L 9 U 1308/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 5726/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1308/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2010 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. September 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. vom 10. März 2008 bis 31. August 2011 und nach einer MdE um 25 v.H. ab 1. September 2011 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 11.9.2006 eine Verletztenrente zusteht.

Der 1946 geborene Kläger war seit Mai 2000 als Blechrichter bei der J. GmbH in K.-M. beschäftigt, als er am 11.9.2006 Augenzeuge eines tödlichen Arbeitsunfalls seines im Jahr 1963 geborenen Kollegen wurde. Dieser war damit beschäftigt, ein ca. 9,5 t schweres Blech/Stahlplatte um 180° zu wenden, als beim Ablegen des Bleches dieses sich aus dem Hebezug löste, umkippte, den Kollegen unter sich begrub und zerquetschte (Unfallanzeigen der J. GmbH vom 12.9.2006 betreffend den tödlich verletzten Kollegen und vom 13.11.2006 betreffend den Kläger).

Am 12.9.2006 suchte der Kläger seinen Hausarzt Dr. W. auf, der ihn wegen Stress und Schock arbeitsunfähig schrieb und an den Neurologen Dr. G. überwies. Dieser diagnostizierte beim Kläger am 27.9.2006 eine reaktive Depression bei Zustand nach psychischem Trauma, schrieb ihn arbeitsunfähig und führte aus, der Kläger habe sich in unmittelbarer Nähe des zerquetschten Mitarbeiters befunden und einen Schockzustand erlitten. Seither bestünden anhaltende depressive Verstimmungen sowie Schlafstörungen mit Albträumen.

Anlässlich einer probatorischen Sitzung am 14.12.2006 im Psychosomatisch-psychothera-peutischen teilstationären Rehabilitationszentrum (PPRZ) berichtete der Kläger, bei dem schrecklichen Unfall habe er gemeinsam mit einem Freund eine 10 t schwere Stahlplatte bearbeitet, als sich diese aus der Verankerung gerissen und den Freund erschlagen habe, sowie über schreckliche Bilder vom zerfetzten Körper und Gedärm, welches über 3 m weg geschleudert worden sei, wobei die Lunge aus dem Mund gequollen sei. Drei Wochen zuvor habe er selbst einen Unfall mit einer 14 t schweren Stahlplatte gehabt, die sich nach dem Ablegen auf dem Tisch aus der Verankerung gelöst und nur durch Glück ihn nicht getroffen habe. Sein Leben habe sich seit dem tödlichen Unfall völlig verändert; er habe jegliche Freude verloren, sei gedrückt und deprimiert, leicht reizbar, explodiere gleich, habe häufig schreckliche Angst, dass etwas Furchtbares passiere bis hin zu panischer Todesangst. Er leide unter schweren Schlafstörungen mit häufigem, mitunter schweißnassem Erwachen und Albträumen. Sowohl nachts als auch tagsüber träten plötzlich die furchtbaren Bilder von seinem Kollegen auf. Er frage sich nach dem Gott, der es zulasse, dass ein 43-jähriger mit vier Kindern sterbe und er selbst zweimal überlebe. Er habe sich von Freunden und Bekannten zurückgezogen und 7 kg an Gewicht verloren. Eine Besserung seiner Beschwerden sei in all den Monaten nicht eingetreten, eher eine Verschlechterung. Der Ärztliche Leiter des PPRZ Dr. H. nannte als Diagnose: Dringender Verdacht auf Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 nach Unfall am 11.9.2006.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Weiteren: Beklagte) holte Auskünfte bei Dr. W. vom 5.11.2006 sowie bei Dr. G. vom 1.3.2007 (Depressiver Verstimmungszustand im Rahmen einer psychischen Traumatisierung, Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 11.9.2006 besteht; der Kläger befindet sich bei Dr. H. in Behandlung) ein und zog Leistungsauszüge der AOK S. sowie ärztliche Unterlagen über frühere Behandlungen des Klägers (u. a. Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 19.6.2005: Chronisch depressive Entwicklung, psychogener Schwindel, des Orthopäden Dr. M. vom 7.5.2004: u. a Dringender Verdacht auf dekompensierte Depression und vom 5.3.2004: Dringender Verdacht auf zu Grunde liegende psychosomatisch-depressive Grunderkrankung bei therapieresistenten Wirbelsäulenbeschwerden, des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 15.2. und 13.12.1999: Depressives Syndrom, den Entlassungsbericht der Schlossklinik Bad B. vom 31.12.2003: Dysthymia mit Somatisierung, akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlich-unsicheren und zwanghaften Zügen, Schmerzfehlverarbeitung sowie den Bescheid des Landratsamts Böblingen vom 31.8.2005: GdB 20, seelische Störung, Depression, funktionelle Organbeschwerden, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule) bei.

