L 11 R 2377/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 705/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2377/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.04.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung geltend.

Die 1967 geborene Klägerin ist thailändische Staatsangehörige. Seit dem 07.02.1995 lebt sie in Deutschland. Einen Beruf erlernte sie nicht. Versicherungszeiten in Thailand oder einem anderen ausländischen Staat bestehen nicht. In Deutschland war die Klägerin mit Ausnahme einer Zeit der Arbeitslosigkeit (mit Leistungsbezug) vom 06.10.1997 bis zum 31.12.2005, zuletzt als Verkäuferin in einer Filiale einer Discount-Kette versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis beendete sie durch eine Eigenkündigung. Seitdem war sie nicht mehr berufstätig. Bis zum 16.04.2007 erhielt sie - mit Unterbrechungen - Arbeitslosengeld, anschließend war sie bis zum 16.12.2007 weiterhin arbeitslos gemeldet, erhielt aber keine Sozialleistungen. Vom 17.12.2007 bis zum 31.10.2009 war die Klägerin zwar ebenfalls ohne Beschäftigung, aber nicht als arbeitssuchend gemeldet. In der Zeit von 11.09.2002 bis zum 10.09.2007 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden.

Am 11.09.2007 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung berief sie sich auf einen Arztbrief des Facharztes für Innere Medizin - Rheumatologie Dr. J. vom 14.08.2007. Darin werden folgende Diagnosen genannt: Spannungskopfschmerz, Verdacht auf Migräne, Fibromyalgie. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch die Oberärztin Dr. M., Fachärztin für Innere Medizin, der T.klinik II in Bad K ... In ihrem Gutachten vom 07.11.2007 führte sie ua aus, auf internistisch-rheumatologischem Fachgebiet sei die Klägerin nicht krank. Hier liege wieder ein klassischer Fall von Fehldiagnostik und Fehlbehandlung vor bei viel zu langem Negieren psychischer, krankmachender Stressfaktoren. Sie halte das kulturelle Denken und die kulturelle Entwicklung und das persönliche Unglücklichsein der Klägerin unter deutschen Verhältnissen für krankheitsbringend. Die Klägerin sei ernsthaft seelisch krank. Aus ihrer Sicht könne die Klägerin momentan keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, allerdings nicht aus somatischen, sondern aus psychischen Gründen. Daraufhin holte die Beklagte ein weiteres Gutachten beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. ein. Dieser kam in seinem Gutachten, das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 13.12.2007 beruht, zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Fibromyalgiesyndrom ohne neurologische Komplikation sowie eine Migrationsproblematik ohne psychiatrische Zusatzproblematik vorliege. Man könne die vorhandenen Beschwerden somatoform deuten, aber auch mit dieser Diagnose werde die Arbeitsfähigkeit nicht aufgehoben. Auch unter Einbeziehung möglicher psychosozialer Komponenten und psychosomatischer Begleitbeschwerden sei die Klägerin in der Lage, eine leichte Tätigkeit ohne Zwangshaltung bei Vermeiden Lasten über 10 kg vollschichtig auszuüben. Dabei sollten besondere klimatische Störungen (Hitze, Kälte, Nässe) vermieden werden. Mit Bescheid vom 24.01.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Dagegen legt die Klägerin am 12.02.2008 Widerspruch ein. Sie leide unter starken Schmerzen am ganzen Körper sowie unter rezidivierenden Zitteranfällen am ganzen Körper. Sie könne nicht mehr wenigstens sechs Stunden täglich arbeiten. Dies habe die Gutachterin Dr. M. bestätigt. Die Beklagte holte schriftliche Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Der sozialmedizinische Dienst der Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin könne unter Beachtung qualitativer Einschränkungen weiterhin täglich sechs Stunden und mehr erwerbstätig sein. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2009 als unbegründet zurück.

