgen M1 eingeholt, welcher den Kläger bereits in einem parallelen Klageverfahren im August 2007 untersucht hatte und am 22. April 2009 ausgeführt hat, der Kläger leide unter einer Rotatorenmanschettenruptur links mit Impingementsymptomatik bei Bursitis subacromialis und deltoidea. Das Krankheitsbild, welches unter die BK 2101 subsumiert werde, sei im Verordnungstext klar formuliert. Es umfasse Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes, sowie der Sehnen- oder Muskelansätze. Versichert seien lediglich die passiven Bewegungsgewebe, nicht der aktive Bewegungsapparat, versichert seien daher weder die Muskel noch die Sehnen selbst. Bei der Erkrankung der Rotatorenmanschette handele es sich indes nicht um eine Erkrankung einer Sehnenscheide oder eines Sehnenansatzes, sondern um eine Erkrankung im Sehneninneren. Derartige Verschleißprozesse der Sehnen liefen nach einem identischen Schema ab, gleichgültig, welche Sehne betroffen sei. Die Voraussetzung für die Anerkennung einer BK seien bei derartigen Krankheitsbildern nicht gegeben, da es sich primär um eine Schädigung der Sehnen und Muskeln, nicht aber um eine solche des Gleitgewebes oder der Muskel- oder Sehnenansätze handele. Bei dem Kläger liege ein sogenanntes primäres Impingement vor, bei welchem der Raum unterhalb der Schulterhöhe aufgrund anatomischer Veränderungen eingeengt sei. Diese Einengung sei für die Entstehung der degenerativen Veränderungen im Supraspinatusbereich der Rotatorenmanschette verantwortlich. Im Hinblick auf eine diesbezügliche berufliche Verursachung gebe es indes bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aus diesem Grund könne man auch eine Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII mangels ausreichender Grundlagenforschung nicht anerkennen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2009 abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen dem Gutachten des Herrn M1 angeschlossen. Bei der Erkrankung der Rotatorenmanschette handele es ich nicht um eine Erkrankung der Sehnenscheide oder des Sehnenansatzes, sondern um eine Erkrankung des Sehneninneren, also der Sehne selbst; Muskeln und Sehnen selbst seien aber über die BK 2101 nicht versichert. Dass zugleich eine chronische Reizung des den Sehnenansatz schützenden Schleimbeutels vorliege, rechtfertige keine Subsumtion unter die BK 2101, da die Rotatorenmanschettenruptur aufgrund eines degenerativen Prozesses innerhalb der Sehne reiße und nicht aufgrund von Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes, der Sehnen- oder Muskelansätze. Für eine Entschädigungsleistung nach § 9 Abs. 2 SGB VII seien keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vorhanden, dass bestimmte Tätigkeiten zu einer Sehnenerkrankung der Supraspinatus-Sehne führten.
Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Februar 2012 zugestellt. Mit seiner am 4. März 2010 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, bei ihm lägen die Voraussetzungen der BK 2101 vor, denn er habe nicht nur eine Sehnenruptur, sondern auch eine chronische Reizung der Sehne und des Schleimbeutels. Inzwischen gebe es eine Fallkontrollstudie zur Ruptur der Supraspinatussehne bei Arbeiten auf oder über Schulterniveau, erstellt unter der Regie des Dr. Seidler, der seinerzeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin tätig gewesen sei. Diese Studie habe das erstinstanzliche Gericht nicht abgewartet. Nach dieser Studie sei das relative Risiko einer Erkrankung bei regelmäßigen Überkopfarbeiten signifikant erhöht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Dezember 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen die Rotatorenmanschettenruptur des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, hilfsweise als Wie-Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 2 SGB XII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Das Berufungsgericht hat den Kläger durch den Orthopäden Dr. J.N. begutachten lassen, der den Kläger am 4. November 2010 ambulant untersucht hat. In dem Gutachten vom 14. November 2010 ist ausgeführt, die Befundlage hinsichtlich eines Subaromialsyndroms links sei außerordentlich diffus gewesen. Sämtliche Belastungstests seien massiv kraftreduziert demonstriert worden, was mit den wiederholt durchgeführten kernspintomographischen Untersuchungen, die ausschließlich eine Beteiligung der Supraspinatussehne belegten, nicht übereinstimme. Gleichwohl sei ein Supraspinatusriss links nachgewiesen, auch rechts könne eine Partialruptur der Supraspinatussehne ansatznah festgestellt werden. Im Vordergrund stehe also die kernspintomographisch nachgewiesene Ruptur der Supraspinatussehne beidseits, links ausgeprägter als rechts. Die BK 2101 umfasse gemäß ihrer Legaldefinition Erkrankungen der Sehnenscheiden, des Sehnengleitgewebes oder der Sehnen- und Muskelansätze. Bei dem Kläger lägen dagegen Partialrisse der Supraspinatussehne jeweils etwa einen Zentimeter oberhalb des Sehnenansatzes vor; es handele sich danach eindeutig um Veränderungen der Sehne selbst, nicht um Veränderungen der Sehnenansätze. Die in dem Rundschreiben VB 046/2004 des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vertretene Auffassung, eine Tendinosis calcarea sowie Reizungen und Entzündungen des Rotatorenmanschettenhüllgewebes seien unter die BK 2101 zu subsumieren, sei mit der Legaldefinition der BK nicht in Übereinstimmung zu bringen, zumal es anatomisch gesehen ein derartiges Rotatorenmanschettenhüllgewebe gar nicht gebe. Hinsichtlich des Vorliegens einer Wie-Berufskrankheit sei folgendes zu bedenken: insbesondere beim seitlichen Anheben des Armes komme es zu einer Einengung des Subacromialraumes mit daraus resultierender Kompromittierung der unter dem Schulterdach verlaufenden Weichteile, insbesondere der Supraspinatussehne. Daraus resultierten degenerative Umbauten, die schließlich zu einem Rotatorenmanschettendefekt führten. Hierbei handele es sich nicht eigentlich um einen Riss, sondern vielmehr um einen inneren Aufbrauch. Es sei durchaus denkbar, dass Tätigkeiten mit häufigem und anhaltendem Einsatz der Arme in Armvorhalte bzw. auch über der Horizontalen mit einer erhöhten Inzidenz von Rupturen der Rotatorenmanschette, insbesondere der Supraspinatussehne einhergingen. Diese Überlegung werde gestützt durch die Fallkontrollstudie von Seidler et.al., nach welcher ein um das Doppelte erhöhte relatives Risiko für das Auftreten von symptomatischen Rupturen der Supraspinatussehne bei Beschäftigten mit einer kumulativen Dauer von Arbeiten oberhalb des Schulterniveaus von 3195 Stunden bestehe. Dies sei aber bislang die einzige Fallkontrollstudie zu diesem Thema, so dass von allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen keine Rede sein könne. Selbst wenn man aber das Vorliegen einer Wie-Berufskrankheit unterstelle, könne aufgrund des massiven muskulären Gegenspannens, welches der Kläger demonstriert habe, nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass eine Bewegungseinschränkung bis 90° für das Vorwärts-/ Seitwärtsführen des linken Armes bestehe, so dass für das linke Schultergelenk lediglich eine MdE von 10 v.H., für das rechte eine MdE von 0 in Betracht komme.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2010 hat Dr. J.N. weiter ausgeführt, die Studie von Seidler et. al. sei die erste, die einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Rissen im Sehnenbereich der Schulter untersuche. Es erscheine zwar logisch, dass Arbeiten über Kopf hier eine besondere Belastungssituation schafften, nicht nachvollbar sei jedoch, dass auch Heben und Tragen schwerer Gegenstände als Ursache für einen Sehnenriss dort diskutiert werde. Beim Heben und Tragen von Gegenständen trete eher eine Entlastung im Schultergelenk ein, indem dort durch die nach unten ziehende Wirkung der Last ein größerer Freiraum für die Bewegung geschaffen werde. Es sei nachvollziehbar, dass der Sachverständigenbeirat bisher noch nicht die berufliche Verursachung von Rotatorenmanschettenrupturen als Berufskrankheit prüfe und diskutiere; dazu sei einfach die medizinische Faktenlage noch zu gering. Es sei allerdings möglich, dass zukünftige Forschungen dazu führten, dass in diesem Bereich irgendwann einmal eine Berufskrankheit geschaffen werde. Eine BK 2101 liege nach der Legaldefinition nicht vor. Im Falle des Klägers liegt der Schaden ca. 1 cm vom Sehnenansatz entfernt und könne deswegen nicht mehr als Sehnenansatzschaden aufgefasst werden. Dres. S./ N. sei insoweit nicht zu folgen, weil diese die Berufskrankheit über ihren Wortlaut hinaus ausdehnten.
Dem ist für den Kläger daraufhin noch einmal Prof. Dr. N. entgegengetreten und hat ausgeführt, er halte die Studienlage für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit für ausreichend. Er hat zur Untermauerung dieser Auffassung auf ein Review verwiesen, welches 17 internationale Gutachten auswerte. Zwei dieser Studien beträfen Defekte der Rotatorenmanschette bei Überkopfarbeiten, so dass bei Hinzuziehen der beiden deutschen Studien (Rolf u.a. aus dem Jahre 2006 und der Studie von Seidler et.al.) insgesamt vier Studien einen Zusammenhang belegten. Insgesamt gäbe es eine gute Evidenz in der Literatur, dass berufliche Expositionen, insbesondere Überkopfarbeiten und Arbeiten mit starker Kraft, Risikofaktoren für Rotatorenmanschettendefekte seien.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 14. Februar 2012 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 SGG entscheiden kann, statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Anerkennung der geltend gemachten BK 2101. Dies hat bereits das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil unter eingehender Darstellung der gesetzlichen Vorschriften und Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen zutreffend dargelegt. Insoweit sieht der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Lediglich ergänzend sei auf folgendes hingewiesen:
Die BK 2101 erfasst ihrer Definition nach Erkrankungen der Sehnenscheide oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Damit sind nach dem Wortlaut Erkrankungen der Sehne selbst nicht erfasst. Dass es sich bei einer Rotatorenmanschettenruptur, wie sie bei dem Kläger unstreitig vorliegt, um eine solche Erkrankung der Sehnen selbst handelt, haben alle Gutachter übereinstimmend ausgeführt. Bei dem Kläger liegt damit kein Krankheitsbild vor, welches von der BK 2101 erfasst wird. Aus dem Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften "Berufskrankheiten 016/2004" lässt sich ein dem Kläger günstigeres Ergebnis nicht herleiten, auch nicht, soweit es in dem Rundschreiben heißt, die Tendinosis Calcera sowie Reizungen und Entzündungen der Rotatorenmanschettenhüllgewebe könnten im Einzelfall unter die BK 2101 zu subsumieren sein. Eine Verwendung derartiger Rundschreiben als Sachverständigengutachten hinsichtlich genereller Tatsachen oder als Dokumentation des aktuellen Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft kommt nicht in Betracht. Das Rundschreiben mag eine Informationsquelle für die Praxis darstellen, weder entfaltet es aber eine Bindungswirkung für den konkreten Einzelfall, noch gibt es überhaupt den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse wider. Dies folgt bereits daraus, dass das Rundschreiben zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits acht Jahre alt war. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man mit Dr. J.N. die Auffassung vertritt, die Ausführungen in dem aufgeführten Rundschreiben seien schlicht nicht mit der Legaldefinition der BK 2101 in Übereinstimmung zu bringen, oder ob man ausgehend von der Legaldefinition der BK 2101 zumindest einen Bezug der Tendinosis Calcera zu den Sehnenansätzen fordert. Die Sehnenansätze sind nämlich im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht betroffen; betroffen ist vielmehr die Sehne selbst.
Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung besteht auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, nach dem eine Krankheit wie eine Berufskrankheit entschädigt werden kann. § 9 Abs. 2 SGB VII bestimmt, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit anzuerkennen haben, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt als Voraussetzung für die Bezeichnung von Krankheiten als Berufskrankheit durch Rechtsverordnung, dass diese nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Mit dieser Regelung sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Hierfür genügt es nicht, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur sogenannten Berufskrankheiten-Reife verdichtet haben. Dies ist (nur dann) der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (LSG Bayern, Urteil v. 21.06.2006 – L 2 U 390/04 - Juris Rn. 27 m.w.N.).
Derartige neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die bereits zu einer herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich geführt hätten, liegen für die Rotatorenmanschettenruptur nicht vor. Die Rotatorenmanschette liegt zwischen dem Oberarmkopf und dem knöchern-bindegewebigen Schulterdach, gebildet von der Schulterhöhe (Acromion), dem Rabenschnabelfortsatz und einem straffen Band, das dazwischen verläuft. Sie bildet eine Sekundärpfanne zwischen Oberarmkopf und Schulterhöhe und kontrolliert die Roll-Schulterhöhe, hält den relativ großen Oberarmkopf in korrekter Stellung zur vergleichsweise kleinen Pfanne und kontrolliert die Roll-Gleit-Bewegungen des Oberarmkopfes. Die Rotatorenmanschette unterliegt in hohem Maße der Degeneration, die zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit führt. Die Degeneration beginnt bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. In der Altersgruppe der über 40-jährigen nehmen die "Partialrupturen" zu: es bestehen inkomplette, meist gelenkseitige Teildefekte und Ausdünnungen des Sehnengewebes. Zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen auf und jenseits des 60. Lebensjahres steigt dann die Wahrscheinlichkeit für einen Rotatorenmanschettendefekt rasch an und erreicht bis zu 100%. Neben dem traumatischen Riss können Rupturen entstehen durch lokale Minderdurchblutung im Bereich der Sehnenansätze am Oberarmkopf und durch einen zunehmenden Verschleiß der Sehnen durch Abrieb im Engpass des subakromialen Raumes. Dabei handelt sich um eine Störung der Gleitbewegung zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach. Jede Veränderung des subakromialen Raumes kann zu einem Engpass des Schultergelenkes führen mit degenerativen Erscheinungen der Rotatorenmanschette einschließlich Teilrupturen, Kalkeinlagerungen und vorzeitigem Verschleiß des Schultereckgelenkes. Dabei ist durchaus von einer Korrelation zwischen Degeneration und körperlicher Beanspruchung auszugehen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2009, S. 410 f.).
Das Vorliegen neuer Erkenntnisse zur Erkrankung an einer Rotatorenmanschettenruptur bei Verputzern konnte indes nicht festgestellt werden. Insbesondere haben sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse – soweit man von deren Vorliegen ausgeht – zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bereits zur Berufskrankheiten-Reife verdichtet. Eine herrschende Meinung im orthopädisch-chirurgischen Fachbereich hat sich insoweit zur Überzeugung des Gerichts noch nicht gebildet.
Dies folgt auch aus der von dem Kläger für sich in Anspruch genommenen Dissertation der Magdalena Klupp "Die Ruptur der Supraspinatussehne: Arbeiten auf oder über Schulterniveau – Ergebnisse aus einer Fall-Kontroll-Studie" von 2010. Diese Dissertation wertet die vom Institut für Arbeitsmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main unter der Regie von Seidler et.al. durchgeführte Fallkontrollstudie aus und hat dem Senat im Volltext vorgelegen. Die Dissertation beschreibt darüber hinaus auch alle zuvor durchgeführten Studien, aus denen sich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Arbeiten auf und über Schulterniveau und Schultererkrankungen ergeben können. Zusammenfassend heißt es dazu, dass einige dieser Studien zwar "auf einen Zusammenhang zwischen Arbeiten auf Schulterhöhe/ über Schulterhöhe/ Überkopfarbeiten und Schulterbeschwerden bis hin zur Rotatorenmanschettenruptur hinweisen" (Seite 30), dass jedoch keine der bisher veröffentlichten Studien die Supraspinatussehnen(partial)ruptur untersucht (Seite 69). Wenn diese Arbeit von 2010 indes die erste ist, die sich mit der für das vorliegende Verfahren bedeutsamen Fragestellung befasst, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich insoweit bereits eine dem Kläger günstige herrschende Meinung der orthopädisch-chirurgischen Fachwelt gebildet hat. Auch Dr. J.N. führt diesbezüglich aus, die Studie von Seidler sei die bislang erste Fallkontrollstudie zu diesem konkreten Thema. Dass ein Zusammenhang zwischen dem klinischen Beschwerdebild eines Impingementsyndroms und einer beruflichen Belastung durch Überkopfarbeit bestehe, sei keineswegs neu. Es sei aber unzulässig, aus der klinischen Diagnose eines Impingementsyndroms auf das Vorliegen einer Rotatorenmanschettenruptur zu schließen.
