Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 P 125/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 81/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Erforderlichkeit eines zeitlichen Zusammenhangs des Tragens von Orthesen mit Katalogverrichtungen "Aufstehen", Zu-Bett-Gehen" oder "Gehen".
2. Dient das Tragen von Orthesen nur einer angestrebten Verbesserung des Gangbildes und konnte die Versicherte ohne Orthesen selbstständig gehen, scheidet eine Berücksichtigung im Rahmen der Pflegeversicherung aus.
2. Dient das Tragen von Orthesen nur einer angestrebten Verbesserung des Gangbildes und konnte die Versicherte ohne Orthesen selbstständig gehen, scheidet eine Berücksichtigung im Rahmen der Pflegeversicherung aus.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. Juni 2010 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II statt I für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007.
Bei der 1990 geborenen Klägerin besteht ein Zustand nach frühkindlichem Schädelhirntrauma und mentaler Retardierung - spastische Diparese nach Schädelhirntrauma im Stadium 6 - 7. Mit Bescheid vom 28. April 2005 gewährte die Beklagte Pflegegeld in der Pflegestufe I ab 1. Februar 2005. Zuvor war die Klägerin bis 31. Januar 2005 über die S. BKK pflegeversichert. Diese hatte ab 1. April 2004 die Pflegestufe von II auf I abgesenkt. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 19 P 146/05) hatte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2006 zurückgenommen, nachdem sich die Beteiligten in einem außergerichtlichen Vergleich vom 29. September 2006 auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 3. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2005 und die Zahlung von
1.667,33 EUR für den Zeitraum von April 2004 bis Januar 2005 geeinigt hatten.
Mit einer weiteren Klage beim Sozialgericht München hatte die Klägerin die Feststellung begehrt, dass "das Schreiben der Beklagten vom 28. April 2005" die Einstufung in die Pflegestufe 2 nicht geändert habe und sie weiterhin Leistungen nach der Pflegestufe beziehe. Ferner hatte sie einen Anspruch auf Nachzahlung von Pflegegeld für die Zeit ab
1. April 2005 in Höhe von 4.626,17 EUR beantragt (Az.: S 19 P 6/07). Die Beteiligten hatten zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, wonach sich die Beklagte verpflichtet hatte, über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Pflegegeld der Pflegestufe II für den Zeitraum ab 1. Februar 2005 neu zu entscheiden. Mit Beschluss vom 28. September 2007 hatte das Sozialgericht den gerichtlichen Vergleich festgestellt.
Die Beklagte holte in Ausführung des Vergleichs ein Gutachten des MDK vom 20. November 2007 nach Hausbesuch ein. Pflegerelevant seien ein Zustand nach frühkindlichem Schädel-Hirn-Trauma mit rückläufiger Tetraparese sowie eine mentale Retardierung im Bereich der geistigen Behinderung. Es bestehe ein zeitlicher Hilfebedarf für die Grundpflege in Höhe von 89 Minuten (Körperpflege 26 Minuten, Ernährung 13 Minuten, Mobilität 50 Minuten). Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung setzte der MDK
25 Minuten täglich an. Der Bedarf für Hauswirtschaft betrage 45 Minuten. Gegenüber dem letzten MDK-Gutachten vom 13. Juli 2004, das auf 88 Minuten Grundpflegeaufwand kam, liege somit nur eine ganz geringe Steigerung des Hilfebedarfs vor. Eine Analyse des Pflegeaufwands von 2004 bis 2007 ergebe keine neuen Aspekte, die rückwirkend eine höhere Pflegestufe plausibel machen würden.
Mit Bescheid vom 27. November 2007 setzte die Beklagte für die Zeit ab 1. Februar 2005 die Pflegestufe I fest.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK nach Aktenlage vom 9. Januar 2008 ein, der an seiner Einschätzung festhielt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2008 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht München hat die Klägerin zunächst Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II ab 1. Februar 2005 bis mindestens zum 31. Dezember 2006, zuletzt in der Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 beantragt. Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte und Befunde beigezogen. Die Beklagte ließ diese durch den MDK am 13. Oktober 2008 auswerten; im Zeitraum von 2004 bis 2007 habe die Klägerin eine Entwicklung zur größeren Selbstständigkeit durchgemacht, auch wenn dies nicht dem Entwicklungsstand eines gleichaltrigen gesunden Kindes entspreche. Es verbleibe bei der Einstufung in die Pflegestufe I.
Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte, u.a. des Kinderzentrums A-Stadt vom 10. Dezember 2008 sowie des Behandlungszentrums A. vom 28. November 2008, eingeholt. Die Klägerin hat ferner eine Auflistung der Behandlungstage im Zeitraum von Juni 2005 bis Oktober 2007 übersandt. Ferner hat das Gericht ein Gutachten der Ärztin Dr. D. vom 27. Mai 2009 eingeholt. Bei der Beurteilung des Grundpflegebedarfs sei zu unterscheiden zwischen Zeiten ohne Tragen von Orthesen (1. Februar 2005 bis 30. September 2005) und Zeiten mit Tragen von Orthesen (1. Oktober 2005 bis Ende Oktober 2007). In ersterem Zeitraum betrage der Hilfebedarf 106 bis 109 Minuten (Körperpflege 50 Minuten, Ernährung 15 Minuten, Mobilität zwischen 41 und 44 Minuten), für den Zeitraum von Oktober 2005 bis Oktober 2007 insgesamt 129 Minuten (50/15/64). Die Orthesen seien nachmittags nach der Schule für mehrere Stunden getragen worden. Dabei hat die Sachverständige für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung in letzterem Zeitraum keine Zeiten angesetzt, da wöchentliche Therapien nicht nachweisbar seien, für ersteren Zeitraum 18 bis 21 Minuten wegen regelmäßiger Krankengymnastik nach Bobath.
Der MDK hat in einer Stellungnahme vom 26. Juni 2009 die Ansicht vertreten, dass für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung insgesamt keine Zeiten anzusetzen seien, da es sich um Petö-Therapien und somit um eine nicht wissenschaftlich begründete Methode gehandelt habe. Beim Anlegen bzw. Ablegen der Orthesen sei ein Ansatz von 40 Minuten täglich nicht nachvollziehbar. Anzusetzen seien acht bis zehn Minuten für das Anziehen und drei bis fünf Minuten für das Ausziehen.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2009 hat die Sachverständige das An- und Ausziehen der Orthesen mit Quiringelenk geschildert. Der angerechnete Hilfebedarf von 20 Minuten für das An- und Ablegen der Orthesen sei nicht zu weit gefasst.
Mit Urteil vom 30. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 verurteilt, der Klägerin gesetzliche Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe II ab 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 zu gewähren. Die Kammer hat sich vollinhaltlich auf das Gutachten der Dr. D. gestützt. Das Anlegen der Orthese diene der Mobilität "Gehen". Erst dadurch werde die Klägerin in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können. Es liege deshalb die Unmittelbarkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor.
Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte vorgetragen, dass das Tragen der Orthesen eine therapeutische Maßnahme darstelle. Die Klägerin sei auch ohne Orthesen fähig gewesen, selbstständig und ohne Hilfeleistung zu gehen. Die Orthesen dienten allein der Korrektur der Einwärtsdrehung der Beine (Bericht der orthopädischen Kinderklinik A. vom 4. Oktober 2005). Durch das Anlegen der Orthese werde sie gerade nicht in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können. Außerdem sei ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit einer Katalogverrichtung, insbesondere dem An- und Ausziehen, nicht erkennbar. Das An- und Ablegen erfolge nicht beim üblicherweise im Tagesablauf anfallenden An- und Ausziehen von Kleidung.
Demgegenüber hat die Klägerin ausgeführt, dass die Orthesen sie bei der Katalogverrichtung des Gehens unterstützten. Durch die Orthesen erlange sie Unterstützung und Verbesserung beim Gehen, Treppensteigen und Bewegungsablauf, da sie der Innenrotation der Beine entgegen wirkten.
Der MDK hat in einer Stellungnahme dargelegt, dass die Orthesen nicht erforderlich gewesen seien, um Gehen zu können, sondern lediglich therapeutischen Zwecken dienten. Ziel sei die Verbesserung des Gangbildes in der Zukunft gewesen und habe der Vorbereitung einer operativen Intervention gedient, die im weiteren Verlauf jedoch nicht durchgeführt worden sei.
In einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 5. Oktober 2011 hat die Betreuerin den Tagesablauf hinsichtlich der Orthesen geschildert. Sie seien zweimal am Tag angelegt worden, einmal nach der Schule, einmal abends bis zum Schlafen gehen. Die Entscheidung des BSG vom 30. Dezember 2001 (Az.: B 3 KR 2/01 R) ist mit den Beteiligten erörtert worden. Soweit das zweite Anlegen der Orthesen in zeitlichem Zusammenhang mit dem Schlafen gehen steht, erschienen die von der Sachverständigen angenommenen 20 Minuten vertretbar. Es ergebe sich damit ein Grundpflegebedarf von
109 Minuten. Auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung wird verwiesen.
Da die Betreuerin auf fehlende Berücksichtigung von Zeiten für Arzt- und Therapiebesuche in dem streitigen Zeitraum hingewiesen hat, hat das Gericht den Rechtsstreit vertagt und Auskünfte von den behandelnden Ärzten in dem Zeitraum von Oktober 2005 bis Oktober 2007 über die Behandlungsdaten eingeholt:
Der Dr. E. hat angegeben, dass Behandlungen am 11.10.2005, 31.01.2006, 17.10.2006, 09.11.2006, 26.01.2007, 10.10.2007 und 22.10.2007 stattgefunden hätten. Nach Auskunft des Klinikums I. vom 19.10.2011 hat die Behandlung im Klinikum im Jahre 2004 geendet. Die Kieferorthopädin Dr. H. hat angegeben, dass die Behandlung am 19. Mai 2008 beendet worden sei. In zahnärztlicher Behandlung bei Dr. B. ist die Klägerin am 9. Januar und 15. Mai 2006 sowie am 15. Januar und 15. Oktober 2007 gewesen. Der Hautarzt Dr. S. hat über ärztliche Behandlungen vom 4. und 11. Juni 2007 berichtet. Eine internistische Behandlung ist durch
Dr. B. am 15. Mai 2007 bescheinigt. Das Kinderzentrum A-Stadt hat ergänzend mit Schreiben vom 23. März 2012 mitgeteilt, dass am 18. März 2005 ein Probetermin für eine beabsichtigte Gangschulung stattgefunden habe, die aber dann nicht stattgefunden habe.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass kein regelmäßig anfallender Pflegebedarf hinsichtlich des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung gegeben sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. Juni 2010 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 abzuweisen.
Die Betreuerin der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung der Pflegestufe II statt I für den streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 zu.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4
SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen:
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung;
3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Sozialgericht stützte sich in seiner Entscheidung auf das Gutachten der Dr. D. vom 27. Mai 2009 sowie auf deren ergänzende Stellungnahme vom 11. September 2009. Das Gutachten ist in der Befunderhebung und Bewertung grundsätzlich schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend. Auch seitens der Beteiligten erfolgt insoweit keine Beanstandung.
Streitig ist lediglich, ob rechtlich zutreffend ein zeitlicher Aufwand von zweimal 20 Minuten täglich für das An- und Ablegen von Orthesen angesetzt wurde. Wie die Betreuerin der Klägerin schilderte, wurden die Orthesen zweimal am Tag - einmal nach der Schule und einmal am Abend unmittelbar vor dem Schlafengehen - angelegt. Das An- und Ablegen von Orthesen kann grundsätzlich nur dann im Rahmen der Pflegeversicherung berücksichtigt werden, wenn es im Zusammenhang mit einer grundpflegerischen Maßnahme wie insbesondere dem üblichen An- oder Ausziehen steht. Dies bekräftigte das BSG ausdrücklich in der Entscheidung vom 30. Dezember 2001 (Az.: B 3 KR 2/01 R). Mit Einfügen von § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB XI mit Wirkung zum 1. April 2007 durch das Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378) hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG zur verrichtungsbezogenen Behandlungspflege aufgegriffen. Der zeitliche Bedarf für das An- und Ablegen der Orthesen wäre zu berücksichtigen, wenn es sich um eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege gehandelt hat. Für den Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege ist nach der Rechtsprechung des BSG eine gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtung und medizinischer Hilfeleistung erforderlich. Dabei ist es ausreichend, dass medizinische Gründe dafür sprechen, das An- und Ausziehen (hier von Stützstrümpfen zumindest der Kompressionsklassen II und III) zusammen mit dem An- und Auskleiden im zeitlichen Zusammenhang mit der Verrichtung "Aufstehen" und "Zu-Bett-Gehen" durchzuführen. Nicht ausreichend ist entgegen der Ansicht der Klägerin, dass für das Anlegen der Orthesen ein teilweises Ent- und wieder Ankleiden erforderlich ist.
