L 7 SO 2321/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 1932/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2321/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung als Leistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII); streitig ist vorrangig die Zulässigkeit der Berufung.

Der am 11. Juli 1949 geborene, dauerhaft voll erwerbsgeminderte Kläger bezieht vom gesetzlichen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die mit Bescheid vom 25. Oktober 2007 ab dem 1. August 2007 neu festgestellt wurde (monatlicher Zahlbetrag EUR 509,16). Ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen G, ab Mai 2008 auch das Merkzeichen aG, sind zuerkannt. Der Kläger bezog zunächst Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, ab dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII unter Berücksichtigung von Mehrbedarfen wegen des Merkzeichens G und wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Hyperlipidämie und Gicht; so zuletzt aufgrund des Bescheides vom 20. Juni 2006 für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2007.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2007 bewilligte der Beklagte Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 i.H.v. EUR 363,37 monatlich. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung wurde nicht mehr berücksichtigt. Die Gründe hierfür wurden im Schreiben vom 2. Januar 2008 näher erläutert. Zur Begründung des gegen die Nichtgewährung des Mehrbedarfs eingelegten Widerspruches machte der Kläger geltend, die bisherige Bewilligung gelte mangels Aufhebung insoweit fort. Des Weiteren sei § 44 SGB XII außer Acht gelassen worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 16. April 2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und beantragt, festzustellen, dass die Nichtanerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 rechtswidrig sei, und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab dem 1. Januar 2008 einen ernährungsbedingten Mehrbedarf "in der jeweils nach Gutachten des DV zu gewährenden Höhe mit entsprechender Anpassung gem. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. Dezember 2007 - L 8 AS 1462/07 - zu bezahlen". Mit Schreiben vom 30. August 2008 hat er die Klage um den Antrag erweitert, den Beklagten zu verurteilen, ihm den in zitierten gerichtlichen Entscheidungen zum ernährungsbedingten Mehrbedarf "festgelegten Zuschlag zur Anpassung des zu zahlenden Regelbedarfes seit dem 01.01.2005 nachzuzahlen", da der Anspruch bis zum 31. Dezember 2007 unbestritten gewesen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Februar 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die mit Schreiben vom 30. August 2008 vorgenommene Klageerweiterung sei unzulässig, die Klage im Übrigen unbegründet. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids Bezug genommen. In der Rechtsmittelbelehrung ist der Kläger über die Statthaftigkeit der Berufung und deren Form- und Fristerfordernisse belehrt worden.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 19. Februar 2010 zugestellt worden. Am 21. Februar 2010 hat er beim SG die Zulassung der Sprungrevision beantragt. Mit Verfügung vom 23. Februar 2010 hat ihm dieses Gelegenheit gegeben, die erforderliche Zustimmungserklärung des Beklagten bis zum 19. März 2010 vorzulegen. Dies ist nicht geschehen; vielmehr hat der Beklagte die Zustimmung abgelehnt, was der Kläger am 10. März 2010 selbst übermittelt hat. Mit Fax vom 17. März 2010 hat er beim SG Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und weiter ausgeführt, das bereits eingelegte Rechtsmittel der Sprungrevision werde aufrecht erhalten. Auf den Hinweis des SG, dass gegen den Gerichtsbescheid nur die Berufung, nicht aber der Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft sei, hat der Kläger mitgeteilt, sowohl am Antrag auf mündliche Verhandlung als auch am Rechtsmittel der zuzulassenden Sprungrevision festhalten zu wollen; die noch notwendige Beweisaufnahme sowie Erörterung der Sach- und Rechtslage dürfe nicht auf das Landessozialgericht (LSG) verlagert werden (Schreiben vom 20. März 2010). Mit Beschluss vom 22. März 2010 hat das SG den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision, mit weiterem Beschluss vom 26. März 2010 auch den Antrag auf mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen.

Gegen den letztgenannten Beschluss hat der Kläger mit am 12. April 2010 beim SG eingegangenen Fax Beschwerde eingelegt und nach Darlegung seiner Rechtsauffassung zu den Voraussetzungen des begehrten Mehrbedarfs und der Unzulässigkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid am Ende ausgeführt: "Sollte jedoch das LSG entgegen der hier vertretenen Meinung anders entscheiden wollen, ist dieser Schriftsatz gleichzeitig als Berufung zu werten." Mit Beschluss vom 1. Juli 2010 (L 7 SO 1982/10 B) hat der Senat diese Beschwerde zurückgewiesen, weil gegen den Gerichtsbescheid gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung statthaft und damit der Antrag auf mündliche Verhandlung unstatthaft sei.

Zur Berufung hat der Kläger ausgeführt, diese sei schon deshalb zulässig, weil bei allem juristischen Geplänkel unstreitig sein dürfe, dass er mit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht einverstanden gewesen sei und gegen diese ein Rechtsmittel fristgerecht eingelegt habe. Zuletzt hat der Kläger sein Begehren auf den Zeitraum bis zur Veröffentlichung der Empfehlungen des Deutschen Vereins in neuer Auflage beschränkt. Ab diesem Zeitpunkt akzeptiere er die Nichtgewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2008 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Oktober 2008 einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sowie unter Abänderung entgegenstehender Bescheide für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2007 höheren Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren, hilfsweise den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Entscheidungen jedenfalls für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht zulässig.