Die Beklagte beauftragte Dr. H., Arzt für Psychiatrie und spezielle Schmerztherapie, mit der Begutachtung des Klägers. Dieser stellte beim Kläger im Gutachten vom 25.5.2007 aufgrund einer zweitägigen stationären Begutachtung folgende Diagnosen: 1. Posttraumatische Belastungsstörung 2. Mittelgradige depressive Episode 3. Somatisierungsstörung 4. Neigung zu rezidivierenden depressiven Verstimmungen. Er führte aus, die ersten beiden Gesundheitsstörungen seien durch den Unfall verursacht worden. Vor dem Unfall habe zwar eine Neigung zu Depressionen bestanden. Diese unterschieden sich jedoch in ihrer Symptomatik und Ursache von der aktuellen depressiven Symptomatik. Die nunmehr diagnostizierte mittelgradige depressive Episode stehe im direkten Zusammenhang mit der unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung. Eine konkurrierende Ursache sei nicht zu diskutieren. Die Schadensanlage sei auch nicht so leicht ansprechbar gewesen, dass es zur Auslösung der psychischen Erscheinungen zu etwa derselben Zeit keiner besonderen Einwirkungen bedurft hätte. Es bestehe weiterhin unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v.H. Es sollte eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne einer Traumatherapie (einmal wöchentlich) durchgeführt werden; eine Nachuntersuchung sollte 15 Monate nach Beginn der Therapie erfolgen.

Die Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart bzw. der Polizeidirektion L. sowie den Entlassungsbericht des PPRZ vom 10.7.2007 über die Behandlung des Klägers vom 15.5. bis 10.7.2007 (Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung mit depressivem Syndrom und Angstsymptomatik, rezidivierende Lumboischialgien bei NPP L3/4 nach Bandscheibenprotrusion L4-S1, Zervikobrachialsyndrom und Refluxösophagitis Grad I; Leistungsvermögen als Blechrichter/Stahlarbeiter sowie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter 3 Stunden täglich) und Befundberichte des PPRZ vom 16.11.2007 (Behandlung vom 21.9. bis 9.11.2007) und 26.2.2008 bei.

Bis 9.3.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger Verletztengeld. Die Deutsche Rentenversicherung Schwaben teilte der Beklagten unter dem 31.12.2007 mit, der Kläger erhalte ab 1.4.2007 Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Die Beklagte ließ den Kläger erneut auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet untersuchen. Der Neurologe und Psychiater Professor Dr. S. gelangte im Gutachten vom 26.3.2008 unter Mitberücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin T. vom 12.3.2008 aufgrund einer Untersuchung vom 6.3.2008 zum Ergebnis, beim Kläger bestehe derzeit weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine depressive Störung und auch keine schizophrene Psychose. Vielmehr liege eine massive Beschwerdeübertreibung vor. Besonders sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger seine Abneigung, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, damit begründe, dass er die Tätigkeit dort für gefährlich erachte und nicht riskieren möchte, bei einem ähnlichen Ereignis verletzt zu werden. Dies habe mit einer posttraumatischen Belastungsstörung nichts zu tun, denn die Diagnose beziehe sich auf ein krankhaftes Wiedererleben eines vergangenen Ereignisses, nicht auf die Befürchtung kommender ähnlicher Unfälle. Auch für eine depressive Störung ergäben sich keine Hinweise. Das Unfallereignis vom 11.9.2006 habe weder zu körperlichen noch zu psychischen Schäden geführt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe nicht vorgelegen. Ein unfallbedingte MdE liege nicht vor.

Mit Bescheid vom 17.4.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 11.9.2006 ab, da die Erwerbsfähigkeit nicht über die 26. Woche nach dem Eintritt des Arbeitsunfalls bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruchs um wenigstens 20 % gemindert sei. Der Arbeitsunfall habe zu einem vorübergehenden Schockzustand als Augenzeuge eines Unfalls mit Todesfolge geführt. Die danach bedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 27.9.2006 gedauert. Unfallunabhängig lägen eine depressive Verstimmung und Verdeutlichungstendenzen vor.

