L 10 AL 86/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 221/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 86/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Verfügbarkeit vor der Aufnahme einer geplanten selbständigen Tätigkeit
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.02.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 02.06.2009 bis 24.06.2009.

Der Kläger meldete sich am 26.01.2009 mit Wirkung zum 06.02.2009 in der für seinen Wohnsitz (M.) zuständigen Agentur für Arbeit O. arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Mit der Abgabe des Antrages bestätigte er, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 25.03.2009 Alg für die Zeit ab dem 06.02.2009 in Höhe 70,95 EUR täglich. Am 06.05.2009 beantragte der Kläger zudem die Bewilligung eines Existenzgründungzuschusses für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 01.07.2009 in A-Stadt (Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit S.). Anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers am 26.05.2009 wurde eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) erstellt, ausweislich derer der Kläger darauf hingewiesen wurde, dass alle vermittlungsrelevanten Änderungen, z.B. ein Umzug, unverzüglich mitzuteilen seien. Bei Ortsabwesenheit (Urlaub/Reise) sei vorab die Zustimmung der Agentur für Arbeit einzuholen. Der Kläger habe sich weiterhin eigeninitiativ um die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung zu bemühen und dies zu dokumentieren. Die Ergebnisse eventuell noch "unterbreitbarer" Vermittlungsvorschläge habe der Kläger zeitnah mitzuteilen. Laut einem Bearbeitervermerk der Beklagten sei allenfalls die Befristung einer Beschäftigung bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit problematisch. Soweit sich die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit verschiebe, sei eine vorzeitige Aufnahme anzuzeigen und bei weiterer Arbeitslosigkeit rechtzeitig ein Folgetermin für den 26.07.2009 zu vereinbaren.

Am 15.06.2009 ging bei der Beklagten eine Anschriftenberichtigung der Deutschen Post ein, der Kläger sei nach A-Stadt verzogen, worauf die Beklagte eine vorläufige Einstellung der Alg- Zahlung verfügte. Nach Eingang der Veränderungsmitteilung des Klägers am 25.06.2009, er sei am 01.06.2009 nach A-Stadt verzogen, hob die Beklagte die Alg- Bewilligung mit Bescheid vom 02.07.2009 für die Zeit ab dem 02.06.2009 auf. Seit dem Tag des Umzuges habe der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung gestanden. Nach Arbeitslosmeldung bei der für den Wohnsitz A-Stadt zuständigen Agentur für Arbeit S. bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 06.08.2009 Alg für die Zeit ab dem 25.06.2009. Mit dem Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 02.07.2009 machte der Kläger geltend, er habe anlässlich des Termins, in dem unter anderem über seinen Antrag auf Gewährung des Existenzgründungszuschusses gesprochen worden sei, auch erwähnt, dass er zur Vorbereitung seiner selbständigen Tätigkeit nach A-Stadt umziehen werde. Er habe auch nachgefragt, ob er sich zu diesem Zweck ummelden müsse, worauf er die Antwort erhalten habe, dass dies nicht erforderlich sei, soweit der erste Wohnsitz in M. verbleibe. Zudem habe er nach Erteilung des Nachsendeauftrages zum 06.06.2009 keinerlei Post mehr von der Beklagten erhalten, und er sei telefonisch und per E-Mail erreichbar gewesen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 zurück. Der Kläger habe mit seinem Umzug und dem Stellen eines Postnachsendeantrages der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung gestanden, so dass der Leistungsanspruch ab dem 02.06.2009 weggefallen sei. Die Bewilligung sei mit Wirkung für die Zeit der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aufzuheben, weil der Kläger seine diesbezüglichen Mitteilungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt habe.

Zur Begründung der hiergegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe die Erreichbarkeitsanordnung zu Unrecht angewandt, denn diese habe das Ziel, den Arbeitslosen einzugliedern und Leistungsmissbrauch zu verhindern. Im Hinblick auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zum 01.07.2009 sei weder eine anderweitige Eingliederung zu erwarten, noch ein Leistungsmissbrauch zu befürchten gewesen. Zudem habe die Beklagte aus diesem Grund auch ihre Vermittlungsbemühungen eingestellt. Seine Mitteilungspflicht in Bezug auf den Umzug habe er nicht grob fahrlässig verletzt. Das SG hat nach Einvernahme des den Kläger betreuenden Mitarbeiters der Beklagten die Klage mit Urteil vom 02.02.2011 abgewiesen. Der Kläger sei in der Zeit vom 02.06.2009 bis 24.06.2009 postalisch nicht erreichbar gewesen, so dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg nicht vorgelegen hätten. Nach Einvernahme des zuständigen Sachbearbeiters gebe es keinen Beleg dafür, dass der Kläger der Beklagten seinen Umzug rechtzeitig mitgeteilt habe, so dass die verspätete Mitteilung der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse als grob fahrlässig anzusehen und eine Aufhebung der Alg- Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit gerechtfertigt sei.

Mit der hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger erneut geltend gemacht, dass die Erreichbarkeitsanordnung differenzierend auszulegen sei, weil eine Arbeitsvermittlung im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht mehr habe stattfinden sollen und auch nicht mehr möglich gewesen wäre. Zudem sei es möglich, während der Vorbereitungsphase vor der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit Alg zu beziehen. Vermittlungsbemühungen der Beklagten hätten nicht mehr stattgefunden, und die diesbezüglichen Angaben des Zeugen vor dem SG seien floskelhaft und realitätsfern gewesen. Zuletzt sei er über seinen ersten Wohnsitz und seine dort wohnende Familien stets erreichbar gewesen. Aufgrund der besonderen Umstände der Gründungsphase sei eine Verletzung von Mitteilungspflichten, soweit man eine solche unterstellen wollte, zumindest nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.02.2011 sowie den Bescheid vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 02.06.2009 bis 24.06.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Kläger mit der Erteilung des Postnachsendeauftrages unter der von ihm genannten Anschrift postalisch nicht mehr erreichbar gewesen und damit der Alg- Anspruch entfallen sei. Er könne für sich auch nicht in Anspruch nehmen, im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit Alg beziehen zu können, ohne die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür zu erfüllen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerechte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das Urteil des SG ist zutreffend. Die Beklagte hat den Bewilligungsbescheid vom 25.03.2009 zu Recht für die Zeit ab dem 02.06.2009 aufgehoben, denn der Kläger hatte ab diesem Zeitpunkt mangels postalischer Erreichbarkeit keinen Anspruch auf Alg. Insoweit erweist sich der Aufhebungsbescheid vom 02.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 als rechtmäßig, denn im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger sowohl seinen Umzug zumindest grob fahrlässig verspätet, als auch die Erteilung eines Postnachsendeauftrages gar nicht mitgeteilt hat, war die Beklagte auch berechtigt, den Bewilligungsbescheid vom 25.03.2009 mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der - wie vorliegend - in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Es kann dahin stehen, dass die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderliche Anhörung vor Erlass des Bescheides vom 02.07.2009 zumindest nicht schriftlich erfolgt war, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, eine solche Anhörung sei im Rahmen der telefonischen Rückfrage des Klägers am 25.06.2009 erfolgt, als dieser sich bei der Beklagten nach dem Leistungsanspruch für die Zeit ab dem 02.06.2009 erkundigte. Eine fehlende Anhörung ist jedenfalls durch eine Nachholung im Widerspruchsverfahren unbeachtlich geworden.

Eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift, die nicht den Verwaltungsakt nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird (§ 41 Abs 1 Nr. 3 SGB X). Eine wirksame Nachholung setzt voraus, dass diese den Anforderungen an eine Anhörung nach § 24 SGB X entspricht und insbesondere der Beteiligte über die entscheidungserheblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt wurde sowie Gelegenheit zur Äußerung hatte (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 144/10 R - Juris Rn 19; Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - Juris Rn 15 ff = SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 - mwN; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Januar 2011, § 41 Rn 15; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl, § 41 Rn 15; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 41 Rn 15 mwN). Eines gesonderten Hinweises im Widerspruchsverfahren sich zu den maßgeblichen Tatsachen äußern zu können, bedarf es in aller Regel nur, soweit die Widerspruchsbehörde den Widerspruchsbescheid auf erstmals im Widerspruchsverfahren ermittelte Umstände stützen möchte (BVerwGE 66, 184 = NJW 1983, 2044; BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 21 = HVBG-INFO 2003, 385 = Breith 2003, 154 = NZS 2003, 500; ebenso Steinwedel in KassKomm, SGB X, § 41, Rn 17; Littmann in Hauck-Noftz, SGB X § 41, Rn 15; vgl. auch BSGE 89, 111 = SozR 3-1300 § 1 Nr. 1 = Breith 2002, 594 = NJW 2002, 2810 = NZS 2002, 603). Darüber hinaus muss im Widerspruchsbescheid nur deutlich werden, dass die Behörde vorgebrachte Argumente des Widerspruchführers zur Kenntnis genommen und abgewogen hat (Steinwedel in KassKomm, SGB X § 41 Rn 18 mit Hinweis auf BVerwGE 66, 114).

Unter Beachtung dieser rechtlichen Maßstäbe wurde im Rahmen des Widerspruchverfahrens dem Sinn und Zweck einer Anhörung iSv § 24 Abs 1 SGB X entsprochen, so dass diese nach § 41 Abs 1 Nr. 3 SGB X als nachgeholt gilt. Die Beklagte hat im Aufhebungsbescheid vom 02.07.2007 in der Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Leistungsanspruch wegen des Umzuges und dem damit einhergehenden Wegfall der Verfügbarkeit entfalle, und sie hat sich im Rahmen des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 darauf beschränkt, die vom Kläger vorgebrachte Argumenten zu würdigen ohne sich auf neue, insbesondere neu ermittelte Umstände zu stützen. Im Hinblick auf
§ 330 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) handelte es sich bei der Aufhebung für die Vergangenheit und Rückforderung auch nicht um eine Ermessensentscheidung, die eine erneute formelle Verwaltungsentscheidung anlässlich der Nachholung der Anhörung erfordert hätte (vgl. Schütze aaO Rn.16 aE).

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III). Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.1996 - 11 RAr 101/94 - Juris Rn.17 = BSGE 78, 109ff).

Eine solche Änderung ist ab 02.06.2009 infolge des Wegfalls der postalischen Erreichbarkeit des Klägers eingetreten, weshalb dieser ab dem genannten Zeitpunkt keinen Anspruch auf Alg mehr hatte. Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit haben Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (§ 118 Abs 1 Nr. 1 GB III). Nach § 119 Abs 1 Nr. 3 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 119 Abs 5 Nr. 2 SGB III). In diesem Zusammenhang ist die Bundesagentur ermächtigt, durch Anordnung Näheres zu den Pflichten des Arbeitslosen, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung Folge leisten zu können (§ 119 Abs 5 Nr. 2), zu bestimmen (§ 152 Nr. 2 SGB III). In Ausübung dieser Anordnungsermächtigung hat die Bundesagentur in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476), geregelt, dass Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, wer in der Lage ist, unverzüglich Mitteilungen der Agentur für Arbeit persönlich zur Kenntnis zu nehmen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 EAO). Zu diesem Zweck hat der Arbeitslose sicherzustellen, dass die Agentur für Arbeit ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder seinem gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann (§ 1 Abs 1 Satz 2 EAO).