Nach § 105 Abs. 2 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden.

Gegen den Gerichtsbescheid vom 8. Februar 2010 ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG die Berufung statthaft. Denn nach den im Verfahren vor dem SG gestellten Anträgen des Klägers waren laufende Leistungen für mehr als ein Jahr streitig. Der Antrag in der Klageschrift vom 16. April 2008 bezog sich auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009, der Antrag in der Klageerweiterung vom 30. August 2008 auf entsprechende (höhere) Leistungen vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2007.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (Abs. 2). Die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG wegen fehlender oder unrichtiger Rechtsmittelbelehrung gilt nicht. Denn die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheides bezeichnete zutreffend die Berufung als statthaftes Rechtsmittel und belehrte auch im Übrigen korrekt über deren formelle Anforderungen. Über die Möglichkeit der Sprungrevision war, da sie im Gerichtsbescheid nicht zugelassen worden war, nicht zu belehren (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 30. Juni 2004 - B 6 KA 1/04 B - (juris); Littmann in Hk-SGG, 4. Aufl., § 66 Rdnr. 2).

Die Berufungsfrist begann am Tag nach der Zustellung des Gerichtsbescheids an den Kläger, also am 20. Februar 2010, und endete mit Ablauf des 19. März 2010 (Freitag). Durch den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision ergibt sich kein abweichender Fristlauf. Denn nach § 161 Abs. 3 Satz 1 SGG beginnt die Berufungsfrist nur dann mit der Zustellung des die Zulassung der Sprungrevision ablehnenden Beschlusses von neuem, sofern dem Antrag die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Hieran fehlte es vorliegend, so dass es bei der am 19. März 2010 ablaufenden Berufungsfrist verbleibt.

Die am 12. April 2010 beim SG eingegangene Beschwerdeschrift mit dem zitierten Zusatz hinsichtlich der Berufung konnte diese Frist nicht mehr wahren. Entgegen dem Vorbringen des Klägers reicht es vorliegend nicht aus, dass er erkennbar mit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht einverstanden gewesen sei und gegen diese (irgend)ein Rechtsmittel einlegen wollte. Die Berufungsschrift muss zwar nicht die förmliche oder ausdrückliche Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde. Die in einem Schreiben enthaltene Prozesserklärung bedarf unter Umständen der sinnvollen Auslegung unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes. Bezeichnungen als Beschwerde, Einspruch oder Revision sind daher unschädlich, wenn sich ergibt, dass Berufung gemeint ist. Der Beteiligte muss aber zum Ausdruck bringen, dass das erstinstanzliche Urteil durch das Berufungsgericht überprüft werden soll (vgl. BSG SozR 4-1500 § 151 Nr. 2 und § 158 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 151 Rdnr. 11). Gerade hieran fehlt es vorliegend. Vielmehr hat der Kläger zunächst ausdrücklich eine Entscheidung des BSG im Wege der Sprungrevision angestrebt und danach die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem SG. Seinem Schreiben vom 20. März 2010 ("die noch notwendige Beweisaufnahme sowie Erörterung der Sach- und Rechtslage dürfe nicht auf das LSG verlagert werden") ist zu entnehmen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt eine Berufung zum LSG ausdrücklich nicht wollte. Eine Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers gegen seinen eigenen deutlich artikulierten Willen ist nicht möglich. Eine fristgerechte Berufung liegt somit nicht vor.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist i.S.d. § 67 Abs. 1 SGG liegen angesichts der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung nicht vor. Darüber hinaus hat das SG den Kläger im Rahmen des Antrags auf Zulassung der Sprungrevision zur fristgerechten Vorlage der Zustimmungserklärung des Beklagten aufgefordert. Nachdem dieser die Zustimmung verweigert hatte, war es für den Kläger noch vor Ablauf der Berufungsfrist ohne Weiteres ersichtlich, dass ihm allein die Berufung als Rechtsmittel zur Verfügung steht.

Der Zulässigkeit der Berufung steht des Weiteren entgegen, dass diese unter einer Bedingung erhoben worden war ("Sollte jedoch das LSG "). Wegen der im Prozessrecht erforderlichen Klarheit über das Schweben oder das Nichtschweben eines Rechtsstreits entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts, dass die Einlegung von Rechtsmitteln weder von einer außerprozessualen noch von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden darf (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvR 630/73 -, BVerfGE 40, 272; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12. September 1988 - 6 CB 35/88 -,) Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 83; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. Dezember 1995 - 4 AZN 576/95 -, NJW 1996, 2533; Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 22. Juni 1982 - VII B 115/81 -, BFHE 136, 70; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Februar 2001 - XII ZB 192/99 -, FamRZ 2001, 1703, m.w.N.).

Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen. Eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung des SG hatte somit ebenso wenig zu erfolgen wie die hilfsweise beantragte Zurückverweisung an dieses.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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