L 13 SB 246/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 SB 81/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 246/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. August 2010 wird zurückgewiesen. Eine Kostenerstattung findet auch für das Berufungsverfahren nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Auf den Antrag des 1947 geborenen Klägers vom 7. August 2006 stellte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Bescheid vom 13. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2007 bei ihm einen GdB von 20 fest. Dem wurden folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt:

a) Herzdurchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Bypassversorgung (20), b) Sehbehinderung (10), c) Funktionsminderung von Wirbelsäule und Kniegelenken (10).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Stendhal hat der Kläger die Verpflichtung des Landes Sachsen-Anhalt zur Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit an das Sozialgericht Cottbus verwiesen. Im Klageverfahren ist es zu einem Beteiligtenwechsel dergestalt gekommen, dass nunmehr das Land Brandenburg Beklagter ist.

Nach Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat der Beklagte unter Hinweis auf die sich aus dem Bericht des Orthopäden W vom 19. Januar 2009 ergebende Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens mit Schriftsatz vom 11. März 2009 ein Teilanerkenntnis abgegeben, dass es über den Antrag des Klägers neu entscheiden und hierbei davon ausgehen werde, dass ab 6. Dezember 2007 der GdB 30 betrage.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Sozialmediziners Dr. AS vom 7. September 2009 eingeholt, der den GdB ab Antragstellung mit 40 bewertet hat. Hierbei ist der Gutachter von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen:

a) Herzdurchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Bypassversorgung mit Einbuße der Herzleistungsbreite (30), b) Funktionsminderung von Wirbelsäule in zumindest zwei Abschnitten (20), c) Sehbehinderung (10) d) Hochtonschwerhörigkeit beidseitig, rechts mehr als links (10).

Mit weiterem Teilanerkenntnis vom 12. November 2009 hat der Beklagte sich bereit erklärt, ab 7. September 2009 bei dem Kläger einen GdB von 40 anzuerkennen.

Der Kläger hat die Teilanerkenntnisse angenommen und im Übrigen die Klage aufrechterhalten.

Mit Urteil vom 17. August 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Bei dem Kläger liege kein GdB von 50 vor. Den Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers habe der Beklagte zutreffend dadurch Rechnung getragen, dass er ab 6. Dezember 2007 einen GdB von 30 und ab 7. September 2009 einen GdB von 40 festgestellt habe. Mit Bescheid vom 6. September 2010 hat der Beklagte die Teilanerkenntnisse ausgeführt.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass seine Depression unberücksichtigt geblieben sei. Auch sei der Gesamt-GdB fehlerhaft gebildet worden: Der aus seiner Hörminderung folgende teilweise Verlust des Orientierungsvermögens verstärke die durch Herz- und Wirbelsäulenleiden vorhandenen Beeinträchtigungen seiner Fortbewegungsfähigkeit.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Nervenarztes Dr. A vom 9. Januar 2012, der als weitere Funktionsbeeinträchtigung eine längere depressive Entwicklung (Dysthymia) festgestellt hat. Diese sei ab November 2009 mit einem GdB von 20 zu bewerten. Der Gesamt-GdB von 40 erhöhe sich hierdurch jedoch nicht.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. August 2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 13. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 10. Oktober 2007 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 6. September 2010 zu verpflichten, bei ihm ab 7. August 2006 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf einen höheren als den in den angefochtenen Bescheiden in der Fassung der – später durch Be-scheid vom 6. September 2010 ausgeführten – Teilanerkenntnisse festgestellten GdB und damit nicht auf einen GdB von 50 hat.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 2005 und 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 Versor-gungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.

In somatischer Hinsicht hat das Sozialgericht auf der Grundlage der ihm vorliegenden ärztlichen Befundberichte und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. AS vom 7. September 2009 dargelegt, dass bei dem Kläger

a) die Herzerkrankung mit Bluthochdruck ab Antragstellung am 7. August 2006 mit einem GdB von 20 und ab Begutachtung am 7. September 2009 mit einem GdB von 30, b) die Funktionsminderung der Wirbelsäule ab 7. August 2006 mit einem GdB von 10 und ab 6. Dezember 2007 mit einem GdB von 20, c) die Sehbehinderung ab 7. August 2006 mit einem GdB von 10 und d) die Hochtonschwerhörigkeit ab 7. September 2009 mit einem GdB von 20

zu bewerten sind. Gegen diese überzeugenden Einzelbewertungen haben die Beteiligten – zu Recht – keine Einwände erhoben. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des sozialgerichtlichen Urteils vom 17. August 2010 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

In psychiatrischer Hinsicht hat der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige Dr. A in seinem Gutachten vom 9. Januar 2012 bei dem Kläger eine Dysthymie festgestellt, die er ab November 2009 mit einem GdB von 20 bewertet hat. Dieser Einschätzung folgt der Senat, weil sie sich an den Vorgaben in Teil B Nr. 3.7 (Bl. 27) der Anlage zu § 2 VersMedV orientiert. Danach sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), für die ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen ist, liegen bei dem Kläger nach den Ausführungen des Gutachters nicht vor. Der Senat schließt sich dem Sachverständigen auch insoweit an, als er diese psychische Behinderung erst ab November 2009 berücksichtigt hat. Denn vor diesem Zeitpunkt sind in den vorliegenden ärztlichen Berichten keine psychiatrischen Diagnosen gestellt worden. Auch bei der sozialmedizinischen Begutachtung durch Dr. AS vom 7. September 2009 hat sich kein auffälliger psychiatrischer Befund ergeben. Erstmals hat der behandelnde Nervenarzt Dr. W im Befundbericht vom 9. Februar 2010 eine Depression bei der Untersuchung vom 26. No-vember 2009 diagnostiziert.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Der Gesamt-GdB ist danach bei dem Kläger in dem Zeitraum vom 7. August 2006 bis zum 5. Dezember 2007 mit 20 festzusetzen. Der Einzel-GdB für die Herzerkrankung mit Bluthochdruck von 20 wird durch die Funktionsminderung der Wirbelsäule sowie durch die Sehbehinderung, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten gewesen sind, nicht erhöht. Denn von – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nach Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.

Für den Zeitraum vom 6. Dezember 2007 bis zum 6. September 2009 ist ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden. Die Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens, die sich in der Anhebung des Einzel-GdB von 10 auf 20 widerspiegelt, führt dazu, dass der Einzel-GdB für die Herzerkrankung mit Bluthochdruck von 20 als Gesamt-GdB auf insgesamt 30 zu erhöhen ist.

Eine weitere Anhebung des Gesamt-GdB auf 40 ist für den Zeitraum ab 7. September 2009 vorzunehmen. Der höchste Einzel-GdB – vorliegend für die Herzerkrankung mit Bluthochdruck – von nunmehr 30 wird weiterhin unter Berücksichtigung des mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Wirbelsäulenleidens um 10 erhöht, so dass der Gesamt-GdB 40 beträgt. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Gesamt-GdB nicht wegen der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Schwerhörigkeit auf 50 anzuheben. Denn nach Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dies ist auch vorliegend nicht der Fall. Denn die von dem Kläger vorgebrachte Verstärkung seiner wegen der Herz- und Wirbelsäulenleiden vorhandenen Beeinträchtigungen durch den – wie er vorträgt – (teilweisen) Verlust des Orientierungsvermögens infolge der Hörminderung ist nicht zu befürchten, da die Schwerhörigkeit nach den Feststellungen des Sachverständigen AS durch Anpassung von Hörhilfen ausgeglichen werden kann. Dieser Erwägung steht auch nicht – wie der Kläger meint – Teil B Nr. 5 (Bl. 33) der Anlage zu § 2 VersMedV entgegen. Danach ist (nur) die Prüfung, in welchem Umfang das Sprachgehör her-abgesetzt ist, ohne Hörhilfen vorzunehmen. Hingegen berücksichtigen die in der GdB-Tabelle enthaltenen Werte zur Schwerhörigkeit ausdrücklich die Möglichkeit eines Teilausgleichs durch Hörhilfen mit.

Bei einem GdB von 40 bleibt es auch trotz Hinzutretens der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Dysthymie ab November 2011, da, wie der Sachverständige Dr. A ausgeführt hat, das Maß der Behinderung hierdurch nicht verstärkt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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