Vorliegend ist nach der Schilderung des Tagesablaufs allenfalls das An- und Ablegen am Abend im Zusammenhang mit einer Grundpflege, nämlich dem abendlichen Zu-Bett-Gehen zu sehen. Dabei lässt der Senat offen, ob hier eine ausreichende Erforderlichkeit des Zusammenhangs mit einer Grundpflege anzunehmen ist, da das relative kurze Tragen der Orthesen auch zu jeder anderen Tageszeit möglich war. Das Tragen der Orthese am Nachmittag nach der Schule steht jedenfalls auch tatsächlich nicht im zeitlichen Zusammenhang mit einer derartigen Grundpflege, so dass diese Zeiten nicht berücksichtigungsfähig sind. Dies hat zur Folge, dass sich - bei Berücksichtigung des Tragens der Orthesen am Abend, selbst unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs für das Anlegen der Orthese - der von der Sachverständigen ermittelte Grundpflegebedarf von 129 Minuten auf 109 Minuten reduziert und somit die Voraussetzungen der Pflegestufe II nicht erreicht sind. Die zeitliche Dauer von jeweils 10 Minuten für das An- und Ablegen ist dabei aufgrund der ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen zu den speziellen Orthesen allerdings nachvollziehbar. Insoweit ist auch nach den Begutachtungs-Richtlinien (Punkt D 4.3 Nr. 11 der Begutachtungsrichtlinie) beim An- und Ablegen von Orthesen der Zeitaufwand individuell zu messen.
Soweit das Sozialgericht einen erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit der Verrichtung Gehen gesehen hat, ist dies vorliegend nicht zutreffend. Das Tragen der Orthesen diente therapeutischen Zwecken, nämlich der Verbesserung der Innenrotation und der Vorbereitung einer operativen Intervention. Ohne Orthese war die Klägerin gut gehfähig, worauf der MDK unter Bezugnahme auf den Arztbericht der Orthopädischen Klinik A. hingewiesen hat. Eine Gehbehinderung mit Unterstützungsaufwand durch eine Pflegeperson ergab sich erst durch das Tragen der Orthesen. Dies wird auch aus dem Gutachten der Dr. D. deutlich, die für Zeiten ohne Orthesen keinen Hilfebedarf beim Gehen angenommen hat. Deshalb konnte die Klägerin auch die Schule ohne angelegte Orthese besuchen. Das Gehen war zwar eingeschränkt, aber selbstständig möglich. Nur für Zeiten des Tragens der Orthesen bestand ein Hilfebedarf bei angelegter Orthese, da die Klägerin dann nur sehr kleine Schritte mit Begleitung machen konnte. Hierfür setzte die Sachverständige sechs Minuten zeitlichen Hilfebedarf täglich an. Im Hinblick auf den erforderlichen Hilfebedarf in der Grundpflege war somit das Tragen von Orthesen nicht notwendig. Es diente auch lediglich einer angestrebten Verbesserung des Gangbildes. Entgegen der Darlegung des Sozialgerichts wurde die Klägerin durch das Anlegen der Orthesen gerade nicht in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können.
Die Voraussetzungen der Pflegestufe II wären nur erfüllt, wenn auch für diesen Zeitraum Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von wenigstens 11 Minuten anzusetzen wären. Dies erfordert gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI eine Regelmäßigkeit, d.h. die Verrichtung muss zumindest einmal pro Woche anfallen (vgl. auch Udsching, SGB XI, § 14 Rdnr. 24). Dies gilt auch für die Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung". Zutreffend hat die Sachverständige unter Auswertung der vorliegenden Akten dargelegt, dass in dem streitigen Zeitraum eine derartige Regelmäßigkeit nicht vorliegt. Dies belegt auch die Auflistung der Betreuerin, die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurde. Danach bestehen deutliche Lücken bei den Behandlungsterminen, so z.B. im Dezember 2005, März bis Oktober 2006, Dezember 2006 oder März bis September 2007. Auch aufgrund der vom Senat noch ergänzend durchgeführten Ermittlungen sowie nach den von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen ergaben sich keine wesentlichen Änderungen gegenüber dieser Auflistung. Zeiten ohne Behandlung bzw. mit nicht wöchentlichen Arzt- oder Therapeutenbesuchen finden sich weiterhin insbesondere in den oben genannten Monaten. Auch die von der Klägerin angeführte Gangschulung im Kinderzentrum A-Stadt wurde nicht durchgeführt, wie das Kinderzentrum zuletzt mitteilte. Nach dem Befundbericht des Kinderzentrums A-Stadt vom 10. Dezember 2008 endete die Behandlung dort im Wesentlichen am 29. Dezember 2004. Im Behandlungszentrum A. fand die letzte Behandlung gemäß Befundbericht vom 28. November 2008 am 30. September 2005 statt.
