Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 5449/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3345/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. Juni 2010 aufgehoben, der Bescheid des Beklagten vom 6. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2008 abgeändert und der Beklagte verpflichtet, den Grad der Behinderung mit 40 vom 19. Oktober 2007 bis zum 3. März 2008 und mit 50 vom 10. Juli 2009 bis zum 21. Dezember 2010 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtliche Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Das Landratsamt L. hatte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 30.01.2005, in der als Behinderung eine Hüftgelenksendoprothese rechts berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 20 bewertet worden war, mit Bescheid vom 07.02.2005 den GdB des 1946 geborenen Klägers mit 20 seit 17.11.2004 festgestellt.
Der seit September 2008 nicht mehr berufstätige Kläger beantragte am 04.03.2008 die Neufeststellung des GdB. Er führte zur Begründung aus, inzwischen seien auch eine Hüftgelenksendoprothese links sowie Handoperationen an vier Fingern erfolgt. Ferner leide er an Bewegungseinschränkungen in der Schulter und im Bereich der Halswirbelsäule, an Schmerzen in beiden Kniegelenken sowie an einem Platt-, Senk- und Spreizfuß. Das Landratsamt zog den Arztbrief des Radiologen Dr. G. vom 12.01.2007 und den Entlassungsbericht des Dr. D., Chefarzt an der M., vom 16.11.2007 bei. Dr. G. beschrieb aufgrund einer durchgeführten Kernspintomographie des rechten Kniegelenks ein Knochenmarködemsyndrom sowie degenerative Veränderungen des Innenmeniskushinterhorns mit Verdacht auf eine geringe intrameniskale Rissbildung. Dr. D. beschrieb den physiotherapeutischen Abschlussbefund der vom 29.10.2007 bis zum 19.11.2007 in der M. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme. Dr. T.-T. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2008 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits und eine Beinverkürzung links (Einzel-GdB 40) sowie einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Sodann zog das Landratsamt die Arztbriefe des Dr. Z., Klinik für Chirurgie des K. Sch., vom 14.04.2005, 07.07.2006, 09.12.2006 und 18.09.2007 bei. Dr. Z. berichtete über die ambulanten Eingriffe wegen einer Tendovaginitis stenosans am linken Ringfinger, rechten Zeigefinger, linken Mittelfinger und rechten Ringfinger. Ferner zog das Landratsamt die Behandlungsdaten des Internisten Dr. N. sowie die Arztbriefe des Neurologen Dr. W. vom 30.11.2006, des Dr. G. vom 04.12.2006, des Chirurgen W. vom 10.01.2007, des Dr. R., Chefarzt der Orthopädischen Chirurgie des L.-Krankenhauses F., vom 07.09.2007, 18.09.2007, 25.10.2007 und 20.01.2008 und des Pathologen Dr. Sch. vom 03.03.2008 bei. Dr. N. beschrieb die Ergebnisse der Untersuchung der Leber und einer Gastroskopie. Dr. W. führte aus, der Kläger habe sich wegen eines passageren Gesichtsfelddefekts und perioralen Missempfindungen und solchen der linken Hand vorgestellt. Dr. G. beschrieb aufgrund einer Magnetresonanztomographie des Schädels sehr diskrete Zeichen einer Mikroangiopathie bei vereinzelten Marklagerveränderungen und ansonsten einen altersentsprechenden Befund. Der Chirurg W. führte aus, der Kläger habe sich wegen unklaren Schmerzen im rechten Knie vorgestellt. Klinisch sei aber der Befund bis auf eine Schmerzlokalisation nach medial hin in Ordnung. Röntgenologisch hätten sich keine wesentlichen knöchernen Veränderungen und auch keine grobe Arthrose, sondern eine Weichteilzeichnung über dem Innenband sowie eine leichte Verkalkung des Innenmeniskus gezeigt. Dr. R. führte aus, beim Kläger sei am 19.10.2007 eine Hüfttotalendoprothese links implantiert worden. Insgesamt habe sich ein guter Verlauf gezeigt. Der Kläger könne stock- und hinkfrei gehen und habe eine freie Beweglichkeit. Dr. Sch. beschrieb eine minimale chronische, inaktive Korpusgastritis ohne Hp-Nachweis. Ferner holte das Landratsamt den Befundbericht des Orthopäden M. vom 23.06.2008 ein. Dieser beschrieb Bewegungsmaße im Bereich der linken Hüfte und führte aus, der Kläger habe über zeitweise einschießende Schmerzen im rechten Trochanter und in der rechten Knieaußenseite sowie über Halswirbelsäulenbeschwerden berichtet. Bei der Untersuchung hätten allerdings keine Überwärmung und kein Erguss festgestellt werden können. Als Bewegungsmaß gab er 130/0/0 Grad beidseits an. Im Bereich der rechten Schulter beschrieb er einen schmerzhaften Bogen und eine gegen Widerstand schmerzhafte Außenrotation. Röntgenologisch habe sich eine geringe Osteochondrose C5/6 und eine Retrospondylose gezeigt. Ferner liege ein Beinlängenunterschied von 1 cm, ein Senk-Spreizfuß beidseits und ein Schmerzsyndrom bei Impingement rechts mit Iliosacralgelenksblockierung vor. Dr. T.-T. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.07.2008 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits, eine Beinverkürzung links, eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform und ein Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 40), einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie ein Wirbelsäulensyndrom (Einzel-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Mit Bescheid vom 06.08.2008 änderte das Landratsamt gestützt hierauf den Bescheid vom 07.02.2005 ab und stellte den GdB mit 40 seit 04.03.2008 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 08.08.2008 Widerspruch ein. Das Landratsamt zog die Behandlungsdaten des Orthopäden M. für den Zeitraum vom 14.06.1995 bis zum 01.09.2008 bei. Dr. A. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.09.2008 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2008 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger mit am 31.10.2008 bei der Widerspruchsbehörde eingegangenem Schreiben, weitergeleitet an das Gericht, Klage beim Sozialgericht F. erhoben.
