S 15 AL 118/11 WA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AL 118/11 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes.

Die im Jahr 0000 geborene Klägerin befand sich vom 01.07.2000 bis zum 31.12.2005 in einem Arbeitsverhältnis als Unternehmensjuristin. Bis zum 21.03.2004 arbeitete sie Voll¬zeit (40 Stunden/Woche) und verdiente im Monat 4.700,- EUR brutto (= 2.812,11 EUR netto bei Steuerklasse I). Vom 22.03.2004 bis zum 29.06.2004 war sie in Mutterschutz. Am 04.05.2004 wurde ihr Sohn geboren. Im Anschluss an den Mutterschutz ging die Klägerin am 30.06.2004 in Elternzeit. Beabsichtigt war eine Elternzeit von zwei Jahren. Während der Elternzeit arbeitete sie ab dem 01.08.2004 in Teilzeit (20 Stunden/Woche). Am 27.09.2005 kündigte der Arbeitgeber aufgrund von Insolvenz das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2005. Daraufhin meldete sich die Klägerin am 30.09.2005 mit Wirkung zum 01.01.2006 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 13.01.2006 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 01.01.2006 für die Dauer von 360 Tagen. Der Berechnung legte sie nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ein fiktives Arbeitsentgelt von 98,- EUR zugrunde, da im erweiterten Bemessungsrahmen vom 01.01.2004 bis 31.12.2005 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen seien. Un-ter Berücksichtigung der für das Jahr 2006 eingetragenen Lohnsteuerklasse V ergab sich daraus ein Arbeitslosengeld von 29,62 EUR pro Tag (= 888,60 Euro/Monat).

Gegen die fiktive Berechnung des Bemessungsentgeltes erhob die Klägerin Wider-spruch mit der Begründung, in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 3 SGB III vom 01.01.2004 bis 31.12.2005 seien insgesamt 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten. Bei dem ab dem 22.03.2004 gezahlten Zuschuss zum Mutterschaftsgeld handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) um einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitsentgeltfortzahlung. Sofern die Beklagte meine, die Zeit des Mutterschutzes nicht berücksichtigen zu können, seien nur die an 150 Tagen fehlenden Tage mit dem fiktiven "Arbeitsentgelt" aufzufüllen. Die Anwendung des § 130 SGB III bedeute dem Wortlaut nach eine klare Benachteiligung der Mutter in Elternzeit. Die Elternzeit müsse deshalb nicht bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums, sondern bei der Ermittlung des Bemessungsrahmens außer Betracht bleiben. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 03.03.2006 als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld stelle kein Arbeitsentgelt im Sinn des § 14 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) dar. Das während der Elternzeit erzielte Arbeitsentgelt könne nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin ihre Arbeitszeit wegen der Betreuung ihres Kindes reduziert habe.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.04.2006 unter dem Aktenzeichen S 21 AL 38/06 Klage erhoben. Durch Vorlagebeschluss vom 23.07.2007 ist das Verfahren ausge-setzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt worden, ob § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der Fassung des Artikels 1 Nr. 71 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit Artikel 6 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, soweit der Bemessungszeitraum nicht die Zeit des Mutterschutzes umfasst. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14.03.2011 – 1 BvL 13/07) ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 15 AL 118/11 WA wieder aufgenommen worden.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es könne nur ein redaktionelles Versehen sein, dass die Elternzeit nach dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Festlegung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben solle und nicht bei der Festlegung des Bemessungsrahmens unberücksichtigt bleibe. Zielsetzung des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III sei der Schutz von Müttern, die Kinder unter drei Jahren erziehen. Werde § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III entsprechend des Wortlauts auf den Bemessungszeitraum angewandt, sei damit für jede Mutter, die sich zu Beginn der Elternzeit entscheide, diese für zwei Jahre in Anspruch zu nehmen, eine zwingende Benachteiligung verbunden. § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III sei deshalb so zu verstehen, dass die Elternzeit bei der Ermittlung des Bemessungsrahmens außer Betracht bleibe. Konkret bedeute dies, dass der Bemessungsrahmen bei ihr die Zeit vom 29.06.2004 bis zum 30.6.2003 umfasse. Die Zeit des Mutterschutzes sei, da ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestehe, zu berücksichtigen. Während des Mutterschutzes habe sie im März 2004 (22.03.2004 bis 31.03.2004) 826,04 EUR brutto/netto, im April 2004 2.478,11 EUR brutto/netto, im Mai 2004 2.560,71 EUR brutto/netto und im Juni 2004 ( 01.06.2004 bis 29.06.2004) 2.395,51 EUR brutto/netto an Gehalt bezogen. Vor dem Mutterschutz habe sie ein Festgehalt in Höhe von 4.700,- EUR erhalten. Unter Berücksichtigung dieser Zahlungen sei das Bemessungsentgelt zu ermitteln. Falls der Bemessungsrahmen den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 31.12.2005 umfasse, sei die Zeit des Mutterschutzes bei der Bildung des Bemessungszeitraums zu berücksichtigen, so dass 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt gegeben seien. Aus den Zahlungen vom 01.01.2004 bis zum 29.06.2004 könne das Bemessungsentgelt ermittelt werden. Für den Fall, dass die Zeit des Mutterschutzes nicht berücksichtigt werde, seien nur die fehlenden Tage bis zum Erreichen der 150 Tage mit dem fiktiven Arbeitsentgelt "aufzufüllen" und somit das tägliche Bemessungsentgelt auf 129,68 EUR festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2006 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines täglichen Bemessungsentgelts von 136,96 EUR zu gewähren;

hilfsweise, Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 117,04 EUR zu gewähren,

äußerst hilfsweise, Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 129,68 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist sie darauf hin, dass bei einem monatlichen Bruttoentgelt von 4.700,- EUR das tägliche Bemessungsentgelt 154,52 EUR und der tägliche Leistungssatz 42,77 EUR betragen würden. Unter Berücksichtigung der im Jahr 2005 erzielten Bruttoentgelte belaufe sich das tägliche Bemessungsentgelt auf 80,07 EUR und der tägliche Leistungssatz auf 25,48 EUR.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Kundennr.: 365D080673) Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren – soweit von Bedeutung – Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist sachlich nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13.01.2006 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 03.03.2006 entspricht der Sach- und Rechtslage und ist daher nicht rechtswidrig. Durch ihn wird die Klägerin nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil sie ab 01.01.2006 keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld hat. Die dem Bewilligungsbescheid zu Grunde liegende Rechtsanwendung der Beklagten ist im Hinblick auf die angegriffene Höhe der Leistung weder einfachrechtlich noch verfassungs- oder gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden.

Unzweifelhaft hat die Klägerin ab dem 01.01.2006 Anspruch auf Arbeitslosengeld. Denn sie war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos (§§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 – 121 SGB III) und hatte sich am 30.09.2005 mit Wirkung zum 01.01.2006 arbeitslos gemeldet (§§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 122 Abs. 1 SGB III). Schließlich hatte sie zu diesem Zeitpunkt auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Einzelheiten hierzu sind den §§ 123, 124 SGB III in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung (a.F.) zu entnehmen, die nach der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I 2848) eingefügten Übergangsregelung in § 434 j Abs. 3 SGB III weiter anzuwenden ist, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 31.01.2006 entstanden ist.

Die Anwartschaftszeit hat – soweit hier von Bedeutung – erfüllt, wer in der Rahmen-frist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat ((§ 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.). Nach § 124 Abs. 1 SGB III a.F. beträgt die Rah-menfrist drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Vo-raussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Da sich die Klägerin zum 01.01.2006 arbeitslos gemeldet hat und sie seit diesem Tag arbeitslos im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen war, begann die dreijährige Rahmenfrist am 31.12.2005 und reichte bis zum 01.01.2003 zurück. In dieser Zeit stand die Klägerin durchgängig in einem Versicherungspflichtverhältnis. Dies lag vom 01.01.2003 bis zum 21.03.2004 aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung vor (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Vom 22.03. bis zum 29.06.2004 bestand aufgrund des Mutterschutzes gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III eine sonstige Ver¬sicherungspflicht; im Anschluss daran bis zum 31.07.2004 war die Klägerin wegen der Be¬treuung und Erziehung ihres Sohnes nach § 26 Abs. 2a SGB III versicherungspflichtig und vom 01.08.2004 bis zum 31.12.2005 bestand erneut eine versicherungspflichtige Be-schäftigung.

Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 Nr. 1 SGB III (idF des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Le-benspartner¬schaften vom 16. Februar 2001, BGBl. I 266, gültig ab 01.08.2001) für Arbeitslose, die – wie die Klägerin – mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Netto-entgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (a.a.O.) umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach näherer Maßgabe von § 130 Abs. 2 SGB III bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bestimmte Zeiten außer Betracht.

Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn (u.a.) der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III in der seit 01.01.2005 geltenden Fassung).

Der einjährige Bemessungsrahmen umfasst bei der Klägerin die Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2005. Der Tag der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist der 01.01.2006. Mit Anspruch auf Arbeitslosengeld ist das Stammrecht auf Arbeitslosengeld gemeint und nicht die bloße Zahlungsberechtigung (Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, 76. Ergänzung Juni 2007, § 130 Rdnr. 27). Der Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem alle Voraussetzungen für den Anspruch nach § 118 Abs. 1 SGB III erfüllt sind. Dies war bei der Klägerin der 01.01.2006. Ausgehend vom letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist der Bemessungsrahmen kalendermäßig festzulegen (§ 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X – i.V.m § 187, § 188 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Dabei ist es unerheblich, ob der Bemessungsrahmen vollständig mit Versicherungspflichtverhältnissen belegt ist oder insofern Lücken enthält (vgl. BSG, Urteil vom 25.1.1996, 7 RAr 90/94, SozR 3-4100 § 112 Nr. 24; Be-hrend, aaO § 130 Rndr. 44; Pawlak in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003, § 11 Rdnr. 41 ff m.w.N). Auch auf die gesamte An-zahl, Lage und Verteilung der Versicherungspflichtverhältnisse im Bemessungsrahmen kommt es für die Festlegung des zeitlichen Ablaufs nicht an (Behrend, aaO § 130 Rndr. 44; Pawlak, aaO § 11 Rdnr. 41 ff).

Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jewei¬ligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versiche¬rungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III). In¬nerhalb des Bemessungsrahmens vom 01.01. bis 31.12.2005 war die Klägerin zwar durchgängig versicherungspflichtig beschäftigt, so dass die Abrechnungszeiträume dieser Beschäftigung grundsätzlich der Ermittlung des Bemessungsentgelts zugrunde zu legen wären. Aufgrund der Sonderregelung des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III (idF des Drit¬ten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, gültig ab 01.01.2005, geändert zum 01.01.2007 durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5. Dezember 2006, BGBl. I 2748 hinsichtlich des Elterngelds in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III) kann diese versicherungspflichtige Beschäftigung jedoch nicht berücksichtigt werden. Nach dieser Vorschrift bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes außer Betracht, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war. Ziel des § 130 Abs. 2 SGB III ist es, die negativen Folgen abzumildern, die sich aus atypischen Beschäftigungsverhältnissen ergeben, weil das hierbei erzielte Arbeitsentgelt nicht das repräsentiert, was der Arbeits-lose künftig an Entgelt erzielen kann. Die hier genannten atypischen Beschäftigungs-verhältnisse sollen bei der Leistungsbemessung außer Betracht bleiben, um unbillige Bemessungsergebnisse zu verhindern (BT-Drs. 15/1515, S. 85). Die Berücksichtigung der im Jahr 2005 erzielten Bruttoentgelte würde – wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat – zu einem für die Klägerin ungünstigeren täglichen Bemessungsentgelt von 80,07 EUR und einem täglichen Leistungssatz von 25,48 EUR führen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin führt § 130 Abs. 2 SGB III nicht dazu, dass der einjährige Bemessungsrahmen (01.01. bis 31.12.2005) verschoben würde. Auf-grund der klaren Trennung der Begriffe Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen in § 130 Abs. 1 SGB III kann § 130 Abs. 2 SGB III nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut auf den Bemessungsrahmen Anwendung finden. Die vom Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 29.05.2006 – S 77 AL 961/06 – vertretene gegenteilige Ansicht ist durch zwischenzeitlich vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung überholt (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.2008 – B 11a AL 23/07 R; Urteil vom 06.05.2009 – B 11 AL 7/08 R –, juris Rn. 21 ff; Urteil vom 16.12.2009 – B 7 AL 39/08 R –, juris Rn. 15). Die von der Klägerin mit dem Hauptantrag begehrte Verschiebung des Bemessungsrahmens auf die Zeit vom 29.06.2004 bis zum 30.06.2003 ist daher nicht möglich.

In dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen, der die Zeit vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2005 umfasst, lassen sich 81 Tage mit zu berücksichtigenden Abrechnungszeiträumen der versicherungspflichtigen Beschäftigung feststellen. Dies ist die Zeit vom 01.01. bis zum 22.03.2004, in der die Klägerin in Vollzeit gearbeitet hat. Die Zeit vom 01.08. bis zum 31.12.2004 bleibt, da die Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduziert war, nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III – ebenso wie die Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2005 – bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht. Vom 30.06. bis zum 31.07.2004 hat die Klägerin ihren Sohn betreut und keine Beschäftigung ausgeübt. Während des Mutterschutzes vom 23.03. bis 29.06.2004 bestand ebenfalls keine versicherungspflichtige Beschäftigung, so dass diese Zeit bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums nicht herangezogen werden kann. Während der Mutterschutzfristen liegt keine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt im Sinne der Legaldefinition der versicherungspflichtigen Beschäftigung in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor, weil es sich weder beim Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG noch beim Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG um Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne handelt (vgl. BSGE 72, 177, 182; BSG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 20.06.2001 – B 11 AL 20/01 R –, juris, Rn. 14). Soweit die Klägerin mit dem Hilfsantrag zu 1) das Ziel verfolgt, den vom Arbeitgeber gezahlten Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG in die Berechnung des Bemessungsentgelts miteinzubeziehen, ist der Antrag unbegründet, weil während der Zeit des Mutterschutzes keine versicherungs-pflichtige Beschäftigung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III bestand. Der Zu-schuss zum Mutterschaftsgeld stellt gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 ArEV kein beitrags-pflichtiges Entgelt dar.

Zu Recht hat daher die Beklagte der Bemessung des der Klägerin ab 01.01.2006 zustehenden Arbeitslosengeldes gemäß § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsent-gelt zu Grunde gelegt. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Ar-beitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Für Beschäftigungen, die eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern, ist ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III). Die Bezugsgröße belief sich nach § 18 Abs. 1 SGB IV i.V.m § 2 Abs. 1 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2006 vom 21. Dezember 2005 (BGB. I 3627) im Jahr 2006 auf 29.400 EUR, so dass bei der Klägerin 98,- EUR (= ein Dreihundertstel der Bezugsgröße) als fiktives Arbeitsentgelt der Bemessung zu Grunde zu legen sind. Dieses Bemessungsentgelt entspricht einem Leistungsentgelt von 44,21 EUR (§ 133 SGB III) und unter Berücksichtigung des erhöhten Leistungssatzes einem täglichen Arbeitslosengeld von 29,62 EUR. Das Begehren der Klägerin, bei der Berechnung ihres Arbeitslosengeldes ihre im Jahr 2004 nachgewiesenen 81 Tage versicherungspflichtiger Beschäftigung sowie weitere 69 Tage mit einem fiktiven Bemessungsentgelt zu berücksichtigen, um so auf die erforderlichen 150 Tage zu kommen (Hilfsantrag zu 2)), ist nach der geltenden Rechtslage ausgeschlossen. § 132 Abs. 1 SGB III regelt abschließend, welche Folgen eintreten, wenn sich 150 Tage mit Anspruch auf beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum nicht feststellen lassen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestehen nach Auffassung des Gerichts nicht. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei Müttern, die sich nach längeren freiwilligen Unterbrechungen ihres Berufslebens dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stellen, den Lohnersatz durch das Arbeitslosengeld nicht – wie sonst beim Fehlen eines ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraums – nach dem aktuell voraussichtlich erziebaren Lohn zu bemessen, sondern anhand des vor der Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts, lässt sich nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG herleiten. Diese Norm unterstellt zwar Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern. Der Gesetzgeber hat vielmehr im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Daher lassen sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Folgerungen dafür ableiten, wie in den einzelnen Rechtsgebieten und Teilsystemen ein Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 87, 1, 36 m.w.N.), ohne dass aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden könnten (BVerfGE 107, 205, 213 m.w.N.).

Selbst wenn sich die streitige Regelung überwiegend zu Lasten von Müttern auswirken sollte, die wegen der Übernahme der Kindererziehung ihre Berufstätigkeit längere Zeit unterbrochen haben, scheidet auch Art. 6 Abs. 4 GG als Grundlage für das Begehren der Klägerin aus. Unabhängig davon, ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, können aus ihr jedenfalls keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter betreffen. Davon abgesehen folgt aus dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen und dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf sonstige Belange nachzukommen. Der Gesetzgeber ist zwar zum Ausgleich unmittelbarer Nachteile in der Arbeitslosen-versicherung verpflichtet, soweit er Mütter im Unterschied zu anderen Arbeitneh-mern hindert, sich durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung den Zugang zu Versicherungsleistungen selbst zu schaffen oder zu erhalten (BVerfGE 115, 259, 271). Eine damit vergleichbare Situation ist aber nicht gegeben, wenn eine Mutter von der Ausübung einer ihr rechtlich erlaubten versicherungspflichtigen Beschäftigung auf Grund der eigenen Lebensplanung für die Zeit der Kindererziehung absieht, sodass der Gesetzgeber nicht einmal gehalten ist, Vorkehrungen gegen das Erlöschen eines bereits erworbenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld während einer Elternzeit zu treffen (BSG SozR 4-4300 § 147 Nr. 3). Der Gesetzgeber ist daher auch nicht verpflichtet, Mütter von der sachgerechten und für alle Versicherten geltenden Regelung auszunehmen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Höhe der Leistung anhand eines aktualisierten (fiktiven) Arbeitsentgelts zu bemessen ist.

Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Es bestehen keine durchgreifenden Beden-ken dagegen, dass der Gesetzgeber bei allen Versicherten, die keinen ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraum von wenigstens 150 Tagen mit Anspruch auf Ar-beitsentgelt vorzuweisen haben, die Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohns für den auf Grund des Versicherungsfalls derzeit eintretenden Lohnausfall als nicht mehr gewährleistet ansieht und deshalb stattdessen den voraussichtlich aktuell erzielbaren Lohn zur Bemessungsgrundlage erhebt. Hierin liegt weder eine willkürliche Gleichbehandlung von erziehenden Eltern mit anderen Versicherten noch ist die Aktualisierung der Bemessungsgrundlage als solche sachwidrig, weil sie dem Lohnersatzcharakter des Arbeitslosengeldes und damit einem zentralen Grundgedanken der zu regelnden Materie Rechnung trägt. Diese Rechtsfolge und das zu Grunde liegende Anliegen, das Arbeitsentgelt aus weit zurückliegenden Beschäftigungszeiten als Bemessungsgrundlage auszuschließen, entsprechen vielmehr der Funktion des Arbeitslosengeldes als Lohnersatzleistung (BSG, Urteil vom 29.05.2008 – B 11a AL 23/07 R – abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de – m.w.N.). Eine Verletzung des Gleichheitssatzes lässt sich auch unter Berücksichtigung des die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einengenden Schutzauftrags aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht feststellen. Die Förderung der Betreuung und Erziehung von Kindern liegt im familien- und sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers. Nicht einmal, wo es um den Zugang zum Arbeitslosengeld durch Erfüllung der Anwartschaftszeit geht, ist der Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische Förderung durch Gewährung von Erziehungs- bzw. Elterngeld und Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit entschieden hat, dazu verpflichtet, diese Förderung auch im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Regelungen in gleicher Weise zur Geltung zu bringen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss zu BSG SozR 4-4300 § 124 Nr. 1; BSG SozR 4-4300 § 147 Nr. 3).

Die strittige Regelung verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Gundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, deren Art. 4 Abs. 1 den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (u.a.) bei der Berechnung von Sozialleistungen postuliert. Wegen der Einzelheiten verweist die Kammer auf die Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.05.2008 (a.a.O.), denen sie sich nach eigener Prüfung anschließt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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