L 18 R 677/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 25 R 285/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 677/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 24/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.2010 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 31.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2009 verurteilt, der Klägerin ab dem 09.02.2008 große Witwenrente zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist (große) Witwenrente.

Die 1951 in der Türkei geborene Klägerin schloss dort am 00.00.1973 mit dem 1950 in der Türkei geborenen und am 00.00.2008 in C verstorbenen I H (im Folgenden: Versicherter) nach türkischem Recht die Ehe. Die Eheleute kamen 1975 in die Bundesrepublik Deutschland, und lebten fortan in C. Aus der Ehe gingen der Sohn H1 (geboren 1982, verstorben 1992) und drei Töchter (geboren 1984, 1987 und 1989) hervor. Auf Antrag der Klägerin wurde die Ehe in Deutschland nach türkischem Recht geschieden (Urteil des Amtsgerichts C vom 19.5.1995).

Anfang 1997 beschlossen die Eheleute, ihre Ehe fortzuführen, und reisten in die Türkei, um ihre Scheidung anerkennen zu lassen und danach dort erneut zu heiraten. Die zuständigen türkischen Behörden wiesen darauf hin, dass die deutsche Ehescheidung nach türkischem Recht nicht wirksam sei, solange keine förmliche Anerkennung vorliege. Sie seien daher nach türkischem Recht weiter rechtswirksam verheiratet. Das gewünschte Ergebnis einer wirksamen Ehe liege damit nach türkischem Recht bereits vor. Die türkischen Behörden bestätigten am 31.7.1997 das Fortbestehen der am 00.00.1973 geschlossenen Ehe, indem sie ein neues Familienbuch ausstellten und das Personenstandsregister entsprechend aktualisierten. In Deutschland lebten die Klägerin und der Versicherte fortan (wieder) als Eheleute zusammen und wurden von deutschen Behörden als Eheleute behandelt: Noch 1997 beantragten sie bei der Stadt C die Einbürgerung. Die Stadt C sagte ihnen nach Abschluss der Prüfung die Einbürgerung für den Fall zu, dass die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft nachgewiesen werde (an die "Eheleute I und I1 H" gerichtetes Schreiben vom 12.12.1997 mit Einbürgerungszusicherung vom gleichen Tag). Nachdem das türkische Innenministerium der Klägerin und dem Versicherten die Zustimmung zur Ausbürgerung aus der Türkei als "Verheiratete" erteilt hatte, beschied die Stadt C die "Eheleute I und I1 H" dahingehend, dass ihren Anträgen auf Einbürgerung entsprochen werde (Bescheid vom 19.11.1999). Die Steuerklasse des Versicherten wurde ab September 1997 von 1 (geschieden) auf 3 (verheiratet, nicht dauerhaft getrennt lebend) geändert; der Klägerin wurde später für ihre vom 1.8.2002 bis zum 31.12.2003 ausgeübte Beschäftigung die Steuerklasse 5 (verheiratet, nicht dauerhaft getrennt lebend) bescheinigt. Das Finanzamt C-Mitte veranlagte die Klägerin und den Versicherten als Eheleute (vorgelegte Bescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2001 und 2003). Die Klägerin war nach Aufgabe ihrer Berufstätigkeit ab dem 1.5.2004 wieder bis zum 00.00.2008 über den Versicherten bei der BKK vor ORT gesetzlich gegen Krankheit familienversichert (zuvor bereits vom 8.10.1992 bis 19.5.1995). Nach dem Tod des Versicherten stellte das Amtsgericht C der Klägerin (als "Ehefrau") und den Töchtern einen gemeinschaftlichen Erbschein aus.