Den Widerspruch vom 13.5.2008, mit dem der Kläger darauf hinwies, Professor Dr. S. stehe mit seiner Beurteilung im Widerspruch zu den Beurteilungen von Dr. H. und Dr. H., wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 25.8.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der er die Gewährung von Verletztenrente ab 28.9.2006 begehrt hat.

Das SG hat den Entlassungsbericht des PPRZ vom 10.7.2007 sowie ärztliche Unterlagen von Dr. W. beigezogen und ein nervenärztliches Gutachten eingeholt.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. M. hat im Gutachten vom 4.5.2009 ausgeführt, beim Kläger lägen auf nervenärztlichem Gebiet eine Dysthymia mit Somatisierungsstörung, eine gebesserte posttraumatische Belastungsstörung, eine Cervicobrachialgie und eine Lumboischialgie beidseits bei degenerativem Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom (HWS- und LWS-Syndrom) vor. Die posttraumatische Belastungsstörung sei auf den Unfall vom 11.9.2006 zurückzuführen. Eine anhaltende Arbeitsunfähigkeit wäre durch die vorbestehende Dysthymia und die Somatisierungsstörung nicht eingetreten. Aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung sei der Kläger weiter arbeitsunfähig. In der ergänzenden Stellungnahme vom 18.5.2009 hat Dr. M. mitgeteilt, sie schätze die unfallbedingte MdE auf 30 v.H.

Mit Urteil vom 9.2.2010 hat das SG den Bescheid vom 17.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.7.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 % ab dem 28.9.2006 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % ab dem 28.9.2006 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11.9.2006. Das SG stütze seine Überzeugung auf die Gutachten von Dr. H. vom 25.5.2007 und Dr. M. vom 4.5.2009. Dr. H. habe schlüssig und nachvollziehbar begründet, dass die charakteristischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger gegeben seien. Die Einschätzung von Dr. H. werde durch das im Klageverfahren eingeholte Gutachten von Dr. M. vom 4.5.2009 bestätigt. Dem Gutachten von Professor Dr. S. vermöge das SG dagegen nicht zu folgen. So fehle unter anderem eine Auseinandersetzung mit den Befunden der behandelnden Ärzte sowie dem Entlassungsbericht des PPRZ. Auch habe Professor Dr. S. das Gutachten von Dr. H. nicht entkräften können. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 22.2.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.3.2010 Berufung eingelegt und die Aufhebung des Urteils insoweit begehrt, als sie zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. ab 28.9.2006 verurteilt worden ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nach dem Gutachten von Professor Dr. S. sei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bereits deswegen nicht zu stellen, weil eine akute psychische Initialreaktion nicht vorgelegen habe. Zudem finde ein intensives Vermeidungsverhalten nicht statt. Der Kläger wohne weiterhin in Stuttgart, also derjenigen Stadt, die ihn ständig mit dem Unfall konfrontiere. Professor Dr. S. habe sich auch als Einziger intensiv mit Aggravations- und Simulationstendenzen auseinandergesetzt. Dr. M. habe erst nach gesonderter Aufforderung durch das SG die MdE mit 30 v.H. eingeschätzt, obwohl sich die posttraumatische Belastungsstörung gebessert habe. Es sei unklar, welche Gesundheitsstörungen sie dabei berücksichtigt habe, zumal Vorschäden vorhanden gewesen seien. Weder Dr. H. noch Dr. M. hätten herausgearbeitet, worin konkret die wesentliche Verschlimmerung des unbestrittenen massiven Vorschadens bestehen solle. Allein die Tatsache, dass der Kläger meine, einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen zu können – inzwischen beziehe er Altersruhegeld – reiche als Verschlimmerungstatbestand nicht aus. Das SG habe einen Anspruch auf Verletztenrente ab 28.9.2006 anerkannt und damit bestätigt, dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit lediglich für die Zeit vom 11.9. bis 27.9.2006 gegeben gewesen sei. Obwohl das SG meine, die Diagnosen aus dem psychiatrischen Formenkreis, insbesondere eine posttraumatische Belastungsstörung, seien unfallbedingt, sehe es die ab 27.9.2006 bescheinigte Arbeitsunfähigkeit als unfallunabhängig an. Dies sei inkonsequent. Ein Rentenanspruch ab 28.9.2006 bestehe weder dem Grunde nach noch wäre – selbst bei Annahme dauerhafter Unfallfolgen – die Höhe der MdE zu rechtfertigen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2010 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als sie zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 % ab 28. September 2006 verurteilt wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert – unter Vorlage von Berichten von Dr. H. vom 15.12.2006 sowie 26.2.2008 und des Entlassungsberichts des PPRZ vom 10.7.2007 –, die Gutachten von Dr. H. und Dr. M. seien schlüssig und klar. Auch berücksichtige die Beklagte die Beurteilungen von Dr. H. vom 15.12.2006 und 26.2.2008 nicht. All diese Unterlagen zeigten, dass Professor Dr. S. mit seiner Ansicht völlig allein stehe. "Es müsse gelinde gesagt als Frechheit bezeichnet werden, wenn die Beklagte von ihm verlange, er möge Stuttgart verlassen, damit er nicht immer wieder an das traumatische Ereignis erinnert werde. Daraus zu schließen, dass keine posttraumatische Folgen des Arbeitsunfalls vorlägen, sei gelinde gesagt mehr als makaber".

