L 9 R 4694/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2026/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4694/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Oktober 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer anstelle einer zeitlich befristet gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1954 in der T. geborene Klägerin, die im August 1972 nach Deutschland zugezogen ist, hat keinen Beruf erlernt und war im Zeitraum von März 1974 bis September 1996 - mit Unterbrechungen - als Maschinenarbeiterin bzw. zuletzt bei einem Paketdienst beschäftigt. Danach war sie arbeitslos. Wegen der Einzelheiten der versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Kontospiegel vom 3. November 2009 in den Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Nach dem Rentenantrag vom 14. Oktober 2003 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf Grund eines Vergleichs vom 15. Februar 2007 (Sozialgericht Freiburg [SG], S 4 R 929/04) Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 31. März 2007 und auf den Weitergewährungsantrag vom 15. April 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung weiter bis 31. März 2010.

Am 9. November 2009 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. März 2010 hinaus.

Hierauf bewilligte die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Bescheid vom 20. Januar 2010 und Widerspruchsbescheid vom 14. April 2010 - wiederum auf Zeit - bis 30. Juni 2012 weiter. Da die Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf den Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe, nachdem die Klägerin leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen noch drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten könne, sei nur eine zeitlich befristete Rente zu gewähren.

Die Grundlage der die Rente befristet weitergewährenden Entscheidung war neben den auf die vorangegangenen Rentenanträge eingeholten Gutachten und ärztlichen Äußerungen ein Befundbericht des Internisten Dr. S. vom 29. Dezember 2009, vorgelegte Arztbriefe und die ärztliche Stellungnahme des Dr. Z. vom 15. Januar 2010 (Diagnosen [D]: Zervikalsyndrom, Adipositas, rezidivierende Depression, Diabetes; leichte Tätigkeiten seien weiterhin drei bis unter sechs Stunden möglich, eine Besserung sei unwahrscheinlich).

Deswegen hat die Klägerin am 19. April 2010 Klage beim SG mit dem Ziel der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer erhoben. Ihr Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die von ihnen erhobenen Befunde haben der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. am 1. Juni und 4. Oktober 2010, Dr. A. am 8. Juni 2010 und der Internist Dr. S. am 26. August 2010 berichtet.

Dem Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stattgebend hat das SG Prof. Dr. F., Ärztlicher Direktor des A. Rheumazentrums B., mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Nachdem dieser mitgeteilt hat, das Krankheitsbild der Klägerin falle nicht in sein Fachgebiet, hat ihn das SG darauf hingewiesen, dass es an den Antrag der Klägerin gebunden sei, und ihn gebeten, das Gutachten zu erstatten. Hierauf hat Prof. Dr. F. das Gutachten mit dem Diktatzeichen "Dr. O." vom 25. März 2011 vorgelegt, das mit der Erklärung "Wir versichern, das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt zu haben" endet und von Dr. O., Fachärztin für Allgemeinmedizin, und Prof. Dr. F., Ärztlicher Direktor, unterzeichnet ist. In dem Gutachten sind die Diagnosen somatoforme Schmerzstörung, mittelgradige Depression, geringgradiges HWS-Syndrom, gering- bis mittelgradiges LWS-Syndrom, geringgradige degenerative Veränderungen der Hände, Vorfüße und Kniegelenke sowie der Radiocarpalgelenke beidseits, reduziertes fT4 als Zeichen einer möglicherweise beginnenden Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) gestellt. Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten bei Beachtung qualitativer Einschränkungen drei bis unter sechs Stunden verrichten.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat nach Erhalt des Gutachtens mit Schriftsatz vom 12. Mai 2011 Aufklärung beantragt, welchen Anteil jeweils die unterschreibenden Ärzte an der Erstellung des Gutachtens gehabt hätten. Hierauf hat das SG dem Bevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, die Frage vom 12. Mai 2011 (welchen Anteil die beiden Ärzte an der Erstattung des Gutachtens hätten) "dürfte nicht entscheidungserheblich sein" (Verfügung vom 17. Mai 2011). Auf das Vorbringen des Bevollmächtigten der Klägerin, der Sachverständige sei nach § 407a Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen Arzt zu übertragen und habe soweit er sich der Mitarbeit anderer Personen bediene diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, hat der Vorsitzende Richter am 25. Mai 2011 verfügt: "An Kl.-Bev. + Bekl. jeweils gg EB: Justus-Hinweis GB; Frist: 10.06.2011". Diese Verfügung hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 30. Mai 2011 mit dem Text "Das Gericht hat die Absicht, nach § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, da die Sache nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Sie erhalten Gelegenheit, sich bis 10.06.2011 zu der beabsichtigten Verfahrensweise zu äußern. Auf richterliche Anordnung" ausgefertigt und den Beteiligten zugestellt. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 3. Juni 2011 einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid widersprochen, da das Gutachten unter Verletzung der Bestimmung von § 407a Abs. 2 ZPO erstellt sei. Hierauf hat der Kammervorsitzende am 6. Juni 2011 ein Schreiben an die Beteiligten verfügt, wonach es bei der Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, verbleibe.

Mit Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Vorliegen eines unter dreistündigen Leistungsvermögens sei unter Berücksichtigung der Aussagen der behandelnden Ärzte nicht nachgewiesen, weswegen lediglich ein Anspruch auf eine befristete Rente bestehe. Auch nach dem auf Antrag der Klägerin nach § 109 bei Prof. Dr. F. eingeholten Gutachten bestehe keine weitergehende Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. Auf dieses Gutachten müsse sich die Kammer allerdings nicht stützen, weil bereits das Ergebnis der Amtsermittlung dasselbe Ergebnis erbracht habe. Da die Kammer es nicht als beweiserheblich heranziehen müsse, könne der Einwand der Klägerin dahingestellt bleiben, dass eine Verletzung von § 407a Abs. 2 ZPO vorliege, weil das Gutachten neben Prof. Dr. F. noch von Dr. O. unterzeichnet und nicht erkennbar sei, welcher Sachverständige welchen Anteil an der Erstellung des Gutachtens habe. Zwar schreibe § 407a Abs. 2 ZPO vor, dass der Sachverständige nicht befugt sei, den Gutachtensauftrag auf einen anderen zu übertragen und andere Personen namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben habe, soweit er sich ihrer Mitarbeit bediene, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handle. Allerdings folge aus einem etwaigen Verstoß maximal ein Beweisverwertungsverbot mit der Folge, dass die Kammer nicht auf das Gutachten stützen dürfe. Dies mache sie aber ohnehin nicht. Der Klageanspruch werde vielmehr unabhängig davon, ob das Gutachten als Beweis verwertet werde oder nicht, keinesfalls gestützt, so dass der Vortrag der Klägerin zu § 407a Abs. 2 ZPO insgesamt unbeachtlich sei.

Gegen den am 14. Oktober 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. Oktober 2011 Berufung eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der Verfahrensvorschriften der §§ 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 407a Abs. 2 ZPO. Sie habe die Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. F. beantragt. Nachdem das Diktatzeichen auf die mitunterzeichnende Dr. O. verweise, habe das SG zu Unrecht die Klärung unterlassen, wer das Gutachten erstattet habe. Auf Grund der Namensnennung auf Seite 1 des Gutachtens spreche der erste Anschein dafür, dass das Gutachten überwiegend von Dr. O. erstellt worden sei. Dies könne auch nicht auf Grund einer Beweiswürdigung dahinstehen. Das SG hätte ihr eine angemessene Frist zur Benennung eines anderen Gutachters nach § 109 SGG setzen müssen und es sei auch nicht auszuschließen, dass das Gericht bei Beantragung eines zweiten Gutachtens nach § 109 SGG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Oktober 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückzuweisen, hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Oktober 2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2012 abzuändern und Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren, hilfsweise ein "Ersatzgutachten" nach § 109 SGG bei Dr. A. einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat der Klägerin zwischenzeitlich mit Bescheid vom 22. März 2012 die Rente wegen voller Erwerbsminderung wiederum zeitlich befristet bis 30. Juni 2015 weiter bewilligt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 zulässige Berufung ist im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung der Streitsache an das SG begründet.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 3057) kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid) auf ihm beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, 2012, § 159 SGG Rdnr. 3a).

Das Verfahren unterlag bereits deshalb einem wesentlichen Mangel, weil das SG seinen Ermittlungspflichten im Rahmen des § 109 SGG sowie seiner prozessualen Fürsorgepflicht und den sich aus den §§ 105 und 106 Abs. 1 SGG ergebenden Hinweispflichten nicht nachgekommen ist und gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen hat.

Das SG hat zunächst zwar (pflichtgemäß) dem Antrag der Klägerin nach § 109 SGG auf Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. F. insoweit entsprochen, als es diesen zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt und damit entsprechende weitere Ermittlungen eingeleitet hat. Diese Ermittlungen hat es jedoch – auf den Antrag der Klägerin auf Klärung, wer das am 4. Mai 2011 vorgelegte Gutachten verantwortlich erstellt hat – gleichsam abgebrochen, indem der Kammervorsitzende mitgeteilt hat, "diese Frage dürfte nicht entscheidungserheblich sein", die – angesichts des Diktatzeichens, der abschließenden Erklärung der das Gutachten Unterzeichnenden und des vorherigen Hinweises von Prof. Dr. F. an das SG, das Krankheitsbild der Klägerin betreffe nicht sein Fachgebiet berechtigterweise – begehrte und erforderliche Klärung abgelehnt und das Gutachten schließlich bei seiner Entscheidung auch nicht verwertet hat. Wie dem Gerichtsbescheid zu entnehmen ist, hat das SG – ohne Prüfung – in Kauf genommen, dass das Gutachten nicht von dem von der Klägerin bestimmten Gutachter erstellt wurde, da dies allenfalls zu einem Beweisverwertungsverbot führen könne und es das Gutachten ohnehin nicht verwerte. Damit hat das SG dem Anspruch der Klägerin auf Anhörung eines Arztes ihrer Wahl nach § 109 SGG zu Unrecht nicht entsprochen. Die Klägerin hat schließlich in Konsequenz dessen dann auch im Berufungsverfahren den Antrag gestellt, einen anderen Arzt – Dr. A. – nach § 109 SGG zu hören. Mit dem die Klage abweisenden Gerichtsbescheid hat das SG somit gegen § 109 SGG und seine Ermittlungspflichten verstoßen.

Ferner hat das SG mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid gegen § 105 SGG verstoßen. Diese Vorschrift erfordert nicht nur den formelhaften Hinweis auf die Absicht durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, sondern eine konkrete, fallbezogene Auseinandersetzung mit dem Sach- und Streitstand (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 105, Rn 10 m.w.N.), die sich hier bereits deshalb hätte aufdrängen müssen, weil das SG das Gutachten, das es auf Antrag der Klägerin veranlasst hat, schon nicht verwerten wollte und gemäß den Ausführungen im Gerichtsbescheid nicht verwertet hat. Angesichts dessen hätte das SG darauf hinweisen müssen, dass es das Gutachten nicht verwerten will, und Gelegenheit zur Benennung eines anderen Gutachters geben müssen. Schließlich ignorierte die rein formelhafte, allein den Gesetzestext wiederholende Mitteilung der Absicht durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, den Vortrag der Klägerin, das Gutachten sei nicht maßgeblich von dem von der Klägerin nach § 109 SGG gewählten und benannten Arzt erstattet worden. Dass das SG dem Antrag der Klägerin auf Klärung, wer das Gutachten verantwortlich erstattet hat, nicht nachgehen wollte, ergibt sich allenfalls ansatzweise und ohne nähere Begründung aus der Verfügung vom 15. Mai 2011 (die Frage "dürfte nicht entscheidungserheblich sein") sowie konkludent aus der - vom Vorsitzenden stammenden - Verfügung vom 25. Mai 2011 und dem von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dann umgesetzten "Justus-Hinweis GB" (zur Notwendigkeit der Unterzeichnung der Verfügung durch den Richter mit vollem Namen sowie dessen Wiedergabe in der Ausfertigung/beglaubigte Abschrift vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 09. November 2010, L 12 R 793/09; BSG Urteil v. 01. Juli 2010, B 13 R 58/09 R [zur sog. "Betreibensaufforderung"], beide in Juris). Eine Begründung für das Vorgehen und eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Klägerin enthält der Hinweis nicht, weshalb die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 3. Juni 2011 ausdrücklich klargestellt hat, dass das von ihr beantragte Gutachten aus ihrer Sicht unter Verletzung von § 407a Abs. 2 ZPO erstellt sei. Die Fürsorgepflicht des SG verlangte nach Überzeugung des Senats zu diesem Zeitpunkt auch den Hinweis darauf, dass und aus welchem Grund die weitere Klärung bzw. weitere Ermittlungen nicht für erforderlich erachtet wurden. Der Hinweis vom 6. Juni 2011, es bleibe bei der Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, genügt dem nicht. Dieser Hinweis hätte auf Grund der Fürsorgepflicht der Kammer – nachdem das SG das Gutachten nicht verwerten wollte – mit dem Hinweis verbunden werden müssen, dass und in welcher Frist ein anderer Arzt benannt werden könne. Ermittlungen nach § 109 SGG können nicht gleichsam abgebrochen werden und eine Anhörung nach § 109 SGG abgelehnt werden, bevor dem Beteiligten nicht vorab Gelegenheit zur Benennung eines anderen Arztes innerhalb angemessener Frist gegeben worden ist. Denn die Klägerin hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihrem Recht nach § 109 Abs. 1 SGG Gebrauch machen will. Dem hat das SG jedoch - ohne Begründung - zu Unrecht nicht entsprochen. Ein Antrag nach § 109 SGG kann vom Gericht nur unter bestimmten Voraussetzungen (§ 109 Abs. 2 SGG) abgelehnt werden, nicht ohne Begründung unbeachtet bleiben (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 2012, L 9 U 4943/11).

Gründe den Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen, lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG nicht vor. Danach ist eine Ablehnung des Beweisantrags nur dann möglich, wenn der Antrag entweder (lediglich) in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. In beiden Fallkonstellationen muss zudem festgestellt werden, dass es bei einer Zulassung des Beweisantrags zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits kommt. Hier lag bereits ein Antrag nach § 109 SGG vor, dem das SG jedoch nicht durch Einholung eines Gutachtens des benannten Arztes und Verwertung des Gutachtens entsprochen hat.

Die dargelegten Verfahrensfehler, auf denen die Entscheidung des SG beruhen kann, erfüllen den Tatbestand des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das LSG die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn auf Grund eines wesentlichen Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Das Verfahren beim SG leidet an mehreren wesentlichen Verfahrensmängeln (s.o.). Durch die rechtsfehlerhafte Beendigung der Ermittlungen nach § 109 SGG sind auch (noch) umfangreiche und aufwändige Ermittlungen notwendig, nachdem die Klägerin an ihrem Recht auf Anhörung eines Arztes nach § 109 SGG, nun der Anhörung eines anderen Sachverständigen, festhält und diesen auch im Berufungsverfahren namentlich bezeichnet hat. Damit sind auch die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG in der seit 01. Januar 2012 anzuwendenden Fassung erfüllt (s.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2012, L 13 AS 1671/11 und Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 2012, L 9 U 4943/11).

Da das Verfahren infolge des auf den Antrag nach § 109 SGG verfahrensfehlerhaft erhobenen Gutachtens noch nicht entscheidungsreif ist, hält der erkennende Senat eine Zurückverweisung an das SG gemäß § 159 SGG für geboten anstatt selbst - nach noch durchzuführender Beweisaufnahme nach § 109 SGG - in der Sache zu entscheiden. Dies entspricht auch dem vorrangig mit der Berufung geltend gemachten Begehren der Klägerin, sodass die infolge der Aufhebung und Zurückverweisung eintretende Verzögerung hinter dem Interesse an einer ordnungsgemäßen Erledigung des erstinstanzlichen Verfahrens zurückzutreten hat.

Aus den vorstehenden Gründen verweist der Senat den Rechtsstreit an das SG zurück. Dieses wird die erforderlichen Ermittlungen nachzuholen haben, insbesondere prozessordnungsgemäß ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der erneuten Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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