Der Versicherte verstarb am 00.00.2008, ohne zuvor eine Rente bezogen zu haben. Noch im gleichen Monat beantragte die Klägerin Witwenrente. Auf der beigefügten Sterbeurkunde des Standesbeamten der Stadt C war bescheinigt, dass sie mit dem Versicherten im Zeitpunkt des Todes verheiratet war. Nach Hinweis der Beklagten auf die erfolgte Scheidung trug die Klägerin vor, der Versicherte und sie hätten darauf vertraut, dass die Auskünfte der türkischen Behörden zum Fortbestand der Ehe zutreffen. Sie hätten im Jahr 1997 vor dem türkischen Standesbeamten erneut die Erklärung abgegeben, die Ehe miteinander eingehen zu wollen; diese Erklärung sei in das neu ausgestellte türkische Familienbuch eingetragen worden. Anschließend habe man über zehn Jahre bis zum Tod des Versicherten als Ehepaar zusammengelebt. Ihr Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe sei durch die deutschen Behörden bestätigt worden. Eine etwaige Formunwirksamkeit der Ehe sei jedenfalls nach deutschem Recht geheilt.

Die Beklagte bat das Standesamt der Stadt C unter Hinweis auf die Scheidung um Berichtigung der Sterbeurkunde. Das Standesamt berichtigte im Rahmen einer handschriftlichen "Folgebeurkundung" am 22.1.2009 auf der Sterbeurkunde den Familienstand des Versicherten in "geschieden".

Die Beklagte lehnte ab, Witwenrente zu gewähren: Die Klägerin sei nicht die Witwe des Versicherten. Die 1973 geschlossene Ehe sei im Mai 1995 rechtskräftig geschieden worden, eine erneute Eheschließung sei nicht erfolgt. Auf das Fehlen einer gegebenenfalls nach türkischem Recht erforderlichen Anerkennung des Scheidungsurteils komme es nicht an, ebenso wenig auf das neue türkische Familienbuch, in dem lediglich die bereits 1973 geschlossene Ehe erneut dokumentiert worden sei (Bescheid vom 31.3.2008; Widerspruchsbescheid vom 5.10.2009).

Mit ihrer noch im Oktober 2009 erhobenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Witwenrente weiter verfolgt. Da es ihr aufgrund der nach türkischem Recht noch bestehenden Ehe sowohl in der Türkei als auch in Deutschland unmöglich gewesen sei, erneut zu heiraten, müsse die türkische Ehe auch in Deutschland als rechtswirksam angesehen und unter den Schutz des Grundgesetzes gestellt werden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente ab dem 00.00.2008 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidend sei die nach der deutschen Rechtsordnung erfolgte rechtskräftige Scheidung. Verhalten bzw. Auskünfte türkischer Behörden könnten kein gegenteiliges schutzwürdiges Vertrauen begründen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, die in Deutschland nach deutschem Verfahrensrecht erfolgte Scheidung sei maßgeblich, weil der Inlandsbezug "der hier streitigen Angelegenheit" gegenüber dem Auslandsbezug überwiege (Urteil vom 16.7.2010).

Mit ihrer Berufung vom 11.8.2010 trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des SG überwiege nicht der Inlands- sondern der Auslandsbezug. Der Versicherte und sie hätten dem Einwohnermeldeamt der Stadt C bei einer Vorsprache beide Familienbücher und das Scheidungsurteil vorgelegt. Dort habe man ihnen gesagt, der Sachverhalt werde geprüft; anschließend seien sie ohne Beanstandung als verheiratetes Ehepaar eingebürgert worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 16.7.2010 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009 zu verurteilen, ihr ab dem 00.00.2008 große Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Senat hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört.

Nachfragen des Gerichts bei der Stadt C haben ergeben, dass dort die Ausländer- oder Einbürgerungsakten des Versicherten und der Klägerin nicht mehr vorliegen. Auch Unterlagen zu früheren Änderungen des Melderegisters seien nicht mehr vorhanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die ablehnende Entscheidung der Beklagten bestätigt. Die Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten vom 31.3.2008 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009, § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) beschwert, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, weil die Klägerin Anspruch auf große Witwenrente ab dem 00.00.2008 hat. Die Klägerin ist die Witwe des Versicherten, weil sie im Zeitpunkt seines Todes nach dem hier maßgeblichen türkischen Recht wirksam mit ihm verheiratet war. Die am 19.5.1995 nach deutschem (Verfahrens-)Recht erfolgte Scheidung (sog. "hinkende Scheidung", vgl. auch Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 22.11.1994, Aktenzeichen (Az) 8 RKn 8/94) ist dagegen nicht maßgeblich.