Der Senat hat Dr. S., Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie I des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden, mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dr. S. ist im Gutachten vom 9.1.2012 zum Ergebnis gelangt, beim Kläger seien zum Zeitpunkt seiner Untersuchung (15. und 16.9.2011) eine dysthyme Störung (ICD-10:F34.1) und eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10:F43.1) zu diagnostizieren. Die dysthyme Störung habe bereits vor dem Unfall bestanden und sei auch gegenwärtig noch nachweisbar. Auf diese unfallunabhängig vorbestehende und auch heute noch bestehende Dysthymie habe sich temporär eine stärkergradige depressive Erkrankung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Störung (ICD-10: F32.1) aufgelagert. So habe Dr. M. in ihrem Gutachten eine mittelgradige depressive Symptomatik beschrieben, die so nicht mehr bestehe. Die temporär stärkergradige depressive Phase sei mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 11.9.2006 zurückzuführen. Das traumatische Unfallereignis sei geeignet, gravierende depressive Verstimmungen auszulösen, umso leichter wenn zuvor bereits eine dysthyme Verstimmung bestehe. Das sei beim Kläger der Fall gewesen. Bei dem Unfallereignis habe es sich um kein Bagatellanlass gehandelt, vielmehr habe es eine nicht weiter austauschbare psychotraumatische Wirksamkeit entfaltet, die unter anderem zu der mittelgradigen depressiven Störung geführt habe. Das Unfallereignis vom 11.9.2006 sei mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für die posttraumatische Belastungsstörung. Die für diese Diagnose nach ICD-10 zu fordernden fünf Kriterien lägen vor. Das A- oder Trauma-Kriterium verlange, dass Betroffene einem kurz- oder langanhaltendem Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein müssen, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslöse. Um ein solches Ereignis habe es sich bei dem Unfall vom 11.9.2006 gehandelt, wie sich aus dem Ermittlungsbericht der Polizei Ludwigsburg vom 6.11.2006 und den eigenen Angaben des Klägers ergebe. Bei der Untersuchung habe der Kläger einen regelrechten Schockzustand mit Weinen (ein Arbeitskollege habe ihn vom Unfallort wegführen müssen; ein Notfallseelsorger habe ihn nach Hause gebracht) beschrieben, was im Einklang mit der Beschwerdedokumentation des Neurologen Dr. G. (Schockzustand) stehe. Das B- oder Wiedererinnerungs-Kriterium verlange, dass es bei Betroffenen zu anhaltenden Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen, lebendige Erinnerungen usw. komme. Der Kläger berichte über unwillkürliche Wiedererinnerungen tagsüber, die typischerweise durch unfallassoziierte Reize ausgelöst werden würden, etwa wenn jemand von einem Unfall spreche oder er mit visuellen Reizen konfrontiert sei, die ihn an den Unfall erinnern würden (Baukräne, Gabelstapler). Das C- oder Vermeidungs-Kriterium verlange, dass Betroffene Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, tatsächlich oder möglichst vermeiden. Ein entsprechendes Vermeidungsverhalten sei in Bezug auf die Konfrontation mit dem Unfallort (etwa neun Monate nach dem Unfallereignis einmaliges Aufsuchen des Arbeitsplatzes mit angstvoller Reaktion, Anblick von Baukränen und Gabelstaplern, die gemieden würden) vorhanden. Das D- oder Hypersensitivitäts-Kriterium verlange, dass es bei Betroffenen zu anhaltenden Symptomen einer psychischen Sensitivität komme. Der Kläger habe plausibel von Ein- und Durchschlafstörungen sowie erhöhter Schreckhaftigkeit und einer erhöhten Reizbarkeit berichtet. Das E- oder Zeit-Kriterium verlange, dass die Kriterien B, C und D innerhalb von sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis aufgetreten sein müssen, was beim Kläger der Fall sei. Arbeitsunfähigkeit im Bezug auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit im metallverarbeitenden Betrieb bestehe nach wie vor. Aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung sei die MdE seit seiner Untersuchung mit 25 v.H. einzuschätzen. Für den Zeitraum zuvor vom Schädigungsereignis bis zu den Begutachtungen durch Dr. H. (21. und 22.5.2007) und Dr. M. (Gutachten vom 4.5.2009) sowie darüber hinaus sei unter Mitberücksichtigung der mittelgradigen depressiven Störung eine MdE von 30 v.H. angemessen. Spätestens ab seiner Begutachtung sei die MdE mit 25 v.H. einzuschätzen. Die vollständige Rückbildung der unfallbedingten mittelgradigen depressiven Störung können nicht exakt angegeben werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung § 124 SGG Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist lediglich in geringem Umfang begründet. Im Wesentlichen ist sie unbegründet. Für die Zeit vom 28.9.2006 bis 9.3.2008, während der der Kläger Verletztengeld bezogen hat, steht ihm keine Verletztenrente zu. Vom 10.3.2008 bis 31.8.2011 hat der Kläger Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. – wie vom SG im Urteil ausgesprochen – und vom 1.9.2011 nach einer MdE um 25 v.H.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (BSGE, Urteil vom 2.4.2009 – B 2 U 29/07 R – in Juris m.w.N.).

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung als Unfallfolge bei der Bemessung der MdE ist grundsätzlich u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und Juris).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 9.5.2006 (aaO Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Im Urteil vom 9.5.2006 (aaO Rdnr. 21) hat das BSG keinen Zweifel daran gelassen, dass die Theorie der wesentlichen Bedingung auch uneingeschränkt auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Arbeitsunfällen und psychischen Störungen anzuwenden ist, die nach Arbeitsunfällen in vielfältiger Weise auftreten können. Die Feststellung der psychischen Störung sollte angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglichen Schu-lenstreiten aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen. Denn je genauer und klarer die beim Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, desto einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten (BSG aaO Rdnr. 22). Das BSG hat im Weiteren darauf hingewiesen, dass es wegen der Komplexität von psychischen Gesundheitsstörungen im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel des Inhalts gebe, dass bei fehlender Alternativursache (etwa wenn eine Vorerkrankung oder Schadensanlage nicht nachweisbar sind) die versicherte naturwissenschaftliche Ursache (also die Einwirkung durch den Arbeitsunfall, festgestellt auf der ersten Stufe der Ursächlichkeitsprüfung) damit auch automatisch zu einer wesentlichen Ursache (im Sinne der Ursächlichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe) wird. Dies würde angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren zu einer Umkehr der Beweislast führen, für die keine rechtliche Grundlage erkennbar sei (BSG aaO Rdnr. 39). Andererseits schließt aber eine "abnorme seelische Bereitschaft" die Annahme der psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Wunschbedingte Vorstellungen sind aber als konkurrierende Ursachen zu würdigen und können der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der psychischen Reaktion entgegenstehen (BSG aaO Rdnr. 37 und 38).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö-gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei dem Ereignis vom 11.9.2006 handelt es sich um einen Arbeitsunfall, da der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit als Blechrichter Zeuge des tödlichen Unfalls seines Arbeitskollegen, mit dem er seit Jahren und auch kurz vor dem Unfall zusammen gearbeitet hat, war und hierdurch einen Schock erlebte, wie sich aus den Angaben seines Hausarztes vom 2.7.2007, den er am 12.9.2006 aufgesucht hat, und seines Neurologen Dr. G., der ihn ab 27.9.2006 behandelt hat, ergibt.

