L 11 R 2539/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2027/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2539/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 23.05.2011 wird zurückgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen die Beklagte aufgrund ihres Antrages vom 28.04.2009 ein Anspruch auf Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zusteht.

Die am 26.09.1950 geborene Klägerin ist italienische Staatsangehörige. Sie siedelte am 07.02.1972 in die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist verheiratet und hat fünf erwachsene Kinder. Die Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert und war bis 20.08.1993 als Maschinenführerin in einer Blechnerei (40 % mittelschere, 20 % schwere Tätigkeit) versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Zeiten der Arbeitslosigkeit (mit und ohne Leistungsbezug) und einer Pflegetätigkeit war die Klägerin noch geringfügig beschäftigt, wobei zeitweise für die Beschäftigung Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt wurden. Beiträge zu einem ausländischen Versicherungsträger wurden nicht entrichtet.

Vom 03.03.2009 bis 26.03.2009 erbrachte die Beklagte der Klägerin stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der S.-Klinik in Bad K ... Der Entlassbericht vom 31.03.2009 teilt folgende Diagnosen mit: chronifiziertes generalisiertes Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates (Hinweise für fibromyalgieforme Komponente); WS-Syndrom dorsal und lumbal betont mit degenerativen Bandscheibenveränderungen und Spondylarthrose; Gonalgien bds medial; Senk-Spreizfüße (plantarer und dorsaler Fersensporn), Übergewicht, Hyperurikämie. Hinsichtlich einer Tätigkeit als Hausfrau sowie leichter bis mittelschwerer Tätigkeiten in Tages- bzw Früh-/Spätschicht sei die Klägerin unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen hinsichtlich der Sinnesorgane, des Bewegungs- und Haltungsapparates sowie Gefährdungs- und Belastungsfaktoren sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Empfohlen wurden warme, geschlossene, trockene Räume, nicht zu hohe Anforderungen an manuelles Geschick, Wechsel der Haltungen und das Vermeiden von Hocken, Knien, Gehen auf Treppen, Leitern und Gerüsten. Probleme beim Stereosehen seien wohl anzunehmen.

Am 28.04.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Hierzu gab sie an, sich seit ca zwei Jahren wegen Arthrose, zwei Bandscheibenvorfällen, Schwindel, Schmerzen im rechten Bein und der Blindheit des rechten Auges für erwerbsgemindert zu halten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.06.2009 ab.

Unter Hinweis auf die im Entlassbericht der S.-Klinik genannten Diagnosen erhob die Klägerin am 30.06.2009 Widerspruch. Die Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte, Dr. W.-V. und Dr. K.-H., ein und beauftragte anschließend den Arzt für Orthopädie und Rheumatologie, Sportmedizin, Chirotherapie Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser teilte in seinem Gutachten vom 17.03.2010 mit, die Klägerin leide an einem HWS-Syndrom bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der HWS, einer Lumbalskoliose, einer Lumbalgie, einer beginnenden Gonarthrose beidseits, bei Zustand nach beidseitiger Meniskusteilresektion, an Senk-Spreizfüße, an Adipositas und an Bluthochdruck. Bei der Untersuchung habe sich die Klägerin in einem altersentsprechenden Allgemeinzustand bei deutlich erhöhtem Körpergewicht (Adipositas) gezeigt. Alle Tätigkeiten, die mit schwerem Heben und Tragen verbunden seien, seien aufgrund der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule nicht mehr ausführbar. Tätigkeiten, die ausschließlich im Sitzen ausgeführt werden müssten, seien wegen der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule ebenfalls nicht mehr ausführbar. Am ehesten ausführbar seien Tätigkeiten unter wechselnder Körperbelastung, dh überwiegend im Sitzen und teilweise im Stehen und Gehen. Wegen der Beeinträchtigung der Greiffunktion der linken Hand seien Tätigkeiten, die feinmanuelles Geschick verlangten (Sortierarbeiten) nicht mehr ausführbar. Mit diesem Leistungsvermögen könne die Klägerin als Hausfrau sowie in leichten bis mittelschweren Tätigkeiten unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen hinsichtlich des Bewegungs-/Haltungsapparates sechs Stunden und mehr tätig sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin sei in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten von mehr als sechs Stunden täglich auszuüben. Auszuschließen seien Arbeiten mit häufigem Bücken, auf Leitern und Gerüsten, in Nässe, Zugluft und extrem schwankenden Temperaturen.

Am 10.06.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, auch der behandelnde Orthopäde Dr. W.-V. komme zum Ergebnis, sie könne keine Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr verrichten. Hierzu legte sie einen Bericht von Dr. W.-V. vom 16.06.2010 vor, in dem dieser ausführt, aufgrund der multiplen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden könne die Klägerin eine Tätigkeit von drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verrichten.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnehme wird auf Blatt 21 bis 30 sowie 32 bis 50 der SG-Akten Bezug genommen. Der Arzt für Orthopädie Dr. W.-V. hat in seiner Stellungnahme vom 23.07.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestünden folgende Gesundheitsstörungen: eine rezidivierende. Lumboischialgie bei degenerativen Veränderungen und BSV L3/L4; L4/L5; L5/S1; ein rezidivierendes Cervicobrachialsyndrom bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen mit Funktionseinschränkung; ein rezidivierendes Dorsalsyndrom bei degenerativen Veränderungen mit BS-Schäden und Fehlstatik; ein chronifziertes generalisiertes Schmerz-Syndrom; eine Fibromyalgie; eine Coxarthrose bds mit Gelenkteilsteife; eine Gonarthrose bds mit Gelenkteilsteife; eine rezidivierende PAHumeroscapularis links; ein Impingementsyndrom der Schulter links; statische Beschwerden bei Senkspreizfuß sowie ein Fersensporn rechts. Es sei mit einer Verschlechterung im Bereich der LWS, dem linken Kniegelenk und beider Hüftgelenke zu rechnen. Die Klägerin könne nicht mehr schwer Heben/Tragen () 7 kg). Arbeiten in gebückter ober kniender Haltung, das Ersteigen von Treppen oder Leitern, Arbeiten in Nässe, Kälte, Zugluft sowie langes Gehen oder Stehen seien nicht mehr möglich. Der Arzt für Augenheilkunde Dr. M. hat mit Schreiben vom 03.08.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe ein Astigmatismus, eine Presbyopie, eine Hyperopie links, ein Fundus myopicus rechts bei Myopia magna, eine Amblyopie rechts sowie ein Strabismus konvergens rechts (Innenschielen). Aufgrund der funktionellen Einäugigkeit bestehe bei der Klägerin kein räumliches Sehen. Die bisherige berufliche Tätigkeit als Maschinenführerin könne die Klägerin weiterhin ausüben. Aus augenärztlicher Sicht sei sie in der Lage, Tätigkeiten im Beruf sowie Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-H. hat dem SG unter dem Datum des 25.08.2010 ärztliche Berichte sowie einen Ausdruck aus der Krankenakte der Klägerin vorgelegt und mitgeteilt, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich seit Frühjahr 2009 nicht verändert.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens beim Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Unfallarzt Dr. E ... Wegen des Inhalt und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 54 bis 72 der SG-Akte Bezug genommen. Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 08.12.2010 mitgeteilt, die Klägerin leide an multietageren degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Osteochondrosen und Spondylarthrosen, zusätzlicher cervikaler Gefügelockerung, rechtskonvexer Lumbalskoliose mit Gefügelockerung, Bandscheibenprotrusionen und resultierendem lokalem und pseudoradikulärem Bewegungsschmerzbild mit leichter Einschränkung der jeweiligen Beweglichkeiten der Wirbelsäulenabschnitte, reaktive muskuläre Verspannungen aller drei Wirbelsäulenabschnitte sowie an Arthroseveränderungen beider Kniegelenke mit leichten Kapselreizerscheinungen bei insgesamt freien Beweglichkeiten. Soweit die Tätigkeit einer Maschinenführerin Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen beinhalte und Lastgrenzen beim Heben und Tragen von 7 bis 8 kg einzuhalten seien, könne die Klägerin diese Tätigkeit weiterhin verrichten. Sollte jedoch die Tätigkeit nur im Stehen und Gehen ausgeführt werden müssen, Zwangshaltungen der Wirbelsäule und auch gehäuftes Bücken und verdrehte Haltungen der Wirbelsäule erfordern, so sei diese Tätigkeit nicht mehr auszuüben. Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Eine Lastgrenze für Heben und Tragen sei zwischen 7 bis 8 kg einzuhalten. Die Arbeiten seien im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen ausführbar. Ständiges Stehen und Gehen solle auf Grund der Kniegelenksbefunde und auch der Lendenwirbelsäule nicht erforderlich sein. Arbeiten seien ohne Gefährdung durch Kälte, Zugluft und Nässe auszuführen. Zwangshaltungen der Wirbelsäule wie in gebückter oder verdrehter Oberkörperhaltung sollten nicht erforderlich sein. Überkopfarbeiten mit der Notwendigkeit der Reklinationsbewegung der Hals- und der Lendenwirbelsäule seien zu vermeiden. Erschütterungen und Vibrationseinflüsse auf die Kniegelenke und die Lendenwirbelsäule müssten ebenfalls unterbleiben. Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien unter Beachtung der genannten Funktionseinschränkungen noch vollschichtig ausführbar.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 23.05.2011 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Sie sei noch in der Lage unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus dem Entlassungsbericht der S.-Klinik und den Gutachten von Dr. S. und von Dr. E ... Der Beurteilung von Dr. W.-V. könne nicht gefolgt werden. Dieser habe ausgeführt, die Klägerin könne aufgrund der multiplen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden eine Tätigkeit von drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verrichten. Allerdings nenne er hierfür keine Befunde oder Funktionsstörungen, die im Gegensatz hierzu sowohl Dr. E. als auch Dr. S. nur in gering beeinträchtigendem Maße festgestellt hätten. Dr. M. habe trotz funktioneller Einäugigkeit keine Einschränkung für das Erwerbsleben der Klägerin gesehen. Jedenfalls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin daher Tätigkeiten, die kein räumliches Sehen erforderten, mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Weitere Funktionseinschränkungen, insbesondere durch ein chronifiziertes generalisiertes Schmerzsyndrom mit Hinweisen für eine fibromyalgieforme Komponente lägen nicht vor. Denn schon in der S.-Klinik seien diesbezüglich keine weiteren Funktionsstörungen festgestellt worden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 24.05.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17.06.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, der Argumentation des SG werde entgegengetreten. Der Befundbericht des Dr. W.-V. führe enumerativ sowohl die Befunde als auch die Röntgenbefunde auf, attestiere Behinderungen/Gesundheitsstörungen und komme dann zu dem von ihm festgestellten Ergebnis. Innerhalb dieses Befundberichtes gehe der Mediziner auch auf die Vorgeschichte ein, erhebe dann die Befunde und komme danach sehr wohl zum Ergebnis, dass bei der Klägerin Behinderungen bzw Gesundheitsstörungen vorlägen. Auf Grund dieser Behinderungen und Gesundheitsstörungen komme der Arzt zu dem Ergebnis, sie könne eine Tätigkeit von drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verrichten. Für sie sei evident, dass die Differenz zwischen der Aussage von Dr. W.-V. und dem Gutachter Dr. E. durch Einholung eines Obergutachtens überprüft werden müsse.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 23.05.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.04.2009 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten, insbesondere der vorgelegten ärztlichen Unterlagen, wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 03.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2010. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Das SG hat zutreffend die medizinischen Befunde und Leistungseinschätzungen beachtet, gegeneinander abgewogen und ausführlich dargelegt, weshalb der Einschätzung der Gutachter Dr. S. und Dr. E. zu folgen ist. Nach eigener Prüfung ist der Senat auf Grundlage der Gutachten von Dr. E., Dr. S., dem Entlassbericht der S.-Klinik, der Auskünfte von Dr. M. und Dr. K.-H. aber auch in Anbetracht der Auskünfte von Dr. W.-V. zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche (arbeitstäglich) zu verrichten; sie ist damit nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI). Diese Leistungseinschätzung hat das SG ausführlich dargestellt und begründet. Die Ausführungen des SG hält der Senat für zutreffend und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück. Daher wird auf die weitere Darstellung der Entscheidungsgründe verzichtet (§ 153 Abs 2 SGG). Lediglich ergänzend sei ausgeführt:

Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Denn das wesentliche Leiden der Klägerin liegt ausschließlich auf orthopädischem Fachgebiet. Die dortigen Erkrankungen hat das SG zutreffend dargestellt. Weder diese Erkrankungen noch das Augenleiden führen zu einer rentenrechtlich relevanten zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Zwar hat Dr. W.-V. in seinem Bericht vom 16.06.2010 ein auf unter drei Stunden eingeschränktes Leistungsvermögen angegeben. Dagegen hat er gegenüber dem SG die Frage nach der zeitlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht beantwortet und lediglich qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit dargestellt (Ausschluss von schwerem Heben/Tragen ) 7 kg, von Arbeiten in gebückter ober kniender Haltung, von Ersteigen von Treppen oder Leitern, von Arbeiten in Nässe, Kälte, Zugluft sowie von langem Gehen oder Stehen). Unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. W.-V. einerseits und den Ausführungen von Dr. K.-H., Dr. M., des Entlassberichts aus der S.-Klinik sowie der Gutachter Dr. S. und Dr. E. andererseits konnte sich der Senat aber nicht von einem auf unter sechs Stunden eingeschränkten Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überzeugen. Zu berücksichtigen ist, dass physikalische Therapien oder Injektionsbehandlungen nicht stattfinden. Auch nimmt die Klägerin im Hinblick auf die angegebene Schmerzerkrankung lediglich Schmerzmittel ein; eine nervenärztliche, psychiatrische oder schmerztherapeutische Behandlung findet nicht statt. Dies spricht für den Senat gegen einen erheblichen Leidensdruck bei der Klägerin. Vor diesem Hintergrund konnte sich der Senat von der Richtigkeit der Leistungseinschätzung von Dr. E. und Dr. S. überzeugen. Deren Gutachten sind schlüssig und widerspruchsfrei und leiten aus den dargestellten Untersuchungsbefunden die jeweils vorgenommene Leistungseinschätzung ab. Dagegen konnte der Senat aus den vorliegenden Unterlagen die Leistungseinschätzung von Dr. W.-V. nicht nachvollziehen. Zwar teilt dieser Befunde und Diagnosen mit. Weshalb die Klägerin aber deswegen nicht mehr drei Stunden arbeiten könne, wie von ihm angegeben, erschließt sich aus seien Angaben nicht.

Auch die seit Jahren bestehende Augenerkrankung der Klägerin iS einer faktischen Einäugigkeit reduziert deren Leistungsvermögen nicht in zeitlicher Hinsicht. Vielmehr hat der Augenarzt Dr. M. ein vollschichtiges Leistungsvermögen dargestellt.

Die Klägerin hat die vom SG genannten und aus den Gutachten von Dr. S. und Dr. E. sowie den vorliegenden Arztunterlagen resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen zu beachten. Die Augenerkrankung führt dazu, dass Tätigkeiten, die ein räumliches Sehen erfordern, ausgeschlossen sind. Dies ist jedoch bei leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen nicht erforderlich.

Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass diese noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus ihnen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Klägerin ist dabei auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies konnte Dr. E. bestätigen.

Die Klägerin ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); sie hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig wäre. Da die Klägerin zuletzt als ungelernte Arbeiterin/Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt war, ist sie - selbst wenn sie ihre letzte Tätigkeit nicht mehr ausüben könnte - auf sämtliche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeiten verweisbar. Derartige leichte Tätigkeiten kann sie aber - wie dargelegt - arbeitstäglich noch sechs Stunden und mehr verrichten.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Der Senat hält deshalb weitere Ermittlungen, nicht mehr für erforderlich. Die vorliegenden Gutachten von Dr. S. und Dr. E. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und sie geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - ohnedies nicht vor (BSG 23.05.2006, B 13 RJ 272/05 B, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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