Nach § 46 Abs 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Versicherte hatte am 00.00.2008 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt. Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet. Schließlich war sie zu diesem Zeitpunkt die Witwe des Versicherten.

Witwe eines Versicherten wird eine Frau, wenn zwischen ihr und dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes eine rechtsgültige Ehe bestanden hat (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2; 45, 180f = SozR 2200 § 1264 Nr 1; Köbl in: Schulin (Hrsg). Handbuch des Sozialversicherungsrechts. Band 3 Rentenversicherungsrecht. München 1999, § 28 A III Rdnr 9 mwN). Dagegen wird die überlebende Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft von diesem Begriff nicht erfasst (BSGE 53, 137f = SozR 2200 § 1264 Nr 5). Ebenso wenig genügt das nacheheliche Zusammenleben geschiedener Ehegatten (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr. Handbuch der Rentenversicherung. 3. Aufl. Stand September 2010. § 46 SGB VI RdNr 14). In Fällen, in denen - wie hier - keine familiengerichtliche Entscheidung über das Bestehen einer wirksamen Ehe vorliegt (dazu: KG FamRZ 2006, 1863-1865, vgl bis zum 30.6.1998 §§ 606f, 631ff, 638 ZPO, bis zum 31.8.2009 §§ 606f, 632 ZPO und seither §§ 98, 107 FamFG ), kann die Witweneigenschaft als Vorfrage bei der Prüfung des Anspruchs auf Witwenrente geklärt werden (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2; BSGE 45, 180f = SozR 2200 § 1264 Nr 1; BSGE 33, 219f = SozR Nr 5 zu § 1264 RVO). Da das Sozialversicherungsrecht keinen eigenen Ehebegriff kennt, ist grundsätzlich an die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen anzuknüpfen (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2). Ohne Belang ist die auf Veranlassung der Beklagten erfolgte nachträgliche handschriftliche Änderung des Personenstandsregisters, weil diese gerade nicht aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung über die Frage des (Fort-)Bestehens einer Ehe erfolgte, sondern (wie die von der Beklagte im Widerspruchsverfahren eingeholte Auskunft des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin vom 8.6.2009) allein auf die frühere Scheidung abstellt, deren Auswirkungen gerade streitig sind.

Die Witweneigenschaft der Klägerin ergibt sich allerdings entgegen ihrer Auffassung nicht bereits aus der familienrechtlichen (Form-)Vorschrift des § 1310 Abs 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Denn die Klägerin und der Versicherte haben 1997 vor der zuständigen türkische Behörde gerade nicht förmlich erklärt, die Ehe (erneut) miteinander schließen zu wollen. Sie hatten nach dem Vortrag der Klägerin lediglich die Absicht, dies nach Anerkennung ihrer Scheidung zu tun. Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen, nachdem sie erfahren hatten, dass das Eheversprechen vom 00.00.1973 weiter wirksam ist und eine erneute Eheschließung weder möglich noch nötig ist. Auf weitere Rechtsfragen zu § 1310 Abs 3 BGB kommt es schon deshalb nicht an.

Vorliegend ist die Klägerin aber Witwe des Versicherten, weil die nach türkischem Recht wirksam geschlossene und bis zum Tode des Versicherten fortbestehende Ehe (jedenfalls) sozialversicherungsrechtlich nicht wirksam durch das deutsche Scheidungsurteil vom 19.5.1995 aufgelöst worden ist. Die gestaltende Wirkung des deutschen Scheidungsurteils kommt hier nicht zum Tragen, weil es an der Anerkennung der Scheidung nach dem maßgeblichen türkischen Eherecht fehlt. Im Gegenteil haben die türkischen Behörden ausdrücklich das Fortbestehen der Ehe bestätigt. Auf dieser Grundlage haben die Klägerin und der Versicherte als Eheleute zusammengelebt und sind von deutschen Behörden auch als solche behandelt worden.

