L 1 KR 34/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 KR 760/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 34/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Februar 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2008 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, ihren Bescheid vom 21. Januar 2005 zurückzunehmen, soweit hierdurch Beiträge auf der Grundlage höherer Einnahmen als der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Selbständige festgesetzt worden sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom Kläger geschuldeten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007.

Der 1973 geborene Kläger nahm am 22. Dezember 2003 eine selbständige Tätigkeit als EDV-Berater auf. Seit dem 1. Januar 2004 ist er freiwilliges Mitglied der Beklagten zu 1. und versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten zu 2. In der Zeit vom 22. Dezember 2003 bis 21. Dezember 2006 erhielt er einen Existenzgründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von monatlich EUR 240.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2004 bestätigte die Beklagte zu 1. ihm die Mitgliedschaft und teilte gleichzeitig mit, dass er auf der Grundlage der Mindestbemessungsgrundlage für selbständig Tätige monatliche Beiträge in Höhe von EUR 249 zur Krankenversicherung und in Höhe von EUR 30,80 zur Pflegeversicherung zu entrichten habe. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2005 teilte die Beklagte zu 1. ihm mit, dass seine monatlichen Einkünfte auf EUR 3.525 geschätzt würden, da er trotz mehrfacher Erinnerung keine Einkommensnachweise übersandt habe. Die monatlichen Beiträge beliefen sich daher ab 1. Februar 2005 auf EUR 486,46 zur Krankenversicherung und EUR 68,74 zur Pflegeversicherung. Auch dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Am 1. Oktober 2007 wandte sich der Kläger per E-Mail an die Beklagten und beanstandete, dass seit Februar 2005 ein zu hoher monatlicher Beitrag abgebucht werde. Er bitte daher um Überprüfung und Rückzahlung. Auf Anforderung der Beklagten übersandte er sodann am 30. November 2007 seine Einkommensteuerbescheide für 2003 vom 13. Oktober 2005, für 2004 vom 23. Mai 2006 und für 2005 vom 20. September 2007. Daraus ergaben sich für 2003 Einkünfte in Höhe von EUR 6.404, für 2004 in Höhe von EUR 13.320 und für 2005 in Höhe von EUR 23.418. Des Weiteren übersandte der Kläger einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit über die Bewilligung des Existenzgründungszuschusses.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2007 setzte die Beklagte zu 1. auch im Namen der Beklagten zu 2. die Beiträge ab 1. Januar 2008 zunächst weiterhin auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze fest. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2008 teilten die Beklagten ihm mit, dass seine Beiträge ab Januar 2004 zunächst unter Berücksichtigung der Mindestbemessungsgrundlage für selbständig Tätige festgesetzt worden seien. Eine geringere Beitragseinstufung sei seinerzeit nicht möglich gewesen, da noch kein Nachweis für den Existenzgründungszuschuss vorgelegen habe. Nachdem der Kläger auf Einkommensanfragen nicht reagiert habe, sei sein Einkommen auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze geschätzt und der monatliche Beitrag dementsprechend festgesetzt worden. Erst am 30. November 2007 habe er die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2005 sowie den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit über den bewilligten Existenzgründungszuschuss übersandt. Für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Januar 2005 könne aufgrund des nunmehr nachgewiesenen Existenzgründungszuschusses der Monatsbeitrag unter Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrundlage für Existenzgründer ermäßigt werden. Darüber hinaus komme eine Anpassung der Beiträge an das tatsächliche Einkommen nur zum ersten Tag des Monats in Betracht, der auf den Nachweis des niedrigeren Einkommens folge, hier also zum 1. Dezember 2007. Für die Zeit vom 1. Februar 2005 bis 30. November 2007 bleibe es somit bei einer Beitragsfestsetzung auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze. Ab 1. Dezember 2007 würden die sich aus dem Steuerbescheid für 2005 ergebenden Einkünfte zugrunde gelegt.

In der Folgezeit ergingen weitere Beitragsbescheide für die Zeit ab 2008.

Der Kläger erhob unter anderem gegen den Bescheid vom 14. Februar 2008 Widerspruch und wies darauf hin, dass er die Beitragseinstufung weiterhin für falsch halte. Die Beklagte zu 1. wies den Widerspruch auch im Namen der Beklagten zu 2. mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2008 zurück und nahm auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug.

Der Kläger hat dagegen Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, die Beklagten hätten seine Beiträge in der Vergangenheit nicht zutreffend berechnet.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 26. Februar 2010 dem Kläger zugestellt am 24. April 2010 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die angefochtenen Bescheide nebst Folgebescheiden seien rechtmäßig. Die Beklagten hätten insbesondere zu Recht die am 30. November 2007 eingereichten Einkommensnachweise nur mit Wirkung für die Zukunft der Beitragsberechnung zugrunde gelegt, denn eine rückwirkende Neuberechnung sei aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht zulässig. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen insbesondere die Verletzung einer Beratungspflicht durch die Beklagte nicht gegeben seien.

Der Kläger hat dagegen am 12. April 2010 Berufung eingelegt, mit der er erreichen möchte, dass seine Beiträge auch in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 auf der Grundlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides festgesetzt werden.

Der Kläger beantragt,

1. das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen, 2. das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2008 zu verpflichten, den Bescheid vom 21. Januar 2005 abzuändern und für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 niedrigere Beiträge auf der Grundlage der Einkommensteuerbescheide festzusetzen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und verweisen auf ihr bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 19. April 2012 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist teilweise begründet.

Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht kommt nicht in Betracht. Gemäß § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (Nr. 1) oder das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn das Sozialgericht hat in der Sache entschieden und es liegt weder ein wesentlicher Verfahrensmangel vor noch ist eine Beweisaufnahme erforderlich.