Das Sozialgericht hat Dr. N. unter dem 28.01.2009 und Prof. Dr. H. in Vertretung des Orthopäden M. unter dem 29.01.2009 schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. N. hat ausgeführt, er behandle den Kläger regelmäßig wegen einer arteriellen Hypertonie und einer gastroösophagealen Refluxkrankheit. Ferner leide der Kläger an rezidivierenden Schmerzen im Bereich beider Leisten mit Ausstrahlung in das rechte Kniegelenk, Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung über das Schultergelenk und in den Hinterkopf und Bewegungseinschränkung. Er hat die Arztbriefe des Internisten Dr. B. vom 21.11.2005 und des Dr. R. vom 04.10.2008 vorgelegt. Prof. Dr. H. hat eine Coxarthrose und Hüftkranz-Implantation beidseits, eine Leistenhernie links, ein Wirbelsäulensyndrom sowie Schulter- und Knieschmerzen aufgeführt und die Behandlungsdaten für den Zeitraum vom 14.06.1995 bis zum 29.01.2009 vorgelegt.
Sodann hat das Sozialgericht das Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. H. vom 20.03.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat als Behinderungen eine Arthrose im Bereich der Halswirbelsäule (Einzel-GdB 20) sowie einen Status nach Hüftersatz beidseits (Einzel-GdB 30) berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 40 bewertet.
Der Kläger hat die Arztbriefe des Dr. H., Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie des L.-Krankenhauses F., vom 15.07.2009, des Radiologen Dr. G. vom 03.08.2009, des Radiologen Dr. H. vom 10.08.2009, des Dr. H. vom 22.11.2009 und des Dr. R. vom 22.11.2009 vorgelegt. Dr. H. hat ausgeführt, der Kläger habe sich wegen Schmerzen im rechten Glutealbereich vorgestellt. Klinisch hätten sich aber beide Hüftgelenke frei beweglich ohne sensomotorische Störungen gezeigt. Röntgenologisch habe sich eine rechtskonvexe Lumbalskoliose bei Spondylolisthese L5/S1 Grad I nach Meyerding bei Spondylolyse L5 sowie Facettengelenksarthrose L5/S1 gezeigt. Dr. G. hat als Ergebnis einer Skelettszintigraphie des Beckens und der Oberschenkelregion im Wesentlichen eine Lockerung der Hüftpfanne rechts sowie einen erhöhten Metabolismus im Bereich des lumbosakralen Übergangsbereiches rechts beschrieben. Dr. H. hat als Ergebnis einer Magnetresonanztomographie der Lendenwirbelsäule im Wesentlichen eine aktivierte hochgradige Facettengelenksarthrose L5/S1 rechts, eine leichte Bedrängung der rechten L5-Nervenwurzel intraforaminal bei rechts mediolateraler bis intraforaminaler Diskusprotrusion L5/S1 beschrieben. Dr. R. hat eine freie Hüftgelenksbeweglichkeit beidseits und eine schmerzlose Rotation dargelegt.
Sodann hat das Sozialgericht Dr. H. unter dem 23.01.2010 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat ausgeführt, die Beschwerden im Bereich beider Hüften seien als leicht zu bezeichnen. Die Beschwerden, welche aufgrund der Degenerationen im Lendenwirbelsäulenbereich bestünden, seien am ehesten muskulär bedingt und als mittelschwer zu bezeichnen. Der Gesamt-GdB sei mit 40 einzuschätzen.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Beweglichkeitseinschränkungen der Halswirbelsäule des Klägers seien geringen bis mittelschweren Grades. Der hierfür anzunehmende Einzel-GdB sei auf 10 einzuschätzen. Im Hinblick auf die Hüftgelenksendoprothesen beidseits betrage der Einzel-GdB 40. Ferner liege beim Kläger ein mit einem Einzel-GdB von 10 zu beurteilender Bluthochdruck vor. Unter Zugrundelegung dieser Einzel-GdB-Werte ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40.
Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat der Kläger am 06.07.2010 Berufung eingelegt. Er vertritt die Ansicht, der Gesamt-GdB sei mit 50 einzuschätzen. Aus den sachverständigen Zeugenaussagen des Orthopäden M. und des Dr. H. ergäben sich auch Einschränkungen in der Lendenwirbelsäule. Auch der Sachverständige Prof. Dr H. habe im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung eine verhärtete paravertebrale Muskulatur im Lendenwirbelsäulenbereich festgestellt. Mithin sei der Einzel-GdB für den Wirbelsäulenbereich mit 30 bis 40 einzuschätzen.
Dr. B. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.12.2010 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits, eine Beinverkürzung links und eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform (Einzel-GdB 40), einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie ab Juli 2009 degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und ein Wirbelgleiten (Einzel-GdB 20) berücksichtigt und den Gesamt-GdB ab Juli 2009 mit 50 eingeschätzt. Hierauf beruhend hat der Beklagte unter dem 07.12.2010 vergleichsweise die Feststellung des GdB mit 50 ab 01.07.2009 angeboten.
Mit diesem Vergleichsangebot hat sich der Kläger nicht einverstanden gezeigt. Er ist der Auffassung, die Probleme im Lendenwirbelsäulenbereich hätten bereits vor dem 01.10.2008 bestanden. Er weist darauf hin, Dr. H. habe bereits im Rahmen der ambulanten Vorstellung am 10.07.2009 eine Spondylolyse L5 beidseits festgestellt. Eine Spondylolyse entstehe nach der Geburt. Von daher sei davon auszugehen, dass die Probleme in der Lendenwirbelsäule im Untersuchungszeitpunkt bereits dauerhaft bestanden hätten. Ferner habe er sich bereits am 08.07.2002 beim Orthopäden Dr. G. vorgestellt. Diesbezüglich hat er den Arztbrief des Dr. G. vom 09.07.2002 vorgelegt. Darin ist unter anderem eine Iliosacralgelenksblockierung beidseits und ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Chondrose L5/S1 beschrieben. Auch aus den Behandlungsdaten des Orthopäden M. ergäben sich ein bereits am 19.07.2007 festgestelltes radikuläres, überwiegend lokales Lumbalsyndrom und Iliosacralgelenksblockierungen. Ferner seien am 15.05.2008 zeitweise einschießende Schmerzen im rechten Trochanter angegeben worden. Diese noch bestehenden Schmerzen seien rückschauend den lumbalen Wirbelsäulenproblemen zuzuordnen. Mithin sei bereits ab 04.03.2008, spätestens jedoch ab 01.10.2008, der Gesamt-GdB mit 50 festzustellen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Juni 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 6. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2008 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 7. Februar 2005 zurückzunehmen sowie einen Grad der Behinderung von 50 ab 4. März 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, es sei zu berücksichtigen, dass die Hüft-Totalendoprothesen nur noch einen Mindest-GdB von 20 statt bisher 40 bedingten. Angesichts der Beschwerden bei guter Beweglichkeit sei der diesbezügliche GdB auf 30 zu erhöhen.
Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.08.2011 die Hüftgelenksendoprothese beidseits, Beinverkürzung links und Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform wegen einer inzwischen eingetretenen Änderung der versorgungsrechtlichen Beurteilungsgrundsätze nur noch mit einem Einzel-GdB von 30 und daher den Gesamt-GdB nur noch mit 40 beurteilt. Hierauf beruhend hat der Beklagte unter dem 02.08.2011 das Vergleichsangebot nicht mehr aufrecht erhalten.
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 17.11.2011 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist teilweise begründet.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klage zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben wurde, denn eine Fristwahrung ist nach § 91 Abs. 1 SGG auch durch die Erhebung der Klage bei einer inländischen Behörde - hier das Regierungspräsidium Stuttgart - möglich. Insoweit kommt es auf den Zugang des Schreibens vom 25.10.2008, also den 31.10.2008, an. Da eine förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 nicht vorgesehen (vgl. § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG) ist und vorliegend auch nicht erfolgte, gilt dieser als am dritten Tage nach Postaufgabe als zugegangen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungszustellungsgesetz). Die Klage beim unzuständigen Regierungspräsidium war daher fristgemäß (§ 87 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 1 und 2 SGG).
Zu Unrecht hat der Beklagte mit dem den Bescheid vom 07.02.2005 aufhebenden streitgegenständlichen Bescheid vom 06.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2008 die Neufeststellung des GdB mit 40 nicht bereits vom 19.10.2007 bis zum 03.03.2008 vorgenommen und zu Unrecht lehnt es der Beklagte ab, den GdB für die Zeit vom 10.07.2009 bis zum 21.12.2010 mit 50 festzustellen.
Rechtsgrundlage für eine Abänderung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wegen einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung liegt nur vor, wenn eine dauerhafte Änderung des Gesundheitszustands zu einer Änderung des GdB um wenigstens 10 führt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden.
Für das Funktionssystem Beine beträgt der Einzel-GdB 20 bis zum 18.10.2007, 40 vom 19.10.2007 bis zum 21.12.2010 und 30 ab dem 22.12.2010.
Nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 waren in Abhängigkeit von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit bei Hüftgelenks-Endoprothesen einseitig mindestens ein GdB von 20 und beidseitig mindestens ein GdB von 40 angemessen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 c der Dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 17.12.2010 (3. VGÄndV) sind bei bestmöglichem Behandlungsergebnis und nicht durch Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutliche Muskelminderung und/oder ausgeprägte Narbenbildung eingeschränkter Versorgungsqualität bei Hüftgelenks-Endoprothesen einseitig mindestens ein GdB von 10 und beidseitig mindestens ein GdB von 20 angemessen.
Diese Änderung der VG trat nach Art. 2 der 3. VGÄndV am Tag der Verkündung in Kraft. Die 3. VGÄndV wurde mit dem am 22.12.2010 ausgegebenen Bundesgesetzblatt I 2010, Seite 2124 und 2125, verkündet. Mithin erlangt sie erst ab 22.12.2010 rechtliche Wirkung. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt eine rückwirkende Anwendung dieser Änderung der VG nicht in Betracht. Denn der Verordnungsgeber hat in Art. 2 der 3. VGÄndV eine eindeutige Regelung hinsichtlich des Inkrafttretens der Änderung der VG getroffen. Eine Regelung, die eine etwaige rückwirkende Geltung anordnet, ist nicht getroffen worden. Es stellt sich daher schon gar nicht die Frage, ob eine gegebenenfalls gegen Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Grundgesetz verstoßende unechte Rückwirkung (siehe dazu BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 - zitiert nach juris) oder echte Rückwirkung (siehe dazu BVerfG, Urteile vom 14.07.1981 - 1 BvL 28/77, 1 BvL 48/79, 1 BvR 154/79 und 1 BvR 170/80 - zitiert nach juris) vorliegt. Dass die 3. VGÄndV erst am Tag ihrer Verkündung rechtliche Wirkung und keine Rückwirkung entfaltet, ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur zeitlichen Geltung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14.07.2010 (2. VGÄndV, die ebenfalls nicht rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist und keine Übergangsregeleung enthält). Danach ist Voraussetzung dafür, dass nach Erlass der angefochtenen Entscheidung in Kraft getretene, während der Rechtshängigkeit der Verpflichtungsklage eintretende Rechtsänderungen, zu beachten sind, dass das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will. Diese Voraussetzung hat das Bundessozialgericht bezogen auf die 2. VGÄndV für die Zeit ab ihrem Inkrafttreten ab 22.07.2010 bejaht (BSG, Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - [zitiert nach juris, dort Rz. 24] unter Hinweis auf BSG Urteil vom 14.07.1993 - 6 RKa 71/91; BSG, Urteil vom 09.10.1987 - 9a RVs 5/86; BSG, Urteil vom 25.03.2003 - B 1 KR 33/01 R; siehe auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 54, Rz, 34). Die Frage einer rückwirkenden Geltung der 2. VGÄndV wurde in der Rechtsprechung des BSG noch nicht einmal diskutiert.
Beim Kläger sind Hüft-Totalendoprothesen rechts am 26.03.2004 und links am 19.10.2007 durchgeführt worden. Nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. H. sind zwar wesentliche und mithin GdB-relevante Bewegungseinschränkungen im Hüftbereich nicht verblieben. Allerdings liegen beim Kläger nach den Angaben des Sachverständigen insbesondere nach längerer Belastung glaubhafte Schmerzen in beiden Hüftgelenken und eine leichte Einschränkung der Leistungsfähigkeit beim Gehen vor. Hierauf hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.08.2011 zutreffend hingewiesen. Gingen diese leichten Einschränkungen noch in dem nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 vorgesehenen recht hohen Mindest-GdB-Wert von 40 auf, sind sie doch bei dem in den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 22.12.2010 vorgesehenen niedrigeren Mindest-GdB-Wert von 20 zusätzlich zu berücksichtigen, zumal diesbezüglich nun in den VG ausdrücklich ausgeführt ist, dass der Mindest-GdB-Wert vom bestmöglichen Behandlungsergebnis ausgeht und bei eingeschränkter Versorgungsqualität, insbesondere bei Beweglichkeits- und Belastungseinschränkungen, ein höherer GdB-Wert angemessen ist. Daher legt der Senat für die Zeit bis zum 21.12.2010 die in den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 geregelten Mindest-GdB-Werte von 20 für die einseitige Hüft-Totalendoprothese und von 40 für die seit 19.10.2007 bestehende beidseitige Hüft-Totalendoprothese sowie für die Zeit ab 22.12.2010 den um 10 GdB-Punkte erhöhten Mindest-GdB-Wert von 20 für die beidseitige Hüft-Totalendoprothese und mithin einen GdB von 30 zu Grunde.