Der Senat kann daher offenlassen, ob hierbei alle durchgeführten Therapien bei der Pflegeversicherung zu berücksichtigen sind.
Die Voraussetzungen der Pflegestufe II liegen somit in dem streitigen Zeitraum nicht vor. Das Urteil des Sozialgerichts war deshalb aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II statt I für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007.
Bei der 1990 geborenen Klägerin besteht ein Zustand nach frühkindlichem Schädelhirntrauma und mentaler Retardierung - spastische Diparese nach Schädelhirntrauma im Stadium 6 - 7. Mit Bescheid vom 28. April 2005 gewährte die Beklagte Pflegegeld in der Pflegestufe I ab 1. Februar 2005. Zuvor war die Klägerin bis 31. Januar 2005 über die S. BKK pflegeversichert. Diese hatte ab 1. April 2004 die Pflegestufe von II auf I abgesenkt. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht München (Az.: S 19 P 146/05) hatte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2006 zurückgenommen, nachdem sich die Beteiligten in einem außergerichtlichen Vergleich vom 29. September 2006 auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 3. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2005 und die Zahlung von
1.667,33 EUR für den Zeitraum von April 2004 bis Januar 2005 geeinigt hatten.
Mit einer weiteren Klage beim Sozialgericht München hatte die Klägerin die Feststellung begehrt, dass "das Schreiben der Beklagten vom 28. April 2005" die Einstufung in die Pflegestufe 2 nicht geändert habe und sie weiterhin Leistungen nach der Pflegestufe beziehe. Ferner hatte sie einen Anspruch auf Nachzahlung von Pflegegeld für die Zeit ab
1. April 2005 in Höhe von 4.626,17 EUR beantragt (Az.: S 19 P 6/07). Die Beteiligten hatten zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, wonach sich die Beklagte verpflichtet hatte, über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Pflegegeld der Pflegestufe II für den Zeitraum ab 1. Februar 2005 neu zu entscheiden. Mit Beschluss vom 28. September 2007 hatte das Sozialgericht den gerichtlichen Vergleich festgestellt.
Die Beklagte holte in Ausführung des Vergleichs ein Gutachten des MDK vom 20. November 2007 nach Hausbesuch ein. Pflegerelevant seien ein Zustand nach frühkindlichem Schädel-Hirn-Trauma mit rückläufiger Tetraparese sowie eine mentale Retardierung im Bereich der geistigen Behinderung. Es bestehe ein zeitlicher Hilfebedarf für die Grundpflege in Höhe von 89 Minuten (Körperpflege 26 Minuten, Ernährung 13 Minuten, Mobilität 50 Minuten). Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung setzte der MDK
25 Minuten täglich an. Der Bedarf für Hauswirtschaft betrage 45 Minuten. Gegenüber dem letzten MDK-Gutachten vom 13. Juli 2004, das auf 88 Minuten Grundpflegeaufwand kam, liege somit nur eine ganz geringe Steigerung des Hilfebedarfs vor. Eine Analyse des Pflegeaufwands von 2004 bis 2007 ergebe keine neuen Aspekte, die rückwirkend eine höhere Pflegestufe plausibel machen würden.
Mit Bescheid vom 27. November 2007 setzte die Beklagte für die Zeit ab 1. Februar 2005 die Pflegestufe I fest.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK nach Aktenlage vom 9. Januar 2008 ein, der an seiner Einschätzung festhielt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2008 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht München hat die Klägerin zunächst Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II ab 1. Februar 2005 bis mindestens zum 31. Dezember 2006, zuletzt in der Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 beantragt. Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte und Befunde beigezogen. Die Beklagte ließ diese durch den MDK am 13. Oktober 2008 auswerten; im Zeitraum von 2004 bis 2007 habe die Klägerin eine Entwicklung zur größeren Selbstständigkeit durchgemacht, auch wenn dies nicht dem Entwicklungsstand eines gleichaltrigen gesunden Kindes entspreche. Es verbleibe bei der Einstufung in die Pflegestufe I.
Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte, u.a. des Kinderzentrums A-Stadt vom 10. Dezember 2008 sowie des Behandlungszentrums A. vom 28. November 2008, eingeholt. Die Klägerin hat ferner eine Auflistung der Behandlungstage im Zeitraum von Juni 2005 bis Oktober 2007 übersandt. Ferner hat das Gericht ein Gutachten der Ärztin Dr. D. vom 27. Mai 2009 eingeholt. Bei der Beurteilung des Grundpflegebedarfs sei zu unterscheiden zwischen Zeiten ohne Tragen von Orthesen (1. Februar 2005 bis 30. September 2005) und Zeiten mit Tragen von Orthesen (1. Oktober 2005 bis Ende Oktober 2007). In ersterem Zeitraum betrage der Hilfebedarf 106 bis 109 Minuten (Körperpflege 50 Minuten, Ernährung 15 Minuten, Mobilität zwischen 41 und 44 Minuten), für den Zeitraum von Oktober 2005 bis Oktober 2007 insgesamt 129 Minuten (50/15/64). Die Orthesen seien nachmittags nach der Schule für mehrere Stunden getragen worden. Dabei hat die Sachverständige für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung in letzterem Zeitraum keine Zeiten angesetzt, da wöchentliche Therapien nicht nachweisbar seien, für ersteren Zeitraum 18 bis 21 Minuten wegen regelmäßiger Krankengymnastik nach Bobath.
Der MDK hat in einer Stellungnahme vom 26. Juni 2009 die Ansicht vertreten, dass für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung insgesamt keine Zeiten anzusetzen seien, da es sich um Petö-Therapien und somit um eine nicht wissenschaftlich begründete Methode gehandelt habe. Beim Anlegen bzw. Ablegen der Orthesen sei ein Ansatz von 40 Minuten täglich nicht nachvollziehbar. Anzusetzen seien acht bis zehn Minuten für das Anziehen und drei bis fünf Minuten für das Ausziehen.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2009 hat die Sachverständige das An- und Ausziehen der Orthesen mit Quiringelenk geschildert. Der angerechnete Hilfebedarf von 20 Minuten für das An- und Ablegen der Orthesen sei nicht zu weit gefasst.
Mit Urteil vom 30. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 verurteilt, der Klägerin gesetzliche Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe II ab 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 zu gewähren. Die Kammer hat sich vollinhaltlich auf das Gutachten der Dr. D. gestützt. Das Anlegen der Orthese diene der Mobilität "Gehen". Erst dadurch werde die Klägerin in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können. Es liege deshalb die Unmittelbarkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor.
Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte vorgetragen, dass das Tragen der Orthesen eine therapeutische Maßnahme darstelle. Die Klägerin sei auch ohne Orthesen fähig gewesen, selbstständig und ohne Hilfeleistung zu gehen. Die Orthesen dienten allein der Korrektur der Einwärtsdrehung der Beine (Bericht der orthopädischen Kinderklinik A. vom 4. Oktober 2005). Durch das Anlegen der Orthese werde sie gerade nicht in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können. Außerdem sei ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit einer Katalogverrichtung, insbesondere dem An- und Ausziehen, nicht erkennbar. Das An- und Ablegen erfolge nicht beim üblicherweise im Tagesablauf anfallenden An- und Ausziehen von Kleidung.
Demgegenüber hat die Klägerin ausgeführt, dass die Orthesen sie bei der Katalogverrichtung des Gehens unterstützten. Durch die Orthesen erlange sie Unterstützung und Verbesserung beim Gehen, Treppensteigen und Bewegungsablauf, da sie der Innenrotation der Beine entgegen wirkten.
Der MDK hat in einer Stellungnahme dargelegt, dass die Orthesen nicht erforderlich gewesen seien, um Gehen zu können, sondern lediglich therapeutischen Zwecken dienten. Ziel sei die Verbesserung des Gangbildes in der Zukunft gewesen und habe der Vorbereitung einer operativen Intervention gedient, die im weiteren Verlauf jedoch nicht durchgeführt worden sei.
In einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 5. Oktober 2011 hat die Betreuerin den Tagesablauf hinsichtlich der Orthesen geschildert. Sie seien zweimal am Tag angelegt worden, einmal nach der Schule, einmal abends bis zum Schlafen gehen. Die Entscheidung des BSG vom 30. Dezember 2001 (Az.: B 3 KR 2/01 R) ist mit den Beteiligten erörtert worden. Soweit das zweite Anlegen der Orthesen in zeitlichem Zusammenhang mit dem Schlafen gehen steht, erschienen die von der Sachverständigen angenommenen 20 Minuten vertretbar. Es ergebe sich damit ein Grundpflegebedarf von