Einen derartigen Zusammenhang beschreibt auch die Dissertation von Klupp nicht, dort heißt es allerdings, eine Hypothese zur Entstehung von Sehnenläsionen sei ein zunehmender Verschleiß der Sehnen durch Abrieb in der Enge des subakromialen Raumes (Impingement-Syndrom, S. 65). Diese Hypothese wird zur Begründung der Plausibilität dafür angeführt, dass Arbeiten auf und über Schulterniveau durch das subakromiale Engpasssyndrom zu degenerativen Veränderungen des Musculus supraspinatus führen, aus denen sich dann eine (Partial)ruptur entwickeln kann. Die Dissertation kommt sodann zu dem Ergebnis, ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Ruptur der Supraspinatussehne bei Arbeitern besteht, die mehr als 3195 Stunden auf oder über Schulterniveau arbeiteten im Vergleich zu Arbeitern, die nicht auf oder über Schulterniveau tätig waren und empfiehlt für Personen, die kumulativ mindestens 3200 Stunden auf oder über Schulterniveau arbeiteten die Anerkennung als Berufskrankheit unter Aufnahme in die Berufskrankheiten-Liste. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die Supraspinatussehnen(partial)ruptur auch in dieser Dissertation als häufige Erkrankung beschrieben wird, die mit steigendem Alter auch in der Allgemeinbevölkerung zunimmt. Teilweise werde eine altersspezifische Inzidenz von 75 % bei den über 50-Jährigen beschrieben. Das Risiko für eine Supraspinatussehnenruptur werde insgesamt unterschätzt; es sei nicht auszuschließen, dass sich auch in der Kontrollgruppe (in der kein MRT gefertigt wurde) Männer mit Supraspinatussehnenruptur hätten finden lassen (S. 73). Vor diesem Hintergrund ist nicht von dem Vorliegen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, die bereits zur herrschenden Meinung unter den Fachwissenschaftlern geworden sind, auszugehen.
In Hinblick auf die erst vereinzelt vorliegenden epidemiologischen Erkenntnisse über die generelle Eignung von Überkopfarbeiten für die Verursachung einer Rotatorenmanschetten-Ruptur ist eine Anerkennung wie eine Berufskrankheit nicht möglich. Es kann nicht festgestellt werden, dass zu dieser Frage eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet existiert. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Stellungnahme des Prof. Dr. N., der insgesamt die Auffassung vertritt, es finde sich in der Literatur eine "gute Evidenz" dafür, dass berufliche Expositionen Risikofaktoren für Rotatorenmanschettendefekte sind. Aus dieser Behauptung ergibt sich ausschließlich, dass Prof. Dr. N. diese Auffassung von einem (möglichen) Zusammenhang vertritt, nicht aber, dass sich insoweit bereits eine herrschende Meinung in der Fachwelt gebildet hätte. Eine solche herrschende Meinung hat auch das von Prof. Dr. N. in Bezug genommene Sozialgericht Stuttgart gerade nicht festgestellt, indem es ausgeführt hat, es folge dem dort beauftragten Gutachter vor dem Hintergrund, dass dieser sich "durchaus einer gewissen Konfliktbereitschaft in Umgang mit althergebrachten Strukturen berühmen könnte. Zumeist obsiegte er hierbei auch" (Seite 7 des Urteils vom 20.7.2010 – S 6 U 6827/09). Es handelt sich also auch dort um eine Einzelmeinung, die sich möglicherweise in der Fachwelt durchsetzen wird, möglicherweise – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutlich ansteigende Häufigkeit der Erkrankung mit höherem Lebensalter ein Hinweis für eine erhebliche Beteiligung des natürliche Alterungsprozess der Sehnen sein dürfte - aber auch nicht. Dies genügt den Anforderungen, die an die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu stellen sind, nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Schulter als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101 (Erkrankungen der Sehnenscheide oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen bzw. nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen sind.
Der 1961 geborene Kläger war von 1980 bis 2004 als Verputzer tätig und hat in dieser Tätigkeit schwere Lasten von mehr als 50 kg auf der Schulter bewegt sowie beim Abziehen und Glätten von Wänden und Decken Putzmaterial mit hohem Kraftaufwand und Lastgewicht auch über Kopf bewegt. Spätestens seit 2005 leidet der Kläger unter den Folgen einer Rotatorenmanschettenruptur links mit Impingementsymptomatik bei Bursitis subacromialis und deltoidea.
Am 22. Juni 2005 erfolgte eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch die behandelnde Allgemeinärztin des Klägers, Dr. M ... Die Beklagte führte daraufhin medizinische und arbeitstechnische Ermittlungen durch und holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. H. ein, der ausführte, ein Zusammenhang der erlittenen Rotatorenmanschettenruptur mit der angeschuldigten Tätigkeit sei nicht auszuschließen, jedoch gebe es keine neuen Erkenntnisse zur Rotatorenmanschettenruptur. Die BK 2101 erfasse diesen Sachverhalt nicht, da der Sehnenansatz nicht betroffen sei.
Mit Bescheid vom 24. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit und einer Wie-Berufskrankheit ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2006).
