L 4 R 1533/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 6309/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1533/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Übernahme von Mietschulden im Wege der einstweiligen Anordnung. Die 1953 und 1957 geborenen Antragsteller bewohnen eine 84 qm große Wohnung in F. zu einem Kaltmietpreis von 438 EUR zuzüglich Nebenkosten von 87 EUR und Heizkosten von 58 EUR. Der Antragsteller ist als Architekt und Fotograf freiberuflich tätig, erzielt jedoch nur zeitweise geringes Einkommen, die Antragstellerin übt seit 1. Juni 2009 eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus mit einem Nettolohn zwischen 630 EUR und 750 EUR (zuzüglich einer Sonderzuwendung jeweils im November). Die Antragsteller bezogen als Bedarfsgemeinschaft in der Zeit vom 1. September 2008 bis 31. Oktober 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Antragsgegner, zuletzt in Höhe von 620,72 EUR (Änderungsbescheid vom 24. März 2010). Dabei wurde auf Wunsch der Antragsteller monatlich ein Festbetrag in Höhe von 525 EUR direkt an den Vermieter gezahlt. Im November 2011 mahnte der Vermieter der Antragsteller rückständige Miete ab November 2009 an, sprach eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus und erhob Räumungs- und Herausgabeklage beim Amtsgericht Freiburg (- 3 C 3799/11 -). Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich am 6. März 2012, in dem sich die Antragsteller verpflichteten, die Wohnung zu räumen und an den Vermieter herauszugeben und der Vermieter auf die Vollstreckung des Räumungs- und Herausgabeanspruchs verzichtete, sofern die Antragsteller künftig die monatliche Miete pünktlich bezahlen und auf den Mietrückstand monatliche Raten von 50 EUR ab April 2012 und von 100 EUR ab Januar 2013 bezahlen. Am 2. Januar 2012 beantragten die Antragsteller die Fortzahlung ihrer Leistungen, worauf der Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Februar 2012 Leistungen in Höhe von monatlich 620,16 EUR für Januar bis Juni 2012 bewilligte. Daneben beantragten die Antragsteller am 13. Februar 2012 die Übernahme ihrer Mietschulden in Höhe von 13.650 EUR, was der Antragsgegner mit Bescheid vom 17. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2012 ablehnte. Der Widerspruchsbescheid ist bestandskräftig geworden. Zusätzlich machten die Antragsteller geltend, auch für die Bewilligungszeiträume zwischen November 2009 und Dezember 2011 jeweils Leistungsanträge gestellt zu haben, über die noch nicht entschieden sei. Der Antragsgegner lehnte die Gewährung von Leistungen für diesen Zeitraum ab, da erstmals am 13. Februar 2012 ein entsprechender Antrag gestellt worden sei (Bescheid vom 9. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2012). Bereits am 2. März 2012 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und geltend gemacht, sie hätten sämtliche Folgeanträge jeweils rechtzeitig zur Post gegeben, es sei nicht denkbar, dass alle auf dem Postweg verloren gegangen seien. Es sei davon auszugehen, dass die Anträge intern beim Antragsgegner verloren gegangen seien. Zudem habe der Antragsteller jeweils Unterlagen über seine erwirtschafteten Zahlen vorgelegt, die als konkludente Anträge zu betrachten seien. Erst durch die Mitteilung des Vermieters hätten sie von den Mietrückständen erfahren. Mit Beschluss vom 6. März 2012 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und gestützt auf § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht gegeben sei. Ein Anspruch auf Übernahme der Mietschulden als Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bestehe für die Zeit vom 1. November 2009 bis 31. Dezember 2011 mangels vorheriger Antragstellung nach § 37 SGB II nicht. Durch die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, die Anträge rechtzeitig zur Post gegeben zu haben, könne allein die Aufgabe zur Post, nicht aber der Zugang beim Antragsgegner glaubhaft gemacht werden. Es bestehe auch kein Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II. Vorliegend bezögen die Antragsteller zwar aktuell wieder Leistungen für Unterkunft und Heizung, es sei auch glaubhaft gemacht, dass aufgrund der Räumungsklage Wohnungslosigkeit drohe. Die Übernahme der Mietschulden sei aber nicht gerechtfertigt, da die Antragsteller die Entstehung der Rückstände in sozialwidriger Weise herbeigeführt haben dürften. Zwar bestünden Bedenken hinsichtlich der Auffassung, dass eine Schuldenübernahme nur dann in Betracht komme, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand geraten sei. Allerdings scheide eine Mietschuldenübernahme bei einem sozialwidrigen bzw. missbräuchlichen Herbeiführen der Mietrückstände aus. Danach dürfte eine auch nur darlehensweise Übernahme nicht in Betracht kommen, denn die Antragsteller hätten zum Entstehen der Mietschulden in hohem Maße beigetragen. Auch wenn der Vermieter erst im November 2011 den Ausgleich des Rückstands angemahnt habe, hätten sich die Antragsteller nicht auf die Fortzahlung der Miete durch den Antragsgegner verlassen dürfen. Sie hätten bemerken müssen, dass für den Zeitraum November 2009 bis Dezember 2011 weder Bewilligungsbescheide ergangen, noch Auszahlungen an sie selbst erfolgt seien. Die Antragsteller hätten sich zumindest zu einer Nachfrage beim Antragsgegner veranlasst sehen müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Antragsteller die fehlende Auszahlung der Regelleistung über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren nicht bemerkt haben wollten. Hiergegen richtet sich die am 5. April 2012 eingelegte Beschwerde der Antragsteller. Im parallelen Beschwerdeverfahren hinsichtlich Prozesskostenhilfe (L 12 AS 1060/12 B) haben die Antragsteller vorgetragen, die Situation, dass letztlich erst aufgrund der Mitteilung des Vermieters im November 2011 - nach einer erheblichen Obliegenheitsverletzung des Empfängers der Mietkosten - den Antragstellern die fehlende Zahlung des Antragsgegners bewusst geworden sei, stelle keine sozialwidrige Herbeiführung von Mietrückständen dar. Zwar möge auch ein gewisses Mitverschulden der Antragsteller zu berücksichtigen sein, dies müsse jedoch hinter der fehlenden Kenntnis der Mietrückstände aufgrund der Nachlässigkeit des Vermieters zurückstehen. Auf die Durchsetzung des titulierten Räumungsanspruchs verzichte der Vermieter nur, wenn die Antragsteller monatliche Raten auf die Rückstände zahlten, womit das Mietverhältnis weiterhin auf des Messers Schneide stehe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 Satz 1 SGG) und statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG), in der Sache ist sie jedoch nicht begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange des Antragstellers. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 42 m.w.N.). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 = NJW 2006, 719 und FEVS 57, 164). Soweit es um den Anspruch auf Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II geht, ist die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners bestandskräftig geworden. Den Bescheid vom 17. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2012 haben die Antragsteller nicht angegriffen, die Klagefrist ist am 30. April 2012 abgelaufen. Wegen der bindend gewordenen Ablehnung (§ 77 SGG) kann ein Anordnungsanspruch insoweit nicht mehr glaubhaft gemacht werden. Soweit die Antragsteller die rückständige Miete als noch ausstehende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 1. November 2009 bis 31. Dezember 2011 geltend machen, steht dem zwar nicht entgegen, dass es sich um Leistungen für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum handelt, denn die Notlage wirkt bis in die Gegenwart fort. Gleichwohl ist ein Anspruch jedoch nicht glaubhaft gemacht, denn die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II werden nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur auf Antrag erbracht. Es ist vorliegend schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller für den genannten Zeitraum überhaupt Anträge gestellt haben, so dass sich der Bescheid vom 9. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2012 nicht als rechtswidrig erweist. Zum einen befinden sich in den Verwaltungsakten keine Vorgänge zwischen der Abmeldung der Antragsteller aus der Arbeitsvermittlung am 15. Dezember 2009 bis zum 9. November 2011. Zum anderen spricht auch das Verhalten der Antragsteller selbst dagegen, dass sie - wie behauptet - alle halbe Jahre Fortzahlungsanträge gestellt haben. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass bei tatsächlicher Antragstellung nicht einmal im gesamten Zeitraum nachgefragt worden sein soll, zumal die Antragsteller sich nach Aktenlage in früheren Bewilligungsabschnitten wiederholt erkundigt und auch wegen "schleppender Bearbeitung" beschwert hatten. Ein Anspruch auf rückwirkende Leistungen für den Zeitraum 1. November 2009 bis 31. Dezember 2011 ist damit nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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