Eine weitere Erhöhung dieser für die Hüft-Totalendoprothese zu vergebenden GdB-Werte wegen der durch eine Einlagenversorgung ausgeglichenen Beinverkürzung von circa 1 cm, der degenerativen Veränderungen im rechten Kniegelenk ohne Bewegungseinschränkung und der beidseitigen Fußfehlform hat angesichts der schlüssigen gutachterlichen Einschätzung des Prof. Dr. H. nicht zu erfolgen.
Für das Funktionssystem Rumpf beträgt der Einzel-GdB 10 bis zum 09.07.2010 und 20 ab dem 10.07.2009.
Nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40.
Beim Kläger lagen im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. H. am 18.03.2009 keine mittelgradigen funktionellen Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule vor. Im Bereich der Halswirbelsäule haben sich Bewegungsmaße bei der Kopfvor- und rückneigung (Inklination/Reklination) von 30/0/30 Grad (Normalmaß 45-70/0/35-45 Grad), bei der Seitdrehung von 50/0/50 Grad (Normalmaß 60-80/0/60-80 Grad) sowie bei der Seitneigung von 20/0/20 Grad (Normalmaß 45/0/45 Grad) und hat sich mithin eine geringgradige Bewegungseinschränkung gezeigt. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule haben die Bewegungsmaße nach Ott von 30/38 cm (Normalmaß 30/32 cm), nach Schober von 10/16 cm (Normalmaß 10/15 cm) sowie bei der Seitwärtsdrehung im Sitzen von 40/0/40 Grad (Normalmaß 30-40/0/30-40 Grad) betragen und hat mithin keine Bewegungseinschränkung vorgelegen. Angesichts dieser Bewegungsmaße hat es sich im Begutachtungszeitpunkt nur um leichte funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gehandelt, die entgegen der Beurteilung des Prof. Dr. H. mit einem GdB von 10 einzuschätzen sind.
Für den Bereich der Lendenwirbelsäule sind erstmals aufgrund der bei Dr. H. am 10.07.2009 erfolgten Untersuchung GdB-relevante Behinderungen dokumentiert. So hat Dr. H. in seinem Arztbrief vom 22.11.2009 und seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 23.01.2010 eine rechtskonvexe Lumbalskoliose bei Spondylolisthese L5/S1 Grad I nach Meyerding bei Spondylolyse L5 sowie Facettengelenksarthrose L5/S1 beschrieben. Unterstützt wird dies durch die Angaben des Dr. H. in seinem Arztbrief vom 10.08.2009, in dem diese Diagnosen aufgrund der Ergebnisse der durchgeführten Magnetresonanztomographie bestätigt worden sind. Zwar sind für die Zeit nach der Begutachtung keine für die GdB-Bewertung aber erforderlichen Bewegungsmaße im Bereich der Lendenwirbelsäule dokumentiert, so dass die auf den Angaben des Dr. H. beruhende Heraufsetzung des Einzel-GdB für die Wirbelsäule von 10 auf 20 durch Dr. B. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.12.2010 als doch eher wohlwollend einzuschätzen ist. Jedenfalls lässt sich aber dieser Einzel-GdB von 20 nicht bereits für die Zeit vor dem 10.07.2009 begründen. Dies ergibt sich maßgeblich aus den von Prof. Dr. H. durch seine gutachterliche Untersuchung am 18.03.2009 dokumentierten Bewegungsmaßen. Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen und auch nicht aus den Behandlungsdaten des Orthopäden M ... Daraus gehen nämlich keine objektivierbaren Bewegungsmaße hervor, die eine dauerhafte GdB-relevante Funktionseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule begründen könnten. Mithin sind allenfalls ab dem 10.07.2009 mittelgradige funktionelle Auswirkungen in der Lendenwirbelsäule der GdB-Beurteilung zu Grunde zu legen, so dass der Einzel-GdB für das Funktionssystem Rumpf allenfalls ab diesem Zeitpunkt mit 20 beurteilt werden kann.
Für das Funktionssystem Arme beträgt der Einzel-GdB 0. Anhaltspunkte dafür, dass wegen der gelegentlichen Schmerzausstrahlungen in die Schultern beziehungsweise eines Impingementsyndroms oder wegen der Eingriffe in vier Fingern aufgrund einer Tendovaginitis stenosans GdB-relevante Einschränkungen verblieben sind, hat der Senat nicht.
Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf beträgt der Einzel-GdB 10. Anhaltspunkte für durch den Bluthochdruck bedingende, einen höheren GdB rechtfertigende Auswirkungen sind nicht gegeben.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (für das Funktionssystem Beine Einzel-GdB 20 bis 18.10.2007, 40 ab 19.10.2007 und 30 ab 22.12.2010, für das Funktionssystem Rumpf Einzel-GdB 10 bis 09.07.2009 und 20 ab 10.07.2009, für das Funktionssystem Herz-Kreislauf Einzel-GdB 10) beträgt der Gesamt-GdB 20 bis 18.10.2007, 40 ab 19.10.2007, 50 ab 10.07.2009 und 40 ab 22.12.2010. Wegen der teilweisen Überschneidung der Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat den weiteren Einzel-GdB-Wert von 20 für das Funktionssystem Rumpf bei der Bemessung des Ausmaßes der Behinderung dahingehend berücksichtigt, dass wegen dieser weiteren Funktionsbeeinträchtigung ab 10.07.2009 dem GdB für das Funktionssystem Beine von 40 ab 19.10.2007 und 30 ab 22.12.2010 weitere 10 GdB-Punkte hinzuzufügen sind. Eine weitere Erhöhung wegen der übrigen Einzel-GdB-Werte von 10 kam indes nicht in Betracht.
Der Berufung war daher teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlich Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Kläger mit seinem hauptsächlichen Begehren, nämlich den GdB mit 50 bereits ab 04.03.2008 festzustellen, nicht durchgedrungen ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere ist die Rechtsfrage, ab wann eine Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung rechtliche Wirkung entfaltet, bereits durch das Bundessozialgericht geklärt worden.
Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtliche Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Das Landratsamt L. hatte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 30.01.2005, in der als Behinderung eine Hüftgelenksendoprothese rechts berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 20 bewertet worden war, mit Bescheid vom 07.02.2005 den GdB des 1946 geborenen Klägers mit 20 seit 17.11.2004 festgestellt.
Der seit September 2008 nicht mehr berufstätige Kläger beantragte am 04.03.2008 die Neufeststellung des GdB. Er führte zur Begründung aus, inzwischen seien auch eine Hüftgelenksendoprothese links sowie Handoperationen an vier Fingern erfolgt. Ferner leide er an Bewegungseinschränkungen in der Schulter und im Bereich der Halswirbelsäule, an Schmerzen in beiden Kniegelenken sowie an einem Platt-, Senk- und Spreizfuß. Das Landratsamt zog den Arztbrief des Radiologen Dr. G. vom 12.01.2007 und den Entlassungsbericht des Dr. D., Chefarzt an der M., vom 16.11.2007 bei. Dr. G. beschrieb aufgrund einer durchgeführten Kernspintomographie des rechten Kniegelenks ein Knochenmarködemsyndrom sowie degenerative Veränderungen des Innenmeniskushinterhorns mit Verdacht auf eine geringe intrameniskale Rissbildung. Dr. D. beschrieb den physiotherapeutischen Abschlussbefund der vom 29.10.2007 bis zum 19.11.2007 in der M. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme. Dr. T.-T. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2008 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits und eine Beinverkürzung links (Einzel-GdB 40) sowie einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Sodann zog das Landratsamt die Arztbriefe des Dr. Z., Klinik für Chirurgie des K. Sch., vom 14.04.2005, 07.07.2006, 09.12.2006 und 18.09.2007 bei. Dr. Z. berichtete über die ambulanten Eingriffe wegen einer Tendovaginitis stenosans am linken Ringfinger, rechten Zeigefinger, linken Mittelfinger und rechten Ringfinger. Ferner zog das Landratsamt die Behandlungsdaten des Internisten Dr. N. sowie die Arztbriefe des Neurologen Dr. W. vom 30.11.2006, des Dr. G. vom 04.12.2006, des Chirurgen W. vom 10.01.2007, des Dr. R., Chefarzt der Orthopädischen Chirurgie des L.-Krankenhauses F., vom 07.09.2007, 18.09.2007, 25.10.2007 und 20.01.2008 und des Pathologen Dr. Sch. vom 03.03.2008 bei. Dr. N. beschrieb die Ergebnisse der Untersuchung der Leber und einer Gastroskopie. Dr. W. führte aus, der Kläger habe sich wegen eines passageren Gesichtsfelddefekts und perioralen Missempfindungen und solchen der linken Hand vorgestellt. Dr. G. beschrieb aufgrund einer Magnetresonanztomographie des Schädels sehr diskrete Zeichen einer Mikroangiopathie bei vereinzelten Marklagerveränderungen und ansonsten einen altersentsprechenden Befund. Der Chirurg W. führte aus, der Kläger habe sich wegen unklaren Schmerzen im rechten Knie vorgestellt. Klinisch sei aber der Befund bis auf eine Schmerzlokalisation nach medial hin in Ordnung. Röntgenologisch hätten sich keine wesentlichen knöchernen Veränderungen und auch keine grobe Arthrose, sondern eine Weichteilzeichnung über dem Innenband sowie eine leichte Verkalkung des Innenmeniskus gezeigt. Dr. R. führte aus, beim Kläger sei am 19.10.2007 eine Hüfttotalendoprothese links implantiert worden. Insgesamt habe sich ein guter Verlauf gezeigt. Der Kläger könne stock- und hinkfrei gehen und habe eine freie Beweglichkeit. Dr. Sch. beschrieb eine minimale chronische, inaktive Korpusgastritis ohne Hp-Nachweis. Ferner holte das Landratsamt den Befundbericht des Orthopäden M. vom 23.06.2008 ein. Dieser beschrieb Bewegungsmaße im Bereich der linken Hüfte und führte aus, der Kläger habe über zeitweise einschießende Schmerzen im rechten Trochanter und in der rechten Knieaußenseite sowie über Halswirbelsäulenbeschwerden berichtet. Bei der Untersuchung hätten allerdings keine Überwärmung und kein Erguss festgestellt werden können. Als Bewegungsmaß gab er 130/0/0 Grad beidseits an. Im Bereich der rechten Schulter beschrieb er einen schmerzhaften Bogen und eine gegen Widerstand schmerzhafte Außenrotation. Röntgenologisch habe sich eine geringe Osteochondrose C5/6 und eine Retrospondylose gezeigt. Ferner liege ein Beinlängenunterschied von 1 cm, ein Senk-Spreizfuß beidseits und ein Schmerzsyndrom bei Impingement rechts mit Iliosacralgelenksblockierung vor. Dr. T.-T. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.07.2008 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits, eine Beinverkürzung links, eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform und ein Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 40), einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie ein Wirbelsäulensyndrom (Einzel-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Mit Bescheid vom 06.08.2008 änderte das Landratsamt gestützt hierauf den Bescheid vom 07.02.2005 ab und stellte den GdB mit 40 seit 04.03.2008 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 08.08.2008 Widerspruch ein. Das Landratsamt zog die Behandlungsdaten des Orthopäden M. für den Zeitraum vom 14.06.1995 bis zum 01.09.2008 bei. Dr. A. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.09.2008 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2008 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger mit am 31.10.2008 bei der Widerspruchsbehörde eingegangenem Schreiben, weitergeleitet an das Gericht, Klage beim Sozialgericht F. erhoben.
Das Sozialgericht hat Dr. N. unter dem 28.01.2009 und Prof. Dr. H. in Vertretung des Orthopäden M. unter dem 29.01.2009 schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. N. hat ausgeführt, er behandle den Kläger regelmäßig wegen einer arteriellen Hypertonie und einer gastroösophagealen Refluxkrankheit. Ferner leide der Kläger an rezidivierenden Schmerzen im Bereich beider Leisten mit Ausstrahlung in das rechte Kniegelenk, Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung über das Schultergelenk und in den Hinterkopf und Bewegungseinschränkung. Er hat die Arztbriefe des Internisten Dr. B. vom 21.11.2005 und des Dr. R. vom 04.10.2008 vorgelegt. Prof. Dr. H. hat eine Coxarthrose und Hüftkranz-Implantation beidseits, eine Leistenhernie links, ein Wirbelsäulensyndrom sowie Schulter- und Knieschmerzen aufgeführt und die Behandlungsdaten für den Zeitraum vom 14.06.1995 bis zum 29.01.2009 vorgelegt.