Wird eine im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland nach dem für die Eheschließung maßgeblichen Recht geschieden, die Scheidung aber in dem Staat, in dem die Ehe geschlossen wurde, nicht (ohne Weiteres) anerkannt, ergibt sich für das innerstaatliche Recht ein Geltungskonflikt. Dabei ist denkbar, dass (1) das Scheidungsurteil ohne Anerkennung des Staates, nach dessen Recht die Ehe geschlossen, keine Wirkung entfaltet, (2) das Scheidungsurteil absolute internationale Gestaltungswirkung entfaltet oder (3) die fehlende Anerkennung im Staat der Eheschließung nur ein Verfahrenserfordernis ist, das die Gestaltungswirkung jedenfalls im Inland nicht hindert (vgl zum Meinungsstreit in der juristischen Fachliteratur BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2 mit zahlreichen Nachweisen). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat dagegen einer am Einzelfall orientierten differenzierten Betrachtungsweise den Vorzug gegeben (BGHZ 41, 136ff; FamRZ 1972, 360f; und 1982, 651ff). Dem ist das BSG mit der Maßgabe gefolgt, dass entscheidend auf die Auslegung der für die Hauptfrage (hier: Besteht ein Anspruch auf Witwenrente?) maßgeblichen Norm abzustellen sei, also hier des § 46 SGB VI (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2). Zu Recht weist das BSG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auf die Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente abzustellen ist, die vom (nachwirkenden) Schutz des Art 6 Abs 1 GG (Schutz der - auch ausländischen - Ehe) erfasst wird (BSG aaO unter Hinweis auf BVerfGE 62, 323ff = SozR 2200 § 1264 Nr 6 und BVerfG FamRZ 1998, 811ff). Da es bei der Witwenrente um die Versorgung des überlebenden Partners gehe, also um eine Frage existentieller Bedeutung, seien den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes besondere Bedeutung beizumessen (BSG aaO; BSGE 43, 238ff = SozR 2200 § 1268 Nr 9).

Nach diesen Grundsätzen ist hier die 1973 in der Türkei geschlossene, 1997 erneut in der Türkei als wirksam bestätigte und bis zum Tod des Versicherten nach türkischem Recht wirksam gebliebene Ehe maßgeblich für die Beurteilung der Witweneigenschaft der Klägerin. Damit steht in Einklang, dass nach deutschem Verfassungsrecht mit Art 6 Abs 1 GG unvereinbar ist, bestimmte Ehen durch Verweigerung sozialer Leistungen zu benachteiligen, die für andere Ehen selbstverständlich sind (BVerfGE 28, 324, 361) bzw. Ehen nur deshalb von einer solchen Leistung auszuschließen, weil sie als "hinkende Ehe" nur nach einer ausländischen Rechtsordnung wirksam seien (BVerfGE 62, 323ff = SozR 2200 § 1264 Nr 6). Es macht dabei nach Auffassung des Senats keinen Unterschied, ob die alleinige Geltung der ausländischen Ehe darauf beruht, dass sie im Inland nicht anerkennungsfähig ist (sog. "hinkende Ehe"), oder darauf, dass die im Inland nach ausländischem Recht erfolgte Auflösung der Ehe im Ausland nicht anerkannt worden ist (sog "hinkende Scheidung"). In beiden Fällen unterfällt die nach ausländischen Recht wirksame Ehe in Deutschland ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Eheleute dem Schutz des Art 6 Abs 1 GG (vgl BVerfG aaO). Ohne Belang ist, dass die Klägerin seit 1999 deutsche Staatsangehörige ist. Für die zu Recht allein streitige Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ist entscheidend, dass es sich bei der vorliegend zu beurteilenden Ehe (im Zeitpunkt der Eheschließung im Jahre 1973 bzw. der Bestätigung der Wirksamkeit der Ehe im Jahre 1997) um eine Ehe türkischer Staatsbürger nach türkischem Recht handelte.

In der Sache folgt der Senat der vom BSG entwickelten "differenzierten Betrachtungsweise" (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2), hält aber das Abstellen auf einen überwiegenden Auslands- oder Inlandsbezug allein nicht für ein taugliches Abgrenzungskriterium, weil derartige Sachverhalte typischerweise Inlands- und Auslandsbezug aufweisen und die Stärke dieser Bezüge sich - wie das angefochtene Urteil zeigt - objektiv kaum sinnvoll voneinander abgrenzen lässt. Der Senat hält deshalb für entscheidend, (1) unter welches rechtliche Regime die Ehepartner ihre Ehe gestellt haben, (2) ob die Ehepartner zum maßgeblichen Zeitpunkt (nicht nur wie Eheleute, sondern) als Eheleute (vgl die Formulierung in § 1310 Abs 3 BGB) zusammengelebt haben und (3) welchen Familienstand die deutschen Behörden im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse bescheinigt bzw bestätigt haben. Dabei kann durch ein Verhalten deutscher Behörden auch dann schutzwürdiges Vertrauen begründet bzw. unterhalten werden, wenn kein zurechenbarer Rechtsschein gesetzt wurde. Hier führen alle drei Kriterien dazu, maßgeblich auf die wirksame türkische Eheschließung abzustellen.

(1) Die Klägerin und der Versicherte haben ihre Ehe unter das Regime des türkischen Rechts gestellt. Sie haben 1973 nach diesem Recht geheiratet und die spätere Fortsetzung der Ehe ausdrücklich erneut unter das Regime des türkischen Rechts gestellt, als sie sich 1997 mit dem Ziel in ihre türkische Heimat begeben haben, dort erneut zu heiraten. Soweit sich die Eheleute 1995 in Deutschland nach deutschem Recht scheiden ließen, haben sie das deutsche Recht nur als "dienendes" Verfahrensrecht gewählt. Die Scheidung selbst erfolgte entsprechend den Kollisionsregeln des deutschen Rechts (Art 17 Abs 1 S 1, 14 Abs 1 Nr 1 Einführungsgesetz zum BGB - EGBGB) nach türkischem Recht. Nach türkischem Recht ist die Ehe aber trotz der Scheidung wirksam geblieben. Denn nach dem türkischen Gesetz über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr 2675 vom 20.5.1982 (IPR-Gesetz, Resmi Gazete v 22.5.1982) bedarf eine ausländische Scheidung in der Türkei der Anerkennung, die unter das ausländische Urteil zu schreiben und vom türkischen Richter mit Amtssiegel und Unterschrift zu versehen ist, Art 40 IPR-Gesetz (vgl Ansay, Zur Scheidung von Türken in der Bundesrepublik Deutschland nach Inkrafttreten des neuen IPR-Gesetzes in StAZ 1983, 29f). Seit 2003 sind dafür in der Türkei Familiengerichte zuständig (Art 4 b) des Gesetzes Nr 4787 über die Einrichtung, die Zuständigkeit und das Verfahren der Familiengerichte v 9.1.2003, Resmi Gazete Nr 24997 v 18.1.2003). Eine solche Anerkennung ist nach dem zutreffenden Hinweis der türkischen Behörden, dass sie nach dortigem Recht weiter verheiratet seien, nicht erfolgt. Vielmehr haben die Klägerin und der Versicherte durch ihre Entscheidung, auf der Grundlage der 1973 geschlossenen Ehe weiter als Eheleute zusammenzubleiben, erneut das türkische Recht als für ihre Ehe prägend angesehen und den ursprünglichen Plan einer Anerkennung der Scheidung und anschließenden erneuten Eheschließung aufgegeben. Anders als im vom BSG aaO entschiedenen Fall haben die Klägerin und der Versicherte damit nach der Scheidung ausdrücklich erneut das türkische Recht als für ihre Ehe maßgeblich gewählt.

(2) Ebenfalls anders als dort haben sie diese Ehe im Folgenden auch "gelebt", also als Eheleute zusammengelebt. Nach dem - glaubhaften - Sachvortrag der Klägerin ist zweifelhaft, ob zwischen den Eheleuten vor oder nach der Scheidung überhaupt eine räumliche Trennung stattgefunden hat. Maßgeblich ist aber nur, dass sie nach der Rückkehr aus der Türkei im Sommer 1997 bis zum Tod des Versicherten als Eheleute zusammengelebt haben. Daran hat der Senat in Anbetracht der jeweils gleichen Wohnanschriften (I-Straße 00; E-Straße 00 bzw später 000, jeweils in C), der gemeinsam beantragten und vollzogenen Einbürgerung, der gemeinsamen Steuererklärungen, der bei den jeweiligen Arbeitgebern vermerkten Steuerklassen, der Familienversicherung und - was die innere Haltung betrifft - der glaubhaften Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Termin zur mündlichen Verhandlung keine Zweifel.

(3) Schließlich haben die deutschen Behörden (wohl auf der Grundlage des neuen, 1997 ausgestellten Familienbuches) die Klägerin und den Versicherten ab 1997 (wieder) als Eheleute behandelt und damit Vertrauen darauf geschaffen oder bestärkt, dass die Klägerin und der Versicherte auch nach deutschem Recht (weiter oder wieder) als Eheleute gelten und für die Anerkennung ihrer Ehe nichts weiter unternehmen müssen. Dies spiegelt insbesondere das Verhalten der das Personenstandsregister für die Familie H führenden (kreisfreien) Stadt C wider, die die "Eheleute H" eingebürgert hat, ihnen die jeweiligen für Eheleute geltenden Steuerklassen bescheinigt und auf der Sterbeurkunde des Versicherten die Klägerin als seine Ehefrau bezeichnet hat. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin haben sie und der Versicherte dort sogar das (neue) Familienbuch und das Scheidungsurteil vorgelegt, ohne dass dies zu einer Änderung des Personenstandsregisters geführt hat. Entsprechend haben sich auch die zuständigen Finanzbehörden und die gesetzliche Krankenkasse BKK vor Ort verhalten. Gleichermaßen ergibt sich dies aus der Angabe auf dem Erbschein, in dem die Klägerin von dem "gleichen" Amtsgericht C als Ehefrau des Versicherten bezeichnet wird, das 1995 das Scheidungsurteil erlassen hat. Selbst die posthumen Bescheinigungen (Sterbeurkunde; Erbschein) bekräftigen, dass für die Klägerin und den Versicherten zuvor keine Veranlassung bestand, ihren Status als "Ehepaar auch nach deutschem Recht" in Zweifel zu ziehen. Dieser Vertrauensschutz begründet nicht etwa eine Rechtsscheinhaftung iS eines zurechenbar gesetzten Rechtsscheins, auf den der Adressat nachweislich konkret vertraut hat (entsprechend dem im Privatrecht von Canaris entwickelten Modell: Claus-Wilhelm Canaris. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht. München 1971. §§ 39-42, S. 491ff). Dies setzte voraus, dass der Rechtsschein einer tatsächlich nicht bestehenden Ehe gesetzt wird (etwa durch eine Fehleintragung im Personenstandsregister). Vorliegend - und das ist entscheidend - bestand aber eine nach türkischem Recht wirksame und deshalb auch nach deutschem (Verfassungs-)Recht geschützte Ehe.

Dabei darf der Senat zur Abrundung seiner Überzeugung die Angaben der Klägerin berücksichtigen, obwohl es sich bei der Anhörung eines Beteiligten nicht um eine förmliche Beweiserhebung (iS einer im SGG nicht vorgesehenen Beteiligtenvernehmung, vgl § 118 Ab 1 S 1 SGG, der nicht auf §§ 445ff ZPO verweist) handelt. Dies beruht auf dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz, dass die Angaben des Antragstellers zugrunde gelegt werden können, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind (vgl § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung). Das ist hier der Fall, weil der Stadt C einschlägige Verwaltungsvorgänge nicht mehr vorliegen. Diesen mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts hat das BSG de facto auch in Fallkonstellationen des § 46 Abs 2a SGB VI zugelassen (vgl etwa BSGE 103, 99ff = SozR 4-2600 § 46 Nr 6).

Das Ergebnis trägt der "existenziellen" (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2; BSGE 43, 238ff = SozR 2200 § 1268 Nr 9) Unterhaltsersatzfunktion des Witwenrentenanspruchs Rechnung, weil die Klägerin nach dem festgestellten Sachverhalt darauf vertraut hat und vertrauen durfte, dass sie im Falle des Vorversterbens des Versicherten als Witwe durch Leistungen der Gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert ist.

Der Beginn der Rente folgt aus § 99 Abs 2 S 2 SGB VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs 2 Nr 1SGG. Er hält für klärungsbedürftig, nach welchen Rechtsgrundsätzen die Fallkonstellation der sog. "hinkende Scheidung" zu entscheiden ist.
Rechtskraft
Aus
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