L 1 R 605/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 324/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 605/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts München vom 11. Mai 2011 wird zurückgewie-
sen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1949 geborene Kläger hat von August 1964 bis Februar 1968 den Beruf des Baustoffgroßhandelskaufmanns erlernt und von Oktober 1994 bis März 1995 einen Lehrgang zum Fachmann Marketing absolviert. Von März 1978 bis Januar 1974 war er als Lagerist, von April 1974 bis Juli 1978 als Verwaltungsangestellter, ab August 1978 bis März 1992 als kaufmännischer Angestellter in der IT- Branche, von April 1995 bis Januar 1999 als Verkäufer IT Storage, Server, etc. und von Februar 1999 bis Mai 2002 als Account-Manager versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Juni 2002 war der Kläger arbeitslos. Ab 1. April 2004 bezog er Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zunächst befristet bis 31. März 2007 und anschließend auf Dauer. Seit 1. Januar 2010 erhält er Altersrente für schwerbehinderte Menschen von der Beklagten.

Der Kläger begehrte erstmals mit Antrag vom 8. September 2003 Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden C. und der Augenärztin Dr. L. ein. Diese stellten ein Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit mäßigen, die Altersnorm keineswegs überschreitenden Aufbraucherscheinungen des Achsorgans, eine medikamentös gut kompensierte arterielle Hypertonie sowie eine funktionelle Einäugigkeit bei noch ausreichend erhaltener Sehfunktion des rechten Auges fest und bescheinigten dem Kläger noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie als kaufmännischer Angestellter. Der Antrag wurde daraufhin mit Bescheid vom 2. Dezember 2003 abgelehnt.

In dem daran anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein internistisches Gutachten von Dr. S. ein, der ebenfalls zu dem Ergebnis kam, der Kläger könne noch vollschichtig Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie als kaufmännischer Angestellter verrichten. Der weiterhin beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. T. stellte eine Visuseinschränkung links seit der Geburt mit funktioneller Einäugigkeit, weitgehend adaptiert, einen Kombinationskopfschmerz mit vaskulären und Verspannungskopfschmerzanteilen bei bekannter HWS-Problematik, eine nachhaltige Anpassungsstörung mit somatoformer Beschwerdeverstärkung von degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden und vegetativen Funktionsstörungen (Tinnitus auereum, uncharakteristischer Schwindel), nicht organische Schlafstörungen sowie ein subjektives pseudohirnorganisches Beschwerdesyndrom mit empfundener Konzentrationsschwäche, Erschöpfbarkeit und Leistungsstörungen fest. Dr. S. bescheinigte dem Kläger ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden für Tätigkeiten als Account-Manager von sechs Stunden und mehr für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 17. November 2004 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. April 2004 bis 31. März 2007.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2005 zurückgewiesen, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 19. November 2004 (richtig: 17. November 2004) abgeholfen worden sei. Der Kläger sei noch mindestens sechs Stunden leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 49 R 1398/05. Das SG holte ein allgemeinärztliches - orthopädisches Gutachten von Dr. W. vom 4. Oktober 2005 ein. Dieser stellte fest, der Kläger könne als kaufmännischer Angestellter bzw. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten mit der Möglichkeit der wechselnden Körperausgangslage im Freien wie in geschlossenen Räumen vollschichtig verrichten. Nicht mehr möglich seien das Heben und Tragen von Lasten über 20 kg sowie ständige Arbeiten am Bildschirm. Die Klage wurde daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2006 zurückgenommen.

Mit Antrag vom 2. Mai 2006 begehrte der Kläger erneut Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten. Diese holte nach Beiziehung diverser Befundberichte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. V. vom 15. Dezember 2006 ein. Der Sachverständige stellte eine Somatisierungsstörung fest. Anamnestisch bestünden eine angeborene, fraglich zunehmende Sehstörung, chronische Beschwerden seitens der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates sowie ein Bluthochdruck. Den Erörterungen des nervenärztlichen Vorgutachters sei zu folgen. Ein Besserungsnachweis sei nicht zu führen. Der Kläger sei als Accountmanager und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch in der Lage, drei bis unter sechs Stunden täglich Arbeiten zu verrichten.

Der von der Beklagten weiterhin beauftragte Orthopäde H. diagnostizierte beim Kläger in seinem Gutachten vom 7. Januar 2007 ein Zervicobrachialsyndrom bei degenerativen Veränderungen und Fehlstatik, links stärker als rechts, ein Impingementsyndrom beider Schultern, eine rezidivierende BWS-Blockierung, ein degeneratives LWS-Syndrom mit Fehlstatik und Wurzelreiz S1 rechts, ein Sulcus-ulnaris-Syndrom, ein Piriformissyndrom beidseits rechts mehr als links, eine beginnende Gonarthrose medial und retropatellar rechts, eine Senk- und Spreizfußdeformität beidseits mit Metatarsalgie D I/II beidseits, eine Visusminderung rechtes Auge bei funktioneller Einäugigkeit bei Amblyopie links, eine alimentäre Adipositas, einen Spannungskopfschmerz, einen Tinnitus aurium, Schwindel unklarer Genese, eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Anpassungsstörung. Der Kläger könne noch sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten in wechselnder Haltung, vornehmlich sitzend, zeitweise stehend und gehend, verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das häufige Heben und Tragen schwerer Lasten über 6 kg, Arbeiten in Nässe, Kälte oder Zugluft, häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern, Treppen oder Gerüsten. Es bestehe eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit bei Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge und bezüglich Tätigkeiten mit Verantwortung für Maschinen und Personen. Die Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter im Verkauf sei nur noch unter drei Stunden täglich zumutbar.

Mit angefochtenem Bescheid vom 24. Januar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag vom 2. Mai 2006 ab. Mit Bescheid vom 23. Februar 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. April 2007.

Mit dem gegen den Bescheid vom 24. Januar 2007 erhobenen Widerspruch machte der Kläger eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes seit Anfang 2006 geltend. Seine Sehleistung am rechten Gebrauchsauge habe abgenommen, seine Mobilität sei stark eingeschränkt (Schwindel, Atemnot bei Bewegungen). Er leide ständig unter Schmerzen an der Wirbelsäule sowie im Kopf. Die Beklagte zog daraufhin weitere Befundberichte bei und holte ein internistisches-kardiologisches Gutachten von Dr. H. ein. Dieser bescheinigte dem Kläger einen altersgemäß guten Allgemeinzustand. Wesentliche Auffälligkeiten lägen von internistischer Seite nicht vor. Das Herz stelle sich echocardiographisch unauffällig dar, die linksventrikuläre Funktion sei recht gut. Es bestehe eine auffällige Diskrepanz zwischen geklagten Beschwerden und objektivierbarem Befund. Festgestellt wurde eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten aus wechselnder Ausgangsposition als kaufmännischer Angestellter sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2008 zurückgewiesen. Volle Erwerbsminderung liege nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG (Az. S 15 R 324/08) erhoben. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er leide unter Schwindelbeschwerden, rezidivierende Kopfschmerzen, einen Tinnitus beidseits, Bluthochdruck, die Einschränkung des Sehvermögens, Wirbelsäulen-, Magen- und Atembeschwerden, Konzentrations- und Schlafstörungen.

Das SG hat Befundberichte der Internisten Dr. G./G. und H., des Augenarztes Dr. R. (Visus rechtes Auge 0,3-0,4 p, mit Gesichtsfeldseinschränkung; linkes Auge: Fingerzeigen) und des Orthopäden Dr. K. beigezogen. Es hat zunächst den Chirurgen Dr. L. sowie den Psychiater und Neurologen Dr. K. mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Auf Wunsch des Klägers nach einer wohnortnahen Begutachtung hat das SG dann stattdessen Dr. W. zum Sachverständigen ernannt. Unter dem 13. Juli 2009 hat Dr. W. in seinem allgemeinmedizinischen-orthopädischen Gutachten beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1. Funktionsbehinderung der Hals- und Lendenwirbelsäule bei kernspintomographisch mäßiggradigen degenerativen Veränderungen ohne Nachweis einer absoluten Spinalkanalstenose
2. Bluthochdruckleiden mit beginnender hypertensiver Herzerkrankung, ohne klinischen Hinweis für Herzinsuffizienz
3. Sehminderung bei Strabismus linksseitig
4. Oberbauchbeschwerden nach Cholezystektomie, ohne Minderung des Ernährungs- und Kräftezustands.

Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten mit der Möglichkeit der wechselnden Körperausgangslage in geschlossenen Räumen täglich sechs Stunden mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und am Fließband. Hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden keine Beschränkungen.

Der Kläger hat insoweit geltend gemacht, seit einer Gallenoperation im Juni 2007 habe er schnell und sehr häufig in kürzesten Abständen sehr weichen Stuhlgang. Er könne deswegen nicht mehr richtig am öffentlichen Leben teilnehmen. Weitere Befundberichte von Dr. R. (Visus R = 0,3, L: Handbewegungen; Gesichtsfeldseinschränkung) und des Orthopäden Dr. E. wurden vorgelegt.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu hat Dr. W. erklärt, der augenärztliche Befundbericht bestätige eine Kurz- und Weitsichtigkeit bei Astigmatismus mit Farbsinnstörung, Schielen und konzentrischer Gesichtsfeldseinschränkung rechtsseitig. Nach Angaben des Klägers sei diesem noch das Fahren eines Pkws 20 bis 30 km möglich. Bei funktioneller Einäugigkeit seien ebenfalls vollschichtige Arbeiten am PC nicht mehr zumutbar. Auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten müssten entfallen. Die vorgelegten orthopädischen Befundberichte führten zu keiner anderen sozialmedizinischen Bewertung. Ein Postcholezystektomiesyndrom nach Entfernung der Gallenblase mit Durchfallneigung bedinge keine wesentliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Der Kläger könne leichte Arbeiten aus wechselnder Ausgangslage täglich 6 Stunden verrichten.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat das SG ein nervenärztliches Gutachten von Professor Dr. S. vom 24. Juni 2010 eingeholt. Dieser hat beim Kläger multiple Bandscheibenprotrusionen und Bandscheibenvorfälle der unteren HWS und LWS mit Nervenwurzelkanaleinengung und exakt zuortbaren klinischen, sensomotorischen Nervenwurzeldefiziten, cervikaler Spinalkanalstenose, leichtgradigen degenerativen Gelenkveränderungen (z.B. Schultergelenke), kardiovaskuläre Risikofaktoren (medikamentös eingestellter Bluthochdruck mit Linksherzvergrößerung ohne Herzinsuffizienzzeichen), Zustand nach Cholezystektomie, pneumologisch hyperreagibles Bronchialsystem und latente Bronchialobstruktion, funktionelle Einäugigkeit, Verlust sämtlicher Zähne im Oberkiefer und Mehrzahl der Unterkieferzähne mit vollprothetischer Versorgung und behinderter Nahrungsaufnahme, Anpassungsstörung mit funktionellen und psychosomatischen Verhaltenskomponenten, Verdacht auf diffuse Hirnleistungsschwäche bei Verdacht auf beginnende dementielle Entwicklung, ungeklärt, eventuell vaskulär bei Arteriosklerose der hirnversorgenden Halsgefäße, festgestellt. Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit November 2006 verschlimmert durch die Erkrankungsprogredienz auf orthopädisch-neurologischem Fachgebiet bzw. der Wirbelsäulenstörungen mit sensomotorischen Defiziten. Auch hätten sich die psychischen Beeinträchtigungen verschlechtert. Der Kläger könne ab dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung (17. März 2010) nur noch Arbeiten von weniger als drei Stunden täglich verrichten. Die Annahme einer rückdatierten Verschlimmerung komme aufgrund fehlender Befundlage nicht infrage.