Sodann hat das Sozialgericht das Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. H. vom 20.03.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat als Behinderungen eine Arthrose im Bereich der Halswirbelsäule (Einzel-GdB 20) sowie einen Status nach Hüftersatz beidseits (Einzel-GdB 30) berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 40 bewertet.
Der Kläger hat die Arztbriefe des Dr. H., Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie des L.-Krankenhauses F., vom 15.07.2009, des Radiologen Dr. G. vom 03.08.2009, des Radiologen Dr. H. vom 10.08.2009, des Dr. H. vom 22.11.2009 und des Dr. R. vom 22.11.2009 vorgelegt. Dr. H. hat ausgeführt, der Kläger habe sich wegen Schmerzen im rechten Glutealbereich vorgestellt. Klinisch hätten sich aber beide Hüftgelenke frei beweglich ohne sensomotorische Störungen gezeigt. Röntgenologisch habe sich eine rechtskonvexe Lumbalskoliose bei Spondylolisthese L5/S1 Grad I nach Meyerding bei Spondylolyse L5 sowie Facettengelenksarthrose L5/S1 gezeigt. Dr. G. hat als Ergebnis einer Skelettszintigraphie des Beckens und der Oberschenkelregion im Wesentlichen eine Lockerung der Hüftpfanne rechts sowie einen erhöhten Metabolismus im Bereich des lumbosakralen Übergangsbereiches rechts beschrieben. Dr. H. hat als Ergebnis einer Magnetresonanztomographie der Lendenwirbelsäule im Wesentlichen eine aktivierte hochgradige Facettengelenksarthrose L5/S1 rechts, eine leichte Bedrängung der rechten L5-Nervenwurzel intraforaminal bei rechts mediolateraler bis intraforaminaler Diskusprotrusion L5/S1 beschrieben. Dr. R. hat eine freie Hüftgelenksbeweglichkeit beidseits und eine schmerzlose Rotation dargelegt.
Sodann hat das Sozialgericht Dr. H. unter dem 23.01.2010 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat ausgeführt, die Beschwerden im Bereich beider Hüften seien als leicht zu bezeichnen. Die Beschwerden, welche aufgrund der Degenerationen im Lendenwirbelsäulenbereich bestünden, seien am ehesten muskulär bedingt und als mittelschwer zu bezeichnen. Der Gesamt-GdB sei mit 40 einzuschätzen.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Beweglichkeitseinschränkungen der Halswirbelsäule des Klägers seien geringen bis mittelschweren Grades. Der hierfür anzunehmende Einzel-GdB sei auf 10 einzuschätzen. Im Hinblick auf die Hüftgelenksendoprothesen beidseits betrage der Einzel-GdB 40. Ferner liege beim Kläger ein mit einem Einzel-GdB von 10 zu beurteilender Bluthochdruck vor. Unter Zugrundelegung dieser Einzel-GdB-Werte ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40.
Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat der Kläger am 06.07.2010 Berufung eingelegt. Er vertritt die Ansicht, der Gesamt-GdB sei mit 50 einzuschätzen. Aus den sachverständigen Zeugenaussagen des Orthopäden M. und des Dr. H. ergäben sich auch Einschränkungen in der Lendenwirbelsäule. Auch der Sachverständige Prof. Dr H. habe im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung eine verhärtete paravertebrale Muskulatur im Lendenwirbelsäulenbereich festgestellt. Mithin sei der Einzel-GdB für den Wirbelsäulenbereich mit 30 bis 40 einzuschätzen.
Dr. B. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.12.2010 als Behinderungen eine Hüftgelenksendoprothese beidseits, eine Beinverkürzung links und eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform (Einzel-GdB 40), einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie ab Juli 2009 degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und ein Wirbelgleiten (Einzel-GdB 20) berücksichtigt und den Gesamt-GdB ab Juli 2009 mit 50 eingeschätzt. Hierauf beruhend hat der Beklagte unter dem 07.12.2010 vergleichsweise die Feststellung des GdB mit 50 ab 01.07.2009 angeboten.
Mit diesem Vergleichsangebot hat sich der Kläger nicht einverstanden gezeigt. Er ist der Auffassung, die Probleme im Lendenwirbelsäulenbereich hätten bereits vor dem 01.10.2008 bestanden. Er weist darauf hin, Dr. H. habe bereits im Rahmen der ambulanten Vorstellung am 10.07.2009 eine Spondylolyse L5 beidseits festgestellt. Eine Spondylolyse entstehe nach der Geburt. Von daher sei davon auszugehen, dass die Probleme in der Lendenwirbelsäule im Untersuchungszeitpunkt bereits dauerhaft bestanden hätten. Ferner habe er sich bereits am 08.07.2002 beim Orthopäden Dr. G. vorgestellt. Diesbezüglich hat er den Arztbrief des Dr. G. vom 09.07.2002 vorgelegt. Darin ist unter anderem eine Iliosacralgelenksblockierung beidseits und ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Chondrose L5/S1 beschrieben. Auch aus den Behandlungsdaten des Orthopäden M. ergäben sich ein bereits am 19.07.2007 festgestelltes radikuläres, überwiegend lokales Lumbalsyndrom und Iliosacralgelenksblockierungen. Ferner seien am 15.05.2008 zeitweise einschießende Schmerzen im rechten Trochanter angegeben worden. Diese noch bestehenden Schmerzen seien rückschauend den lumbalen Wirbelsäulenproblemen zuzuordnen. Mithin sei bereits ab 04.03.2008, spätestens jedoch ab 01.10.2008, der Gesamt-GdB mit 50 festzustellen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Juni 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 6. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2008 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 7. Februar 2005 zurückzunehmen sowie einen Grad der Behinderung von 50 ab 4. März 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, es sei zu berücksichtigen, dass die Hüft-Totalendoprothesen nur noch einen Mindest-GdB von 20 statt bisher 40 bedingten. Angesichts der Beschwerden bei guter Beweglichkeit sei der diesbezügliche GdB auf 30 zu erhöhen.
Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.08.2011 die Hüftgelenksendoprothese beidseits, Beinverkürzung links und Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform wegen einer inzwischen eingetretenen Änderung der versorgungsrechtlichen Beurteilungsgrundsätze nur noch mit einem Einzel-GdB von 30 und daher den Gesamt-GdB nur noch mit 40 beurteilt. Hierauf beruhend hat der Beklagte unter dem 02.08.2011 das Vergleichsangebot nicht mehr aufrecht erhalten.
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 17.11.2011 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist teilweise begründet.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klage zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben wurde, denn eine Fristwahrung ist nach § 91 Abs. 1 SGG auch durch die Erhebung der Klage bei einer inländischen Behörde - hier das Regierungspräsidium Stuttgart - möglich. Insoweit kommt es auf den Zugang des Schreibens vom 25.10.2008, also den 31.10.2008, an. Da eine förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 nicht vorgesehen (vgl. § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG) ist und vorliegend auch nicht erfolgte, gilt dieser als am dritten Tage nach Postaufgabe als zugegangen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungszustellungsgesetz). Die Klage beim unzuständigen Regierungspräsidium war daher fristgemäß (§ 87 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 1 und 2 SGG).
Zu Unrecht hat der Beklagte mit dem den Bescheid vom 07.02.2005 aufhebenden streitgegenständlichen Bescheid vom 06.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2008 die Neufeststellung des GdB mit 40 nicht bereits vom 19.10.2007 bis zum 03.03.2008 vorgenommen und zu Unrecht lehnt es der Beklagte ab, den GdB für die Zeit vom 10.07.2009 bis zum 21.12.2010 mit 50 festzustellen.
Rechtsgrundlage für eine Abänderung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wegen einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung liegt nur vor, wenn eine dauerhafte Änderung des Gesundheitszustands zu einer Änderung des GdB um wenigstens 10 führt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden.
Für das Funktionssystem Beine beträgt der Einzel-GdB 20 bis zum 18.10.2007, 40 vom 19.10.2007 bis zum 21.12.2010 und 30 ab dem 22.12.2010.
Nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 waren in Abhängigkeit von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit bei Hüftgelenks-Endoprothesen einseitig mindestens ein GdB von 20 und beidseitig mindestens ein GdB von 40 angemessen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 c der Dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 17.12.2010 (3. VGÄndV) sind bei bestmöglichem Behandlungsergebnis und nicht durch Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutliche Muskelminderung und/oder ausgeprägte Narbenbildung eingeschränkter Versorgungsqualität bei Hüftgelenks-Endoprothesen einseitig mindestens ein GdB von 10 und beidseitig mindestens ein GdB von 20 angemessen.
Diese Änderung der VG trat nach Art. 2 der 3. VGÄndV am Tag der Verkündung in Kraft. Die 3. VGÄndV wurde mit dem am 22.12.2010 ausgegebenen Bundesgesetzblatt I 2010, Seite 2124 und 2125, verkündet. Mithin erlangt sie erst ab 22.12.2010 rechtliche Wirkung. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt eine rückwirkende Anwendung dieser Änderung der VG nicht in Betracht. Denn der Verordnungsgeber hat in Art. 2 der 3. VGÄndV eine eindeutige Regelung hinsichtlich des Inkrafttretens der Änderung der VG getroffen. Eine Regelung, die eine etwaige rückwirkende Geltung anordnet, ist nicht getroffen worden. Es stellt sich daher schon gar nicht die Frage, ob eine gegebenenfalls gegen Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Grundgesetz verstoßende unechte Rückwirkung (siehe dazu BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 - zitiert nach juris) oder echte Rückwirkung (siehe dazu BVerfG, Urteile vom 14.07.1981 - 1 BvL 28/77, 1 BvL 48/79, 1 BvR 154/79 und 1 BvR 170/80 - zitiert nach juris) vorliegt. Dass die 3. VGÄndV erst am Tag ihrer Verkündung rechtliche Wirkung und keine Rückwirkung entfaltet, ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur zeitlichen Geltung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14.07.2010 (2. VGÄndV, die ebenfalls nicht rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist und keine Übergangsregeleung enthält). Danach ist Voraussetzung dafür, dass nach Erlass der angefochtenen Entscheidung in Kraft getretene, während der Rechtshängigkeit der Verpflichtungsklage eintretende Rechtsänderungen, zu beachten sind, dass das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will. Diese Voraussetzung hat das Bundessozialgericht bezogen auf die 2. VGÄndV für die Zeit ab ihrem Inkrafttreten ab 22.07.2010 bejaht (BSG, Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - [zitiert nach juris, dort Rz. 24] unter Hinweis auf BSG Urteil vom 14.07.1993 - 6 RKa 71/91; BSG, Urteil vom 09.10.1987 - 9a RVs 5/86; BSG, Urteil vom 25.03.2003 - B 1 KR 33/01 R; siehe auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 54, Rz, 34). Die Frage einer rückwirkenden Geltung der 2. VGÄndV wurde in der Rechtsprechung des BSG noch nicht einmal diskutiert.
Beim Kläger sind Hüft-Totalendoprothesen rechts am 26.03.2004 und links am 19.10.2007 durchgeführt worden. Nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. H. sind zwar wesentliche und mithin GdB-relevante Bewegungseinschränkungen im Hüftbereich nicht verblieben. Allerdings liegen beim Kläger nach den Angaben des Sachverständigen insbesondere nach längerer Belastung glaubhafte Schmerzen in beiden Hüftgelenken und eine leichte Einschränkung der Leistungsfähigkeit beim Gehen vor. Hierauf hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.08.2011 zutreffend hingewiesen. Gingen diese leichten Einschränkungen noch in dem nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 vorgesehenen recht hohen Mindest-GdB-Wert von 40 auf, sind sie doch bei dem in den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 22.12.2010 vorgesehenen niedrigeren Mindest-GdB-Wert von 20 zusätzlich zu berücksichtigen, zumal diesbezüglich nun in den VG ausdrücklich ausgeführt ist, dass der Mindest-GdB-Wert vom bestmöglichen Behandlungsergebnis ausgeht und bei eingeschränkter Versorgungsqualität, insbesondere bei Beweglichkeits- und Belastungseinschränkungen, ein höherer GdB-Wert angemessen ist. Daher legt der Senat für die Zeit bis zum 21.12.2010 die in den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.12 in der Fassung ab 01.01.2009 geregelten Mindest-GdB-Werte von 20 für die einseitige Hüft-Totalendoprothese und von 40 für die seit 19.10.2007 bestehende beidseitige Hüft-Totalendoprothese sowie für die Zeit ab 22.12.2010 den um 10 GdB-Punkte erhöhten Mindest-GdB-Wert von 20 für die beidseitige Hüft-Totalendoprothese und mithin einen GdB von 30 zu Grunde.
Eine weitere Erhöhung dieser für die Hüft-Totalendoprothese zu vergebenden GdB-Werte wegen der durch eine Einlagenversorgung ausgeglichenen Beinverkürzung von circa 1 cm, der degenerativen Veränderungen im rechten Kniegelenk ohne Bewegungseinschränkung und der beidseitigen Fußfehlform hat angesichts der schlüssigen gutachterlichen Einschätzung des Prof. Dr. H. nicht zu erfolgen.
Für das Funktionssystem Rumpf beträgt der Einzel-GdB 10 bis zum 09.07.2010 und 20 ab dem 10.07.2009.
Nach den AHP, Teil A, Nr. 26.18 und den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40.
Beim Kläger lagen im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. H. am 18.03.2009 keine mittelgradigen funktionellen Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule vor. Im Bereich der Halswirbelsäule haben sich Bewegungsmaße bei der Kopfvor- und rückneigung (Inklination/Reklination) von 30/0/30 Grad (Normalmaß 45-70/0/35-45 Grad), bei der Seitdrehung von 50/0/50 Grad (Normalmaß 60-80/0/60-80 Grad) sowie bei der Seitneigung von 20/0/20 Grad (Normalmaß 45/0/45 Grad) und hat sich mithin eine geringgradige Bewegungseinschränkung gezeigt. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule haben die Bewegungsmaße nach Ott von 30/38 cm (Normalmaß 30/32 cm), nach Schober von 10/16 cm (Normalmaß 10/15 cm) sowie bei der Seitwärtsdrehung im Sitzen von 40/0/40 Grad (Normalmaß 30-40/0/30-40 Grad) betragen und hat mithin keine Bewegungseinschränkung vorgelegen. Angesichts dieser Bewegungsmaße hat es sich im Begutachtungszeitpunkt nur um leichte funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gehandelt, die entgegen der Beurteilung des Prof. Dr. H. mit einem GdB von 10 einzuschätzen sind.
Für den Bereich der Lendenwirbelsäule sind erstmals aufgrund der bei Dr. H. am 10.07.2009 erfolgten Untersuchung GdB-relevante Behinderungen dokumentiert. So hat Dr. H. in seinem Arztbrief vom 22.11.2009 und seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 23.01.2010 eine rechtskonvexe Lumbalskoliose bei Spondylolisthese L5/S1 Grad I nach Meyerding bei Spondylolyse L5 sowie Facettengelenksarthrose L5/S1 beschrieben. Unterstützt wird dies durch die Angaben des Dr. H. in seinem Arztbrief vom 10.08.2009, in dem diese Diagnosen aufgrund der Ergebnisse der durchgeführten Magnetresonanztomographie bestätigt worden sind. Zwar sind für die Zeit nach der Begutachtung keine für die GdB-Bewertung aber erforderlichen Bewegungsmaße im Bereich der Lendenwirbelsäule dokumentiert, so dass die auf den Angaben des Dr. H. beruhende Heraufsetzung des Einzel-GdB für die Wirbelsäule von 10 auf 20 durch Dr. B. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.12.2010 als doch eher wohlwollend einzuschätzen ist. Jedenfalls lässt sich aber dieser Einzel-GdB von 20 nicht bereits für die Zeit vor dem 10.07.2009 begründen. Dies ergibt sich maßgeblich aus den von Prof. Dr. H. durch seine gutachterliche Untersuchung am 18.03.2009 dokumentierten Bewegungsmaßen. Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen und auch nicht aus den Behandlungsdaten des Orthopäden M ... Daraus gehen nämlich keine objektivierbaren Bewegungsmaße hervor, die eine dauerhafte GdB-relevante Funktionseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule begründen könnten. Mithin sind allenfalls ab dem 10.07.2009 mittelgradige funktionelle Auswirkungen in der Lendenwirbelsäule der GdB-Beurteilung zu Grunde zu legen, so dass der Einzel-GdB für das Funktionssystem Rumpf allenfalls ab diesem Zeitpunkt mit 20 beurteilt werden kann.
Für das Funktionssystem Arme beträgt der Einzel-GdB 0. Anhaltspunkte dafür, dass wegen der gelegentlichen Schmerzausstrahlungen in die Schultern beziehungsweise eines Impingementsyndroms oder wegen der Eingriffe in vier Fingern aufgrund einer Tendovaginitis stenosans GdB-relevante Einschränkungen verblieben sind, hat der Senat nicht.
Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf beträgt der Einzel-GdB 10. Anhaltspunkte für durch den Bluthochdruck bedingende, einen höheren GdB rechtfertigende Auswirkungen sind nicht gegeben.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (für das Funktionssystem Beine Einzel-GdB 20 bis 18.10.2007, 40 ab 19.10.2007 und 30 ab 22.12.2010, für das Funktionssystem Rumpf Einzel-GdB 10 bis 09.07.2009 und 20 ab 10.07.2009, für das Funktionssystem Herz-Kreislauf Einzel-GdB 10) beträgt der Gesamt-GdB 20 bis 18.10.2007, 40 ab 19.10.2007, 50 ab 10.07.2009 und 40 ab 22.12.2010. Wegen der teilweisen Überschneidung der Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet hat der Senat den weiteren Einzel-GdB-Wert von 20 für das Funktionssystem Rumpf bei der Bemessung des Ausmaßes der Behinderung dahingehend berücksichtigt, dass wegen dieser weiteren Funktionsbeeinträchtigung ab 10.07.2009 dem GdB für das Funktionssystem Beine von 40 ab 19.10.2007 und 30 ab 22.12.2010 weitere 10 GdB-Punkte hinzuzufügen sind. Eine weitere Erhöhung wegen der übrigen Einzel-GdB-Werte von 10 kam indes nicht in Betracht.
Der Berufung war daher teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlich Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Kläger mit seinem hauptsächlichen Begehren, nämlich den GdB mit 50 bereits ab 04.03.2008 festzustellen, nicht durchgedrungen ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere ist die Rechtsfrage, ab wann eine Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung rechtliche Wirkung entfaltet, bereits durch das Bundessozialgericht geklärt worden.
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