Dieser Arbeitsunfall hat beim Kläger zu einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer vorübergehenden Verstärkung der bei ihm schon vorbestehenden depressiven Erkrankung geführt. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers, des Neurologen Dr. G. sowie des Psychotherapeuten Dr. H., und insbesondere aufgrund der Beurteilungen der Neurologen und Psychiater Dr. H. (Gutachten vom 25.5.2007), Dr. M. (Sachverständigengutachten vom 4.5.2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 18.5.2009) sowie von Dr. S. (Sachverständigengutachten vom 9.1.2012) und unter Zugrundelegung der anzuwendenden internationalen Qualifikation ICD-10-GM 2011 bzw. DMS-IV-TR.

Nach der nach dem Urteil des BSG vom 9.5.2006 (aaO) anzuwendenden internationalen Klassifikation gemäß ICD-10-GM 2011, F43.1 bzw. DMS-IV-TR 309.81 entsteht eine posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Züge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsveränderung über.

Zusammengefasst ergeben sich damit fünf bzw. sechs diagnostische Kriterien (im Folgenden A bis F), die jeweils obligat erfüllt sein müssen (vgl. DMS-IV-TR.309.81).

Das A- oder Trauma-Kriterium verlangt, dass der Betroffene mit einem extrem traumatischen Ereignis konfrontiert wird, welches den tatsächlichen oder drohenden Tod oder die schwere Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltet (Kriterium A1). Die Reaktion des Betroffenen auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2).

Das B- oder Wiedererlebens-Kriterium verlangt, dass es bei dem Betroffenen zu wiederkehrenden und eindringlichen belastenden Erinnerungen oder Wiedererleben durch aufdringliche Nachhallerinnerungen tagsüber oder nachts in Form von Albträumen kommt.

Das C- oder Vermeidungs-Kriterium verlangt, dass der Betroffene Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, tatsächlich oder möglichst vermeidet.

Das D- oder Hypersensitivitäts-Kriterium verlangt das Vorliegen von mindestens zwei Symptomen erhöhter psychischer Sensitivität wie Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, übermäßige Wachsamkeit und übertriebene Schreckreaktion.

Das E- oder Zeit-Kriterium verlangt, dass das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) länger als ein Monat dauert. Die Symptome beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma. Von einem verzögerten Beginn ist die Rede, wenn der Beginn der Symptome mindestens sechs Monate nach dem Belastungsfaktor liegt.

Nach dem Kriterium F verursacht das Störungsbild in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Bei dem Miterleben des tödlichen Arbeitsunfalls des Kollegen, mit dem der Kläger jahrelang und auch kurz vor dem Sturz der Stahlplatte und Zerquetschen des Kollegen zusammengearbeitet hat, handelt es sich um ein extrem traumatisches Ereignis, das zum Tod des Kollegen geführt hat. Da sich der Kläger zunächst in unmittelbarer Nähe der Stahlplatte (Anheben der Stahlplatte mit dem Gabelstapler) und des Kollegen befunden hat, bedeutete dies auch eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit des Klägers, zumal er sich – nach seinen Angaben – schon drei Wochen zuvor durch eine Stahlplatte, die sich gelöst hatte, gefährdet gefühlt hatte. Dieses Ereignis, das Miterleben des Todes des Kollegen sowie die eigene Gefährdung, würde bei nahezu jedem eine tiefgreifende Verzweiflung hervorrufen. Der Kläger hat hierauf – wie er gegenüber Dr. S. näher und glaubhaft ausgeführt hat – mit Weinen reagiert, wurde von einem Kollegen betreut und später von einem Notfallhelfer nach Hause gebracht, der bei ihm blieb, bis sein Sohn nach Hause kam. Dieser betreute ihn, bis drei Tage später seine Frau von einer Italienreise zurückkehrte. Der Hausarzt Dr. W., den der Kläger am Tag nach dem Unfall aufsuchte, hat einen Schock diagnostiziert, wovon auch der Neurologe Dr. G. in seinem Bericht vom 29.9.2006 ausgegangen ist. Dementsprechend hat der Kläger gegenüber Dr. H. (Gutachten vom 25.5.2007) angegeben, er habe sich nach dem Unfall absolut ohnmächtig, hilflos, verzweifelt und körperlich erstarrt geführt. Angesichts dessen ist die Beurteilung von Professor Dr. S., eine psychische Initialaktion habe nicht vorgelegen und bereits deswegen könne die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung verworfen werden, in keiner Weise für den Senat nachvollziehbar, wie im Übrigen auch Dr. S. in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Professor Dr. S. ausführlich und überzeugend dargelegt hat.