Am 13.02.2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der sie ihr Anliegen weiterverfolgt. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Dr. J. (Schreiben vom 02.05.2009) hat die von ihm bereits in seinem Arztbrief vom 14.08.2007 aufgeführten Diagnosen bestätigt. Dr. St., Arzt für Allgemeinmedizin, hat in seiner Antwort vom 22.05.2009 mitgeteilt, die Klägerin könne wegen starker Schmerzen nur noch weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sei. Der Orthopäde Dr. B. hat auf seine Hausarztbriefe vom 04.09.2007 und 23.10.2007 hingewiesen. Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F ... Dieser hat die Klägerin am 15.10.2009 untersucht und ist dabei zu folgenden Diagnosen gelangt: anhaltende somatoforme Schmerzstörung (Kopf/Schulter/Rückenschmerzen), dissoziative Bewegungsstörung im Rahmen plötzlicher Schwächeanfälle bis hin zu Gangparesen. Die Symptomatik sei chronifiziert, im Lauf progredient und durch intensive ärztliche Diagnostik und therapeutische Bemühungen bisher nicht zu beeinflussen gewesen. Bei der Höchstdauer des Arbeitstages sei von weniger als drei Stunden auszugehen. Aufgrund der Anamnese sei davon auszugehen, dass die Einschränkung mit der Kündigung zum 31.12.2005 ein so erhebliches Ausmaß erreicht habe, dass die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit schon zu diesem Zeitpunkt bestanden habe. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.03.2010 anerkannt, dass bei der Klägerin am 15.10.2009 volle Erwerbsminderung auf Dauer eingetreten ist. Im maßgebenden Zeitraum vom 15.10.2004 bis zum 14.10.2009 seien jedoch nur 26 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nur vor, wenn der Leistungsfall spätestens zum 31.12.2008 eingetreten wäre.

Mit Urteil vom 28.04.2011, der Klägerin zugestellt am 30.05.2011, hat das SG die Klage ab-gewiesen. Die gutachterliche Schlussfolgerung von Dr. F., dass eine volle Erwerbsminderung bereits seit Anfang 2006 vorliege, sei nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige habe die volle Erwerbsminderung insbesondere an dem Zusammentreffen der Schmerzstörung mit einer dissoziativen Gangstörung festgemacht. Der ärztliche Dienst der Beklagten habe nachvollziehbar dargelegt, dass davon auszugehen sei, dass die volle Erwerbsminderung erst bestehe, seitdem beide Erkrankungen im heutigen Ausmaß vorlägen. Dr. J. erwähne zwar in seiner Auskunft vom 02.05.2009 "Zittern und Gangunsicherheit." Unterlagen darüber hätten ihm jedoch nicht vorgelegen. Überhaupt falle auf, dass sich die Klägerin bisher nicht in stringenter Schmerztherapie bzw psychosomatischer Fachbehandlung befinde.

Am 09.06.2011 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Aus der Aussage des Dr. J., dem Gutachten der Frau Dr. M. und dem Gutachten des Herrn Dr. F. ergebe sich, dass sowohl die anhaltende somatoforme Schmerzstörung als auch die dissoziative Bewegungsstörung zumindest seit dem Jahr 2007 vorgelegen hätten. Demgegenüber überzeuge das Gutachten des Dr. H. nicht, da dieser nur einen höchst rudimentären psychopathologischen Befund erhoben habe. Auch habe Dr. H. seine Leistungsbeurteilung an keiner Stelle in seinem Gutachten begründet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.04.2011 sowie den Bescheid der Be-klagten vom 24.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 01.09.2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin eine weitere schriftliche Auskunft des behandelnden Arztes eingeholt. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. St. hat seiner Auskunft vom 05.12.2011 weitere Befundberichte beigefügt, darunter einen Bericht der M. S.-Klinik vom 28.10.2009 über eine ambulante vorstationäre Vorstellung der Klägerin am 30.09.2009 sowie eine Bericht des Kreiskrankenhauses R. über eine stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 02.09. bis 09.09.2008. Die Einweisung der Klägerin zur stationären Behandlung erfolgte wegen chronischer Schmerzen ubiquitär, besonders im Rücken und im Nacken. Nach dem Bericht des Kreiskrankenhauses Schopfheim vom 19.09.2008 war die Klägerin bereits am 10.09.2008 wieder in stationärer Behandlung. Die stationäre Aufnahme erfolgte wegen eines plötzlich aufgetretenen Zitterns und eines Schwindels.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs 2 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw gemäß § 43 Abs 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (jeweils Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (jeweils Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (jeweils Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Klage- und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin zumindest bis Mitte 2009 noch in der Lage war, eine leichte körperliche Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Dies folgt aus dem Gutachten des Dr. H., dem sich der Senat anschließt. Ob die Klägerin, wovon die Beklagte ausgeht, seit 15.10.2009 wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, lässt der Senat offen. Darauf kommt es nicht an. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Erwerbsminderungsrente, wonach in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen müssen, wären nur erfüllt, wenn der Leistungsfall der Erwerbsminderung spätestens am 31.12.2008 eingetreten wäre. Bei einem Eintritt der Erwerbsminderung nach diesem Zeitpunkt sind diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Wäre der Leistungsfall zB am 01.01.2009 eingetreten, sind im danach maßgebenden Zeitraum vom 01.01.2004 bis 31.12.2008 nur 35 Kalendermonate mit Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden. Bei einem noch späteren Eintritt der Erwerbsminderung würde sich die Zahl der Pflichtbeiträge verringern, da nach dem 01.01.2009 weder Pflichtbeitragszeiten noch Zeiten iS des § 43 Abs 4 SGB VI vorhanden sind.

Bei der Klägerin waren bis Mitte 2009 keine organisch begründbaren Krankheiten festzustellen. Sie wurde zwar mehrfach unter der Diagnose einer Fibromyalgie behandelt. Doch ergibt sich aus dem Gutachten der Dr. M. eindeutig, dass die Klägerin auf internistisch-rheumatologischem Gebiet nicht krank ist. Ihre Untersuchung der Klägerin ergab keinen Bewegungsschmerz, keinen Endphasenschmerz, keine funktionellen Blockierungen und auch sonst keine Funktionseinschränkung. Die Beschwerden der Klägerin konnten von Dr. M. - und später auch von Dr. F. - (nur) mit einer somatoformen Schmerzstörung erklärt werden. Bei der Beurteilung der sozialmedizinischen Relevanz dieser Erkrankung ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch nach Auffassung des Senats unerheblich ist, unter welcher Diagnose dieses Krankheitsbild geführt wird. In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht der dem Senat aufgrund seiner Ermittlungstätigkeit bekannten Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass die früher als Fibromyalgie bezeichneten Beeinträchtigungen heute unter der Diagnose der somatoformen Schmerzstörung erfasst werden. Daraus ergeben sich aber keine Auswirkungen auf die Beurteilung des Leistungsvermögens. Ferner ist zu beachten, dass das Schmerzempfinden subjektiv und daher das Ausmaß von Schmerzen nicht quantifizierbar ist.

Daraus folgt aber nicht, dass bei der sozialmedizinischen Beurteilung von Schmerzen die Angaben der Betroffenen allein maßgeblich sind. Denn die Auswirkungen von Schmerzen lassen sich zwar nicht direkt, wohl aber indirekt näher erfassen. Ein Gesichtspunkt bei der Beurteilung von Schmerzen ist die Prüfung, ob eine schmerzbedingte Inaktivität bereits zu körperlich messbaren Folgen geführt hat. So ist allgemein bekannt, dass sich Muskeln, die nicht oder nur unzureichend beansprucht werden, zur Rückbildung neigen. Wird beispielsweise eine Extremität - Arm oder Bein - schmerzbedingt stärker geschont als andere, zeigen sich oft in der vergleichenden Messung einseitige Muskelminderungen. Auch neigen Gelenke, die nicht oder nicht ausreichend bewegt werden, zur Einsteifung (bekannt ist zB die posttraumatische Schultersteife). Derartige indirekte Hinweise auf eine schmerzbedingte Inaktivität liegen bei Klägerin nicht vor, wie sich bei der Begutachtung auf internistischem und nervenärztlichem Gebiet gezeigt hat (zum Ganzen Urteil des Senats vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10).

Als weiteres Kriterium ist die Lebensgestaltung des Betroffenen von Bedeutung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgleitet und daran gemessen. Ausgehend hiervon ist die Schmerzstörung als nicht gravierend einzustufen. Die Klägerin und ihr Ehemann führen ihren Haushalt gemeinsam und bewirtschaften auch zusammen ihren kleinen Garten. Unter der Woche besuchen sie häufig andere Familienmitglieder und die Wochenenden verbringen sie gerne mit Freunden. Dies entnimmt der Senat dem im Gutachten des Dr. F. wiedergegebenen Tagesablauf der Klägerin (Bl 40 der SG-Akte). Die Tagesstrukturierung ist vollständig erhalten, das allgemeine Interessenspektrum jedenfalls nicht erheblich eingeschränkt und die soziale Interaktionsfähigkeit ist sogar sehr gut ausgeprägt. Gegenüber Dr. F. hat die Klägerin auch angegeben, sie verfüge über ein großes Kontaktnetz (Bl 42 der SG-Akten). Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass die somatoforme Schmerzstörung allein zu keiner Einschränkung der Erwerbsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht geführt hat und führt.

Ob bei der Klägerin darüber hinaus eine dissoziative Bewegungsstörung vorliegt, wie sie Dr. F. in seinem Gutachten beschreibt, erscheint fraglich. Der Sachverständige begründet dies ua mit einem unsicheren Gangbild der Klägerin. Dies dürfte für die Annahme einer dissoziativen Bewegungsstörung kaum genügen, zumal der Arme- und Beinhalteversuch unauffällig war und weitere Untersuchungen zum Gangbild nicht erfolgt sind. Allgemein ist zu berücksichtigen, dass sein Gutachten wenig überzeugend ist, da es zum Teil gravierende Widersprüche aufweist. So stellt er bei der Erhebung des psychischen Befundes fest, dass keine Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörung vorliegt (Bl 43 der SG-Akte), führt dann aber eine Seite weiter aus, dass sich im Bereich der psychischen Belastbarkeit deutlich eine Minderbelastbarkeit, eine Konzentrationsschwäche gezeigt habe. Dies vermag nicht zu überzeugen. Dem Umstand, dass die Klägerin ihren Haushalt führen und ihren Garten versorgen kann, außerdem über ein gutes Kontaktnetz verfügt und während des Winters sich in ihrem Heimatland aufhält, also weite Flugstrecken problemlos bewältigen kann, hat der Sachverständige keinerlei Bedeutung beigemessen. Dies wäre aber notwendig gewesen, weil andernfalls davon auszugehen ist, dass er die Angaben der Klägerin unkritisch übernommen und auf dieser Grundlage seine Leistungsbeurteilung abgegeben hat.

Eine dissoziative Störung ist aber - wenn sie überhaupt vorliegt - jedenfalls für die Zeit bis 31.12.2008 nicht nachgewiesen. Aus dem Arztbrief der M.-S.-Klinik vom 24.05.2008 wird zwar ebenfalls der Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung im Rahmen plötzlicher Schwächeanfälle geäußert. Dies kann aber nicht zur Grundlage einer sozialmedizinischen Beurteilung gemacht werden, da die Schwächeanfälle nicht nachgewiesen sind und in der Klinik auch nicht beobachtet, sondern nur von der Klägerin geschildert wurden. Die Klinik hat daher auch nur den Verdacht auf eine solche Störung geäußert. Damals hat die Klägerin außerdem geäußert, sie komme vor dem Hintergrund ihres Lebensrahmens mit den Schmerzen gut zurecht. Auch wird in dem Arztbrief auf "den im Untersuchungsfenster eher eingeschränkt wahrnehmbaren Leidensdruck" hingewiesen (Bl 87 der LSG-Akte). Die Leistungsbeurteilung von Dr. M. kann nicht herangezogen werden, da sie die aus ihrer Sicht vorhandene eingeschränkte Erwerbsfähigkeit der Klägerin ausschließlich mit der psychischen Situation und damit fachfremd erklärte und der von der Beklagten mit einer Begutachtung beauftragte Dr. H. gar keine psychiatrische Problematik feststellen konnte. Vor diesem Hintergrund hält der Senat auch die Leistungseinschätzung des Dr. H. für überzeugend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved