S 112 KR 264/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
112
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 264/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger bei seinen Einsätzen als Synchronsprecher am 28. Juni 2007 für die Beigeladene zu 4), am 21. November 2007 für die Beigeladene zu 5) und am 23. Januar 2008 für die Beigeladene zu 6) als unständig Beschäftigter versicherungspflichtig zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung war. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger seine Synchronsprechertätigkeit für die Beigeladenen zu 4) bis 6) an drei bestimmten Tagen in den Jahren 2007 und 2008 als unständig Beschäftigter und damit versicherungspflichtig ausgeübt hat.

Der 1953 geborene Kläger ist Schauspieler und Synchronsprecher. Er wird seit Januar 1997 von der beklagten Krankenkasse als pflichtversichertes Mitglied geführt. Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze ist nach Angaben der Beklagten zu keiner Zeit zum Tragen gekommen. Eine Versicherungspflicht des Klägers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz bestand bis mindestens 2011 nicht. Die Beigeladenen zu 4) bis 6) sind Synchronproduzenten. Die Beklagte hatte gegenüber mehreren Synchronisationsunternehmen bescheinigt, dass der Kläger vom Erscheinungsbild her hauptberuflich als unständig Beschäftigter tätig sei.

1982 spielte der Kläger die Hauptrolle in einem Kinofilm. Später übernahm er Nebenrollen oder Gastrollen in verschiedenen Fernsehserien. Der Kläger ist daneben seit über zwanzig Jahren als Synchronsprecher tätig. Er hatte zu Beginn dieser Tätigkeit bei verschiedenen Aufnahmeleitern und Regisseuren vorgesprochen, um auf sich aufmerksam zu machen. Hierdurch und aufgrund zahlreicher Einsätze war seine Stimme bald in der Branche bekannt. Der Kläger leistet monatlich rund zwanzig bis dreißig, teilweise über vierzig Einsätze als Synchronsprecher. In den hier interessierenden Jahren 2007 und 2008 war er in sehr unterschiedlichem Umfang für über dreißig verschiedene Synchronunternehmen tätig. Die statusrechtliche Behandlung des Klägers war uneinheitlich: Manche Auftraggeber behandelten ihn als Selbstständigen, andere als unständig Beschäftigten, einige meldeten den Kläger unter Verwendung des Personengruppenschlüssels "101" als Beschäftigten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen 1 bis 3 zum klägerischen Schriftsatz vom 5. September 2011 verwiesen.

Verträge über einen Einzeleinsatz als Synchronsprecher werden typischerweise eingeleitet durch eine telefonische Anfrage des Aufnahmeleiters beim Kläger, ob er für eine bestimmte Rolle zur Verfügung stehe. Die Anrufe erfolgen teilweise sehr kurzfristig vor dem Einsatztermin, in anderen Fällen mit einem Vorlauf von ein bis zwei Wochen. Bei Terminkollisionen kommt es vor, dass die beteiligten Aufnahmeleiter untereinander eine Koordination vornehmen, um beide Einsätze zu ermöglichen. Der Synchronsprecher verpflichtet sich telefonisch für die Synchronisation einer bestimmten Filmrolle. Schriftliche Vereinbarungen werden in aller Regel nicht geschlossen. Die Höhe der Gage wird nach Angaben des Klägers nicht individuell vereinbart, sondern bestimmt sich regelmäßig nach den von den Berufs- bzw. Interessenverbänden als Orientierung für die Mitglieder entwickelten Gagenempfehlungen. Für Ensemblesprecher gibt es eine Tabelle A mit niedrigeren Anfängergagen und eine Tabelle B für Fortgeschrittene. Beide Tabellen weisen Spaltenwerte für abhängig beschäftigte Sprecher einerseits und andererseits um jeweils zehn Prozent höhere Werte für selbstständige Sprecher auf. Der Kläger bringt bei der Zusage zu einem derartigen Einsatz lediglich zum Ausdruck, dass für ihn als erfahrenen Sprecher die Gagentabelle B einschlägig ist. Absprachen über den statusbezogenen Spaltenwert finden nach Angaben des Klägers nicht statt. Die entsprechende Einstufung bzw. Auswahl wird bei der Gagenabrechnung von der Buchhaltung des Synchronproduzenten vorgenommen.

Etwa am 21. Juni 2007 erhielt der Kläger einen Anruf von der freien Aufnahmeleiterin T. Sie suchte im Auftrag der Beigeladenen zu 4) einen Sprecher für die Synchronisation einer Rolle in dem britischen Episodenprojekt S C und fragte zunächst an, ob der Kläger am 28. Juni 2007 bereits andere Verpflichtungen habe. Dies war nicht der Fall, so dass die Disposition fertig gestellt wurde. Der Kläger hatte bei der Zusage darauf hingewiesen, dass seine Gage nach der Tabelle B zu bemessen sei. Kurz vor dem Termin informierte die Aufnahmeleiterin ihn über die genaue Uhrzeit seines Einsatzes, der in den Betriebsräumen und mit dem technischen Apparat des Synchronisationsunternehmens erbracht wurde. Für seine Tätigkeit als Synchronsprecher an jenem Tag zahlte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 4) unter Zugrundelegung der Tabellenwerte für Selbstständige eine Zeitpauschale sowie eine Gage für vier sogenannte Takes (kurze Dialogstücke, in die ein Film für die Synchronisation aufgeteilt wird) zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer (MWSt), insgesamt 104,29 EUR an den Kläger. Er hatte in jenem Jahr für das damals noch als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Synchronunternehmen lediglich einen weiteren Einsatz (12. Januar 2007). 2008 war der Kläger insgesamt an drei Tagen für die Beigeladene zu 4) tätig (20. Juni, 25. Juli und 4. September 2008); eine Rahmenvereinbarung bestand nicht.

Am 21. November 2007 war der Kläger als Synchronsprecher für die Beigeladene zu 5) tätig, mit der er ebenfalls nicht durch eine Rahmenvereinbarung verbunden war. Nach seinen Angaben muss er damals sehr kurzfristig von dem Aufnahmeleiter angerufen worden und frei gewesen sein. Er erhielt eine Gage nach der Tabelle B (Selbstständige) in Höhe von brutto 140,80 EUR. 2007 war der Kläger an mindestens neun weiteren Tagen für die Beigeladene zu 5) tätig, 2008 hatte er mindestens zwölf Einsätze als Synchronsprecher für dieses Unternehmen. Alle Einsätze wurden auf Honorarbasis unter Ausweis der gesetzlichen MWSt abgerechnet.

Der Sprechereinsatz am 23. Januar 2008 für die Beigeladene zu 6) fand von 9:20 bis 10:15 Uhr statt. Die Aufnahmeleiterin D hatte in der Vorwoche angerufen und den Kläger gebeten, sie für die kommende Woche einzuplanen. Den genauen Einsatztermin gab sie erst am 22. Januar 2008 durch. Die Gage für den Einsatz als Solist mit dreizehn Takes betrug 94,38 EUR (brutto). Der Kläger wurde auch von der Beigeladenen zu 6) durchweg als Selbstständiger behandelt (sechs Einsätze 2007, ein weiterer Einsatz 2008 am 18. November).

Im Oktober 2008 meldete der Kläger der Beklagten die drei vorstehend näher beschriebenen Einsätze und bat darum, Versicherungspflicht als unständig Beschäftigter festzustellen. Die Beklagte teilte nach telefonischen Erkundigungen bei den Beigeladenen zu 4) bis 6) mit, nach Maßgabe des Prüfschemas der Deutschen Rentenversicherung Bund bestehe die geltend gemachte Versicherungspflicht nicht (Bescheid vom 18. Dezember 2008). Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010).

Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass seine für die Beigeladenen zu 4) bis 6) an den genannten Tagen in den Jahren 2007 und 2008 ausgeübten Tätigkeiten als Synchronsprecher der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Er trägt vor: Die Beklagte habe ihrer Entscheidung unkritisch die in dem gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprechern vom 30. September 2005 verlautbarte pauschale Betrachtungsweise zu Grunde gelegt. Dies stehe im Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen, zur Gesetzeslage und zur einschlägigen Rechtsprechung und führe zu unsachgemäßen und unvertretbaren Ergebnissen. Die gebotene Prüfung der konkreten Umstände ergebe bei dem Kläger ein Überwiegen der Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. So könne der Kläger seine Tätigkeit nicht ausführen, ohne die betrieblichen Einrichtungen des Beschäftigungsgebers zu benutzen. An den Einsatztagen sei er von der Disposition der Produktionsfirma über Arbeitszeit, Arbeitsort, die Dauer und die Art der jeweiligen Tätigkeit abhängig und voll in deren Betriebsorganisation eingebunden. Er trage kein mit dem Einsatz von Kapital verbundenes Unternehmerrisiko. Seine Vergütung sei rein zeitabhängig bemessen. Auf finanzgerichtliche Rechtsprechung könne die Beklagte sich nicht stützen. Die sozialrechtliche Beurteilung könne anerkanntermaßen von der steuerrechtlichen abweichen. Das Steuerrecht kenne insbesondere keine Sonderregelungen für unständige Beschäftigungen. Zur weiteren Darstellung des klägerischen Vorbringens wird auf dessen Schriftsätze vom 30. Juni 2010 und 20. März 2012 sowie die dazu überreichten Anlagen verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010 aufzuheben und festzustellen, dass er bei seinen Einsätzen als Synchronsprecher am 28. Juni 2007 für die Beigeladene zu 4), am 21. November 2007 für die Beigeladene zu 5) und am 23. Januar 2008 für die Beigeladene zu 6) als unständig Beschäftigter versicherungspflichtig zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung war.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 3) und 4) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie halten die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und zur Ergänzung des Sachverhalts wird schließlich Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die als Einzugsstelle zuständige (§ 28h Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV) Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die vom Kläger begehrten Feststellungen zu treffen. Er war bei seinen Einsätzen als Synchronsprecher für die Beigeladene zu 4) am 28. Juni 2007, für die Beigeladene zu 5) am 21. November 2007 und für die Beigeladene zu 6) am 28. Januar 2008 versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung.

Der die Versicherungspflicht auslösende Tatbestand ist in den genannten Zweigen übereinstimmend die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI), § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einen Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (stellvertretend: BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – USK 2008-45, Rn. 15 m. w. N.).

Diese Grundsätze sind vorliegend nicht durch das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG)) berührt. Im Anschluss an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (grundlegend: Beschluss des Ersten Senats vom 13. Januar 1982 – 1 BvR 848 u. a. – BVerfGE 59, 231 ff.) ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aller Gerichtsbarkeiten im Bereich Funk und Fernsehen zum Schutze der Rundfunkfreiheit zu unterscheiden zwischen programmgestaltenden Tätigkeiten und solchen, denen der Zusammenhang mit der Programmgestaltung fehlt (stellvertretend: BAG, Urteil vom 20. September 2000 – 5 AZR 61/99 – AP Nr. 37 zu § 611 BGB; BSG, Urteil vom 28. Januar 1999 – B 3 KR 2/98 RBSGE 83, 246 ff. = SozR 3-5425 § 1 Nr. 5). Auf diese Unterscheidung kommt es vorliegend nicht an. Denn den durch das Grundrecht in seiner verfassungsgerichtlichen Auslegung bewirkten Schutz bei der Einstellung und Beschäftigung von Mitarbeitern genießen nur Träger des Grundrechts auf Rundfunkfreiheit. Dies sind alle natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen, die eigenverantwortlich Rundfunk veranstalten und verbreiten (BVerfGE 97, 298, 310; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 11. Aufl. 2011, Art. 5, Rn. 41; Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Rn. 114 ff.). Dazu gehören in erster Linie die vom Staat unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie die entsprechenden privaten Veranstalter. Die Beigeladenen zu 4) bis 6) sind Synchronproduzenten und werden mangels rundfunkveranstaltender Betätigung von dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erfasst. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgeführt, dass die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit nicht die Bewertung von Rundfunkmitarbeiterverhältnissen als abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausschließt (BVerfGE 59, 231, 268).

Die nach diesen Maßstäben vorzunehmende Gesamtwürdigung führt zu dem Ergebnis, dass der Kläger während der in Rede stehenden Einsätze in Beschäftigungsverhältnissen zu den Beigeladenen zu 4) bis 6) gestanden hat.

Der Kläger war technisch notwendig in die jeweiligen Betriebe der Synchronproduzenten eingegliedert. Er hat seine Synchronsprechertätigkeit in deren Betriebsräumen und mit deren technischen Geräten und technischer Ausstattung ausgeübt. Bereits daraus folgt die Eingliederung des Klägers in einen fremden Betrieb. Voraussetzung einer Beschäftigung ist die Einordnung in eine von anderer Seite vorgegebenen Ordnung, in der fremdbestimmte Arbeit geleistet werden kann. Sie ist jedenfalls erfüllt, wenn – wie hier – die Arbeit in einem Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinn geleistet wird (BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 RSozR 3-2400 § 7 Nr. 13, Seite 34). Demgegenüber verfügt der Kläger nicht über eine eigene Betriebsstätte. Der Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Synchronunternehmen stand nicht entgegen, dass er das Recht hatte, das einzelne Arbeitsangebot abzulehnen. Für die Frage der Eingliederung ist auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme des einzelnen Arbeitsangebots während des Sprechereinsatzes bestanden (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 RSozR 3-2400 § 7 Nr. 13, Seite 35). Der Kläger unterlag bei seiner Arbeit den Weisungen des Synchronproduzenten bzw. des von diesem Unternehmen beauftragten Aufnahmeleiters oder Regisseurs. Er war verpflichtet, vorgeschriebene Texte zu bereits vorhandenen bildlichen Darstellungen lippensynchron zu sprechen. Dass er die Texte künstlerisch vorzutragen hatte, ändert nichts daran, dass er weisungsunterworfen war. Seine Fähigkeit zum künstlerischen Sprechen war Voraussetzung dafür, dass er mit den Beigeladenen zu 4) bis 6) einen Einsatz als Synchronsprecher vereinbaren konnte.

Einem für Selbstständigkeit sprechenden Unternehmerrisiko unterlag der Kläger nicht. Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 RSozR 3-2400 § 7 Nr. 13, Seite 36; Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – USK 2008-45, Rn. 27). Dies war nicht der Fall. Für den Kläger bestand weder ein Kapitalrisiko noch die Gefahr, seine Arbeitskraft als Synchronsprecher ohne wirtschaftliche Gegenleistung einsetzen zu müssen. Er wurde stets äquivalent für die von ihm geleistete Arbeit entlohnt. Zudem spricht die Belastung mit Risiken im Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft nur dann für Selbstständigkeit, wenn ihr eine größere Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüber steht (BSG, a. a. O.). Auch hieran fehlt es vorliegend.

Die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Synchronproduzenten und deren Weisungsrecht reichten allerdings nicht über den einzelnen vereinbarten Einsatz hinaus. Mit der Beendigung eines Einsatzes war das jeweilige Beschäftigungsverhältnis beendet. Den Beziehungen zwischen den Beteiligten lag weder ein Rahmenvertrag zu Grunde noch sind Anhaltspunkte für eine sonstige – auch stillschweigende – Abrede ersichtlich, aus der sich ergeben würde, dass die Rechtsbeziehung auf Dauer angelegt sein sollten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. Dezember 1998 – B 7 AL 108/97 RSozR 3-4100 § 104 Nr. 16). Die Beigeladenen zu 4) bis 6) waren nicht berechtigt, den Kläger zu einem anderen späteren Einsatz anzuweisen. Eine solche Berechtigung und Verpflichtung wäre aber Voraussetzung für die Annahme eines über den einzelnen Einsatz hinaus fortdauernden Beschäftigungsverhältnisses (BSG, Urteil vom 22. November 1973 – 12/3 RK 83/71 – USK 73195; Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 RSozR 3-2400 § 7 Nr. 13, Seite 39).

Der Kläger war unständig Beschäftigter. Eine unständige Beschäftigung liegt nach der in § 232 Abs. 3 SGB V enthaltenen Legaldefinition vor, wenn sie auf weniger als eine Woche entweder der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im Voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Die Unständigkeit der Beschäftigung liegt hier schon in der Natur der Sache. Synchronsprecher sind aufgrund der Art ihrer Arbeit und aus objektiven und nicht vom Willen der Vertragsparteien abhängigen Gründen in aller Regel (deutlich) weniger als eine Woche für den jeweiligen Auftraggeber tätig. Die Aufnahmen für die Synchronisation eines Filmes sind im Allgemeinen in wenigen Tagen abgeschlossen. Selbst die Sprecher großer Rollen müssen sich nur in Ausnahmefällen an sämtlichen Aufnahmetagen zur Verfügung halten. In den weitaus meisten Fällen nimmt die Synchronisationstätigkeit für den einzelnen Sprecher nur wenige Stunden in Anspruch. Hiermit korrespondiert eine entsprechend zeitlich beschränkte rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Synchronsprechers. Dies trifft auf die vorliegend zu beurteilenden Einsätze zu.

Auch die weiteren Voraussetzungen einer unständigen Beschäftigung liegen vor. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, dass der Arbeitnehmer den unständigen Beschäftigungen berufsmäßig nachgeht (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – USK 2008-45, Rn. 25). Unständig Beschäftigte sind Personen, deren Hauptberuf die Lohnarbeit bildet, die aber ohne festes Arbeitsverhältnis bald hier, bald dort, heute mit dieser, morgen mit jener Arbeit beschäftigt sind (BSG, Urteil vom 22. November 1973 – 12/3 RK 83/71 – USK 73195, Rn. 21; Urteil vom 22. November 1973 – 12 RK 17/72BSGE 36, 262 ff., Rn. 21). Berufsmäßigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die Beschäftigungen zeitlich oder wirtschaftlich den Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit bilden. Unständige Beschäftigungen werden typischerweise bei ständig wechselnden Arbeitgebern ausgeübt (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – USK 2008-45, Rn. 25). So liegt es hier. Mindestens in den hier interessierenden Jahren 2007 und 2008 lag sowohl der zeitliche als auch der wirtschaftliche Schwerpunkt seiner Erwerbstätigkeit bei den Einsätzen als Synchronsprecher. Ausweislich der als Anlage 3 zum Schriftsatz vom 5. September 2011 eingereichten Aufstellung erzielte der Kläger in diesen Jahren mehr als zwei Drittel seiner Einkünfte aus Synchronsprechertätigkeit. In diesem Zusammenhang hat die Kammer auch die aus vermeintlich selbstständiger Tätigkeit erzielten Einkünfte berücksichtigt, da diese Tätigkeiten richtigerweise allesamt als unständige Beschäftigungen zu qualifizieren sein dürften. Die unständigen Beschäftigungen des Klägers entsprechen auch insoweit dem gesetzlichen Typus, als sie bei zahlreichen verschiedenen Arbeitgebern und bezogen auf den jeweiligen Synchronproduzenten unregelmäßig ausgeübt wurden. Weil die Ausübung berufsmäßig erfolgte kommt eine Versicherungsfreiheit wegen zeitgeringfügiger Beschäftigung nicht in Betracht (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, 5 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV). Entgeltgeringfügigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV liegt jedenfalls wegen Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungen nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht vor. Ob durch die hier konkret untersuchten Einsätze jeweils eine Mitgliedschaft bei der Beklagten begründet worden ist, brauchte nicht näher untersucht zu werden. Gemäß § 186 Abs. 2 Satz 1 SGB V führt die Versicherungspflicht unständig Beschäftigter erst aufgrund der erstmaligen Feststellung der Versicherungspflicht zur Mitgliedschaft. Erforderlich ist ein Verwaltungsakt der zuständigen Krankenkasse (BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 RSozR 3-2400 § 7 Nr. 13, Seite 39). Hierauf kommt es nicht an, weil die Beklagte betreffend die drei in Rede stehenden Einsätze bereits eine Versicherungspflicht dem Grunde nach abgelehnt hat und diese Entscheidung Gegenstand des klägerischen Feststellungsbegehrens ist. Im übrigen führt die Beklagte den Kläger seit 1997 als pflichtversichertes Mitglied und hat gegenüber mehreren Synchronisationsunternehmen bescheinigt, dass er vom Erscheinungsbild her hauptberuflich als unständig Beschäftigte tätig sei.

Dem hier gefundenen Ergebnis steht eine gegebenenfalls abweichende steuerrechtliche Behandlung nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Synchronsprecher in der Regel selbstständig tätig (BFH, Urteil vom 1. März 1973 – IV R 231/69BFHE 109, 39; Urteil vom 3. August 1978 – VI R 212/75BFHE 126, 271; Urteil vom 12. Oktober 1978 – IV R 1/77BFHE 133, 357). Gemäß dieser Judikatur ist bei einer zeitlich nur kurzen Berührung mit dem Betrieb des Auftraggebers die Eingliederung des Beauftragten besonders sorgfältig zu prüfen. Bei einer Berührung von nur ein bis drei Tagen sei eine Eingliederung in das Unternehmen abzulehnen (BFH, Urteil vom 12. Oktober 1978, a. a. O., Rn. 12). Weil es sich bei der Tätigkeit eines Synchronsprechers um eine hochspezialisierte Arbeit handele führe es auch nicht ohne weiteres zur Eingliederung, dass er den Weisungen des Regisseurs, des Aufnahmeleiters und der Cutterin zu folgen hat (BFH, Urteil vom 3. August 1978, a. a. O., Rn. 11). Die finanzgerichtlichen Grundsätze können nicht auf das Sozialversicherungsrecht übertragen werden. Für den BFH ist, wie die unterschiedliche Einstufung von Filmschauspielern und Synchronsprecher zeigt, letztlich das Zeitmoment ausschlaggebend. Filmschauspieler sind danach grundsätzlich Arbeitnehmer, weil sie bei der Aufnahme ganzer Filme "zeitlich in viel stärkerem Maße von dem Unternehmen abhängig" und stärker eingegliedert sind, während bei Synchronsprechern "keine so starke zeitliche Abhängigkeit" von dem Synchronisationsunternehmen besteht (BFH, Urteil vom 12. Oktober 1978, a. a. O., Rn. 10). Bei einer Dichotomie von selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit mag das Kriterium der kurzen zeitlichen Berührung zur Abgrenzung geeignet sein. Für das Sozialversicherungsrecht, das nach wie vor die Figur des unständig Beschäftigten kennt, kann diesem Kriterium keine entscheidend für Selbstständigkeit sprechende Bedeutung beigemessen werden. Die unständige Beschäftigung setzt tatbestandsmäßig eine zeitlich beschränkte "Berührung" von weniger als einer Woche voraus. Sozialversicherungsrechtlich können mithin kurze Tätigkeiten für verschiedene Auftraggeber jeweils als Beschäftigung zu werten sein. Damit verbietet es sich, dem Zeitmoment ein statusrechtliches Gewicht wie im Steuerrecht zuzumessen.

Zu keiner anderen Beurteilung führt das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände vom 30. September 2005. Die darin verlautbarten "Auslegungs"grundsätze für die versicherungsrechtliche Beurteilung von Synchronsprecher entsprechen nicht der Sozialgesetzgebung in ihrer sozialgerichtlichen Auslegung. Sie sind deswegen für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne Belang. Das Rundschreiben gibt einleitend vor, sein Zweck sei es, Unsicherheiten bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprecher zu beseitigen. Zweifelhaft ist bereits, ob es derartige Unsicherheiten in nennenswertem Umfang gegeben hat. Tatsächlich hatte die vormals geübte Praxis wohl eher zu verlässlichen Ergebnissen geführt (vgl. das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vom 31. Mai 2007 = Anl. 7 zum klägerischen Schriftsatz vom 30. Juni 2010). Der Kläger hat für die Kammer überzeugend vorgetragen (Schriftsatz vom 30. Juni 2010, Seite 11 bis 25 mit Anlagen 1 bis 7), dass die angeblichen Präzisierungen durch das Rundschreiben eher dadurch motiviert waren, die im Hinblick auf das Beitrags- und Meldeverfahren "lästige" Figur des unständig Beschäftigten zurückzudrängen. Unabhängig hiervon kann den entscheidend aus Judikaten des BFH entwickelten Abgrenzungskriterien in der Sache nicht gefolgt werden. Denn die finanzgerichtlichen Grundsätze lassen sich – wie ausgeführt – nicht auf das Sozialversicherungsrecht übertragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Da die Klageerhebung entscheidend durch die rechtswidrigen ablehnenden Bescheide der Beklagten veranlasst worden ist erschien es der Kammer billig, nur sie mit den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten (zum Veranlassungsprinzip als das eigentlich im Kostenrecht herrschende: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Februar 1997 – L 2 S b 8/97 = Breith. 1997, 576 ff.).
Rechtskraft
Aus
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