109 Minuten. Auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung wird verwiesen.
Da die Betreuerin auf fehlende Berücksichtigung von Zeiten für Arzt- und Therapiebesuche in dem streitigen Zeitraum hingewiesen hat, hat das Gericht den Rechtsstreit vertagt und Auskünfte von den behandelnden Ärzten in dem Zeitraum von Oktober 2005 bis Oktober 2007 über die Behandlungsdaten eingeholt:
Der Dr. E. hat angegeben, dass Behandlungen am 11.10.2005, 31.01.2006, 17.10.2006, 09.11.2006, 26.01.2007, 10.10.2007 und 22.10.2007 stattgefunden hätten. Nach Auskunft des Klinikums I. vom 19.10.2011 hat die Behandlung im Klinikum im Jahre 2004 geendet. Die Kieferorthopädin Dr. H. hat angegeben, dass die Behandlung am 19. Mai 2008 beendet worden sei. In zahnärztlicher Behandlung bei Dr. B. ist die Klägerin am 9. Januar und 15. Mai 2006 sowie am 15. Januar und 15. Oktober 2007 gewesen. Der Hautarzt Dr. S. hat über ärztliche Behandlungen vom 4. und 11. Juni 2007 berichtet. Eine internistische Behandlung ist durch
Dr. B. am 15. Mai 2007 bescheinigt. Das Kinderzentrum A-Stadt hat ergänzend mit Schreiben vom 23. März 2012 mitgeteilt, dass am 18. März 2005 ein Probetermin für eine beabsichtigte Gangschulung stattgefunden habe, die aber dann nicht stattgefunden habe.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass kein regelmäßig anfallender Pflegebedarf hinsichtlich des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung gegeben sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. Juni 2010 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 abzuweisen.
Die Betreuerin der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung der Pflegestufe II statt I für den streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2007 zu.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4
SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen:
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung;
3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Sozialgericht stützte sich in seiner Entscheidung auf das Gutachten der Dr. D. vom 27. Mai 2009 sowie auf deren ergänzende Stellungnahme vom 11. September 2009. Das Gutachten ist in der Befunderhebung und Bewertung grundsätzlich schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend. Auch seitens der Beteiligten erfolgt insoweit keine Beanstandung.
Streitig ist lediglich, ob rechtlich zutreffend ein zeitlicher Aufwand von zweimal 20 Minuten täglich für das An- und Ablegen von Orthesen angesetzt wurde. Wie die Betreuerin der Klägerin schilderte, wurden die Orthesen zweimal am Tag - einmal nach der Schule und einmal am Abend unmittelbar vor dem Schlafengehen - angelegt. Das An- und Ablegen von Orthesen kann grundsätzlich nur dann im Rahmen der Pflegeversicherung berücksichtigt werden, wenn es im Zusammenhang mit einer grundpflegerischen Maßnahme wie insbesondere dem üblichen An- oder Ausziehen steht. Dies bekräftigte das BSG ausdrücklich in der Entscheidung vom 30. Dezember 2001 (Az.: B 3 KR 2/01 R). Mit Einfügen von § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB XI mit Wirkung zum 1. April 2007 durch das Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378) hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG zur verrichtungsbezogenen Behandlungspflege aufgegriffen. Der zeitliche Bedarf für das An- und Ablegen der Orthesen wäre zu berücksichtigen, wenn es sich um eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege gehandelt hat. Für den Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege ist nach der Rechtsprechung des BSG eine gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtung und medizinischer Hilfeleistung erforderlich. Dabei ist es ausreichend, dass medizinische Gründe dafür sprechen, das An- und Ausziehen (hier von Stützstrümpfen zumindest der Kompressionsklassen II und III) zusammen mit dem An- und Auskleiden im zeitlichen Zusammenhang mit der Verrichtung "Aufstehen" und "Zu-Bett-Gehen" durchzuführen. Nicht ausreichend ist entgegen der Ansicht der Klägerin, dass für das Anlegen der Orthesen ein teilweises Ent- und wieder Ankleiden erforderlich ist.