Diese Anspruchsvoraussetzung hat der Kläger für die Zeit ab dem 02.06.2009 in der Folge seines Umzuges nach A-Stadt nicht mehr erfüllt, denn unter der Anschrift in M. war er in der Zeit vom 02.06.2009 (Dienstag) bis 05.06.2009 (Freitag) bereits postalisch deshalb nicht zu erreichen, weil er sich nach eigenen Angaben während dieser Woche in A-Stadt aufgehalten hat, so dass es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, er wäre in der Lage gewesen, die an diesen Tagen in M. eingehende Briefpost persönlich zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus hat der Kläger auch mit der Einrichtung des Postnachsendeauftrages für die Zeit ab dem 06.06.2009 die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg nicht mehr erfüllt, denn es kommt nicht darauf an, ob sich Postnachsendeaufträge ohne Zeitverlust abwickeln lassen. Die Regelungen zur Verfügbarkeit haben das Ziel, die Vorschläge der Arbeitsverwaltung zu verwirklichen. Der Arbeitslose kann diesen jedoch nur zeit- und ortsnah nachkommen, wenn er selbst für die Arbeitsagentur erreichbar ist, denn ein Arbeitsloser muss in der Lage sein, jederzeit einen potentiellen Arbeitgeber aufzusuchen, einen Vorstellungs- oder einen Beratungstermin wahrzunehmen, um an den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung mitzuwirken. Die Nutzung der Arbeitsvermittlung und der aktiven Arbeitsförderung setzt den persönlichen Kontakt mit der zuständigen Arbeitsagentur voraus, denn der Gesetzgeber sieht die persönliche (unmittelbare) Beziehung zwischen Arbeitslosem und Agentur für Arbeit als Voraussetzung für eine effektive Durchsetzung des Leistungskonzepts an. Die Forderung des § 1 Abs 1 Satz 2 EAO, die persönliche Erreichbarkeit zu gewährleisten, entspricht daher dem Zweck des § 119 Abs 5 Nr. 2 SGB III nicht nur, weil sie einer effektiven Arbeitsvermittlung dient, sondern auch weil sie Leistungen bei Arbeitslosigkeit an klare Verhaltensmaßstäbe des Arbeitslosen knüpft, so dass die Erfüllung dieser Anspruchsvoraussetzung nicht in das Belieben des Leistungsberechtigten zu stellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.06.2001 - B 11 AL 10/01 R - Juris Rn.24 = SozR 3-4300 § 119 Nr.3; Urteil vom 09.08.2001 - B 11 AL 17/01 R - Juris Rn.17 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 4; Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 119 Rn. 246).

Die Funktion eine effektive Arbeitsvermittlung zu gewährleisten und damit einhergehende Notwendigkeit einer postalischen Erreichbarkeit ist lediglich in den Fällen zu relativieren, in denen der wesentliche Zweck des § 119 Abs 5 Nr. 2 SGB III iVm § 1 Abs 1 EAO, eine ständige Kommunikation zwischen dem Arbeitslosen und der Arbeitsverwaltung aufrechtzuerhalten, die dazu dienen soll, den Arbeitslosen jederzeit und effektiv in Arbeit zu vermitteln, nicht mehr verfolgt wird, wie dies im Rahmen eines Leistungsbezuges unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 Abs 1 Satz 1 SGB III der Fall war (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.2005 - B 7a/7 AL 98/04 R - Juris Rn.15 = BSGE 95, 43ff). Ob diese Rechtsprechung auch auf die Fallgestaltungen zu übertragen ist, in denen - unabhängig von einer gesetzlichen Regelung - die Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung aufgrund von Umständen eines Einzelfalles unterbleiben, kann hier dahinstehen, denn vorliegend hatte die Beklagte - entgegen der Darstellung des Klägers - die Vermittlungsbemühungen noch nicht eingestellt. Noch am 26.05.2009 hat sie mit dem Kläger eine EGV geschlossen, die ua auf weitere Eigenbemühungen des Klägers abgezielt hat, um den Kläger - unabhängig von der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit - in eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu vermitteln. Auch ergibt sich aus der EGV, dass der Kläger alle vermittlungsrelevanten Änderungen mitzuteilen hatte, so dass bereits hieraus der Schluss zu ziehen war, die Beklagte ziele weiterhin auf eine Vermittlung des Klägers in eine abhängige Beschäftigung ab. Allein der Umstand, dass dem Kläger nach dem 26.05.2009 kein Vermittlungsvorschlag durch die Beklagte unterbreitet worden ist, schließt deren Vermittlungsbemühungen nicht aus. Zudem musste die Beklagte nach Lage der Akten auch nicht davon ausgehen, dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit - wie seitens des Klägers angekündigt - tatsächlich zum 01.07.2009 erfolgen würde. Bis zum 29.06.2009, dem Zeitpunkt, zu dem der vollständige Antrag auf Bewilligung des Existenzgründungszuschusses bei der Beklagten eingegangen ist, hatte die Beklagte keinen Anlass die Vermittlungsbemühungen in Bezug auf den Kläger einzustellen, denn noch in der EGV war der Kläger darauf hingewiesen worden, dass eine Verschiebung der Aufnahme der angekündigten selbständigen Tätigkeit mitzuteilen und gegebenenfalls ein Folgetermin zum 26.07.2009 zu vereinbaren sei. Frühestens mit der Vorlage des vollständigen Antrages auf Bewilligung des Existenzgründungszuschusses am 29.06.2009 hatte die Beklagte eine hinreichende Datengrundlage, die den Schluss zuließ, für den Kläger seien Vermittlungsbemühungen wegen der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit und der Abmeldung aus dem Leistungsbezug ab dem 01.07.2009 nicht mehr erforderlich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte daher keinen Anlass, ihre Vermittlungsbemühungen einzustellen, und es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies geschehen wäre. Weitere Vermittlungsbemühungen erschienen auch nicht realitätsfern, denn zum Einen stand für die Beklagte der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit fest, zum Anderen bestand für die Beklagte auch unabhängig und trotz der Planungen des Klägers ein berechtigtes Interesse, diesen in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu vermitteln, denn mit der Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung wären Aufwendungen für einen Existenzgründungszuschuss nicht angefallen. Im Ergebnis musste der Kläger daher - unabhängig von seinen Planungen in Bezug auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit - weiterhin den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stehen, um die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg zu erhalten. Insoweit ändert auch der Umstand, dass der Kläger unter der von ihm im Alg- Antrag genannten Anschrift noch seinen ersten Wohnsitz hatte und dort insbesondere an den Wochenenden anwesend war, die Betrachtungsweise nicht, denn mit seinem Umzug nach A-Stadt - und dem tatsächlichen Aufenthalt an den Wochentagen bis 05.06.2009 dort - sowie der Erteilung des Postnachsendeauftrages hatte er sich der Möglichkeit begeben, Poststücke unter seiner Wohnanschrift bis 05.06.2009 unverzüglich bzw. für die Zeit ab dem 06.06.2009 überhaupt zu erhalten, denn diese wurden ab dem 06.06.2009 unmittelbar und vollständig nach A-Stadt weitergeleitet, so dass ein Erhalt von Poststücken am Wohnort in M. ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen war.

Die wesentlichen Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen, die zum Wegfall der Anspruchsberechtigung geführt haben, nämlich der Umzug nach A-Stadt und die im Weiteren erfolgte Erteilung eines Postnachsendeauftrages, die zum Wegfall der postalischen Erreichbarkeit unter der im Alg- Antrag genannten Anschrift in M. geführt haben, hat der Kläger in grob fahrlässiger Weise nicht so rechtzeitig mitgeteilt, dass eine Aufhebung der Leistungsbewilligung bereits zum 02.06.2009 mit Wirkung allein für die Zukunft möglich war. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X ist einer Änderung im Regelfall mit rückwirkender Wirkung Rechnung zu tragen, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Sanktioniert wird dadurch die Verletzung von Mitwirkungspflichten, die sich aus dem Sozialleistungsverhältnis ergeben und bei deren Einhaltung zu einem früheren Zeitpunkt niedrigere Leistungsansprüche festgesetzt worden wären (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. § 48 Rn.23).

Der Kläger hatte eine derartige Mitteilungspflicht, denn wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind (§ 60 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I). Den für die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung maßgeblichen Umstand des Umzuges am 01.06.2009 nach A-Stadt - und die Anwesenheit während der Arbeitswochen dort - hat der Kläger erst am 25.06.2009, den Umstand dass er in diesem Zusammenhang einen Postnachsendeauftrag erteilt hat, hat er überhaupt nicht mitgeteilt. Letzteres kam der Beklagten allein durch Mitteilung der Deutschen Post zu Kenntnis, wodurch jedoch die Mitteilungspflicht des Klägers nicht als erfüllt angesehen werden kann, so dass die verspätete Mitteilung (in Bezug auf den Umzug) bzw. das pflichtwidrige Unterlassen der Mitteilung (in Bezug auf den Nachsendeauftrag) dazu geführt hat, dass die Beklagte die Aufhebung der Leistungsbewilligung zum 02.06.2009 nicht vor diesem Datum veranlassen konnte.