Der Kläger hat hierzu ausgeführt, er sei bereits seit Antragstellung erwerbsgemindert. Mit Teilabhilfebescheid vom 19. November 2004 sei ihm eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Zeit gewährt worden. Der neue Rentenantrag sei demnach ebenfalls als Antrag auf Rente auch wegen Berufsunfähigkeit auszulegen gewesen. Einen Verweisungsberuf habe die Beklagte jedoch bis heute nicht benannt. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass aufgrund des Bescheids vom 29. Oktober 2009 dem Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem Rentenbeginn ab 1. Januar 2010 gezahlt werde. Nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters sei der Wechsel in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Mai 2011 abgewiesen. Bis zur Untersuchung bei Professor Dr. S. am 17. März 2010 sei der Kläger noch in der Lage gewesen, leichte Arbeiten aus wechselnder Ausgangslage sechs Stunden täglich zu verrichten. Erst ab diesem Zeitpunkt sei von einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers auszugehen. Die Ausführungen des Klägers zur Notwendigkeit, einen Verweisungsberuf zu benennen, seien nicht nachvollziehbar. Der Kläger beziehe seit 1. April 2007 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Senat hat den Beteiligten eine berufskundliche Stellungnahme des LAA Hessen vom 19. Oktober 2010 übersandt mit dem Hinweis, dass hilfsweise eine Verweisung des Klägers auf Tätigkeiten als Pförtner und Parkhauswächter in Betracht komme.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 11. Mai 2011 und des Bescheides der Beklagten vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. April 2004 bis 31.12.2009 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2008 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI anstelle der bisher bezogenen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI zu.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers bis zum 17. März 2010 zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert war, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt erst ab diesem Zeitpunkt vor. Aufgrund der bindenden Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Januar 2010 kommt eine Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung dann aber nicht mehr in Betracht, da gemäß § 34 Abs. 4 SGB VI ein Wechsel in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach bindender Bewilligung einer Altersrente ausgeschlossen ist. Bis zum 16. März 2010 konnte der Kläger nach dem übereinstimmenden Votum sämtlicher Gerichtssachverständiger jedoch noch sechs Stunden täglich und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten verrichten.

Ausweislich der Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr. W. bei der Untersuchung des Klägers am 9. Juli 2009 standen damals beim Kläger Oberbauchbeschwerden mit imperativem Stuhldrang sowie das chronische Wirbelsäulensyndrom im Vordergrund. Nach den Ausführungen von Dr. W. wurde der Kläger wegen einer florierenden Gallenblasenentzündung im Jahr 2007 operiert. Es zeigte sich eine reizlose Laparoskopienarbe. Pathologische Resistenzen waren nicht tastbar. Der Kläger sei bei altersentsprechendem Allgemeinzustand in einem regelgerechten Ernährungs- und Kräftezustand. Aus den vom SG beigezogenen Befundberichten ergäben sich keine Angaben über weitere Gesundheitsstörungen von Seiten des Intestinaltrakts. Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens oder qualitative Leistungseinschränkungen lassen sich aus diesen wohl durch Intoleranzreaktionen (Beschwerden treten morgens nach Verzehr von Joghurt und Müsli auf) hervorgerufenen Störungen nach den Feststellungen von Dr. W. nicht ableiten. Im Übrigen leidet der Kläger auf internistischem Fachgebiet unter einem medikamentös eingestellten arteriellen Hypertonus mit diastolischer linksventrikulärer Funktionsstörung. Eine weitere Herzleistungsminderung konnte Dr. W. beim Kläger jedoch ebenso wenig wie eine manifeste Atemwegsobstruktion bei nur grenzwertig eingeschränkter totaler Lungenkapazität positivieren.

Bei der Untersuchung des Bewegungsapparates des Klägers zeigte sich bei aufrechter Haltung im Stehen ein Schulter- und Beckengeradstand. Die Wirbelsäule wies nur eine mäßig hohlrunde Fehlstatik auf. Der paravertebrale Muskeltonus war elastisch. Die weitere Funktionsprüfung durch Dr. W. erwies sich als schwierig, da der Kläger erheblich willkürlich gegenspannte. Aus den vorliegenden radiologischen und kernspintomographischen Untersuchungsbefunden geht jedoch hervor, dass beim Kläger keine schweren Bandscheibendegenerationen mit Instabilitätsproblemen oder der Ausbildung kompletter knöcherner Spinalkanalstenosen vorlagen. Zwar ist die Annahme von Belastungsbeschwerden und wiederkehrenden Nervenwurzelreizzuständen berechtigt. Dies führt jedoch nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. W. nur zum Ausschluss von körperlich schweren Arbeiten. Weitergehende quantitative Einschränkungen lassen sich bei unauffälligem neurologisch orientierendem Status, kräftiger Bemuskelung beider Beine und normaler Fußsohlenbeschwielung nach Überzeugung des Senats nicht begründen. Im Bereich der Halswirbelsäule liegen beim Kläger zwar deutliche Bandscheibendegenerationen vor. Eine linksbetonte Beschwerdesymptomatik im Bereich der Arme bestand jedoch nicht. Auch die Handbinnenmuskulatur war bei kräftigem Faustschluss regelgerecht ausgebildet. Die kernspintomographisch diagnostizierten Bandscheibenveränderungen haben damit - angesichts der kernspintomographisch erkennbaren Veränderungen auch erwartbar - kein eindeutiges Korrelat mit segmentaler Zuortbarkeit im Bereich der oberen Extremitäten.

Aus der funktionellen Einäugigkeit des Klägers bei Sehminderung auf dem rechten Auge resultiert nach der Einschätzung von Dr. W. allein der Ausschluss von vollschichtigen Arbeiten am PC sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben gegenüber Dr. W. trotz der Gesundheitsstörungen an den Augen noch in der Lage, ein Kfz zu führen. Auch Professor Dr. S. hat seine Einschätzung des quantitativ geminderten Leistungsvermögens nicht auf die - grundsätzlich schon seit der Kindheit des Klägers vorliegende - massive Reduzierung der Sehfähigkeit auf dem linken Auge zurückgeführt, sondern auf Verschlechterungen der Gesundheitsstörungen auf orthopädisch-neurologisch-psychiatrischem Gebiet.

Der Senat ist daher in Übereinstimmung mit allen Sachverständigen davon überzeugt, dass eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor dem 17. März 2010 nicht vorliegt.

Dessen ungeachtet wäre ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn beim Kläger eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorläge und ihm keine Tätigkeit benannt werden könnte, die er trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).

Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (KassKomm-Gürtner, § 43 SGB VI Rn. 47).

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen mit der Pflicht der Benennung einer konkreten Tätigkeit ist aber dann zu verneinen, wenn sich bereits Arbeitsfelder bezeichnen lassen, die der Versicherte mit seinen Einschränkungen noch verrichten kann. Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (KassKomm-Niesel § 240 SGB VI Rdn. 117, BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 57/96, in juris).

Nach den für den Senat nachvollziehbaren Feststellungen von Dr. W. war der Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten mit der Möglichkeit der wechselnden Körperausgangslage in geschlossenen Räumen zu verrichten. Zu vermeiden waren das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und am Fließband und vollschichtige Tätigkeiten am PC. Ungewöhnlich ist hieran nur der durch die Erkrankungen an den Augen bedingte Ausschluss vollschichtiger Tätigkeiten am PC. Es liegt damit aber keine Summierung solcher ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zu einer Benennung von Verweisungstätigkeiten zwingen würden. Auch kann der Senat nicht erkennen, dass in dem Ausschluss vollschichtiger Tätigkeiten am PC eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen würde. Eine Verweisungstätigkeit ist damit nicht zu benennen.

Selbst wenn eine solche zu benennen wäre, ist der Kläger nach Auffassung des Senats aber bis 16. März 2010 jedenfalls in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als Pförtner sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Das Anforderungsprofil der Tätigkeit eines Pförtners ist sowohl mit dem gesundheitlichen als mit dem fachlichen Leistungsvermögen des Klägers vereinbar. Hinsichtlich des Anforderungsprofils dieser Tätigkeit kommt es entscheidend auf eine typisierende Arbeitsplatzbeschreibung über den tatsächlichen Umfang der Anforderungen sowie den Arbeitsablauf und typische Belastungssituationen an (KassKomm § 240 SGB VI Rn. 87).

Nach den Ausführungen des LAA Hessen vom 19. Oktober 2010 kontrollieren Pförtner in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen den Zugang zu Gebäuden oder Betriebsgeländen. Sie sind erste Ansprechpartner für Besucher. Je nach Art des Betriebes oder der Behörde haben sie unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte. Sie überwachen zeitliche bzw. örtliche Zugangsberechtigungen. Sie kontrollieren Werksausweise, stellen Besucherkarten/Passierscheine für Besucher aus und melden diese bei der zuständigen Stelle an. Zu ihren Aufgaben gehören teilweise auch das Aushändigen von Formularen, das Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen. Auch die Kontrolle des Kfz- und Warenverkehrs gehört in manchen Betrieben zu ihrer Tätigkeit. Darüber hinaus können auch einfache Bürotätigkeiten, die Postverteilung im Betrieb sowie Telefondienste zu ihren Aufgaben gehören. Es handelt sich hierbei meist um eine körperlich leichtere Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich.

