L 5 KR 24/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 KR 763/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 24/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung trägt die Krankenkasse nur bei ungewollter Kinderlosigkeit; daran fehlt es, wenn sich der Ehemann wegen Abschluss der Familienplanung in einer früheren Ehe einer Vasektomie unterzogen hat.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2011 wird zurückgewiesen ...

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung.

1.
Die 1976 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin heiratete am 06.10.2010 ihren am 05.10.1969 geborenen Ehemann. Dieser hatte in erster Ehe nach dortigem Abschluss der Familienplanung 2005 eine Vasektomie vornehmen lassen. 2006 endete diese Ehe. Nach Kennenlernen der Klägerin ließ ihr (heutiger) Ehemann im November 2008 eine Refertilisationsoperation durchgeführt. Am 06.10.2010 heirateten die Klägerin und ihr Ehemann.

Mit Bescheid vom 09.11.2010 bewilligte die Beklagte den Behandlungsplan der
Dr. B., P. vom 02.11.2010 und gewährte drei Behandlungsversuche der intrauterinen Insemination nach Hormonbehandlung bei 50%iger Kostenbeteiligung iHv 465,51 EUR je Zyklusfall. Dem diesbezüglichen Aktenvorgang ist der Hintergrund einer Vasektomie/Refertilisationsoperation nicht zu entnehmen.

Nachdem Dr. B. am 19.11.2010 und am 27.01.2011 intrauterine Inseminationen ohne Erfolg durchgeführt hatte, weil die Spermiogramme jeweils schlechte Qualität aufgewiesen hatten, beantragte die Klägerin unter dem 14.02.2011, ihr eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung in Gestalt der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) zu bewilligen. Nach Einholung einer Stellungnahme des MDK vom 09.03.2011 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.03.2011 die Kostenübernahme ab. Übernahmefähig seien nur Maßnahmen einer künstlichen Befruchtung bei ungewollter Kinderlosigkeit. Die Kinderlosigkeit der Klägerin sei nicht ungewollt, sondern gehe zurück auf eine Unfruchtbarkeit nach eigenverantwortlich vorgenommener Vasektomie des Ehemannes.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2011 zurück. Die Unfähigkeit der Eheleute, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, müsse auf ungewollte Kinderlosigkeit zurückzuführen sein, wenn Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden sollen. Dies sei im Falle des Ehemanns der Klägerin nicht erfüllt, dessen Zeugungsfähigkeit weder durch eine Krankheit noch wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen sei.

2.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und Kostenübernahme der geplanten ambulanten ICSI-Maßnahme beantragt. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Wunsch der Klägerin und ihres Ehemannes nach einem gemeinsamen Kind in der aktuell bestehenden Ehe Vorrang genießen müsse vor der in früherer Ehe operativ mittels Vasektomie herbeigeführten Unfruchtbarkeit.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.12.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung setzte voraus, dass der Kinderwunsch ungewollt nicht auf natürlichem Wege verwirklicht werden könne. Im vorliegenden Fall gehe die Kinderlosigkeit jedoch auf eine eigenverantwortliche Entscheidung aufgrund individueller Lebensplanung des Ehemannes der Klägerin zurück, sich sterilisieren zu lassen. Eine Einstandspflicht der Solidargemeinschaft für den Zustand der daraus folgenden Infertilität bestehe nicht.

3.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und betont, die Beklagte habe bereits Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bewilligt, von dieser Bewilligung müsse auch die sachlich begründete Maßnahme der ICSI umfasst sein. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müssten wegen des Vorranges des Schutzes von Ehe und Familie auch im Falle einer zweiten Familiengründung die Kosten der künstlichen Befruchtung übernommen werden, selbst wenn in einer früheren Familie die Familienplanung als abgeschlossen angesehen und in der Folge eine Sterilisierung durchgeführt worden sei. Die Beklagte dürfe sich über den Entschluss, in zweiter Ehe eine neue Familie zu gründen, nicht hinwegsetzen.

Im Hinblick auf die Ende April 2011 - im Ergebnis ohne Erfolg - durchgeführte Maßnahme der ICSI beantragt die Klägerin zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21.12.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verteilen, der Klägerin 2.672,41 EUR für die Kosten der ICSI-Behandlung der Frau Dr. B. gemäß Rechnung vom 29.04.2011 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17.04.2012 waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 151 SGG, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der bezahlten Kosten für die durchgeführte Maßnahme der künstlichen Befruchtung in Gestalt der ICSI-Behandlung gemäß Rechnung der Dr. B. vom 29.04.2011.

1.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V (hier anzuwenden in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben.
Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen gemäß § 27 a Abs. 1 SGB V auch Maßnahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn die Maßnahme erforderlich ist, hinreichende Aussicht besitzt, die betroffenen Personen miteinander verheiratet sind, ausschließlich Keimzellen der Eheleute verwendet werden und eine vorherige Beratung stattgefunden hat (BSG Urteil vom 21.06.2011 - B 1 KR 18/10 R). Zu den Leistungen nach § 27 a Abs. 1 SGB V zählen in Grundsatz auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung mittels ICSI (vgl. BSG aaO sowie Urteil vom 21.06.2005 - B 8 KN 1/04 KR R).

2.
Im vorliegenden Fall scheitert ein Anspruch der Klägerin auf (hälftige) Erstattung der von Frau Dr. B. Ende April 2011 durchgeführten und mit Rechnung vom 28.04.2011 mit 5.344,82 EUR in Rechnung gestellten Kosten daran, dass Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft voraussetzen, dass der Kinderwunsch ungewollt nicht erfüllt werden kann.

In ständiger Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass das Merkmal der ungewollten Kinderlosigkeit des betroffenen Ehepaars ungeschriebene Voraussetzung des Anspruches nach § 27 a SGB V ist (BSG Urteil vom 21.06.2005 - B 8 KN 1/04 KR R; Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 11/03 R; B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51, 55). Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang und auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Denn an der zentralen Stelle der Gesetzesinitiative, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen, war das Wort "ungewollt" aufgeführt (BR-Drs 535/88 vom 15.11.1988 S. 1). Auch wenn diese Formulierung im späteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr ausdrücklich weitergeführt worden ist, ergibt sich jedoch aus dem weiteren Regelungszusammenhang, dass die Leistungen der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung nur an ungewollt kinderlose Ehepaare zu erbringen sind (vgl. BSG aaO).

Insoweit ist festzustellen, dass die Kinderlosigkeit der Klägerin auf Spermiendefekte ihres Ehemannes zurückzuführen sind, wie sich aus der kompetenten und überzeugenden Stellungnahme der behandelnden Ärztin Dr. B. ergibt, welche auf zwei Spermienuntersuchungen anlässlich zweier Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zurückgehen. Diese Spermiendefekte gehen zurück auf eine Vasektomie des Ehemannes der Klägerin im Jahre 2005. Deren Folge konnte die - zur eigenen Kostenlast durchgeführte - Operation zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit 2008 nicht beseitigen. Hierzu ist festzustellen, dass der Ehemann der Klägerin in dessen erster Ehe in der Lage war, auf natürlichem Wege zwei Kinder zu zeugen. In der Folge ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Vasektomie sowie dem Bestehen deren Auswirkungen über Jahre hinweg und den die Unfruchtbarkeit begründenden Spermiendefekten festzustellen. Anhaltspunkte, dass die spermienbedingte Infertilität auf andere Einflüsse zurückzuführen wäre, sind nicht ersichtlich; im Übrigen haben auch die Beteiligten im Laufe des Verfahrens die Frage der Kausalität zu keinem Zeitpunkt aufgeworfen oder diese bezweifelt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Kinderlosigkeit im hier zu entscheidenden Falle auf die Vasektomie des Ehemanns der Klägerin des im Jahr 2005 zurückzuführen ist. Dieser Eingriff wiederum beruhte auf der damals eigenständig getroffenen Entscheidung, die Familiengründung abzuschließen. Die Maßnahme war also nicht auf eine medizinisch notwendige Sterilisation zurückzuführen. Damit besteht kein Anspruch auf eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung, denn die Kinderlosigkeit geht auf eine gewollt herbeigeführte Unfruchtbarkeit zurück.

3.
Die von der Klägerin angeführten verfassungsrechtlichen Einwände schlagen nicht durch. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählen die Maßnahmen nach § 27 a SGB V nicht als Behandlung einer Krankheit, sondern diese sind nur den für Krankheiten geltenden Regelungen des SGB V unterstellt. Es ist deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen ein weiter Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers anzuerkennen, inwieweit Maßnahmen der künstlichen Befruchtung v on der Gemeinschaft der Beitragszahler zu übernehmen sind. Es ist nicht zu erkennen, dass sich die vorliegende Auslegung, dass nur ungewollte Kinderlosigkeit einen Anspruch auf Maßnahme nach § 27 a SGB V begründen kann, außerhalb dieses Spielraumes befinden könnte.

Die Berufung bleibt damit in vollem Umfange ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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