L 5 AS 128/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 791/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 128/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 11. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Aufhebung einer Leistungsbewilligung wegen des nachträglichen Zuflusses von Einkommen und die damit einhergehende Rückforderung ausgezahlter Leistungen.

Die Klägerin bezog mit ihrer am ... 1998 geborenen Tochter von dem Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2006 bewilligte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Juni 2006 Leistungen in Höhe von monatlich 579,85 EUR; dabei entfielen auf die Tochter 18,44 EUR als Leistung für die Kosten der Unterkunft und Heizung. Am 1. August 2006 nahm die Klägerin eine Tätigkeit auf, was sie im Rahmen der Beantragung von Einstiegsgeld am 8. August 2006 mitteilte. Das Nettogehalt betrug in den Monaten August bis Dezember 2006 jeweils 1.075,02 EUR. Das Gehalt für den Monat August wurde der Klägerin am 31. August 2006 auf ihrem Girokonto gutgeschrieben. Die SGB II-Leistungen für die Monate August und September 2006 gingen in voller Höhe ebenfalls auf diesem Konto ein.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2007 hörte der Beklagte die Klägerin im Hinblick auf eine Überzahlung von Leistungen für die Monate August und September 2006 an. Sie hätte wissen müssen, dass sich wegen des Einkommensbezugs kein Leistungsanspruch mehr errechne. Diese führte hierzu aus, sie habe auf die Rechtmäßigkeit der Zahlungen vertraut. Am 31. Juli 2006 sei ihr durch Bedienstete des Beklagten auf die Frage, ob sie im August immer noch Geld bekomme, mitgeteilt worden, dass sie für diesen Monat noch Anspruch auf Leistungen habe. Auch auf die Rechtmäßigkeit der Zahlung im September habe sie vertraut, da ja nach Prüfung durch den Beklagten erst ab Oktober die Zahlung eingestellt worden sei. Im Übrigen habe sie das Geld bereits verbraucht.

Mit an die Klägerin gerichtetem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. Februar 2007 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Monate August und September 2006 zurück und setzte gegen die Klägerin einen Erstattungsbetrag von 1.159,70 EUR fest. Nach dem beigefügten Berechnungsbogen ergab sich weder für die Klägerin noch für ihre Tochter ein Leistungsanspruch. Hiergegen legte die Klägerin am 22. Februar 2007 Widerspruch ein und nahm Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen. Mit Änderungsbescheid vom 25. Februar 2008 ermäßigte der Beklagte die Erstattungsforderung auf 942,59 EUR und wies mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2008 den Widerspruch im Übrigen zurück. Der Betrag setzte sich aus der Regelleistung für die Klägerin von 2 x 345 EUR, dem Mehrbedarf von 2 x 41 EUR, sowie den Kosten der Unterkunft und Heizung von 2 x 175,41 EUR für die Klägerin sowie 2 x 18,44 EUR für deren Tochter zusammen. Von den Kosten der Unterkunft und Heizung zog der Beklagte 56 % ab, so dass nur noch 170,59 EUR zu erstatten waren, wobei 154,36 EUR auf den Anspruch der Klägerin und 16,23 EUR auf den Anspruch der Tochter entfielen.

Die Klägerin hat am 19. März 2008 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben und auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11. Juni 2008 abgewiesen. Rechtsgrundlage der Aufhebung der Bewilligung seien § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II seien Einnahmen in Geld als Einkommen zu berücksichtigen. Die Einnahmen seien gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld als laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Die Einnahmen seien für den gesamten abgelaufenen Kalendermonat anzusetzen. Die durch den Beklagten vorgenommene Berücksichtigung des am 31. August 2006 gutgeschriebenen Gehalts bereits für den Monat August 2006 sei damit rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Der Klägerin möglicherweise erteilte unzutreffende Auskünfte von Bediensteten des Beklagten würden hieran nichts ändern, denn die Anrechnung sei zwingend. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass sie die erhaltenen Leistungen bereits verbraucht habe. Denn § 48 Abs. 1 SGB X sehe keinen Vertrauensschutz vor. Dasselbe gelte für das im September 2006 erhaltene Gehalt. Auch dieses sei zwingend auf den Anspruch anzurechnen gewesen. Die Erstattungsforderung beruhe auf § 50 Abs. 1 SGB X. Danach seien grundsätzlich sämtliche zu Unrecht erhaltenen Leistungen zurückzuzahlen. Für die Kosten der Unterkunft sehe § 40 Abs. 2 SGB II allerdings zu Gunsten der Leistungsempfänger eine Sonderregelung vor. Hiernach seien 56 vom 100 des genannten Leistungsanteils vom Empfänger nicht zu erstatten. Der Beklagte habe diese Sonderregelung ursprünglich zwar nicht beachtet, dies jedoch mit dem Änderungsbescheid vom 25. Februar 2008 korrigiert. Die Höhe des Erstattungsbetrages sei damit insgesamt nicht zu beanstanden. Auch nach Abzug aller vom Erwerbseinkommen abzusetzenden Freibeträge habe das zu berücksichtigende Einkommen der Klägerin ihren Bedarf und den Bedarf ihrer Tochter überstiegen. Letzterer sei im Wesentlichen bereits durch Unterhaltsleistungen und das Kindergeld abgedeckt gewesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 8. Juli 2008 zugestellte Urteil am 6. August 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Bei ihr habe ein atypischer Fall vorgelegen. Zudem handele es sich bei dem Bewilligungsbescheid um einen rechtswidrig begünstigenden Bescheid, sodass ihr Vertrauensschutz zustehe. Sie habe darauf vertraut, die Leistungen für Arbeitsuchende auch dann in voller Höhe behalten zu können, wenn sie wieder Erwerbseinkommen erziele.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 11. Juni 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. Februar 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 aufzuheben.

Der Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 11. Juni 2008 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich am 4. April 2012 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß den §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil die Verwaltungsentscheidung des Beklagten rechtmäßig ist. Sie beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem Urteil vom 11. Juni 2008 und macht sie sich zu Eigen, §§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keine neuen Argumente tatsächlicher oder rechtlicher Art vorgebracht (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 49/10 R (22)).

Ergänzend wird ausgeführt:

Die Aufhebungsentscheidung ist im Hinblick auf die Adressaten hinreichend bestimmt, da der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2008 die Beträge nach den Leistungen für die Klägerin und für deren minderjährige Tochter aufgeschlüsselt hat. Vor dem Hintergrund der fehlenden sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit der Tochter war es konsequent, die Erfüllung der Rückzahlung alleine von der Klägerin zu verlangen, denn diese war als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter die Adressatin des Bescheids betreffend die überzahlten Leistungen der Tochter. Angesichts der Aufschlüsselung war für die Klägerin auch erkennbar, dass sie wegen eigener Leistungen und wegen denen ihrer Tochter angegangen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R - juris). Entsprechendes gilt auch für die Erstattungsentscheidung.

Der Beklagte hat die Klägerin auch unter dem 25. Januar 2007 wegen der Überzahlung angehört. Dabei hat er auf den Bezug von Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis, also auf die für die beabsichtigte Entscheidung maßgebliche Tatsache hingewiesen. Zwar hat er nicht ausdrücklich die Klägerin auch als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter angehört. Diese konnte sich zum Sachverhalt aber jedenfalls im Laufe des Widerspruchsverfahrens auch für ihre Tochter äußern. Denn aus der dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. Februar 2007 beigefügten Berechnung wird deutlich, dass auch der Anspruch der Tochter entfallen war.

Bei der Entscheidung des Beklagten handelt es sich - wie das SG bereits ausgeführt hat - nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III um eine gebundene Entscheidung. Auf die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, kam es daher nicht an. Es kann auch offen bleiben, ob die Klägerin - was der Senat nicht für glaubhaft hält - darauf vertraut hat, sie dürfe neben ihrem Erwerbseinkommen auch die bisherigen Leistungen für Arbeitsuchende behalten. Ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen wäre unerheblich. Denn es liegt ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und kein Fall des § 45 SGB X vor. Es handelt sich nicht um einen von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Bescheid, sondern durch den erst im August 2006 erfolgten Zufluss von Einkommen ist der ursprünglich rechtmäßige Bewilligungsbescheid vom 20. Juni 2006 nachträglich rechtswidrig geworden.

Die Höhe des Rückforderungsbetrags ist nicht zu beanstanden. Da nach § 40 Abs. 2 SGB II zu Gunsten der Leistungsempfänger nur 56 vom 100 der Kosten der Unterkunft ohne Heizung und nicht - wie von dem Beklagten vorgenommen - der Kosten der Unterkunft und Heizung nicht zu erstatten sind, folgt hieraus eine nur zu Gunsten der Klägerin abweichende Berechnung. Auch unter Berücksichtigung der Freibeträge unter Einbeziehung der Hortkosten (BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 7/10 R (15)) ergibt sich ein anrechenbares Einkommen, das jeweils größer war als der Bedarf. Von dem Einkommen der Klägerin in Höhe von 1.499,00 EUR waren die Lohnsteuer (423,98 EUR), ein Freibetrag von 210,67 EUR (Kfz-Versicherung: 10,14 EUR, 94 EUR Fahrtkosten unter Berücksichtung von 23,5 km / 20 Tagen, 61,20 EUR Hortkosten, 15,33 EUR Werbungspauschale und 30,00 EUR Versicherungspauschale) sowie weitere Freibeträge von 140,00 EUR und 69,90 EUR abzusetzen. Es ergaben sich anrechenbare Einkommen von 654,45 EUR bei der Klägerin und von 376,00 EUR bei der Tochter (Kindergeld und Unterhalt), die nach Verteilung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II den Gesamtbedarf der Klägerin von 561,81 EUR und ihrer Tochter von 382,41 EUR deckten.

Auf die Frage, ob im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage auch die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung zu prüfen ist, kommt es nicht an (wegen der Bestandskraft dieser Entscheidung ablehnend der erkennende Senat: Urteil vom 1. März 2012 - L 5 AS 339/09 - sowie Urteil vom 25. November 2010 - L 5 AS 39/08 - juris). Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung fehlerhaft gewesen ist. Insbesondere war der Bedarf, der dem Bescheid vom 20. Juni 2006 zugrunde gelegt wurde, zutreffend berechnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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