Die so beschriebene Tätigkeit eines Pförtners konnte der Kläger bis 16. März 2010 trotz der bei ihm vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden verrichten. Bei der Tätigkeit als Pförtners handelt sich um leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, die in geschlossenen Räumen verrichtet werden. Das regelmäßige Heben und Tragen von Gegenständen fallen bei der Überwachung von zeitlichen oder örtlichen Zugangsberechtigungen und dem Kontrollieren von Werksausweisen nicht an. Auch das gelegentliche Bedienen eines Computers ist für den Kläger zumutbar. Dr. W. hat nur vollschichtige Tätigkeiten am PC ausgeschlossen. Der Kläger war also durchaus in der Lage, eine Besucherkarte für Besucher auszustellen oder Formulare auszuhändigen, Besucher anzumelden oder Telefondienste zu übernehmen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsamtes Hessen gibt es auch hinreichend viele Pförtnerstellen in der Bundesrepublik Deutschland.

Darüber hinaus kommt die Tätigkeit eines Parkhauswächters in Betracht. Nach der berufskundlichen Stellungnahme des LAA Hessen sind Parkhauswächter zum Beispiel in Parkhäusern von Bahnhöfen, Flughäfen, Kaufhäusern oder Betreiberfirmen beschäftigt. Ihnen obliegen u.a. das regelmäßige Kontrollieren des Parkhauses zu Fuß, die Sicherheitsüberwachung der Parkdecks über Monitore oder Überwachung sonstiger sicherheitsrelevanter elektronischer und technischer Einrichtungen, das Kassieren der Parkgebühren und die Überwachung der Öffnungszeiten. Im Kundengespräch erklären sie beispielsweise die Bedienung der Kassenautomaten oder erteilen Auskünfte, nehmen Mängelmeldungen entgegen und leiten diese weiter. Es handelt sich im Allgemeinen um körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend in geschlossenen Räumen, zum Teil auch im Freien (zum Beispiel bei Kontrollgängen). Die Ausübung der Tätigkeit erfolgt im Wechselrhythmus zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Zum Teil wird im Schichtdienst (Wechsel-, Nachtschicht) gearbeitet.

Dieses Anforderungsprofil ist nach Auffassung des Senats mit dem Leistungsvermögen des Klägers vereinbar. Insbesondere fallen bei dieser Tätigkeit Hebe- und Tragearbeiten nicht an. Das Gehvermögen des Klägers ist nicht beeinträchtigt. Teilweise werden diese Kontrollgänge zwar im Freien verrichtet. Dies ist dem Kläger aber nach Auffassung des Senats ebenfalls noch zumutbar. Dr. W. hatte zwar - ohne nähere Begründung - festgestellt, dass der Kläger nur noch leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen verrichten könne. Insoweit ist aber darauf zu verweisen, dass die Tätigkeit als Parkhauswächter überwiegend in geschlossenen Räumen verrichtet wird. Es fallen also nur vereinzelt Kontrollgänge im Freien an. Da dem Kläger nach den Feststellungen von Dr. W. auch der Anmarschweg zur Arbeitsstätte uneingeschränkt möglich ist, sieht der Senat keinen durchgreifenden Grund, warum ihm gelegentliche Kontrollgänge im Freien nicht möglich gewesen sein sollten.

Auch für die Tätigkeit als Parkhauswächter stehen nach der berufskundlichen Stellungnahme des LAA Hessen hinreichend Arbeitsstellen im Bundesgebiet zur Verfügung. Es handelt sich hierbei ebenfalls nicht um Schonarbeitsplätze. Eine Anlernung bzw. Einweisung von maximal 3 Monaten ist ausreichend.

Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus. Zur Einholung weiterer Gutachten oder Befundberichte fühlt sich der Senat nicht gedrängt. Das SG hat bereits umfangreich Befundberichte beigezogen. Streitig ist auch nur noch ein Zeitraum in der Vergangenheit; aufgrund des Gutachtens von Professor Dr. S. steht darüber hinaus ohnehin fest, dass der Kläger ab 17. März 2010 voll erwerbsgemindert ist.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved