S 22 KR 205/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 22 KR 205/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Die Berufung wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 312,25 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Erstattungsforderung in Höhe von 312,25 EUR für die zahnärztliche Behandlung des Versicherten Pf.

Der 1962 geborene Versicherte Pf. war bis 31. Dezember 2004 bei der Klägerin und ab dem 1. Januar 2005 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In Unkenntnis des Wechsels der Zuständigkeit des Krankenversicherungsträges übernahm die Klägerin für den Versicherten Pf. die Kosten für die zahnärztliche Behandlung im II. Quartal 2005. Die letzte Behandlung wurde beim Versicherten am 7. Juni 2005 durchgeführt.

Mit Fax von 29. Juni 2006 machte die Klägerin den Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch mit Schreiben vom 7. Juli 2006 mit der Begründung ab, der Anspruch sei nicht innerhalb der einjährigen Ausschlussfrist geltend gemacht worden. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2006 erneut an die Beklagte und teilte mit, dass aus verwaltungspraktischen Gründen wegen der quartalsweisen Abrechnung als Beginn der Ausschlussfrist der Tag gewertet werde, der auf den letzten Tag des letzten Kalendervierteljahres folge. Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung und verwies auf das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 19. Dezember 1994. Nach dessen Ziff. 2.1 beginnt bei Sachleistungen oder einmaligen Geldleistungen die Ausschlussfrist mit Ablauf des Tages, an dem der Versicherte die Leistung in Anspruch nimmt (Tag der Inanspruchnahme des Arztes). Die Klägerin schilderte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 6. September 2006 erneut, dass ihrer Auffassung nach nicht der Behandlungstag, sondern die quartalsweise Abrechnungsmodalität maßgeblich sei. Mit Schreiben vom 25. April 2007 lehnte die Beklagte die Erstattungsanforderung endgültig ab.

Am 8. Juli 2008 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben, um ihr Begehren weiter zu verfolgen.

Klagebegründend hat die Klägerin vorgetragen: Die einjährige Ausschlussfrist sei vorliegend noch nicht abgelaufen. Aus verwaltungspraktischen Gründen sei nicht auf den Behandlungstag, sondern auf das Quartal abzustellen. Beim Abstellen auf das Quartal und dem ihn folgenden Tag, hier der 1. Juli 2005, sei der Erstattungsanspruch nicht ausgeschlossen. Insoweit sei auf das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 19. Dezember 1994 und hier auf Ziff. 2 Abs. 2 zu verweisen. Zu beachten sei des Weiteren, dass die Klägerin erst am 26. Juni 2006 nach mehrfachem Anschreiben des Versicherten Pf. erfahren habe, dass dieser seit Januar 2005 bei der Beklagten krankenversichert ist. Daraufhin habe die Klägerin umgehend die Erstattungsforderung bearbeitet und sie am 29. Juni 2006 gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung erstellte Abrechnung für das II. Quartal 2005 sei auch erst im März 2006 bei der Klägerin eingegangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die von ihr getätigten Aufwendungen für die zahnärztliche Behandlung des Herrn Pf. in Höhe von 312,25 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Erstattungsanspruch sei aufgrund des Ablaufens der Jahresfrist ausgeschlossen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Leistungspflicht der Beklagten sei nicht maßgeblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beteiligten und die Gerichtsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen unstreitig vor.

Allerdings steht dem Anspruch der Klägerin entgegen, dass sie ihren Erstattungsanspruch nicht innerhalb der zwölfmonatigen Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X geltend gemacht hat.

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat, § 111 Satz 2 SGB X. § 111 Satz 2 SGB X ist vorliegend nicht anwendbar, da eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers nicht existent ist (Kater in Kasseler Kommentar, Bd. II, § 111 SGB X, Rn. 11b). Eine Entscheidung im Sinne des § 111 Satz 2 SGB X kann dann nicht mehr entstehen, wenn der erstattungspflichtige Träger eine solche Entscheidung nicht mehr treffen kann und darf (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 13/07 R; BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 21/08 R). Da vorliegend der Versicherte Pf. die Leistung bereits erhalten hat, ist sein Bedarf – wenn auch von der Klägerin als unzuständiger Trägerin – bereits gedeckt und der zuständige Träger hat von daher keine Befugnis mehr, gegenüber dem Versicherten über die Gewährung der Leistung nochmals zu entscheiden, weil es an der erforderlichen rechtlichen Betroffenheit fehlt.

Anwendbar ist daher § 111 Satz 1 SGB X. Danach ist unerheblich, dass die Klägerin als unzuständige Leistungsträgerin erst im Jahr 2006 durch die Abrechnung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Kenntnis von den erbrachten Leistungen und erst im Juni 2006 Kenntnis von ihrer Unzuständigkeit erhalten hat. Maßgeblich ist allein, was unter dem Zeitpunkt "Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde" zu verstehen ist. Dies ist entweder der Zeitpunkt der letzten zahnärztlichen Behandlung, also der 7. Juni 2005, oder aufgrund der quartalsweisen Abrechnung der Tag, der dem II. Quartal 2005 folgt, hier der 1. Juli 2005.

Entscheidend ist somit, ob für die Erbringung der zahnärztlichen Behandlung als Sachleistung der Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten maßgeblich ist oder die Zahlung der Leistung an den Leistungserbringer durch die Krankenkasse als Leistungsträger bzw. zumindest der Ablauf des Zeitraumes, hier des Quartals, für den der Leistungsträger regelmäßig an den Leistungserbringer für seinen Versicherten entsprechend der Abrechnung des Leistungserbringers Leistungen zahlt.

Das Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 19. Dezember 1994, welches für die vom Gericht vorzunehmende Auslegung des § 111 Satz 1 SGB X ohnehin nicht bindend ist, enthält hierzu keine eindeutigen Regelungen. So wird unter 94g 2. Abs. 2 ausgeführt, dass Zeitpunkt der Leistungserbringung die Erbringung der Leistung gegenüber dem Berechtigten ist und später erfolgende Zahlungen an den Leistungserbringer nicht als das Erbringen der Sachleistung zu qualifizieren sind und somit für den Lauf der Frist unerheblich seien, wobei für ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlungen bei Erstattungsansprüchen zwischen Krankenkassen eine Ausnahme gelte. Unter 94g 2.1 Abs. 1 wird hingegen ausgeführt, dass bei Sachleistungen die Ausschlussfrist mit Ablauf des Tages, an dem der Versicherte die Leistung in Anspruch nimmt (Tag der Inanspruchnahme des Arztes) zu laufen beginne. In einem Rechenbeispiel auf Seite 2 des Gemeinsamen Rundschreibens wird dann allerdings dargelegt, dass bei Erstattungsansprüchen zwischen Krankenkassen aus verwaltungspraktischen Gründen wegen der quartalsweisen Abrechnung als Beginn der Ausschlussfrist der Tag gewertet werde, der auf den letzten Tag des jeweiligen Kalendervierteljahres folge.

Ein Teil der Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer darüber entscheidet, wann eine Leistung vollständig erbracht ist. Im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung, in dem die ambulante vertragsärztliche Versorgung der Leistungserbringer nicht individuell vergütet wird, sondern eine Gesamtvergütung für sämtliche vertragsärztliche Leistungen an die Kassenärztliche Vereinigung entrichtet wird, sei demnach die Sachleistung erst dann vollständig gewährt, wenn auch der Leistungserbringer bezahlt ist (BSG, 1. Senat, Urteil vom 23. Februar 1999 – B 1 KR 6/97 R). Dies führt dazu, dass die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X bei Sachleistungen nicht schon mit der Bereitstellung der Leistungen durch den Leistungserbringer zu laufen beginne, sondern erst mit der Bezahlung des Leistungserbringers (BSG, Urteil vom 23. Februar 1999 – B 1 KR 6/97 R; ähnlich BSG, 3. Senat, Urteil vom 9. Februar 1989 – Az. 3/8 RK 25/87).

Die Kammer erachtet diese Rechtsauffassung für nicht überzeugend. Sie schließt sich vielmehr den Ausführungen des BSG im Urteil vom 25. April 1989 (BSG, 4. Senat, Urteil vom 25. April 1989 – Az: 4/11a RK 4/87) an. Danach ist der Erstattungsanspruch im Zeitpunkt des Erbringens der Leistung entstanden, also in dem Zeitpunkt, in dem die Sachleistung tatsächlich dem Versicherten zugewandt worden ist.

Diese Rechtsauffassung wird vor allem durch § 107 Abs. 1 SGB X gestützt, wonach der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt gilt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Durch diese Vorschrift soll verhindert werden, dass der Leistungsempfänger seinen Anspruch gegen den zuständigen Leistungsträger noch nach Empfang der Leistung von einem anderen, an sich unzuständigen Leistungsträger behält und unter Umständen sogar durchsetzt. Wenn jedoch der Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers erst nach Zahlung an den Leistungserbringer entstehen würde, könnten Doppelleistungen nicht verhindert werden. § 111 SGB X dient jedoch gerade dem Zweck, möglichst schnell klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber den Beginn der Ausschlussfrist von leicht feststellbaren objektiven Umständen abhängig gemacht, nicht hingegen davon, dass der Erstattungsberechtigte subjektiv das Bestehen des Erstattungsanspruchs oder den Erstattungspflichtigen kannte oder feststellen oder prüfen konnte. Nach Auffassung der Kammer ist es mit Sinn und Zweck des § 111 SGB X nicht vereinbar, wenn der Beginn der Ausschlussfrist davon abhängt, wie die internen Beziehungen zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer gestaltet sind. Dem Sinn und Zweck des § 111 SGB X wird vielmehr nur eine Auslegung dahingehend gerecht, dass auf die tatsächliche Erbringung der Leistung gegenüber dem Versicherten abzustellen ist.

Da letzter Behandlungstag der 7. Juni 2005 war, begann die Ausschlussfrist am 8. Juni 2005 zu laufen. Sie endete somit mit Ablauf von 12 Monaten und daher am 7. Juni 2006. Im Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs am 29. Juni 2006 war die Ausschlussfrist bereits abgelaufen.

Durch die fehlende Geltendmachung des Erstattungsanspruchs innerhalb der Ausschlussfrist ist der Erstattungsanspruch erloschen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Aufgrund der divergierenden Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BSG zu der Frage, wann bei einer Sachleistung die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X zu laufen beginnt, war die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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