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Hamburg zunächst auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Dr. S. als medizinischen Sachverständigen gehört. Dr. S. hat sein Gutachten unter Mithilfe von Prof. Dr. N. erstellt und am 12. Oktober 2008 mit diesem gemeinsam ausgeführt, bei dem Kläger bestehe unstreitig eine Rotatorenmanschettenruptur in Form einer Supraspinatussehnen-Ruptur an beiden Schultergelenken. Hierbei handele es sich um eine Erkrankung der passiven Überträger der Muskelkraft und ihrer Gleitgewebe und damit um eine Erkrankung im Sinne der BK 2101. Die Supraspinatussehne setze kurz unterhalb des Oberarmkopfes an und ziehe sich über den Oberarmkopf und unter dem Schulterdach her. Der Schleimbeutel schütze die Sehne und die Rotatorenmanschette, insofern sei die Supraspinatussehne eine typische Sehne mit Sehnengleitgewebe. Allerdings umgebe das Gleitgewebe die Sehne nicht wie eine Sehnenscheide, sondern liege auf der Sehne und schütze sie gegen den knöchernen Druck des darüber liegenden Schulterdaches. Für Überkopfarbeiten müsse der Oberarm seitwärts bewegt werden. Durch diese Seitwärtsbewegung verenge sich der Durchgang zwischen Oberarmkopf und Schulterdach. Es entstehe also eine Druckbelastung für die Bursa und die darunter liegende Sehne bzw. den Sehnenansatz. Der Kläger habe aufgrund eines Unfalls als Kind den rechten Arm nicht voll einsetzen können. Dieser sei deutlich weniger betroffen als der wesentlich stärker belastete linke Arm, was für die Belastung als Ursache der Degeneration spreche. Zudem seien bei dem Kläger in verhältnismäßig jungem Alter die Veränderungen aufgetreten, bei gleichzeitig sehr hoher Belastung durch Überkopfarbeit. Die Erkrankung sei unter die BK 2101 zu subsumieren. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v.H ...
Das Sozialgericht hat daraufhin von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten des Chirurgen M1 eingeholt, welcher den Kläger bereits in einem parallelen Klageverfahren im August 2007 untersucht hatte und am 22. April 2009 ausgeführt hat, der Kläger leide unter einer Rotatorenmanschettenruptur links mit Impingementsymptomatik bei Bursitis subacromialis und deltoidea. Das Krankheitsbild, welches unter die BK 2101 subsumiert werde, sei im Verordnungstext klar formuliert. Es umfasse Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes, sowie der Sehnen- oder Muskelansätze. Versichert seien lediglich die passiven Bewegungsgewebe, nicht der aktive Bewegungsapparat, versichert seien daher weder die Muskel noch die Sehnen selbst. Bei der Erkrankung der Rotatorenmanschette handele es sich indes nicht um eine Erkrankung einer Sehnenscheide oder eines Sehnenansatzes, sondern um eine Erkrankung im Sehneninneren. Derartige Verschleißprozesse der Sehnen liefen nach einem identischen Schema ab, gleichgültig, welche Sehne betroffen sei. Die Voraussetzung für die Anerkennung einer BK seien bei derartigen Krankheitsbildern nicht gegeben, da es sich primär um eine Schädigung der Sehnen und Muskeln, nicht aber um eine solche des Gleitgewebes oder der Muskel- oder Sehnenansätze handele. Bei dem Kläger liege ein sogenanntes primäres Impingement vor, bei welchem der Raum unterhalb der Schulterhöhe aufgrund anatomischer Veränderungen eingeengt sei. Diese Einengung sei für die Entstehung der degenerativen Veränderungen im Supraspinatusbereich der Rotatorenmanschette verantwortlich. Im Hinblick auf eine diesbezügliche berufliche Verursachung gebe es indes bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aus diesem Grund könne man auch eine Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII mangels ausreichender Grundlagenforschung nicht anerkennen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2009 abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen dem Gutachten des Herrn M1 angeschlossen. Bei der Erkrankung der Rotatorenmanschette handele es ich nicht um eine Erkrankung der Sehnenscheide oder des Sehnenansatzes, sondern um eine Erkrankung des Sehneninneren, also der Sehne selbst; Muskeln und Sehnen selbst seien aber über die BK 2101 nicht versichert. Dass zugleich eine chronische Reizung des den Sehnenansatz schützenden Schleimbeutels vorliege, rechtfertige keine Subsumtion unter die BK 2101, da die Rotatorenmanschettenruptur aufgrund eines degenerativen Prozesses innerhalb der Sehne reiße und nicht aufgrund von Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes, der Sehnen- oder Muskelansätze. Für eine Entschädigungsleistung nach § 9 Abs. 2 SGB VII seien keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vorhanden, dass bestimmte Tätigkeiten zu einer Sehnenerkrankung der Supraspinatus-Sehne führten.
Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Februar 2012 zugestellt. Mit seiner am 4. März 2010 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, bei ihm lägen die Voraussetzungen der BK 2101 vor, denn er habe nicht nur eine Sehnenruptur, sondern auch eine chronische Reizung der Sehne und des Schleimbeutels. Inzwischen gebe es eine Fallkontrollstudie zur Ruptur der Supraspinatussehne bei Arbeiten auf oder über Schulterniveau, erstellt unter der Regie des Dr. Seidler, der seinerzeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin tätig gewesen sei. Diese Studie habe das erstinstanzliche Gericht nicht abgewartet. Nach dieser Studie sei das relative Risiko einer Erkrankung bei regelmäßigen Überkopfarbeiten signifikant erhöht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Dezember 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen die Rotatorenmanschettenruptur des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, hilfsweise als Wie-Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 2 SGB XII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Das Berufungsgericht hat den Kläger durch den Orthopäden Dr. J.N. begutachten lassen, der den Kläger am 4. November 2010 ambulant untersucht hat. In dem Gutachten vom 14. November 2010 ist ausgeführt, die Befundlage hinsichtlich eines Subaromialsyndroms links sei außerordentlich diffus gewesen. Sämtliche Belastungstests seien massiv kraftreduziert demonstriert worden, was mit den wiederholt durchgeführten kernspintomographischen Untersuchungen, die ausschließlich eine Beteiligung der Supraspinatussehne belegten, nicht übereinstimme. Gleichwohl sei ein Supraspinatusriss links nachgewiesen, auch rechts könne eine Partialruptur der Supraspinatussehne ansatznah festgestellt werden. Im Vordergrund stehe also die kernspintomographisch nachgewiesene Ruptur der Supraspinatussehne beidseits, links ausgeprägter als rechts. Die BK 2101 umfasse gemäß ihrer Legaldefinition Erkrankungen der Sehnenscheiden, des Sehnengleitgewebes oder der Sehnen- und Muskelansätze. Bei dem Kläger lägen dagegen Partialrisse der Supraspinatussehne jeweils etwa einen Zentimeter oberhalb des Sehnenansatzes vor; es handele sich danach eindeutig um Veränderungen der Sehne selbst, nicht um Veränderungen der Sehnenansätze. Die in dem Rundschreiben VB 046/2004 des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vertretene Auffassung, eine Tendinosis calcarea sowie Reizungen und Entzündungen des Rotatorenmanschettenhüllgewebes seien unter die BK 2101 zu subsumieren, sei mit der Legaldefinition der BK nicht in Übereinstimmung zu bringen, zumal es anatomisch gesehen ein derartiges Rotatorenmanschettenhüllgewebe gar nicht gebe. Hinsichtlich des Vorliegens einer Wie-Berufskrankheit sei folgendes zu bedenken: insbesondere beim seitlichen Anheben des Armes komme es zu einer Einengung des Subacromialraumes mit daraus resultierender Kompromittierung der unter dem Schulterdach verlaufenden Weichteile, insbesondere der Supraspinatussehne. Daraus resultierten degenerative Umbauten, die schließlich zu einem Rotatorenmanschettendefekt führten. Hierbei handele es sich nicht eigentlich um einen Riss, sondern vielmehr um einen inneren Aufbrauch. Es sei durchaus denkbar, dass Tätigkeiten mit häufigem und anhaltendem Einsatz der Arme in Armvorhalte bzw. auch über der Horizontalen mit einer erhöhten Inzidenz von Rupturen der Rotatorenmanschette, insbesondere der Supraspinatussehne einhergingen. Diese Überlegung werde gestützt durch die Fallkontrollstudie von Seidler et.al., nach welcher ein um das Doppelte erhöhte relatives Risiko für das Auftreten von symptomatischen Rupturen der Supraspinatussehne bei Beschäftigten mit einer kumulativen Dauer von Arbeiten oberhalb des Schulterniveaus von 3195 Stunden bestehe. Dies sei aber bislang die einzige Fallkontrollstudie zu diesem Thema, so dass von allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen keine Rede sein könne. Selbst wenn man aber das Vorliegen einer Wie-Berufskrankheit unterstelle, könne aufgrund des massiven muskulären Gegenspannens, welches der Kläger demonstriert habe, nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass eine Bewegungseinschränkung bis 90° für das Vorwärts-/ Seitwärtsführen des linken Armes bestehe, so dass für das linke Schultergelenk lediglich eine MdE von 10 v.H., für das rechte eine MdE von 0 in Betracht komme.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2010 hat Dr. J.N. weiter ausgeführt, die Studie von Seidler et. al. sei die erste, die einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Rissen im Sehnenbereich der Schulter untersuche. Es erscheine zwar logisch, dass Arbeiten über Kopf hier eine besondere Belastungssituation schafften, nicht nachvollbar sei jedoch, dass auch Heben und Tragen schwerer Gegenstände als Ursache für einen Sehnenriss dort diskutiert werde. Beim Heben und Tragen von Gegenständen trete eher eine Entlastung im Schultergelenk ein, indem dort durch die nach unten ziehende Wirkung der Last ein größerer Freiraum für die Bewegung geschaffen werde. Es sei nachvollziehbar, dass der Sachverständigenbeirat bisher noch nicht die berufliche Verursachung von Rotatorenmanschettenrupturen als Berufskrankheit prüfe und diskutiere; dazu sei einfach die medizinische Faktenlage noch zu gering. Es sei allerdings möglich, dass zukünftige Forschungen dazu führten, dass in diesem Bereich irgendwann einmal eine Berufskrankheit geschaffen werde. Eine BK 2101 liege nach der Legaldefinition nicht vor. Im Falle des Klägers liegt der Schaden ca. 1 cm vom Sehnenansatz entfernt und könne deswegen nicht mehr als Sehnenansatzschaden aufgefasst werden. Dres. S./ N. sei insoweit nicht zu folgen, weil diese die Berufskrankheit über ihren Wortlaut hinaus ausdehnten.
Dem ist für den Kläger daraufhin noch einmal Prof. Dr. N. entgegengetreten und hat ausgeführt, er halte die Studienlage für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit für ausreichend. Er hat zur Untermauerung dieser Auffassung auf ein Review verwiesen, welches 17 internationale Gutachten auswerte. Zwei dieser Studien beträfen Defekte der Rotatorenmanschette bei Überkopfarbeiten, so dass bei Hinzuziehen der beiden deutschen Studien (Rolf u.a. aus dem Jahre 2006 und der Studie von Seidler et.al.) insgesamt vier Studien einen Zusammenhang belegten. Insgesamt gäbe es eine gute Evidenz in der Literatur, dass berufliche Expositionen, insbesondere Überkopfarbeiten und Arbeiten mit starker Kraft, Risikofaktoren für Rotatorenmanschettendefekte seien.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 14. Februar 2012 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 SGG entscheiden kann, statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom24. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Anerkennung der geltend gemachten BK 2101. Dies hat bereits das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil unter eingehender Darstellung der gesetzlichen Vorschriften und Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen zutreffend dargelegt. Insoweit sieht der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Lediglich ergänzend sei auf folgendes hingewiesen:
Die BK 2101 erfasst ihrer Definition nach Erkrankungen der Sehnenscheide oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Damit sind nach dem Wortlaut Erkrankungen der Sehne selbst nicht erfasst. Dass es sich bei einer Rotatorenmanschettenruptur, wie sie bei dem Kläger unstreitig vorliegt, um eine solche Erkrankung der Sehnen selbst handelt, haben alle Gutachter übereinstimmend ausgeführt. Bei dem Kläger liegt damit kein Krankheitsbild vor, welches von der BK 2101 erfasst wird. Aus dem Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften "Berufskrankheiten 016/2004" lässt sich ein dem Kläger günstigeres Ergebnis nicht herleiten, auch nicht, soweit es in dem Rundschreiben heißt, die Tendinosis Calcera sowie Reizungen und Entzündungen der Rotatorenmanschettenhüllgewebe könnten im Einzelfall unter die BK 2101 zu subsumieren sein. Eine Verwendung derartiger Rundschreiben als Sachverständigengutachten hinsichtlich genereller Tatsachen oder als Dokumentation des aktuellen Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft kommt nicht in Betracht. Das Rundschreiben mag eine Informationsquelle für die Praxis darstellen, weder entfaltet es aber eine Bindungswirkung für den konkreten Einzelfall, noch gibt es überhaupt den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse wider. Dies folgt bereits daraus, dass das Rundschreiben zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits acht Jahre alt war. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man mit Dr. J.N. die Auffassung vertritt, die Ausführungen in dem aufgeführten Rundschreiben seien schlicht nicht mit der Legaldefinition der BK 2101 in Übereinstimmung zu bringen, oder ob man ausgehend von der Legaldefinition der BK 2101 zumindest einen Bezug der Tendinosis Calcera zu den Sehnenansätzen fordert. Die Sehnenansätze sind nämlich im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht betroffen; betroffen ist vielmehr die Sehne selbst.
Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung besteht auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, nach dem eine Krankheit wie eine Berufskrankheit entschädigt werden kann. § 9 Abs. 2 SGB VII bestimmt, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit anzuerkennen haben, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt als Voraussetzung für die Bezeichnung von Krankheiten als Berufskrankheit durch Rechtsverordnung, dass diese nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Mit dieser Regelung sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Hierfür genügt es nicht, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur sogenannten Berufskrankheiten-Reife verdichtet haben. Dies ist (nur dann) der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (LSG Bayern, Urteil v. 21.06.2006 – L 2 U 390/04 - Juris Rn. 27 m.w.N.).
Derartige neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die bereits zu einer herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich geführt hätten, liegen für die Rotatorenmanschettenruptur nicht vor. Die Rotatorenmanschette liegt zwischen dem Oberarmkopf und dem knöchern-bindegewebigen Schulterdach, gebildet von der Schulterhöhe (Acromion), dem Rabenschnabelfortsatz und einem straffen Band, das dazwischen verläuft. Sie bildet eine Sekundärpfanne zwischen Oberarmkopf und Schulterhöhe und kontrolliert die Roll-Schulterhöhe, hält den relativ großen Oberarmkopf in korrekter Stellung zur vergleichsweise kleinen Pfanne und kontrolliert die Roll-Gleit-Bewegungen des Oberarmkopfes. Die Rotatorenmanschette unterliegt in hohem Maße der Degeneration, die zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit führt. Die Degeneration beginnt bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. In der Altersgruppe der über 40-jährigen nehmen die "Partialrupturen" zu: es bestehen inkomplette, meist gelenkseitige Teildefekte und Ausdünnungen des Sehnengewebes. Zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen auf und jenseits des 60. Lebensjahres steigt dann die Wahrscheinlichkeit für einen Rotatorenmanschettendefekt rasch an und erreicht bis zu 100%. Neben dem traumatischen Riss können Rupturen entstehen durch lokale Minderdurchblutung im Bereich der Sehnenansätze am Oberarmkopf und durch einen zunehmenden Verschleiß der Sehnen durch Abrieb im Engpass des subakromialen Raumes. Dabei handelt sich um eine Störung der Gleitbewegung zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach. Jede Veränderung des subakromialen Raumes kann zu einem Engpass des Schultergelenkes führen mit degenerativen Erscheinungen der Rotatorenmanschette einschließlich Teilrupturen, Kalkeinlagerungen und vorzeitigem Verschleiß des Schultereckgelenkes. Dabei ist durchaus von einer Korrelation zwischen Degeneration und körperlicher Beanspruchung auszugehen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2009, S. 410 f.).
Das Vorliegen neuer Erkenntnisse zur Erkrankung an einer Rotatorenmanschettenruptur bei Verputzern konnte indes nicht festgestellt werden. Insbesondere haben sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse – soweit man von deren Vorliegen ausgeht – zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bereits zur Berufskrankheiten-Reife verdichtet. Eine herrschende Meinung im orthopädisch-chirurgischen Fachbereich hat sich insoweit zur Überzeugung des Gerichts noch nicht gebildet.
Dies folgt auch aus der von dem Kläger für sich in Anspruch genommenen Dissertation der Magdalena Klupp "Die Ruptur der Supraspinatussehne: Arbeiten auf oder über Schulterniveau – Ergebnisse aus einer Fall-Kontroll-Studie" von 2010. Diese Dissertation wertet die vom Institut für Arbeitsmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main unter der Regie von Seidler et.al. durchgeführte Fallkontrollstudie aus und hat dem Senat im Volltext vorgelegen. Die Dissertation beschreibt darüber hinaus auch alle zuvor durchgeführten Studien, aus denen sich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Arbeiten auf und über Schulterniveau und Schultererkrankungen ergeben können. Zusammenfassend heißt es dazu, dass einige dieser Studien zwar "auf einen Zusammenhang zwischen Arbeiten auf Schulterhöhe/ über Schulterhöhe/ Überkopfarbeiten und Schulterbeschwerden bis hin zur Rotatorenmanschettenruptur hinweisen" (Seite 30), dass jedoch keine der bisher veröffentlichten Studien die Supraspinatussehnen(partial)ruptur untersucht (Seite 69). Wenn diese Arbeit von 2010 indes die erste ist, die sich mit der für das vorliegende Verfahren bedeutsamen Fragestellung befasst, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich insoweit bereits eine dem Kläger günstige herrschende Meinung der orthopädisch-chirurgischen Fachwelt gebildet hat. Auch Dr. J.N. führt diesbezüglich aus, die Studie von Seidler sei die bislang erste Fallkontrollstudie zu diesem konkreten Thema. Dass ein Zusammenhang zwischen dem klinischen Beschwerdebild eines Impingementsyndroms und einer beruflichen Belastung durch Überkopfarbeit bestehe, sei keineswegs neu. Es sei aber unzulässig, aus der klinischen Diagnose eines Impingementsyndroms auf das Vorliegen einer Rotatorenmanschettenruptur zu schließen.
Einen derartigen Zusammenhang beschreibt auch die Dissertation von Klupp nicht, dort heißt es allerdings, eine Hypothese zur Entstehung von Sehnenläsionen sei ein zunehmender Verschleiß der Sehnen durch Abrieb in der Enge des subakromialen Raumes (Impingement-Syndrom, S. 65). Diese Hypothese wird zur Begründung der Plausibilität dafür angeführt, dass Arbeiten auf und über Schulterniveau durch das subakromiale Engpasssyndrom zu degenerativen Veränderungen des Musculus supraspinatus führen, aus denen sich dann eine (Partial)ruptur entwickeln kann. Die Dissertation kommt sodann zu dem Ergebnis, ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Ruptur der Supraspinatussehne bei Arbeitern besteht, die mehr als 3195 Stunden auf oder über Schulterniveau arbeiteten im Vergleich zu Arbeitern, die nicht auf oder über Schulterniveau tätig waren und empfiehlt für Personen, die kumulativ mindestens 3200 Stunden auf oder über Schulterniveau arbeiteten die Anerkennung als Berufskrankheit unter Aufnahme in die Berufskrankheiten-Liste. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die Supraspinatussehnen(partial)ruptur auch in dieser Dissertation als häufige Erkrankung beschrieben wird, die mit steigendem Alter auch in der Allgemeinbevölkerung zunimmt. Teilweise werde eine altersspezifische Inzidenz von 75 % bei den über 50-Jährigen beschrieben. Das Risiko für eine Supraspinatussehnenruptur werde insgesamt unterschätzt; es sei nicht auszuschließen, dass sich auch in der Kontrollgruppe (in der kein MRT gefertigt wurde) Männer mit Supraspinatussehnenruptur hätten finden lassen (S. 73). Vor diesem Hintergrund ist nicht von dem Vorliegen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, die bereits zur herrschenden Meinung unter den Fachwissenschaftlern geworden sind, auszugehen.
In Hinblick auf die erst vereinzelt vorliegenden epidemiologischen Erkenntnisse über die generelle Eignung von Überkopfarbeiten für die Verursachung einer Rotatorenmanschetten-Ruptur ist eine Anerkennung wie eine Berufskrankheit nicht möglich. Es kann nicht festgestellt werden, dass zu dieser Frage eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet existiert. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Stellungnahme des Prof. Dr. N., der insgesamt die Auffassung vertritt, es finde sich in der Literatur eine "gute Evidenz" dafür, dass berufliche Expositionen Risikofaktoren für Rotatorenmanschettendefekte sind. Aus dieser Behauptung ergibt sich ausschließlich, dass Prof. Dr. N. diese Auffassung von einem (möglichen) Zusammenhang vertritt, nicht aber, dass sich insoweit bereits eine herrschende Meinung in der Fachwelt gebildet hätte. Eine solche herrschende Meinung hat auch das von Prof. Dr. N. in Bezug genommene Sozialgericht Stuttgart gerade nicht festgestellt, indem es ausgeführt hat, es folge dem dort beauftragten Gutachter vor dem Hintergrund, dass dieser sich "durchaus einer gewissen Konfliktbereitschaft in Umgang mit althergebrachten Strukturen berühmen könnte. Zumeist obsiegte er hierbei auch" (Seite 7 des Urteils vom 20.7.2010 – S 6 U 6827/09). Es handelt sich also auch dort um eine Einzelmeinung, die sich möglicherweise in der Fachwelt durchsetzen wird, möglicherweise – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutlich ansteigende Häufigkeit der Erkrankung mit höherem Lebensalter ein Hinweis für eine erhebliche Beteiligung des natürliche Alterungsprozess der Sehnen sein dürfte - aber auch nicht. Dies genügt den Anforderungen, die an die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu stellen sind, nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
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