Das B- oder Wiedererinnerungs-Kriterium liegt ebenfalls vor. So hat der Kläger durchgängig von unwillkürlichen Wiedererinnerungen (Arztbrief von Dr. H. vom 15.12.2006: Nachts und auch tagsüber seien plötzlich die furchtbaren Bilder wieder vor ihm; Gutachten Dr. H. vom 25.5.2007: Er leide 2- bis 3-mal wöchentlich unter Albträumen von dem Unfall, verbunden mit nächtlichem Hochschrecken und Schweißausbrüchen; er leide unter eindringlichen Bildern von dem Unfall, wenn er etwas sehe, was ihn an dem Unfall erinnere; besonders schlimm seien die Erinnerungen, wenn ihn Kollegen auf den Unfall ansprechen würden; er vermeide das Thema Unfall; Entlassungsbericht des PPRZ vom 10.7.2007: Es tauchten immer wieder die Bilder vom zerquetschten Körper seines Freundes auf. Gutachten von Professor Dr. S. vom 26.3.2008: Er komme von dem Bild, wie sein Kollege unter der Platte gelegen habe, nicht weg. Er träume oft von dem Unfall, etwa 1- bis 2-mal in der Woche wiederkehrende und eindringlich belastender Erinnerungen an den Vorfall habe er, wenn er Berichte über einen Autounfall sehe und dabei Blut wahrnehme. Gutachten der Diplom-Psychologin Thies vom 12.3.2008: Außerdem mache es ihn kaputt, den Unfall immer wieder berichten zu müssen. Er wolle nicht mehr daran denken. Gutachten Dr. M. vom 4.5.2009: Er selbst spüre noch heute den Luftzug und höre das Geräusch, mit dem das Stahlblatt an ihm vorbei auf den Kollegen gefallen sei. Um ein Haar hätte ihn das Stahlblatt getroffen. Die Schwere und die Wucht des Blattes hätten dazu geführt, dass die Därme des Freundes 5 bis 6 m weit geschleudert worden seien. Aus dem Mund des Freundes seien die Lunge und die Leber herausgekommen. Diese Bilder sehe er immer wieder, vor allem auch nachts. Seit diesem Tag sei sein Leben zerstört. Gutachten Dr. S. vom 9.1.2012: Tagsüber habe er Erinnerungen an den Unfall, sobald jemand von dem Unfall spreche. Er erinnere sich dann an das Bild der Unfallszenerie, das ist die eine Fotografie, wie ein Poster, das vor ihm hängt, er kann das nicht abhängen. Mindestens einmal pro Tag sehe er dieses Poster).

Das C- oder Vermeidungs-Kriterium ist ebenfalls erfüllt. So führte die Befragung des Klägers im Rahmen der Reha-Maßnahme zum Unfallablauf zu einer deutlichen Verschärfung des depressiven Syndroms mit vermehrten Albträumen, Angstzuständen, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit in Bezug auf die zukünftige Lebensperspektive. Auch die durchgeführte Begutachtung während der Rehamaßnahme durch Dr. H. sowie die Arbeitsplatzkonfrontation führten zu einer deutlichen Verschärfung der depressiven Symptomatik, einer Zunahme der Schlafstörungen sowie der albtraumartigen Reinszenierungen des Unfallgeschehens, wie dem Entlassungsbericht des PPRZ vom 10.7.2007 zu entnehmen ist. Der Kläger vermeidet – soweit möglich – Kontakt zu elektrischen Geräten, die man bedienen muss, da diese ihn an den Kran erinnern. So meidet er Baukräne und Stapler. Bei der Arbeitsplatzkonfrontation, etwa 8 bis 9 Monate nach dem Unfall, als ihm von einem Kollegen der Arbeitsplatz gezeigt wurde, an dem er künftig eingesetzt werden sollte, und wobei er mit dem Stapler hätte herumfahren müssen, wurde er umso angespannter je näher er dem Unfallort kam.

Das D- bzw. Hypersensitivitäts-Kriterium ist ebenfalls gegeben. Der Kläger hat ebenfalls durchgehend geschildert, dass er unter Ein- und Durchschlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit und Gereiztheit leide.

Die Kriterien B, C und D haben länger als einen Monat angehalten (E-Kriterium) und zu Beeinträchtigungen von sozialen, beruflichen und sonstigen Funktionen geführt (F-Kriterium), wie den Befundberichten von Dr. H. und den Gutachten von Dr. H., Dr. M. und Dr. S. zu entnehmen ist.

Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend haben Dr. H. und Dr. S. auch dargelegt, dass das Unfallereignis vom 11.9.2006 zu einer Verstärkung der vorbestehenden depressiven Symptomatik geführt hat. Nach dem gegenwärtigen fachwissenschaftlichem Kenntnisstand resultieren depressive Erkrankungen aus einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht, wobei genetische Faktoren und Einflüsse der frühkindlichen Sozialisation ebenso von Bedeutung sein können, wie auch spätere belastende Lebensereignisse oder auch organische Faktoren. Bei dem Unfall handelte es sich um ein belastendes Ereignis, das in der Lage war, gravierende depressive Verstimmungen hervorzurufen und insbesondere dann, wenn schon zuvor eine dysthyme Verstimmung bestanden hat. Das Ereignis stellte kein Bagatellereignis dar, sondern war wesentliche Ursache für die Verschärfung der depressiven Erkrankung beim Kläger, wie Dr. H. und Dr. S. übereinstimmend und für den Senat überzeugend dargelegt haben.

Der abweichenden Beurteilung von Professor Dr. S., der – anders als der Neurologe Dr. G., der Psychotherapeut Dr. H., die Neurologen und Psychiater Dr. H., Dr. M. und Dr. S. – keinerlei auffälligen psychiatrischen Befund beim Kläger feststellen konnte, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Allein schon unter Berücksichtigung der ärztlichen Berichte der behandelnden Ärzte und des Ermittlungsergebnisses der Staatsanwalt Stuttgart bzw. der Polizeidirektion Ludwigsburg überzeugen die Ausführungen von Professor S. den Senat nicht. Durch die drei im Wesentlichen übereinstimmenden Gutachten von Dr. H., Dr. M. und insbesondere Dr. S. sind die Ausführungen von Professor Dr. S. umfassend widerlegt.

Die durch die posttraumatische Belastungsstörung hervorgerufenen psychisch-emotionalen Beeinträchtigungen und sozial-kommunikativen Defizite und ihre Auswirkungen auf berufliche Tätigkeiten sind als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit anzusehen. Für den Senat nachvollziehbar hat Dr. S. diese mit einer MdE um 25 v.H. bewertet. Dies steht auch im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Stand 2010, Seite 157 bzw. 7. Aufl., Stand 2003, Seite 246; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Stand Dezember 2011, Anl. 12 Anm. 2.3). Dabei geht der Senat davon aus, dass der von Dr. S. am 15./16.9.2011 festgestellte (gebesserte) Zustand seit 1.9.2011 bestanden hat, nachdem der Kläger im September 2011 von einem mehrmonatigen Aufenthalt in Italien zurückgekehrt ist, wo er sich weniger belastet als in Deutschland fühlt. Für die Zeit zuvor, ab Ende des Verletztengeldanspruchs, beträgt die MdE – unter Mitberücksichtigung der stärkeren depressiven unfallbedingten Erscheinungen – 30 v.H., wie Dr. H., Dr. M. und Dr. S. übereinstimmend angegeben haben.

Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet. Vorliegend hat das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung, am 9.3.2008 geendet (§ 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB VII). Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Beklagte dem Kläger auch Verletztengeld gewährt. Dementsprechend beginnt die Verletztenrente am 10.3.2008.

Das Urteil des SG war insoweit abzuändern, als das SG die Beklagte zur Gewährung von Verletztenrente vor dem 10.3.2008 verurteilt hat. Außerdem war das Urteil insoweit abzuändern, als dem Kläger ab 1.9.2011 lediglich noch eine Verletztenrente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren ist und nicht, wie für die Zeit zuvor vom 10.3.2008 bis 31.8.2011, nach einer MdE um 30 v.H.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass das Begehren des Klägers im Wesentlichen erfolgreich war.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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