Die Berufung ist jedoch begründet, soweit die Beklagten die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis 30. November 2007 auf der Grundlage höherer Einnahmen als der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Selbständige festgesetzt haben. Insoweit ist der Bescheid vom 14. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2008 rechtswidrig und die Beklagten haben ihren Bescheid vom 21. Januar 2005 zurückzunehmen.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Bescheid vom 21. Januar 2005 ist hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Beiträge rechtswidrig.

Für freiwillige Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss nach § 421l des Dritten Buches haben, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (240 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in seiner in den Jahren 2004 und 2005 geltenden Fassung). Diese Regelungen gelten für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung entsprechend (§ 57 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – SGB XI).

Der Kläger war im streitigen Zeitraum unstreitig hauptberuflich selbständig tätig. Die Beklagte hatte mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. Februar 2004 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Januar 2004 unter Zugrundelegung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Selbständige in Höhe von EUR 280,76 monatlich festgesetzt. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der nur unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X aufgehoben werden kann (BSG, Urteil vom 26.09.1991 – 4 RK 5/91 – Juris; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 240 SGB V Rn. 61). Einzig mögliche Rechtsgrundlage für die Abänderung der Beitragsfestsetzung ab 1. Februar 2005 ist § 48 Abs. 1 S. 1. SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine derartige wesentliche Änderung in den Einkommensverhältnissen des Klägers hat jedoch ab 1. Februar 2005 nicht vorgelegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 02.09.2009 – B 12 KR 21/08 – Juris), der sich der erkennende Senat anschließt, kann der Nachweis der beitragspflichtigen Einnahmen bei hauptberuflich Selbständigen ausschließlich durch Vorlage eines Einkommensteuerbescheides erfolgen. Dies bedeutet, dass die tatsächlich erzielten Einnahmen jeweils nur zeitversetzt zugrunde gelegt werden können, da der steuerrechtlich maßgebliche Gewinn nicht vor Schluss des Kalenderjahres feststeht und der Zeitraum bis zur Erstellung des Steuerbescheides und dessen Vorlage bei der Krankenkasse hinzukommt. Eine Änderung ist demnach erst dann nachgewiesen, wenn sie aufgrund eines neuen Einkommensteuerbescheides feststeht. Dies gilt sowohl für die nachgewiesene Erhöhung als auch für die nachgewiesene Verringerung von Einnahmen (Urteil vom 02.09.2009, a.a.O., Rn. 16 und 19).

Im Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 21. Januar 2005 lag jedoch ein Einkommensteuerbescheid des Klägers, aus dem sich höhere Einnahmen ergeben hätten, nicht vor und hätte auch nicht vorgelegt werden können. Zwar ergibt sich aus dem Einkommensteuerbescheid für 2005, dass der Kläger durchschnittliche monatliche Einnahmen von EUR 1.951,50 hatte, die damit knapp über der 2005 geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für Selbständige (EUR 1.811,25) – wenn auch weit unter der Beitragsbemessungsgrenze – lagen. Diese hätten aber bei Bescheiderteilung im Januar 2005 nicht zugrunde gelegt werden können, da sie noch nicht bekannt waren und der Kläger einen Einkommensnachweis auch nicht hätte führen können, denn die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2005 datieren vom 23. Mai 2006 beziehungsweise vom 20. September 2007. Für die von den Beklagten vorgenommene Schätzung des Einkommens fehlt es somit an einer Rechtsgrundlage. Hätten sie sich offen halten wollen, später nachgewiesene höhere Einnahmen auch rückwirkend zu berücksichtigen, hätten sie zu Beginn der selbständigen Tätigkeit die Beiträge nur vorläufig durch einstweiligen Bescheid festsetzen müssen (BSG, Urteil vom 30.03.2011 – B 12 KR 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.03.2006 – B 12 KR 14/05 R; – beide Juris). Dies haben sie indes versäumt.

Soweit der Kläger auch die Festsetzung niedrigerer Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Januar 2005 sowie die Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrundlage für Existenzgründer in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis 30. November 2007 begehrt, ist die Berufung dagegen unbegründet.

Für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Januar 2005 haben die Beklagten mit Bescheid vom 14. Februar 2008 ihren Bescheid vom 4. Februar 2004 selbst zu Gunsten des Klägers abgeändert, indem sie die Mindestbemessungsgrundlage für Existenzgründer gemäß § 240 Abs. 4 S. 2 HS 3 SGB V und damit die niedrigste nach dem Gesetz zulässige Bemessungsgrundlage für Selbständige zugrunde gelegt haben. Für die Festsetzung noch geringerer Beiträge fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

Der Kläger kann auch nicht verlangen, dass seine Beiträge auch ab 1. Februar 2005 nach der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Existenzgründer (§ 240 Abs. 4 S. 2 HS 3 SGB V, § 57 Abs. 4 S. 1 SGB XI) festgesetzt werden. Die Mindestbemessungsgrundlage für Existenzgründer setzt nämlich nicht nur voraus, dass der Versicherte einen Existenzgründungszuschuss erhält, sondern auch, dass er ein Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit unterhalb des Grenzwertes nachweist (Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 240 Rn. 134). Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises können jedoch nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden (§ 240 Abs. 4 S. 3 SGB V in der seinerzeit geltenden Fassung (seit 16.12.2008: § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V), § 57 Abs. 4 S. 1 SGB XI). Einen entsprechenden Nachweis hat der Kläger jedoch erst durch Vorlage seiner Einkommensteuerbescheide am 30. November 2007 geführt. Soweit die Beklagten diesen Nachweis für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. Januar 2005 zu Gunsten des Klägers entgegen den gesetzlichen Regelungen rückwirkend anerkannt haben, kann er daraus keine Rechte für weitere Zeiträume ableiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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