Vorliegend ist nach der Schilderung des Tagesablaufs allenfalls das An- und Ablegen am Abend im Zusammenhang mit einer Grundpflege, nämlich dem abendlichen Zu-Bett-Gehen zu sehen. Dabei lässt der Senat offen, ob hier eine ausreichende Erforderlichkeit des Zusammenhangs mit einer Grundpflege anzunehmen ist, da das relative kurze Tragen der Orthesen auch zu jeder anderen Tageszeit möglich war. Das Tragen der Orthese am Nachmittag nach der Schule steht jedenfalls auch tatsächlich nicht im zeitlichen Zusammenhang mit einer derartigen Grundpflege, so dass diese Zeiten nicht berücksichtigungsfähig sind. Dies hat zur Folge, dass sich - bei Berücksichtigung des Tragens der Orthesen am Abend, selbst unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs für das Anlegen der Orthese - der von der Sachverständigen ermittelte Grundpflegebedarf von 129 Minuten auf 109 Minuten reduziert und somit die Voraussetzungen der Pflegestufe II nicht erreicht sind. Die zeitliche Dauer von jeweils 10 Minuten für das An- und Ablegen ist dabei aufgrund der ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen zu den speziellen Orthesen allerdings nachvollziehbar. Insoweit ist auch nach den Begutachtungs-Richtlinien (Punkt D 4.3 Nr. 11 der Begutachtungsrichtlinie) beim An- und Ablegen von Orthesen der Zeitaufwand individuell zu messen.
Soweit das Sozialgericht einen erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit der Verrichtung Gehen gesehen hat, ist dies vorliegend nicht zutreffend. Das Tragen der Orthesen diente therapeutischen Zwecken, nämlich der Verbesserung der Innenrotation und der Vorbereitung einer operativen Intervention. Ohne Orthese war die Klägerin gut gehfähig, worauf der MDK unter Bezugnahme auf den Arztbericht der Orthopädischen Klinik A. hingewiesen hat. Eine Gehbehinderung mit Unterstützungsaufwand durch eine Pflegeperson ergab sich erst durch das Tragen der Orthesen. Dies wird auch aus dem Gutachten der Dr. D. deutlich, die für Zeiten ohne Orthesen keinen Hilfebedarf beim Gehen angenommen hat. Deshalb konnte die Klägerin auch die Schule ohne angelegte Orthese besuchen. Das Gehen war zwar eingeschränkt, aber selbstständig möglich. Nur für Zeiten des Tragens der Orthesen bestand ein Hilfebedarf bei angelegter Orthese, da die Klägerin dann nur sehr kleine Schritte mit Begleitung machen konnte. Hierfür setzte die Sachverständige sechs Minuten zeitlichen Hilfebedarf täglich an. Im Hinblick auf den erforderlichen Hilfebedarf in der Grundpflege war somit das Tragen von Orthesen nicht notwendig. Es diente auch lediglich einer angestrebten Verbesserung des Gangbildes. Entgegen der Darlegung des Sozialgerichts wurde die Klägerin durch das Anlegen der Orthesen gerade nicht in die Lage versetzt, die Katalogverrichtung "Gehen" absolvieren zu können.
Die Voraussetzungen der Pflegestufe II wären nur erfüllt, wenn auch für diesen Zeitraum Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von wenigstens 11 Minuten anzusetzen wären. Dies erfordert gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI eine Regelmäßigkeit, d.h. die Verrichtung muss zumindest einmal pro Woche anfallen (vgl. auch Udsching, SGB XI, § 14 Rdnr. 24). Dies gilt auch für die Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung". Zutreffend hat die Sachverständige unter Auswertung der vorliegenden Akten dargelegt, dass in dem streitigen Zeitraum eine derartige Regelmäßigkeit nicht vorliegt. Dies belegt auch die Auflistung der Betreuerin, die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurde. Danach bestehen deutliche Lücken bei den Behandlungsterminen, so z.B. im Dezember 2005, März bis Oktober 2006, Dezember 2006 oder März bis September 2007. Auch aufgrund der vom Senat noch ergänzend durchgeführten Ermittlungen sowie nach den von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen ergaben sich keine wesentlichen Änderungen gegenüber dieser Auflistung. Zeiten ohne Behandlung bzw. mit nicht wöchentlichen Arzt- oder Therapeutenbesuchen finden sich weiterhin insbesondere in den oben genannten Monaten. Auch die von der Klägerin angeführte Gangschulung im Kinderzentrum A-Stadt wurde nicht durchgeführt, wie das Kinderzentrum zuletzt mitteilte. Nach dem Befundbericht des Kinderzentrums A-Stadt vom 10. Dezember 2008 endete die Behandlung dort im Wesentlichen am 29. Dezember 2004. Im Behandlungszentrum A. fand die letzte Behandlung gemäß Befundbericht vom 28. November 2008 am 30. September 2005 statt.
Der Senat kann daher offenlassen, ob hierbei alle durchgeführten Therapien bei der Pflegeversicherung zu berücksichtigen sind.
Die Voraussetzungen der Pflegestufe II liegen somit in dem streitigen Zeitraum nicht vor. Das Urteil des Sozialgerichts war deshalb aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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