S 16 AS 581/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 581/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 337/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 369/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der SGB II-Leistungen, insbesondere um die Gewährung eines Mehrbedarfs für die Klägerin zu 1) als stillende Mutter.

Die Beklagte bewilligte der 1979 geborene Klägerin und ihrem am 7. Mai 2008 geborenen Sohn mit Bescheid vom 20. Oktober 2010 für den Zeitraum vom Juli 2008 bis Dezember 2008 Leistungen nach dem SGB II.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger Widerspruch ein, der sich gegen die Berücksichtigung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit Herrn C., die Berechnung von berufsbedingten Fahrtkosten sowie die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistung richtete. Zudem sei ein Mehrbedarf für die Klägerin zu 1) als stillende Mutter nicht berücksichtigt worden. Stillende Mütter hätten in den ersten 4 Monaten nach der Geburt des Kindes einen um 635 kcal erhöhten Mehrbedarf, ab dem 5 Monat etwa 525kcal. Dagegen ergebe sich in der Schwangerschaft lediglich ein Mehrbearf von 255 kcal. Dabei seien die Daten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zugrunde gelegt worden. Es stelle eine Ungleichbehandlung dar, dass schwangere Frauen einen Mehrbedarf erhielten, stillende Mütter dagegen nicht.

Die Beklagte half mit Bescheid vom 14. Juli 2011 dem Widerspruch wegen des Nichtvorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft ab und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Einen Mehrbedarf für stillende Mütter sehe das Gesetz nicht vor.

Mit der am 10. August 2011 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Gewährung eines Mehrbedarfs als stillende Mutter. Mit Ausnahme der Kosten des Widerspruchsverfahren seien die im Widerspruchsverfahren geltend gemachten Streitgegenstände durch Abhilfe der Beklagten bzw. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichs zur Verfassungswidrigkeit der Regelsätze erledigt. Nach einer Einigung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens haben die Beteiligten die Klage insoweit für erledigt erklärt.

Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 und des Änderungsbescheides vom 22.07.2011 zu verurteilen, den Klägern für die Zeit vom 1.7.2008 bis 31.12.2008 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs als stillende Mutter für die Klägerin zu 1) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Kläger sind durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn dieser ist rechtmäßig. Insbesondere steht der Klägerin kein Mehrbedarf wegen erhöhter Kosten durch das Stillen ihres Sohnes zu.

Die Kläger erfüllen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1 Januar 2011 bis 30 Juni 2011 unstreitig die Voraussetzungen der §§ 7 Abs. 1 und 2, § 9 SGB II. Die Klägerin zu 1) ist älter als 15 Jahre ohne die Altersgrenze des § 7a zu erreichen und ist erwerbsfähig. Der Kläger zu 2) erhält Leistungen nach § 7 Abs. 2 SGB II, weil er mit der erwerbsfähigen Klägerin zu 1) in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Im maßgeblichen Zeitraum konnte die Bedarfsgemeinschacht ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern und war damit hilfebedürftig.

Der Kläger zu 2) war hinsichtlich der zunächst geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahrens in eigenen Rechten betroffen. Zudem wirkt sich eine Erhöhung des Bedarfs der Klägerin zu 1) wegen der Verteilung ihres Einkommens auch auf den Kläger zu 2) aus.

Über die von der Beklagten gewährten Kosten hinausgehende Leistungen stehen den Klägern nicht zu. Insbesondere sieht das Gesetz keinen Mehrbedarf für Mütter während der Stillzeit vor.

Der nach § 21 Abs. 2 SGB II für werdende Mütter vorgesehene Mehrbedarf wird nur bis zur Entbindung gewährt. Es handelt sich um einen schwangerschaftsbedingten Mehrbedarf, mit dem die besonderen Kosten der Schwangerschaft, wie Ernährung, Reinigung der Wäsche, vermehrte Kosten für Körperpflege, Fahrtkosten und Informationsbedarf abgedeckt werden sollen (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 16 m.w.N). Eine analoge Anwendung für die Dauer der Stillzeit scheidet aus, denn es liegt weder eine Regelungslücke vor, noch ein vergleichbarer Sachverhalt.

Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II betrifft nur Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, d.h. es werden nur krankheitsbedingte Gründe erfasst (BSG, Urteil v. 10.05.2011, B 14 AS 100/10 R; Behrend in: juris-PK, 3. Aufl. 2011, § 21 SGB II Rn. 43). Vorausgesetzt wird der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Krankheit und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung bzw. einem höheren Kalorienbedarf. Andere, in der Person des Hilfebedürftigen liegende Gründe für einen erhöhten Kalorienbedarf, sind nicht zu berücksichtigen.

Schließlich wird auch ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II nicht gesehen. Denn nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist ein Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Das Stillen eines Kindes stellt gegenüber der Ernährung mit Anfangsmilch und Brei die kostengünstigere Ernährung des Babys dar. Die entstehenden Kosten durch einen erhöhten Kalorienbedarf und Wäschebedarf der Mutter werden durch eine Einsparung bei der Ernährung des Kindes gedeckt.

Eine Ungleichbehandlung der Klägerin zu übrigen Hilfebedürftigen oder eine sonstige Verletzung von Grundrechten liegt nicht vor. Es ist zu berücksichtigen, dass der Regelbedarf als Pauschale ausgestattet ist, die der Höhe nach für alle SGB II-Empfänger gleich ist. Individuelle Besonderheiten werden, abgesehen von den in § 21 SGB II genannten Fällen, nicht berücksichtigt. So haben beispielsweise körperlich schwer arbeitende Menschen einen höheren Kalorienbedarf als Menschen, die nur einer leichten körperlichen Tätigkeit nachgehen und Männer einen deutlich höheren Kalorienbedarf als Frauen. Auch Größe und Gewicht der Personen spielen für den täglichen Bedarf an Kalorien eine erhebliche Rolle, die keine Berücksichtigung im pauschalierten Regelbedarf findet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt einen Teilerfolg der Klage hinsichtlich der zunächst streitigen Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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