Der Kläger hat seine auf § 60 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I beruhende Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt, so dass gerechtfertigt ist, den Leistungsbescheid vom 25.03.2009 für die Zeit ab dem 02.06.2009, d.h. ausgehend zum Zeitpunkt der Entscheidung am 02.07.2009, mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr.3 2.HS SGB X) vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, insbesondere wenn er naheliegende Überlegungen, die jedem einleuchten müssen, nicht in Betracht gezogen hat. Dieses Maß an Verletzung seiner Sorgfaltspflichten hat der Kläger verwirklicht, denn von grober Fahrlässigkeit in aller Regel auszugehen ist, wenn ein Begünstigter wesentliche Tatsachen nicht mitteilt, obwohl er dazu verpflichtet ist und unmissverständlich belehrt worden war (vgl. zum Ganzen: Schütze aaO § 45 Rn.52 mwN).

Hierbei ist zu berücksichtigen dass der Kläger mit seinem Antrag auf Alg zum 06.02.2009 durch Unterschrift bestätigt hat, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben. Ausweislich dieses Merkblattes werden Leistungsempfänger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Umzug der Agentur für Arbeit vorab gemeldet werden muss (Das Wichtigste vorweg - Punkt 5), und dass Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Alg ist, dass man unter der benannten Anschrift täglich durch die Arbeitsagentur persönlich erreicht werden kann (Punkt 2.5 - Verfügbar sein). Weitergehend wird unter der Rubrik "Umzug/Ortsabwesenheit" erläutert, dass erreichbar nur derjenige ist, der an jedem Werktag Briefsendungen der Agentur für Arbeit in seiner Wohnung zur Kenntnis nehmen kann. Darüber hinaus hat der Kläger am 26.05.2009, d.h. sechs Tage vor seinem Umzug, eine EGV abgeschlossen, aus der hervorgeht, er habe alle vermittlungsrelevanten Tatsachen wie z.B. einen Umzug, unverzüglich mitzuteilen. In Kenntnis dieser klaren Hinweise, die für den Kläger auch problemlos als anspruchsrelevant zu erkennen waren, hat er es gleichwohl unterlassen, der Beklagten den Umzug rechtzeitig bzw. die Erteilung eines Postnachsendeauftrages überhaupt anzuzeigen, und somit die Möglichkeit einer Prüfung des Leistungsanspruches verhindert hat, worin zumindest eine grob fahrlässige Pflichtwidrigkeit zu sehen ist. Nach dem persönlichen Eindruck, den sich der Senat vom Kläger in der mündlichen Verhandlung machen konnte, gibt es keinen Hinweis darauf, er wäre aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur außerstande gewesen sein, die klar verständlichen Hinweise des Merkblattes zu verstehen. Der Kläger ist Diplom-Ingenieur, so dass eine intellektuelle Leistungsfähigkeit unterstellt werden kann, aufgrund derer er in der Lage war, die Hinweise der Beklagten ohne weiteres nachzuvollziehen. Zuletzt hat der Kläger auch nicht geltend gemacht, er habe die Hinweise der Beklagten im Merkblatt für Arbeitslose nicht verstanden, sondern er hat lediglich darauf verwiesen, man könne ihm im Hinblick auf die Umstände in der Gründungsphase seines Unternehmens keine grobe Fahrlässigkeit unterstellen. Welche Umstände den Kläger jedoch gehindert haben könnten, seinen Umzug der Beklagten mitzuteilen, ist nicht ersichtlich, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass er zumindest im Stande war und die Zeit gefunden hat, einen Postnachsendeauftrag zu erteilen, so dass nicht nachvollziehbar erscheint, weshalb eine Mitteilung an die Beklagte nicht zumutbar gewesen sein soll.

Mit dem Bescheid vom 02.07.2009 hat die Beklagte auch die für eine Aufhebung einzuhaltende Jahresfrist gewahrt (§ 48 Abs 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X), so dass die Berufung im Ergebnis zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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